Dienstag, 27. März 2018

Ghosts of Inii





1. Freitagabend, der Vengerplatz ist leer, Geisterstadt. Zwei Mädchen und zwei Jungen gehen auf das Rattennest zu, ein schwarzes Bankgebäude. Keine Stimme ist zu hören, keine Taube fliegt. Erst als sie drinnen sind, füllt sich der Vengerplatz wieder. Das bemerken sie nicht. "Im Gebäude ist keiner", bemerkt der 15-jährige bildschöne Ariel recht schnell. "Sagte ich doch", lächelt der niedliche 13-jährige Fox Kitten. "Schwörst du bei deinem IQ, dass das keine böse Falle ist? Wir haben zwei Ladies hier". Fox Kitten lächelt nur. "Julia, sieh!" ist Sophie erstaunt. Ein Kätzchen läuft auf sie zu, springt ihr in die Hände. Die blonde elfenhaft zierliche Sophie ist entzückt, die sagenhaft dünne brünette Julia legt den Arm um sie und betrachtet das Kätzchen. Sophie lässt es auf den Boden, es läuft aus dem Gebäude hinaus. "Wir vier sind recht hübsche Kinder, mein junger Freund und zarter Schützling", streicht Ariel dem kleinen Jungen durchs Haar, "ein Festmahl für du weißt wen". Sophie ist 14. Fox Kitten ist ihr zu klein. Julia ist 15 und steht nicht auf Ariel.



2. Foyer. "Wir sind seit einer guten Stunde hier", gibt Ariel Entwarnung. Sophie schaut recht wehmütig auf die Ein- und Ausgangstür. "Heimweh?" fragt Ariel. Fox Kitten nimmt ihre Hand und zwitschert: "Keine Sorge, morgen sind wir wieder in Hienne". "Lasst uns nach Oben gehen", verliert Julia die Geduld. "Das gibts doch nicht", ist Ariel nach einer Viertelstunde auf dem Erdgeschoss der Tatsachen angekommen. "Was denn?" "Sprichst du absichtlich mit dieser engelhaft zärtlichen Stimme... ich kann mich in deiner Gegenwart nicht wirklich ärgern, aber es gibt keine Fahrstühle", sucht Ariel Rat bei seinem jungen Freund. "Dort ist eine Treppe", zeigt Julia. Sophie ist irgendwarum erschrocken. Julia eilt herbei. "Habt ihr auf die Uhr geschaut!? Sie ist stehengeblieben!"



3. "Gehen wir jetzt hoch, das hat nichts zu bedeuten", hofft Ariel und schaut seinen jungen Freund fragend an, welcher nickt. Ein Stockwerk nach oben, dann endet die Treppe. "Das war kurz", bemerkt er lakonisch. Ein langer Korridor, viele offene Räume. "So wie ich dachte", beruhigt Fox Kitten seine Begleiter. Sie gehen weiter, schauen in die Räume, nichts. Im letzten Raum, ganz am Ende des Korridors, ist eine Treppe versteckt. "Gehen wir hoch", freut sich der Kleine. "Ich bin etwas müde", flüstert Sophie. Im zweiten Stock ein großer Saal. Prächtige, tiefe Sessel. Fox Kitten lässt sich fallen und blickt etwas arrogant zur Decke: "Heute noch werde ich euch beweisen, dass dieses Haus mehr Stockwerke hat als es hat". Julia lacht, Sophie kichert. Julia hört auf zu lachen, betrachtet Sophies Nacken und ihre makellos schöne Haut.



4. "Reinheit hat uns hierher gebracht, Freunde", verteilt Ariel Wasserflaschen aus einem überdimensionalen Kühlschrank. "Hast du das alles einrichten lassen?" fragt er scherzhaft seinen jungen Freund, auf die Auswahl an Getränken und Sitzgelegenheiten hinweisend. "Hier finden manchmal Konferenzen statt", erwidert dieser nüchtern, "aber zurück zu dem, warum hier hier sind, nein, hier sein können: nur wer rein ist, kommt hier rein. Der Rest bleibt im Rattennest". "Und nutzt bequeme Fahrstühle", lächelt Julia. "Stopp", will Sophie die Zeit anhalten, die vielleicht schon längst stillsteht, "wo sind wir hier? Ist das so etwas wie eine andere Dimension?" "Genau", lächelt Fox Kitten. "Schaut aus dem Fenster!" ruft Julia, "die Sonne geht nicht weiter unter!" "Die gute alte Zeit ist wohl stehengeblieben", lacht Ariel und geht in den langen Korridor hinaus. "Ich komme zurück, wenn ich die Treppe in den dritten Stock gefunden habe!" ruft er hinterher.



5. "Gefunden", kommt Ariel zurück. "Gehen wir, es ist gleich nebenan". Vierter, fünfter, sechster Stock, das Finden wird immer leichter. "Sieben", zählt Julia mit, "wieviele hat es?" "Vierundzwanzig", weiß Sophie. "Ein Fahrstuhl wär wirklich nicht schlecht", zickt Julia den kleinen Jungen an. Fox Kitten beobachtet nur, wie Julias liebliche Blicke um Sophie kreisen. "Lasst uns hier übernachten", zeigt Ariel einen zum Schlafen geeigeneten Raum, es ist ein wahrer Bettenlager. "Verkaufen die etwa Betten?" "Nur Aktien und Versicherungen", so der Kleine trocken. Die Mädchen nehmen ein überdecktes Bett mit Gardinen. Julia zieht die Letzteren zu, steckt aber bald ihren Kopf hinaus: "Kitten?" "Miau". "Warum schlafen wir jetzt, wenn die Zeit stehengeblieben ist?" "Wollen wir uns über relativistische Physik unterhalten? Ich sags für Mädchen: wie befinden uns wahrscheinlich in einem Lichtgeschwindigkeitssimulator. Für uns läuft die Zeit ganz normal weiter, aber draußen steht sie still. Also nicht das Fenster aufmachen, bitte, unter keinen Umständen". Julia geht schlafen, Sophie kuschelt sich an sie. Der Kleine setzt sich zu Ariel und erklärt es ihm "für Jungs".



6. "Die Sonne hat sich kein Bisschen verschoben", stellt Ariel beim Aufwachen fest. "Es ist wenigstens nicht Nacht draußen, sei froh. Oder magst du diese Dunkelheit, die durch Wände geht und dich aus den Fenstern anstarrt?" "Ich habe Angst!" ist Sophie den Tränen nahe. Julia und Ariel nehmen das ängstliche Mädchen an den Händen und führen sie an ein großes Fenster. "Siehst du diesen Baum ganz hinten? Die Sonne war exakt auf der Höhe seiner Krone, als wir eingeschlafen sind. Sie hat sich kein Stück bewegt", spricht Ariel die Worte der Ruhe. "Gehen wir", flüstert Fox Kitten. Sophie nimmt seine Hand. Sein Wissen, denkt Ariel, hat ein weitaus gewaltigeres Beschützerpotential, als meine körperliche Präsenz. Stark ist er nicht, und auch nicht groß, aber Fox Kitten ist ja richtig klein, sieht ais wie 11. "Zählt mit", empflieht der fragile Junge, "ich will, dass keine Verwirrung diesbezüglich herrscht, dass wir im Vierundzwanzigsten sind, wenn wir dort ankommen".



7. Stock 21. Ein langweiliges Gebäude. Verlassene Büroräume, dann und wann Plätze der Erholung. Und keiner da außer den vier. Oder etwa doch? "Ich hörte Schritte" berichtet Ariel, als er zum Treffpunkt in der Kantine zurückkehrt. "Es ist so leer, dass deine Wahrnehmung dir vielleicht einen Streich spielt", weist Fox Kitten seine Befürchtungen arrogant ab. "Es war ein langer Weg, ich habe Hunger", setzt sich Julia an den Tisch und verschlingt eine ganze Milchschnitte. Die Jungs teilen sich die restlichen neun, Sophie nascht ein paar Kirschen und eine große saftige Erdbeere. "Weiter", empfiehlt Fox Kitten. Ariel nickt. Er geht voraus, sucht nicht lange: "Da ist die Treppe". Sophie quietscht auf: "Da ist jemand unter der Treppe!" Julia hält sie schützend fest, Ariel sieht nach. "Seit wann folgst du uns?" fragt er einen 17-jährigen Jungen. "Seit wann folgt ihr mir?" Fox Kitten geht auf ihn zu, seine Niedlichkeit entwaffnet den zynischen Einzelgänger. "Entschuldigt, ich wusste nicht, dass... ich bin Luc. Und wie heißt dein furchtloser Freund?" "Ariel", stellt sich der ab sofort zweite Tiger dem geheimnisvollen Fremden vor.



8. "Julia und Sophie", genießt Luc den Klang ihrer Namen, "und seit wann seid ihr..." Sophie schweigt und geneißt Julias Schamröte. "Woher wisst ihr davon?" will Luc erfahren. "Dasselbe wollen wir von dir wissen", kontert Fox Kitten. "Ich habe lange danach gesucht. Jedesmal einen Freund mitgenommen, und wir haben es in Finstern und in Deader und in Arecast versucht, ohne Erfolg. Dann las ich in einem selbst für meine Begriffe irren Buch, dass nur wer rein ist, hinein darf. Ich versuchte es allein, wiederum überall. Und bin nun hier". "Trial and error", bemerkt der Kleine kühl. "Es ist kein physikalisches Gesetz, dass uns diese Tür geöffnet hat. Es ist ein Wille". "Wessen Wille?" will Ariel sein Zittern verbergen. Er hat panische Angst vor allem, was nach Mystik riecht. "Ich schätze dessen, der das Ding gebaut hat", sagt Luc etwas nachdenklich und fragt die Mädchen nach ihrer Herkunft aus.



9. "Der Legende nach ist Reburt älter als Dorcor", räsonniert Luc. "Unmöglich, Dorcor ist die älteste Stadt der Welt", ist sich Ariel sicher. "9000 Jahre ist verdammt alt", sagt Luc, um bissigerweise hinterherzuschieben: "aber ich spreche nicht von zehn oder elftausend Jahren. 640000". "Woher weißt du das?" "Weiß ich nicht. Aber eines weiß ich ganz sicher: die Vorfahren der Venger haben diese Stadt nicht gebaut". 
 

Die Mädchen lassen sich von Fox Kitten fangen und auskitzeln, während Ariel und Luc den Schlafraum im 22. Stock so einrichten, dass die Wahrscheinlichkeit, von einem weiteren Besucher überrascht zu werden, gegen Null sinkt. Luc löst Ariel ab und geht zum Fenster: "Was zum Geier..." Fox Kitten ist aufgewacht und schleicht sich verängstigt an ihn heran: "Die Sonne ist untergegangen". Ariel sieht die Beiden am Fenster stehen und kommt hinzu. "Ich trau dir nicht", sagt er zu Luc und legt seinen Arm um Fox Kitten.



10. "Die Mädchen werden davon erfahren, sobald sie aufgewacht sind. Du beschützt sie vor gar nichts", so Ariel. "Aber wir sollten sie nicht wecken. Angst kann man nämlich riechen", giftet Luc zurück. Fox Kitten versteht, worum es geht, und dass er alles nur verschlimmern kann. Er verkriecht sich in einen Sessel und versucht, seine Angst vor der Dunkelheit zu verstecken. Luc geht auf Ariel zu und flüstert ihm ins Ohr: "Er hat furchtbare Angst". Ariel blickt Luc mit einer Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung an, Luc nickt wohlwollend. Ariel setzt sich zu Fox Kitten. Der Kleine beginnt leise zu weinen, Ariel nimmt ihn in den Arm. Luc geht in den dunklen Korridor hinaus.

"Du hast einen Lichschalter gefunden?" starrt Ariel ungläubig. "Es gibt nur einen für ein ganzes Stockwerk", stellt Luc fest, "sollte jemand, den wir beide nicht kennen, das Licht wieder ausschalten, wird es ein langer und mysteriöser Weg". Ariel schüttelt mit dem Kopf - warum muss Luc ihm immer wieder Angst machen? Nur Luc ist der Situation gewachsen, das süße arrogante Genie will nur noch nach Hause, und dort unter die Bettdecke kriechen.



11. "Weck die Mädchen, und sorge dafür, dass sie nicht aus dem Fenster sehen", weist Luc Fox Kitten an. Korridor. "Suchst du die nächste Treppe?" fragt Luc Ariel. Der stolze Blondschopf geht suchen. "Im wievielten sind wir?" fragt Fox Kitten in die Runde. "22", hat Julia mitgezählt. Ariel kommt zurück. "Ein komischer Raum für eine Treppe", kommentiert Luc, als sie in einen Duschraum hineingehen. Eine Dusche springt spontan an, alle laufen auseinander, nur Luc bleibt stehen. "Niemand nass geworden? Nun kommt, wir haben einen weiten Weg vor uns".

Es brennt kein Licht im 23. Stock. Luc durchforstet die Dunkelheit, Fox Kitten wendet sich an Ariel: "Wir könnten umkehren". "Zurück?" "Etwas stimmt hier nicht". "Ja, etwas läuft anders, als du es dir ausgerechnet hast", spottet Julia, "aber vielleicht sind wir gar nicht in deinem Kopf, sondern in der Wirklichkeit". Licht. Luc, der Lichtbringer, kommt zurück. "Die Treppe ist übrigens da, wo der Lichtschalter ist. Sehr praktisch, nicht?"



12. "Hast du dieses Flüstern gehört?" will sich Ariel bei Luc versichern, dass er nichts gehört hat, - der 24. Stock ist nämlich stockdunkel. "Es war eher ein Jaulen", heizt Luc ihm ein. Ariel greift sich Julias Arm, als er einen Luftzug spürt. "Ich gehe dann voran", schätzt Luc die Lage realistisch ein. Julia schmunzelt, als die Furcht der Erleuchtung weicht. Ariel lässt den Kopf tief hängen: "Ich kehre um, wer kommt mit?" "Das ist doch nicht dein Ernst", lacht Luc ihn aus, "wir sind am Ziel". Ariel weist auf das Unbekannte, auf die Gefahren hin. "Wie viele Stockwerke hat dieses Gebäude? Nicht zufällig 24? Entweder wir steigen aufs Dach und gehen nach Hause, oder". "Oder was?" ist Ariel mit seinen Nerven am Ende. "Such die Treppe", flüstert Sophie. "Ich komme mit dir", greift Julia seinen Arm. Fox Kitten und Sophie halten sich fest, Luc schaut sich um. "Es ist Nacht da draußen", bemerkt er kühl. "Sonst wären die Stockwerke ja nicht dunkel", bemerkt Sophie noch kühler und küsst Fox Kitten auf die Schläfe. 
 

13. "Wir haben die Treppe gefunden", kommt Julia zurück. "Wo ist Ariel?" fragt Fox Kitten. "Im Treppenhaus, kommt mit". Tatsächlich ist da ein Treppenhaus. Sophie schaut nach Unten - der Boden ist nicht zu sehen. "Passt auf, ich lasse Murmeln fallen", weist Luc auf die Stille hin, in der das Aufprallen und Zerbrechen deutlich hörbar sein müsste. "Hört ihr: da ist nichts". "Wie nichts?" springt Ariel erschrocken zur Seite. "Die Murmeln sind ins Leere gefallen", bestätigt Sophie. "Ich gehe runter und sehe nach", will Ariel den Verstand nicht verlieren. Julia drückt Sophie an sich und flüstert: "Schau mich nicht so an". Ariel macht einige Schritte nach Unten, läuft dann wieder hoch: "Lasst uns aufsteigen". 
 

Es ist hell im 25. Stock. "Völlig unmöglich", schüttelt Ariel mit dem Kopf. "Dass jemand vor uns hier war und das Licht einschaltete?" lächelt Julia. "Dass wir nicht auf dem Dach sind", schreitet Ariel in einen großen Konferenzraum hinein. "Unmöglicher als das?"zeigt Sophie auf die auf die Höhe der Baumkrone zurückgekehrte Sonne.



14. "Gut, es geht also nicht runter. Wie kommen wir wieder zurück?" gesellt sich Ariel dem nach einer Kantine suchenden Luc. Ein Lachen erschallt: "Natürlich geht es runter!" Ein abgrundtief grundgütiges Gesicht, das ein Wenig zu leuchten scheint. "Sind wir bei den Engeln?" Der Mann schaut Ariel tief in die Augen: "Mit Zynismus kommst du hier nicht weiter, deine Furcht vor dem Irrationalen wird nur noch größer". Er schaut Luc an, scheint ihn zu kennen: "Ich hätte euch die letzten vier Stockwerke gern erspart, aber tiefer gehen darf ich nicht. Wenn die Zwischenwelt verschwindet, sinkt man". "Wie tief?" "Bis wieviel kannst du zählen?" 
 

"Hier ist Null, Erdgeschoss", erklärt der Gastgeber mit weißem Vollbart, "ich wohne im Einunddreißigsten". "Sie wohnen hier?" staunt Ariel. "Ich lebe hier. Kommt, ich zeige euch, wie ihr schnell hochkommt. Wo sind eure Freunde?"


15. Treppensteigen. "Lasst uns eine Pause machen", sorgt sich Julia um die konditionsschwache Sophie. "Ihr Mädchen habt großes Glück", stellt der Mann fest, "in eurem Alter hätte es schon morgen zu spät sein können". "Sie sind ein Misanthrop", lacht Luc. "Ich beobachte die Menschen seit Jahrhunderten. Mädchen wollen begehrt werden, und nehmen dafür in Kauf, ihre Kindheit zu schnell zu beenden". "Und die Jungs?" fragt Julia. "Ein Kind. Ein Prinz. Ein Psyhopath". 
 

"Diese Wohnung ist das Geilste... wie groß ist sie?" fragt Luc den Gastgeber. "Tausend Quadratmeter, mit dem Garten vielleicht zweitausend. Pflücken wir die Beeren, deine Freunde warten". Kiwigroße Stachelbeeren, in die Länge gezogene tiefrote Kirschen, und vieles, was es eigentlich gar nicht gibt. Im Speisesaal bemerkt Luc, dass aus dem Fenster nur noch der Himmel zu sehen ist. Unten eine dichte Wolkendecke. "Weiter?" fragt Luc den Gastgeber, welcher erwidert: "Weiter kann ich nicht. Ich muss mich an die Hausordnung halten". Er begleitet die Gäste in den Korridor. Julia sieht einen Fahrstuhl: "Etwas Bequemlichkeit kann nicht schaden". Der Mann zieht eine düstere Miene: "Das würde ich an eurer Stelle auf gar keinen Fall tun, selbst dann nicht, wenn ich auf der Flucht vor einem Geist wäre. Fahrstühle fahren nämlich nur nach unten".



16. Treppensteigen. "Ich kann Sophie tragen", bemerkt Luc. "Ich habe auch schöne Träume", lächelt Ariel. "Kitten, warum schweigst du die ganze Zeit?" sorgt sich Julia. "Ich bin nur erleichtert", flüstert der Kleine. "Hier ist fürs Erste Schluss", zeigt Ariel auf die Decke. "In der Tat", spaziert Luc in den Korridor. Ariel holt ihn ein: "Du kennst den Mann". "Ich war mal klinisch tot. Er schickte meinen Geist damals zurück in den Körper". "Das denkst du dir bloß aus", lacht Ariel. 
 

"Es ist so gemütlich hier", bemerkt Sophie. "Lasst uns hier bleiben". "Wie lange?" tut der zielstrebige Kleine seine Unzufriedenheit kund. "Eine leere Wohnung, noch größer als..." bleibt Luc vor dem Eingang stehen. "Kommt rein", ruft er, "ihr seid eingeladen!" Fox Kitten geht ans Fenster und starrt auf den Sternenhimmel über den Wolken. "Ich frage mich, was unten ist", beantwortet er Ariels fragenden Blick.



17. Eine Luxuswohnung der Extraklasse, ein eigener wilder Fruchtgarten, und dieses perlend wohlige Gefühl. "Wir haben uns genug ausgeruht", will Luc nach drei Tagen weiterziehen. "Ich bleibe hier", erwidert Sophie eiskalt. "Luc hat Recht". Ein Satz, der Ariel schwer über die Lippen kommt. "Wir wissen nicht, wo wir sind, und was das hier ist", denkt Julia laut nach. "Und darum bleiben wir, wo es am Sichersten ist", lehnt sich Fox Kitten zu Sophie zurück, sie lässt seinen Kopf auf ein Kissen auf ihrem Schoss sinken und verzärtelt ihn, wie die drei Tage zuvor. "Wir wissen nicht, ob es hier am Sichersten ist", denkt Julia weiter. "Sieh die Sache doch aus seiner Perspektive", lässt Sophie Fox Kitten und Julia die Plätze tauschen. "Andererseits ist es schön hier. Ich will nicht in das Reich der Dunkelheit zurück. Wir hatten Glück, es hätte auch anders ausgehen können", so Julia nun. "Wie denn?" verbreitet Luc bei niemandem so wie bei Ariel Angst und Schrecken. "Wir sind nicht hergekommen, um die Ferien zusammen zu verbringen", bemerkt dieser, entschlossen, seine Unentschlossenheit zu überwinden. "Ach, nicht?" spottet Sophie. "Du wolltest dem Cut entkommen, wolltest nicht aus dem Mädcheninternat nach Hause", versteht Ariel das Mädchen. Julia unterbricht ihn vor dem Aber: "Ein Cut bei ihr hätte mir das Herz gebrochen". Sophie küsst Julia auf die Stirn und guckt höhnisch die Jungs an: "Geht, wenn ihr wollt!" "Einer von uns muss hier bleiben", bleibt Luc ruhig. "Ich komme mit dir", steht Fox Kitten auf. "Ich wusste nicht, dass es abgemacht war, dass er geht", ist Ariel hin und her gerissen. "Ich nehme ihn nicht zum Kuscheln mit, ich brauche einen zweiten klaren Kopf", zieht Luc dem kleinen die Schuhe an. Ariel kocht vor Eiferucht, wenn sich Luc um ihn wie um ein Kleinkind kümmert. Er wirft einen Blick auf die Mädchen, die ihn nicht weiter beachten, und zieht Fox Kitten die Jacke an: "Ich überlasse den Kleinen doch keinem Irren". "Gut", bemerkt Luc trocken, "dann gehen wir zudritt".



18. "Was hast du da gefunden?" fragt Ariel. "Einen Stöckelschuh", zeigt Fox Kitten. "Diese Schuhgröße ist unmöglich", bemerkt Luc und fügt hinzu: "...für einen Stöckelschuh". Aber Fox Kitten hat etwas gesehen, was Luc und Ariel entging. "Ich suche diesmal die Treppe!" "Ausgeschlossen", hält ihn Luc am Arm fest. "Lass ihn, wir sind außerhalb der Gefahrenzone", will Ariel dem Kleinen einen Gefallen tun. Luc lässt ihn los. 
 

"Ich glaube, dieser Schuh gehört einem Kind. Das Mädchen müsste 8 sein", spekuliert Luc. "Und wie eine Ballkönigin rumlaufen?" "Exakt. Vielleicht haben Zwölfjährige da oben so kleine Füße". "Meinst du, die weiter oben..." "Ja, verflucht! Die sind so verdammt schön, dass uns die Augen schmerzen werden. Nenn sie Engel, nenn sie wie du willst. Du magst Sophie, nicht? Vergiss sie. Nichts gegen Sophie, aber wir werden bald Traumprinzessinen treffen. Der Kleine hat seine wahrscheinlich schon gesehen..." "Los, hinterher! Welchen Weg ist er gegangen!?"



19. "Wir suchen seit einer Stunde nach ihm", verzweifelt Ariel. "Deutlich länger", quält ihn Luc. "Vielleicht hat sie ihn mitgenommen?" "Da, dieses Zimmer, gesehen!?" "Was zur Hölle war das eben!?" "Das ganze Zimmer ist wie ein Fahrstuhl nach Unten gegangen. Nach Unten, Ariel!" "Was jetzt?" sinkt Ariel auf den Boden die Wand entlang. "Du hast ihn gehen lassen". "Du hättest ihn aufhalten können!" "Ich sehe nach den Mädchen". Ariel geht Luc an den Kragen: "Weißt du noch, was dein alter Freund gesagt hat? Hast du das vergessen?" "Er ist nicht mein Freund. Lass mich los". "Du hast also gelogen?" "Und nicht für nötig gehalten, es richtigzustellen. Das denkst du dir nur aus, sagtest du. Und du hattest verdammt Recht. Lass uns nach den Mädchen sehen, sie sind hier nicht mehr sicher". "Und mein Freund!?" "Er ist auch mein Freund". "Nein, das ist er ganz sicher nicht!" "Nicht? Dann geh du nach ihm suchen, wenn er sonst keine Freunde hat".



20. "Wo ist Ariel?" will Julia wissen. "Ihr wisst also schon, wer den Kleinen entführt hat. Dachte ich mir". "Eine kleine Märchenprinzessin, und ich übertreibe nicht, war eben mit ihm noch hier". "Und Sophie?" "Sie spricht mit unserem Gast". Ein Jüngling, der nicht schöner sein könnte, in Lucs Alter, nimmt Sophie ins Verhör. "Wo sind sie hingegangen?" wiederholt er. Luc packt ihn am Hals: "Wo kommst du her?" "Von oben. Lass mich los und hilft beim Suchen. Schnell!" Luc gehorcht, der den schöne Jüngling jagt einem offenbar weit schützenswerteren Wesen hinterher. "Sie ist noch so jung", erklärt er auf dem Weg, "und schon macht sie diese Mutprobe mit - lässt sich nach unten fahren. Die Mädchen haben ein Spiel daraus gemacht - wer war tiefer, wer war tiefer, - das ist ein Alptraum, was hat sie sich nur dabei gedacht!?" "Ist es oben so langweilig", setzt sich Luc nach dem langen und erfolglosen Rennen erschöpft auf den Boden. "Nein, es ist etwas Anderes. In unserer Welt gibt es nichts wirklich Schlechtes. Ich glaube, es ist das Düstere, das sie anzieht. Es übt eine magische Sogwirkung aus". "Das kommt mir bekannt vor. Sprich weiter". "Zu sagen habe ich weiter nichts". "Dann bleib bei den Mädchen. Ich finde die Kleine, das schwöre ich dir bei aller Dunkelheit, die es gibt!"



21. Julia versucht, die weinende Sophie zu beruhigen. Der Jüngling läuft zu den Mädchen: "Wer ist er? Woher... ich meine, er weiß offenbar, wo er suchen soll. War er schon mal dort?" Schweigen. "Kommt mit mir", zieht er die Mädchen aus dem Raum der trügerischen Sicherheit in ein Treppenhaus. "Seid ihr von hier? Ihr seht recht makellos aus". "Nein", sagt Julia. "Dann sagt nichts. Ich werde für euch reden".


Luc fährt mit einem Fahrstuhl, es ist eine lange Fahrt. Er drückt die Knöpfe, aber der Fahrstuhl bleibt nicht stehen. Eben noch fabrikneu, beschlagen sich seine Metallwände mit Rost. Es riecht streng. Endlich bleibt der Fahrstuhl stehen, besser: stecken. Luc manövriert sich hinaus, klettert bis zum nächsten Stockwerk und schaut sich im Korridor um: alles sieht bedrohlich aus, etwas Düsteres kriecht aus den alten Wänden. Er sieht eine hinkende Gestalt. Sie ist zum Weglaufen, aber er läuft auf sie zu. Unter einem Kopftuch halb Gesicht halb nackter Schädel. Auf die Begrüßung antwortet dieses Wesen mit langem Husten, dreht sich um und geht in die Richtung, aus der es kam.



22. Ariel sitzt auf der Treppe. Er zittert, er ist nirgendwohin gegangen. Erschrocken springt er auf, als ihn jemand am Arm berührt. Es ist der Mann, der so hoch nicht steigen darf. "Komm zu mir, Junge", geht er mit Ariel in seine Wohnung.



"Wie heißt du eigentlich?" "Hiite". "Ich bin Julia". "Ich bin Sophie". "Was ist das für ein Name?" fragt Julia. "Ein Iniischer Name". "Es gibt kein Inii, das ist eine Legende". "Manche Legenden sind wahr. Wir sind da". Etwas stimmt offenbar nicht: die Gänge sind leer. "Keine Angst. Jemand hat den Alarm ausgelöst. Sie wissen bereits, dass die Kleine verschwunden ist. Wenn ein Alarm ausgelöst wird, darf sich keiner im Keller aufhalten". "In welchem Keller!?" "Kommt, wir müssen weiter. Wenn wir Glück haben, schaffen wir es noch". Treppenlauf. Hiite trägt Sophie weiter, als sie erschöpft stehenbleibt. "Komm, Julia, noch zweihundert Stufen". Sie laufen durch ein sich schließendes Tor in einen Garten. Der Horizont ist zu sehen, eine Sonne erleuchtet vier Monde am Himmel. "Das war knapp", setzt Hiite Sophie auf herrlich duftendes weißes Gras.



Ariel trinkt einen beruhigenden Saft, wonach ihn der Gastgeber auf das Kommende vorbereitet: "Dieses ganze Haus ist im Grunde ein Fahrstuhl. Hier treffen sich Himmel und Hölle, wie ihr es nennt, und manchmal, wenn die Dimensionen sich in einer bestimmten Lage zueinander befinden, klinkt sich eure Welt mit ein". "Kann also jemand, der schlau genug ist, aus der Hölle einfach in den Himmel hinein spazieren!?" kann es Ariel nicht fassen. "Nein, es ist eigentlich unmöglich. Die Hölle würde aber ohne eine Verbindung zum Himmel nicht existieren können, sie würde sich im Nichts auflösen. Es ist das Begehren, das Wissen um den Himmel, dass es ihn gibt, das die Hölle heiß macht". "Ist das der Grund für diese Verbindung? Das ist aber ein verdammt schlechter Grund. Als wär die Welt von der Hölle aus erschaffen worden, verstehen Sie?" "Die Welt muss ein Ganzes bleiben. Das ist der Grund".





2



1. "Fass nichts an, wir sind hier nur, weils regnet. Komm nicht auf dumme Gedanken", ermahnt die stockdürre blonde 18-jährige Kira die auf elegantere Weise ultraschlanke 17-jährige Lyra. Diese lacht nur: "Es ist doch nur eine Bank. Entspann dich". Lyra geht in eine Damentoilette, Kira hinterher. "Ich werde hier keine Bomben legen, Kira, ich mach mich nur frisch".

Foyer. "Gibt es eigentlich einen ordentlichen Club in Reburt?" will Kira tanzen. "Es gibt überall Diskotheken", so Lyra abschätzig. "Tut mir leid, dass es in keiner Stadt Clubs gibt, die du suchst", zickt Kira. Lyra reagiert nicht, bleibt vor dem Fenster stehen. Kira ist nach dem Ausbleiben der gewohnten zynischen Bemerkung beunruhigt, läuft auf Lyra zu: "Was ist denn? "Wann sind wir hier rein gekommen?" fragt Lyra, ihre Stimme zittert. "Um sieben oder kurz vor acht, vielleicht halb neun, ich weiß nicht mehr..." "Die Sonne geht auf". "Kurz vor 21 Uhr? Ist das ein Trick?" "Jedenfalls nicht von mir". Konsterniert bleiben sie stehen, bis Kira völlig verängstigt flüstert: "Jetzt sinkt sie". Draußen ist die Beleuchtung ausgefallen, es wird stockdunkel. Ein Fahrstuhl geht auf, dort brennt Licht. "Schnell, da rein!" rennt Kira los, Lyra hinterher.



2. Fahrstuhl. "Hoch?" fragt Kira. Lyra nickt. Kira wählt das oberste Stockwerk. Der Fahrstuhl rührt sich nicht. "Jetzt bloß nicht steckenbleiben", kommentiert Kira, "draußen spielt die Welt schon verrückt genug". "Wir sinken", flüstert Lyra. "Nein, wir stehen". "Wir sinken, aber nur ganz langsam". Jetzt spürt es auch Kira.



Ein märchenhaft anmutender Garten. Ein Baumhaus auf einem riesigen Baum, zweihundert Meter über der Erde. "Hier ist mein Zuhause", lässt sich Hiite tief in einen imposanten schwarzen Sessel fallen. "Ist das Leder?" fragt Julia nach dem Material. "Wieso fragst du?" "Werden hier oben Tiere getötet?" "Alles Schwarze kommt von unten", lacht Hiite. Sophie möchte etwas trinken. "Vom Purpurkirschensaft nicht zuviel", warnt der Jüngling. Zu spät. Sophies Pupillen weiten sich. Ihre Lippen wirken voller, ihre Blicke und Bewegungen verführerischer. Hiite dreht sich wieder zu den Mädchen und sieht, wie Julia Sophie küsst. "Darf ich stören?" lächelt er. Schamrot dreht sich Julia zu ihm: "Aber ich habe doch nichts getrunken..."



3. "Wie lange fahren wir schon runter?" ist Kira ungeduldig. "Mich interessiert eher, wie langsam wir runterfahren". Kira findet einen aufklappbaren Sitz. "Danke", grinst Lyra und setzt sich.



"Seht ihr den Pool, in dem wir eben waren?" zeigt Hiite den Garten aus der Vogelperspektive. "Das Wasser... so muss sich ein Jungbrunnen anfühlen", zwitschert Sophie. "Als wenn du auf Suche nach einem wärst", lacht Julia und lässt sich in einen ultraschicken weißen Sessel fallen. Sophie lässt sich halb auf halb neben Julia fallen, Julia fängt sie auf, spielt mit ihrem Haar, erforscht mit den Fingerkuppen die zarte Haut auf dem Gesicht und dem Hals ihrer elfenhaften Freundin. "Werden wir hier noch schöner", streckt sich Sophie und gähnt niedlich wie ein Kätzchen. "Die Luft tut euch gut. Aber wenn ihr einen Jungbrunnen sucht, es gibt genug davon. Natürlich nicht hier". "Wo denn?" ist Julia interessiert. "Oben". "Und wie funktioniert er?" "Ich bin jedenfalls seit 80 Jahren 17".



4. "Kira, er ist stehengeblieben", flüstert Lyra. "Warum müssen dunkelhaarige Mädchen immer so viel Angst haben?" "Warum können hellhaarige Mädchen nicht auch auf der anderen Seite des Kopfes so hell sein", beißt Lyra. "Ja, die inneren Werte", lacht Kira höhnisch. "Ich meinte eigentlich nur die Intelligenz. Begreifst du denn nicht, was hier geschieht?" "Aber natürlich, mein feuchter Traum, wir waren kaltherzig zu den Jungs und fahren dafür in die Hölle". Lyra nimmt Kiras Hand: "Du musst mich nicht hassen, weil du mich magst. Ich mag dich doch auch". Kira schaut ihr erbost in die Augen: "Aber du weißt genau, wie ich dich mag. Und wie sehr ich dich auf diese Weise mag". Die Fahrstuhltür öffnet sich.



5. Schlecht beleuchteter Korridor, verdreckte Wände. "Das ist ja wie in der Oststadt", zickt Kira. Sie gehen auf einen hellen Raum zu. Stimmen sind zu hören. Verschleierte und Vermummte sitzen auf Bänken und hören zu - einer redet: "Ich bin der Einzige von uns, der noch sprechen kann, also vertraut mir, denn ihr habt keine Wahl. Ich tausche den Jungen gegen einen Weg nach oben ein, komme zurück und wir steigen auf". Jemand sieht Kira, zeigt auf sie: "Ä, ä, ä!" Der Redner läuft zur Tür, sieht nun auch Lyra, die sich hinter Kira versteckt. "Bleibt ruhig. Zwei Verirrte hier. Ich nehme sie mit. Mit den zwei und dem Jungen kann ich vielleicht hundert Stockwerke aushandeln".



6. Spiraltreppe. "Kommt, wir müssen den Jungen holen", sagt der Vermummte. "Danke", flüstert Lyra. "Sehr gern. Ich habe schon lange so hübsche Gesichter nicht mehr gesehen, außer bei dem Jungen, hehe".



Hiite schließt die Fenster - ein Sturm. "Dieses Haus", zeigt er, "aus dessen Keller wir kommen, ist das höchste Gebäude in meiner... ich sag mal Welt. Im tausendsten Stock ist noch nie einer gewesen, die höchste begehbare Ebene ist 888". Julia deckt Sophie mit einer Decke zu und geht zu Hiite ans Fenster: "Und der Durchgang ist immer offen?" "So ist es. Es geht, so sagt man, unendlich tief runter. Ein Tempel, den ich am Liebsten einreißen würde. Da sind Schulen, Geschäfte, Clubs, sogar die Regierung residiert in diesem Gebäude. Alle sind so verrückt danach, direkt über dem Abgrund zu wandern".



"Wir sind da", hustet der Vermummte. Er zieht einen Schlüssel und öffnet eine Tür im Treppenhaus. Ein geräumiger Saal, in einem Sessel schläft Fox Kitten. "Weckt ihn". Lyra geht zu him hin und streicht ihm über die Wange.



7. Hiite macht sich auf den Weg. "Wo willst du hin?" "Bleibt hier, geht nicht aus dem Haus. Es hat eine Entwarnung gegeben, ich kann wieder in den Keller". Julia packt ihn am Arm: "Geh da nicht hin..." "Pass auf Sophie auf... Nein, so meinte ich das nicht. Pass auf, dass sie nichts anstellt".



Lagerhalle. Zwei Vermummte verhandeln; Lyra versucht, hinzuhören, versteht aber kein Wort. "Sie sprechen Agaaáh", erklärt Fox Kitten. "Aha", grinst Kira. "Ich sags für Mädchen: Oberhöllisch". "Schwarzhaarige, komm her", ruft der Käufer. Kira will Lyra festhalten, der Junge hält sie zurück. "Zieh das über", gibt der Käufer Lyra einen weißen Ganzkörperschleier. Er führt sie in einen Fahrstuhl und verschwindet mit ihr nach unten. "Nein!" ruft Kira. "Weine nicht. Ich habe keinen Tränensammler dabei", sagt der Vermummte. "Wo gehen wir hin?" will Fox Kitten wissen. "Ich hätte mich mit einem anderen Käufer treffen sollen. Aber dieser bezahlt mehr". "Ich verstehe nicht", weint Kira los. "Ich werde mit niemandem einen Aufstieg für meine Freunde aushandeln. Hier unten denkt man nur an sich selbst, vergisst aber bereitwillig, dass auch jeder andere nur an sich selbst denkt. Ich nenne das Hoffnung. In der Hoffnung, jemanden zu finden, der nicht so grausam und verlogen ist, wie alle die man kennt, lässt man sich zu leicht betrügen". "Was hat er dir für Lyra gegeben!?" "Einen Schlüssel. Eine Bombe. Jedenfalls ein Ding, das einen Fahrstuhl manipulieren kann, so dass er nach oben rast, bis er seine Energie aufgebraucht hat". Fahrstuhl. Es funktioniert. Korridor. Marmorwände. "Eine Höhe, mit der man leben kann. Sucht einen Medizinschrank".



8. Der Vermummte legt sich auf eine Liege: "Gib mir die blauen Pillen". Kira gibt sie ihm. "Wenn sie nicht wirken, musst du mich operieren". Er nickt ein, Kira flüstert: "Lassen wir ihn hier, komm". Fox Kitten nimmt ihre Hand und führt sie hinaus. Sie suchen den ganzen Korridor, alle Räume nach einer Treppe ab, aber da ist keine Treppe. Der Vermummte ist aufgewacht und sucht schon nach ihnen. "Ich wusste nicht, dass ihr genauso seid wir wir", ruft er, als er sie sieht. "Wir sind Gefangene", sagt Kira, als er näher kommt. "Wir alle sind Gefangene". "Wir haben dir nichts versprochen", rechtfertigt sich Kira. "Hab keine Angst, so zu sein. Lass es zu. Deine Grausamkeit wird dir deine Angst nehmen, deine Verlogenheit wird deinen Zweifel vernichten. Das was ihr böse nennt, ist der energieärmste Zustand einer Seele, ein ausgewogener, stabiler Zustand. Kein Bangen mehr. Kein Fürchten mehr. Nichts mehr zu verlieren innerhalb deiner Selbst". "Entropie in der Hölle?" wundert sich Fox Kitten. "Nirgendwo sonst so sehr wie in der Hölle. Oben gibt es Wunder, hier nicht. Es gibt keine dankbarere Aufgabe für einen Wissenschaftler, als die Hölle zu erforschen. Hier bleibt alles gleich. Die Gesetze der Physik gelten hier absolut". "Das ist was für mich, das gefällt mir", murmelt Fox Kitten. "Wir haben dir kein Unrecht getan", wirft Kira einen bösen Blick auf den Vermummten. "Das Gute und das Böse, den Wunsch und seine Erfüllung, alles müsst ihr Mittelwesen fein säuberlich trennen..."



9. Hiite nimmt einen Geheimgang in ein Treppenhaus und geht eine Treppe runter, die schnell zu Ende ist. Er weiß, dass es nach unten keine langen Treppen gibt, aber einige Stockwerke tiefer kann er unbeobachtet in einen Fahrstuhl steigen und zur Hölle fahren. Unaufgeregt fährt er so tief, wie es der Fahrstuhl hergibt. Er steigt aus: Marmorwände. Er weiß, wo er weitersuchen muss: es gibt einen geheimen Gang, den er gut kennt. Jemand beobachtet ihn, steigt schließlich nach ihm in den Fahrstuhl. "Du kennst dich hier zu gut aus", sagt er. Hiite erkennt Luc: "Hast du sie gefunden?" "Siehst du sie denn irgendwo neben mir stehen?" Hiite setzt sich auf den Farhstuhlboden: "Ich war so oft unten, habe mich immer als Freiwilliger für ein Rettungsteam gemeldet. Nicht das was unten sah, macht mir Angst. Es ist das Warum". "Warum die Angst anziehend wirkt?" Hiite schweigt. "Wenn wir hier fertig sind, gehe ich nach oben, immer weiter, nichts wird mich aufhalten", ist Luc entschlossen. "Bei uns gibt es eine Legende", lacht Hiite, "Ein junger Mann, so entschlossen wie du, wollte in den tausendesten Stock. Er stieg immer höher und es wurde immer schöner. Die Mädchen, die Ästhetik, alles. Auf jeder höheren Ebene blieb er länger, bis er irgendwo zwischen 960 und 990 für immer blieb". "Und?" "Das ist noch nicht alles. Einmal wollte er kurz schauen, was im Tausendsten ist, um dann wieder in sein glückliches ewiges Leben zurückzukehren". "Und als er wieder hinabstieg, fand er nichts mehr schön". "Wäre durchaus möglich gewesen, aber so war es nicht. Er stieg in den Tausendsten, und da war pures Nichts, so pur, dass er sich sofort darin auflöste". "Und?" "Ihr Mittelwesen braucht dafür nur zu sterben. Ihr kommt alle da hin, noch niemand von euch hat es je verfehlt. Und wir raten und bangen, was da noch sein könnte, schöner als alles Wunderschöne, was wir kennen".



10. Sophie wacht auf: "Julia, wo ist er hingegangen?" "Er sucht das kleine Mädchen". "Schauen wir uns um". "Nein!" "Warum nicht?" Sophie versucht, das Baumhaus zu verlassen, findet aber den Weg nach unten nicht. Julia schenkt Sophie etwas ein, drängt sie, es zu trinken. Sophie lächelt verstehend und trinkt ein ganzes Glas Purpurkirschensaft aus. Julia verspürt den Drang, sie zu fangen; Sophie weicht aus, bis Julia sie schließlich fängt, mit dem Rücken zur Wand stellt und küsst.



"Wartet", kann der Vermummte nicht weiter. "Du hast eine ganze Packung von diesen blauen Pillen genommen", zickt Kira. "Das war nur gegen die Symptome". "Stirbst du jetzt?" so Kira belustigt. "Oh, nein. Ich werde runter fahren, und wenn es sein muss, runter kriechen, sonst halte ich die Schmerzen nicht aus". "Und stirbst du, wenn du sie nicht mehr aushalten kannst?" "Ich meinte gefühltes Nichtaushaltenkönnen. So wie ihr das Wort "unerträglich" benutzt. Natürlich sterbe ich nicht". "Da kommt jemand", stellt Fox Kitten fest. "Ich sehe zwei", berichtigt Kira. Luc und Hiite kommen näher. "Der Schöne und das Biest", begrüßt sie Kira. "Sehe ich so schrecklich aus?" wundert sich Luc und betrachtet den kleinen Jungen: "Ist dir nichts passiert? Komm, wir gehen hoch". Er nimmt Fox Kitten und geht fort. Hiite rennt hinterher: "Und das Mädchen!? Du hast mir etwas geschworen". "Bei aller Dunkelheit, ja. Aber zuerst bringe ich den Kleinen in Sicherheit". "Ich helf dir". "Warum denn?" "Ich will mir nicht vorstellen, was du anrichtest, wenn ihm etwas passiert".



11. "Da lassen sie eine Dame mit einem Kerl wie mir mir nichts dir nicht allein", lacht der Vermummte. Kira ist erbost. "Jeder für sich, nicht nur in der Hölle", hört sie und erwidert: "Für sich? Du hast wohl nicht hingesehen. Das Biest will den Jungen beschützen, der Schöne was weiß ich wen retten". "Schon möglich. Aber nicht dich. Wären sie nicht etwas Besseres, würdest du gewisse Rachegelüste nicht verspüren". "Woher weißt du, dass ich daran denke, den Jungen zu entführen?" "Ich ahne es". "Lass mich gehen", bittet Kira. "Geh". Kira schaut sich um - sie weiß nicht wohin und kehrt zurück: "Ich vermute, du bist nicht das Grausamste, was in diesen Höhen schlummert". "Ich werde dich nicht anrühren, und ich kann dich sogar beschützen. Du bist hier unten viel wert". Er geht langsam und sich vor Schmerzen krümmend zu einem Fahrstuhl: "Ich muss hinab". Kira steigt zu ihm in den Fahrstuhl. "Du hoffst, dass ich dir helfe, deine Freundin zu finden? Ja, die Hoffnung. Vertrauen entsteht aus dem Wunsch zu vertrauen". "Und wenn ich berechnend bin?" Er lacht: "Ich bin mir sogar sicher, dass du berechnend bist. Am Ende werde ich mich in dich verlieben, deine Freundin für dich finden und euch ein paar Bomben auf den Weg geben, damit ihr hochkommt. Hast du dir das ausgerechnet?"



12. "Hast du sie gesehen?" fragt Hiite den Jungen aus. "Nur oben, bei den Mädchen. Im Fahrstuhl hat jemand auf sie gewartet; ich bin losgerant, aber nur noch gegen die Tür geknallt, dann habe ich den Nächsten genommen". "Wer hat auf sie gewartet!?" "Er war weiß verschleiert". "Er oder sie?" "Ich sagte doch, weiß verschleiert". Hiite ist die Verzweiflung anzumerken, er hat einen furchtbaren Verdacht.



Basar. Eine große Halle, die einem Schrottplatz ähnelt. Zwei weiß verschleierte Gestalten treten an einen Stand heran. "Sohn oder Tochter?" fragt der schwarz vermummte Kaufmann. Neben ihm steht die weiß verschleierte Lyra. "Sohn", flüstert die größere Gestalt mit einer sanften Mädchenstimme. "Der Stimmapparat muss ein Vermögen gekostet haben", redet der Kaufmann, "wenn Sie fünf Ersatzteile kaufen, bekommen Sie diesen Rattenschocker umsonst". "Mein Sohn will die Lady haben". "Oh, ja, gern. Habe sie beim Treiben hier völlig vergessen... Was bieten Sie?" "Zehn Bomben". "Sie sind eine reiche Frau. Ich mag reiche Frauen". "Mein Sohn hat Fieber. Lassen Sie das übliche Risikobalzen und geben Sie mir die Lady. Hier sind Ihre Bomben".



"Risikobalzen?" fragt Lyra, nachdem die Käuferin eine Bombe legt, die den Fahrstuhl auf die Marmorebene befördert. "Er weiß ja nicht, was darunter ist", lächelt sie und lüftet den Schleier - eine wunderschöne 18-jährige Brünette.



"Sie heißt Juliane. Sie hat die Kleine aufgezogen", erzählt Hiite. Luc schreitet in den Korridor. "Eine vorübergehende Wegmarke, wahrscheinlich findet gerade eine Rettungsaktion statt", erklärt Hiite den Pfeil an der Wand. Die Drei gehen zum Treppenhaus, Hiite erzählt weiter: "Eine Verzärtelungskünstlerin; sie wollte das verwöhnteste Mädchen der Welt erschaffen. Wahrscheinlich hat sie das". "Ist es echte 8?" fragt Fox Kitten. "Die Kleine ja. Juliane aber hatte unendlich viel Zeit zum Üben. Sie ist 160 oder 200 der gelebten Zeit nach". "Und sie befördert ihren Schatz aus dem Himmel direkt in die Hölle?" "Es gibt einen vertikalen Geheimbund. Ihr Zeichen ist ein altes Symbol der Ganzheit. So, da sind wir. Gehen wir hoch in den Keller".





13. Es ist die Wohnung, in der zwei Mädchen und zwei Jungen drei Tage verbrachten, drei schöne Tage der Ungewissheit. "Wann darf ich den Kleinen endlich sehen?" fragt Lyra. "Die Kleine", korrigiert Juliane, "das zarteste Mädchen der Welt".



"Wir sind zu spät", sagt Hiite. Der Keller ist wieder abgeschlossen, kein Weg führt in Hiites Welt unter dem Himmel. "Wir können nicht warten", erinnert Luc. "So ist es. Wir suchen eine verlassene Wächterwohnung für deinen kleinen Freund und schließen ihn dort ab". Diese ist schnell gefunden. "Wir kommen bald zurück", verspricht Luc.



Zwei Köpfe, die aus einer Decken- und Kissenburg hervorragen. "Was machst du?" fragt Julia Sophie, die wie gekitzelt neben ihr liegt und kichert. "Ich genieße die Haut", flüstert Sophie. "Ein Bett der Selbstehe", stellt Julia fest, "kein Wunder, dass er allein klarkommt". "Hiite hat bestimmt eine Freundin", flüstert Sophie und rutscht dicht an Julia heran. "Unfassbar, wie zart sich deine Haut anfühlt". Sophie schaut verträumt ins Nichts: "Reinheit ist, wofür man nichts kann. So schön zart sein, und das Glück haben, das einem nichts angetan wurde". "Mein Ethiklehrer sagt immer, Reinheit kommt aus dem guten Willen", legt Julia ihren Arm um Sophie. Beide Mädchen lachen.



14. "Hier kannst du den Schutzanzug abnehmen", führt Juliane das kleine Mädchen in ein Schlafzimmer. Ariel hat die Kommenden gehört und sich in jenem Zimmer versteckt. Er beobachtet Kleiniques Enthüllung - und da ist sie, angezogen wie eine Ballkönigin auf dem edelsten Winterball der Welt. "So habe ich mir einen Engel vorgestellt", ist Lyra sprachlos. "So? Nicht blond und im weißen Pyjama?" Lyra bewundert die Schönheit des Kindes. "Wenn du ein geladenes Bad nimmst, darfst du sie sogar berühren", lächelt Juliane. "Da ist ein Junge", flüstert Kleinique so leise, dass es kaum hörbar, und dennoch klar zu verstehen ist. Ariel kriecht aus seinem Versteck hervor: "Entschuldigt, ich wusste nicht, dass ich erwünschte ungebetene Gäste habe". "Interessanter Ausdruck", schmunzelt Juliane. "Ich kann auch woanders hin gehen", senkt Ariel den Kopf. "Pflück uns Früchte. Die Kleine verträgt nur weiße Kleinstkirschen".



"Der Mann ist weg", stellt Luc fest. "Ja, das sehe ich auch. Lass uns die Wohnung verwüsten". "Wonach suchen wir?" "Nach einem Hinweis. Wenn er nicht einer von ihnen ist, haben sie ihn entführt". Sie finden nichts. "Vielleicht ist er ja in der Wohnung, in der wir waren", vermutet Luc. "Lass uns später nachsehen". Auf dem Weg zu einem Fahrstuhl erinnert sich Luc: "Das zar... Wofür? Was will sie mit ihr dort unten? Quälen, naschen, verkaufen - das scheidet aus, sie kommt ja nicht aus der Hölle". "Worauf willst du hinaus?" "Es ist verdammt aberwitzig, so ein einzigartiges Geschöpf mitzunehmen, besonders wenn man selbst an dessen Entwicklung beteiligt war". "Ja, sie könnte durch eine einzige Berührung entweiht werden", nickt Hiite. Ihm geht ein Licht auf. "Was?" "Nein, das halte ich nicht für möglich", stammelt er vor sich hin.



15. "Wo sind sie?" fragt Lyra Ariel, der im Speisesaal die Früchte auspackt. "Baden". "Denkst du, was ich denke?" Ariel nickt. "Sie darf nicht nach oben", kommt Juliane mit Kleinique zurück, "da suchen alle nach ihr. Aber wenn sie einen weiteren Tag unterverwöhnt bleibt, wird es kritisch". Ariel und Lyra schweigen. Juliane versteht: "Ihr könnt mir ihr nicht Fangen spielen, kuscheln, oder was ihr noch vorhabt - Hautkontakte mit Unterverwöhnten sind zartheitsschädigend". "Fessel sie", lächelt Lyra, "oder halt sie fest". Ariel setzt sich zu Juliane und hält sie fest, Lyra will die Kleine fangen. "Bitte nicht", so Julianes zartes Flehen. Eine junge Frau in Weiß stört die begonnene Folter: "Ihr habt sie? Der Weg ist in vier Stunden frei. Entschuldigt den Abbruch, das hätte nicht passieren dürfen. Wir können diesmal ganz nach unten fahren, in den Kontrollraum. Stimmt etwas nicht?" "Fessel sie", befiehlt Juliane. Die junge Frau tut dies, mit einem Schwachmacher bewaffnet. "Warum nehmt ihr keine normale Pistole und erschießt uns?" schluchzt Lyra. "Ich würdet euch vor Schmerzen krümmen, aber nicht sterben. Nur ein Abstieg würde eure Schmerzen lindern". "Ihr wollt uns nicht wehtun?" "Vielleicht doch", lächelt Juliane und wendet sich zu Kleinique: "Wir werden euch unsere Version von C10H15N verabreichen. Streich mit deinem Händchen mal über die Wangen dieser bedauernswerten Kreaturen". Kleinique vollführt dies. "Mach ihnen die Fesseln ab, wenn wir losgehen, sie könnten sonst den Verstand verlieren", spricht Juliane zur Frau in Weiß, "und pass solange auf die Tür auf, ich wiege Kleinique in den Schönheitsschlaf".



16. "Es geht ja immer tiefer", staunt Luc. "Die Bevölkerungsdichte nimmt in diesen Tiefen dramatisch zu", warnt Hiite. "Noch weiter unten leben sogar die Wände".



Fox Kitten hört zwei Stimmen auf der anderen Seite der gepanzerten Tür. "Eine Stunde, vielleicht zwei". "Gut. Bohren wir. Hoffentlich ist da kein besoffener Arbeiter drin". "Meine Quelle ist sicher. Da drin ist der Junge".



Konferezraum auf der Marmorebene. "Freunde der Leerheit, die Gesellschaft für die Vollendung der Vollkommenheit hat ihr Zeil erreicht. In weniger als fünf Stunden wird der Schwarze Schalter berührt werden, und der Durchgang wird für immer offen sein. Durchgehende Treppenhäuser bis nach ganz oben werden sich öffnen. Keine Fahrstühle, kein Licht. Auf unserer gegenwärtigen Höhe werden die ersten Verteidigungslinien errichtet, und dann immer weiter oben, bis es nichts mehr zu verteidigen gibt. Das Feinklima wird es jedem Wesen erlauben, sich auf jedem Stockwerk aufzuhalten. Kreaturen der Hölle werden den Himmel stürmen. Die Edlen werden in den tausendsten Stock rennen und ins Nichts stürzen. Die interessanteren Wesen des Himmels, diese herrlichen Früchte, die ihr Leben lang darauf warteten, werden endlich..."



Hiite und Luc steigen aus. "Vorsicht, große Ratten", warnt Hiite. "Hier war ich schon", langweilt sich Luc.



Schutzanzug, Vollverschleierung. Die Frau in Weiß und Juliane machen sich mit Kleinique auf den Weg.



Fox Kitten schaut auf die Fenster, versucht, eines der Fenster zu öffnen, als die Tür fast durchgebohrt ist. Als zwei Vermummte hineinrennen, schließt sich der Junge im Bad ein. Die Tür ist in wenigen Sekunden geöffnet, aber der Junge öffnet das Fenster und springt hinaus.



17. "Du warst hier?" durchschreitet Hiite mit Luc einen Gang von furchtbarem Gestank. Die Wände sind weich und schwarz und scheinen zu schwitzen. "Als ich 13 war, verliebte ich mich unsterblich in ein Mädchen aus der Parallelklasse. Sie brach mir so kalt und systematisch das Herz, dass ich nur noch den Tod wollte. Ich fuhr in ein Feriencamp, um mich beim Ausflug in die Berge von der Klippe zu stürzen. Da war dieser neunjährige Junge. Er bemerkte, dass ich mich umbringen wollte. Er saß nächtelang in meinem Zelt, um mich zu überzeugen, nicht zu springen. All die engelhaften Eigenschaften, die ich in das Mädchen hineinprojizierte, hatte dieser Junge wirklich". Eine Ratte. Sie lief an den Besuchern ignorant vorbei, hunderte Ratten folgten ihr. "Sie fliehen vor etwas", ahnte Luc. "Wie geht deine Geschichte weiter?" "Er wurde von Jungs in meinem Alter entführt und in einen Keller gesperrt. Sie ließen ihn mit seiner ich muss sagen legendären Angst vor der Dunkelheit dort über Nacht allein. Als sie am Morgen wieder in den Keller gingen, war er verschwunden. Ich war ja 13, und auch nicht der Mutigste, also ließ ich mich auch in den Keller sperren. Ich kam an einen Ort wie diesen, nachdem ich vor Angst ohnmächtig wurde". "Hast du ihn hier gefunden?" "Nein, er schlief süß und friedlich auf der Marmorebene. Ich irrte zwei Tage durch die Dunkelheit, und wusste instinktiv, dass ich nach oben muss. Dann spazierten wir aus dem Rattennest auf den Vengerplatz".



18. "Hörst du das Geschrei?" "Das sind die Defs", weiß Hiite. "Was sind das denn für Tiere?" "Die Deformierten. Auch sie laufen vor etwas weg. Lass uns in einer Sackgasse warten, glaub mir, du willst dir das nicht ansehen".



"Geht es dir gut?" fragt Ariel. "Ja, ich kann wieder aufstehen". "Das war nicht das Mädchen, das war dieser komische Elektroschocker". Lyra findet einen Schal und kann nicht aufhören, daran zu riechen. "Er gehört ihr", erinnert sich Ariel. Er nimmt ein eiskaltes Erfrischungsgetränk und schluckt einen halben Liter rasch runter: "Mir ist heiß". "Hast du Fieber?" "Nein, es geht mir gut. Es geht mir sogar sehr gut. Und jetzt, wo es mir so gut geht, verrate ich dir was: es ist vorbei! Es ist endlich vorbei". "Was?" wundert sich Lyra. "Ich war verknallt in Julia, ich war hassverliebt in Sophie, beides in Fox Kitten... Ich fühle mich frei. Nichts hält mich mehr. Ich habe keine Angst, etwas zu verlieren". "Gehen wir nach oben?" "Nichts wie hin", lacht Ariel.



"Das sind aber verdammt viele Defs", bemerkt Luc. "Ihre Gesamtzahl wird gemeinhin auf eine Milliarde geschätzt. Eine optimistische Schätzung, würde ich sagen. Es sind eher zehn Milliarden". "Und wieviele laufen gerade an uns vorbei?" "Ein Block. Hunderttausend".



"Kommt ihr von oben?" fragt ein Wächter Ariel und Julia. "Woher denn sonst?" erwidert der Blondschopf. "Dann folgt dem Pfeil, und beeilt euch". "Was ist denn los?" "Großalarm. Zwei Senatoren, die in einen vertikalen Geheimbund verwickelt waren, sind eben aufgeflogen. Das bedeutet, dort mischen Wesen direkt aus der Hölle mit. Los, verschwindet!"



"Wie lange noch?" "Ich schätze, die Hälfte von denen sind an uns vorbei". Luc setzt sich auf den Boden. "Hier, setz dich auf den Stein. Der Boden sondert Schleim ab, du infizierst dich". "Womit?" "Mit dem, was gerade an uns vorbeiläuft".



19. Ariel rennt aus dem Tor hinaus und stürzt auf das weiße Gras, Lyra hinterher. Sie liegen im Gras und lachen, stehen auf und spazieren durch den Park. Sophie hat gerade die fahrende Plattform gefunden und ausgefahren, den zu Hiites Baumhaus gehörenden Lift. Ariel und Lyra steigen auf die Plattform und fahren hoch. "Lange nicht gesehen", lächelt Ariel und schiebt Sophie zurück ins Haus. "Wo ist Kitten?" fragt Julia. "Er wollte bei Luc bleiben".



"Es ist soweit. Bald können wir weiter", freut sich Hiite. "Warum nicht sofort?" "In der Massenpanik wurden womöglich tausende Defs zertrampelt. Die Großporen im Boden werden ihre Leichen nun absorbieren, die kleineren Poren das Blut. Auch die Hölle hat ihre guten Seiten". "Ich mag es auch sauber", nickt Luc.



"Er hat davon Wind bekommen", weiß die Frau in Weiß. "Dann wissen die da oben auch, was vor sich geht", liegt Juliane richtig. Zwei elegant-ultradürre Vermummte halten den Fahrstuhl an und steigen mit ein. "Die Schatten, unsere tiefsten Verbündeten", stellt die Frau in Weiß sie vor.



"Luc, glaubst du an den Teufel?" "Ist die Hölle nicht schon ohne ihn schrecklich genug?" "Ich konnte den Kult, den ihr Mittelwesen um den Teufel macht, noch nie verstehen. Er ist harmlos. Bestechlich, aber harmlos".



"Wir sind da", sagt die Frau in Weiß. Die Schatten führen Juliane und Kleinique in einen Tempel. Auf dem Altar ein runder kopfgroßer schwarzer Knopf. "Das ist der Schwarze Schalter", weiß Juliane. Die Schatten führen die Frau in Weiß aus dem Tempel hinaus und versiegeln die Tür. Einer ist noch im Tempel - ein schlanker robuster Mann um die 50 in einem engen Trainingsanzug.



20. "Ihr könnt die Schutzanzüge abnehmen, dieser Ort ist steril", sagt der Mann im engen Trainingsanzug. "Kann sie nicht einfach einen Handschuh ausziehen und den Knopf drücken?" "Oh, nein", sagt der Mann mit einer ruhigen, gütigen Stimme, "der Raum muss sie spüren. Ist sie in ihrem schönsten Kleid? Das ist gut. Gut für sie, denn sie muss sich auch schön fühlen. Das Gefühl, wunderschön zu sein, muss durch ihre Adern strömen, dann fühlt es auch der Raum. Du musst sie wie einen guten Wein atmen lassen".



"Los, rein. Der fährt ganz nach unten". "Warum nur", ahnt Luc Böses. Der Fahrstuhl rast förmlich nach unten, schlägt etwas unsanft auf. "Die Stromnetze sind überlastet. Steh auf, wir hätten viel härter aufschlagen können", zieht Hiite ihn hoch. "Du bist ein ganz schön robuster Junge. Furchtlos, unerschrocken. Ich beneide dich". "Ich sehe und fühle und rieche und schmecke, und, hätte ich fast vergessen, höre jeden Tag die Schönheit in all ihren Spielarten. Ihr Mittelwesen begehrt sie, bekommt sie aber selten, und wenn, dann eine Vergängliche, meistens aber nur einen Schein von ihr. Das zehrt an euren Kräften. Ihr seid bedauerliche Kreaturen, angesiedelt im Nirgendwo zwischen Himmel und Hölle, befähigt, Schönheit zu empfangen, und der Möglichkeit beraubt, sie jemals in ihrer Fülle zu erfahren". Luc schweigt. "Was ist?" fragt Hiite nach. "Das hat gesessen".



Ariel wandert von Zimmer zu Zimmer, Julia hält ihn am Arm fest. "Was ist mit dir?" "Mach das nochmal". "Was? Lass meinen Arm los und halt ihn wieder fest". Julia tut dies. "Das lindert den Schmerz für zehn Sekunden", weiß Lyra, die immer wieder Sophie berührt - am Arm, an der Wange, nimmt schleßlich ihre Hand und hält sie fest. "Sinneseindrücke werden die Symptome lindern", vermutet sie. Sophie will sich losreißen, aber Lyra lässt sie nicht los. "Wir werden immer intensivere Sinneseindrücke benötigen", bleibt sie sachlich, um an ihren Entzugserscheinungen nicht zu verzweifeln. "Was werdet ihr mit uns machen?" flüstert Julia verängstigt. "Die Sinne gewöhnen sich zu schnell, wir können sie nicht wie Kätzchen streicheln", fürchtet sich Ariel vor Schmerzen, die immer stärker in Erscheinung treten. "Ich kenne eine Theorie", erinnert sich Lyra, "es geht um den Kopf, nicht um die Sinne".



21. "Wir sind da. Das ist der Tempel mit dem Schwarzen Schalter", zeigt Hiite. "Sie sind schon drin. Die Tür ist versiegelt". "Kommt mit uns", dreht sich die Frau in Weiß um. Hiite klopft die durchsichtigen Wände nach einer Schwachstelle ab. "Härter als Diamant", schüttelt die Frau in Weiß mit dem Kopf. Sie zieht Hiite weg: "Milliarden von Wesen sind in die Wände gepresst. Wenn der Durchgang geöffnet wird, werden die Wände sie wieder ausspucken. Ihr werdet zerdrückt". Die Schatten und die Frau in Weiß schieben Luc und Hiite in einen Fahrstuhl. "Wir fahren so hoch wie jetzt noch möglich, um uns einen Vorsprung zu verschafen. Der Aufstieg zur Marmorebene dauert zu Fuß zwei Tage".



"Warum hast du das Mädchen hergebracht", sieht der Tempelherr Juliane wohlwollend an. "Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass... Sieh sie dir an". "Besser die Welt im Nichts auflösen, als mit der Gefahr leben, dass deinem Liebling ein Haar gekrümmt wird. Verstehe". "Ist das denn kein guter Grund?" wundert sich Juliane. "Ich sehe mir seit Jahrtausenden diese gemarterten Wesen an, die nicht sterben können, weil sie schon tot sind. Sie sind für immer zu Qualen verflucht, solange Sein ist, und nicht Nichts".



"Erst muss unser Unterbewusstsein an ihre Verletzlichkeit glauben, damit wir sie fühlen können. Dann werden wir ihnen wehtun müssen, um unsere Schmerzen zu stillen", referiert Lyra. Julia nimmt Sophie in die Arme und drückt sie an sich. "Wir müssen das Problem anders lösen", schwankt Ariel. "Wie denn!?" schreit Lyra auf und weint los. Sophie geht zu ihr und hält sie fest: "Du weiß doch gar nicht, ob es funktioniert". "Es gibt noch einen Weg", ist Lyra gerührt, "wir können absteigen".



22. "Es wird Zeit". Juliane nickt. Kleinique steigt die Treppe zum Altar hinauf. "Riechst du diesen Duft?" fragt der Mann. "Ja, das ist ihr Körpergeruch". "Mein Kopf will die Sache noch durchziehen, aber mein Herz sagt mir: lass das Leben sein. Es ist besser, als das Nichts". "Kann der Prozess noch aufgehalten werden, wenn der Durchgang geöffnet ist?" "Nein. Es ist dann nur eine Frage der Zeit. Alle Wesen werden danach streben, in die höchste Ebene vorzudringen". "Aber diese Wesen streben nicht nach dem Nichts". "Natürlich nicht", lacht der Mann, "sie vermuten dort oben die höchste Lust. Vielleicht ist das Nichts ja die höchste Lust". Kleinique geht auf den Altar zu. "Danke", verneigt sich der Tempelherr vor Juliane. "Ich wünschte, ich hätte es aus Mitgefühl getan". Kleinique legt ihre Hände auf den Schwarzen Schalter, der Knopf sinkt ein. "Kommt, wir schaffen es mit meinem Dienstaufzug noch auf die Marmorebene". Juliane und Kleinique treten ein, der Mann startet den Aufzug und springt hinein. "Bist du der Teufel?" fragt Kleinique. Der Mann lächelt gütig und nickt.



Die Schatten und die Frau in Weiß lassen Luc und Hiite in einem Korridor auf der Marmorebene und gehen einen geheimen Weg nach oben. Kira läuft den Ausgesetzten entgegen: "Habt ihr Lyra gesehen?"

Eine Wand öffnet sich und aus einem engen Aufzug steigen Juliane und Kleinique mit dem Teufel aus, der nun sagt: "Nun bin ich diesen elenden Job los". "Kommst du mit uns?" fragt die Kleine. Er lächelt und geht fort. "Was nun?" fragt Hiite. "Geordneter Rückzug", weiß Juliane, "die Ebenen bis zum Keller werden schnell überrannt. Wenn wir die Schlacht um unsere Welt verlieren, müssen wir uns immer höher zurückziehen". "Und wenn ihr sie aufhalten könnt?" hofft Luc auf Unmögliches.




"Im dreihunderttausendsten Jahr der Inii kamen die Kreaturen der Hölle, und sie waren zahlreicher als alle bis dahin Gestorbenen, und die Weisen sagten, dass sie in unsere Welt kamen, um ihre Sterblichkeit einzufordern" - Niyi A. Hiate.



3.2011


Samstag, 10. März 2018

Alles muss brennen





 Staatsanwalt, 55, gefesselt an einen Stuhl, der am Boden befestigt war. Nachdem der Mann feststellte, dass Hilfeschreie zwecklos waren, versuchte er es mit "Wer sind Sie?" und "Was wollen Sie?" Alsbald ging ein Flachbildschirm auf und zeigte tonlose Bilder von einem sich tragisch durch die Pubertät quälenden Jungen mit schriftlichem Kommentar: "Bis zur 7. Klasse war ich immer Klassenbester. Ein Fussballtalent. Ich wollte seit meiner Kindheit Astronaut werden. In der 8. Klasse verliebte ich mich in Sophie. Ich merkte schnell, dass ich keine Chance hatte. Sophie war bei allen beliebt und ich war ein Außenseiter. In der 9. Klasse bekam ich Depressionen und began Drogen zu nehmen. Ich schaffte die 10 nicht. Ich flog von der Schule. Ich landete in der Kleinkriminalität. Auf einen Heroinentzug folgten vier Selbstmordversuche". Der Staatsanwalt dachte nach - wurde ein junger Mann mit seiner Hilfe zu einer zu hohen Strafe verurteilt? Nein. Er dachte nach. Nichts. Er hatte sehr selten mit jugendlichen Straftätern zu tun. Seine Kleidung roch nach Benzin, er konnte seine Hände nur minimal bewegen. Er rieb nervös an seiner Hose, die Eier juckten ihm. Ein Verbrecher aus Liebeskummer, den er mithalf zu verurteilen? Er konnte sich nicht erinnern. Nein, da war nichts. Das Benzin stank.


 9 Stunden später. Ein Cop lässt einen Mörder die Waffe fallen lassen. Der Verbrecher erschoss gerade zwölf Menschen. Ein Gespräch beginnt.

Cop: Sie sind ein Psychopath, nehme ich an.

Mörder: Vortrefflich!

Cop: Sie haben es grundlos getan, oder?

Mörder: Da muss ich Sie leider enttäuschen.


 9 Stunden früher. Nun beginnt eine Videokonferenz. Derselbe junge Mann, nun Mitte 20, erscheint auf dem Bildschirm. "Was haben Sie getan, Staatsanwalt?" "Ich weiß nicht, was ich Ihnen getan haben soll", so der Gefesselte. "Das was Sie mir getan haben, könnte ich nicht mit Ihnen tun, auch mit Ihrem Sohn nicht, nicht mit Ihrem Vater, nicht mit Ihrer Mutter". Haben Sie meine Tochter entführt!? Lassen Sie sie frei!" "Warum denken Sie gleich an Ihre Tochter? Habe ich Ihre Frau denn ausgeschlossen?". "Was wollen Sie!?"


 9 Stunden und wenige Minuten später.

Cop: Ja, das ist wirklich nicht gut gelaufen. Aber Ihren Marsflug hätten Sie immer noch nachholen können, trotz der verlorenen Pubertät.

Mörder: Ich habe diese Menschen nicht umgebracht, weil ich als Jugendlicher depressiv und drogensüchtig war.

Cop: Sie haben sich in dieses Mädchen verliebt, erzählten Sie. Hat es etwas mit ihr zu tun?

Mörder: Sie war so rein und unschuldig. Ich war sie nicht Wert, es ist mir kein Unrecht geschehen, ich bin sogar dankbar, sie gesehen zu haben, von ihr träumen gedurft zu haben...

Cop: Und nun sind diese Menschen tot. Eine ganze Familie haben sie vernichtet.

Mörder: Ich war nicht der Einzige, der dieses Mädchen nicht verdient hat...


 9 Stunden früher. "Sie haben gesehen, was die unerwiderte Liebe zu diesem Mädchen aus meinem Leben gemacht hat". "Ja, und es tut mir Leid", murmelte der Staatsanwalt. "Das war noch gar nichts. Vergeben und vergessen. Vergeben - wem eigentlich? Mir selbst, dass ich den Traum nicht loslassen wollte. Egal. Alles vergessen. Selber Schuld. Verstehen Sie?" "Ein reifes Urteil". "Aber es gibt ein Problem, nicht wahr?" Der Mittfünfziger hustete. "Ich bin ja immer noch hier und gefesselt. Also gibt es wohl ein Problem".


 9 Stunden später.

Cop: Sie sind kein Psychopath. Sie sind gar ein anständiger Mörder. Nun kommen Sie mit aufs Revier, trinken einen Espresso, und warten Ihren Prozess ab.

Mörder: Sie wissen gar nichts über Psychopathen. Psychopathen zeichnen sich nicht durch einen Mangel an logischem Denken aus, sondern durch dessen Überfluss.

Cop: Nun, ein Anderer bekam das Mädchen, sie heirateten, nehme ich an, und sie haben heute Kinder. Und Sie, Psychopath oder Nichtpsychopath, haben heute die Nerven verloren. Gehen wir!

Mörder: Das ganze sinnlose Leid einer verheißungsvollen Jugend. Hingenommen. Vergessen. Neu angefangen. Mit 22 begann ich ein Physikstudium und war wieder mal auf der Überholspur. Und dann schlug man dem Fass den Boden aus.

Cop: Hat es also gar nichts mit diesem Mdchen zu tun? Warum erzählen Sie die ganze Zeit von dem Mädchen? Mir wird gruselig, ich rufe Verstärkung... Ich hätte es sofort tun sollen.

Mörder: Warten Sie noch einen Moment. Wie ich sagte, ich war das Mädchen nicht Wert. Ich war nicht gut genug für sie. Ich akzeptierte das. Und dann erfuhr ich...


 9 Stunden früher. Der junge Mann hält ein Foto an die Kamera. "Haben Sie dieses Mädchen sexuell missbraucht?" Der Mittfünfziger schweigt. Ihm wird schlecht vom Benzin, mit dem seine Kleidung durchtränkt ist. Er nickt. "Was Sie dem Mädchen getan haben, wissen Sie wohl selbst. Aber haben Sie eine Ahnung davon, was Sie mir getan haben? Ich habe wieder ins Leben zurückgefunden, akzeptiert, dass dieses Mädchen zu gut für mich war, und das, nur um zu erfahren, dass irgendein Hurensohn sie sich einfach nimmt!!?"


 9 Stunden später. Cop und Mörder sehen sich die Videoaufnahme an.

Cop: Das mit dem emotionalen Ausbruch haben Sie gut hinbekommen.

Mörder: Ja, das ist wirklich gelungen.

Cop: Jetzt stöbert er in seiner Hosentasche und findet ein Feuerzeug. Ist es das, was ich denke? Ich kann mir so etwas nicht ansehen, mir wird schlecht.

Mörder: Spulen Sie vor. Ja, ich habe ihn vor eine Wahl gestellt. Entweder er zündet sich selbst an oder seine Familie wird brutal ermordet.

Cop: Da brennt er... Sie sind ein.... Psychopath!

Mörder: Ich habe seine Familie sanft ermordet. Sie sehen es ja an den Einschusslöchern. Rufen Sie schon Ihre Kollegen und führen Sie mich ab, Sie sind doch ein Cop.

Cop: Nicht bloss ein Cop, Sie Psychopath. Ein Mensch. Hören Sie!? Ich bin ein Mensch!!

Mörder: Der emotionale Ausbruch ist Ihnen gelungen.

Cop: Ficken Sie sich selbst!!! Sie Gott! Ficken Sie sich selbst und gehen Sie!! Gehen Sie!!

Mörder: Sie lassen mich gehen? Dann setzen Sie freundlicherweise die Bude in Brand!

Cop: Ich werde die ganze Villa in Brand setzen! Alles! Alles muss brennen!! Sie Psychopath! Wie können Sie so ruhig sein? Wissen Sie denn nicht, was da vorgefallen ist? Begreifen Sie es denn nicht? Ihr Leben geht an den Gefühlen zu diesem Mädchen kaputt. Was machen Sie? Belästigen Sie das Mädchen? Nein. Rächen Sie sich an dem Mädchen? Nein! Sie bleiben anständig und schüchtern. Und dieser, dieser, dieser...

Mörder: Hurensohn.

Cop: Bitte?

Mörder: Staatsanwalt.

Cop: Und dieser Hurensohn von Staatsanwalt, der nimmt sie einfach! War seine Nichte, nicht wahr?

Mörder: Wohl wahr.

Cop: Der nimmt sie einfach, und er fickt sie! Er scheißt auf Ihre Gefühle, auf Ihren Anstand, auf Ihren Respekt, und Sie...wissen Sie, was ich getan hätte?

Mörder: Habe ich es nicht bereits getan?

Cop: Nein, sie barmherziger Teufel. Zwölf Kopfschüsse! Ich bitte Sie - zwölf Kopfschüsse!! Nun gehen Sie, verschwinden Sie schon...


 81 Stunden später. Der Mörder beginnt im Ausland ein neues Leben. Der Cop verwischt alle Spuren und ruft die Polizei.

 6561 Stunden später. Der Mörder kehrt zurück und stellt sich, gibt alles zu. Den Cop verrät er nicht, er hat durchaus Verständnis. Vielleicht hätte er als Polizist auch so gehandelt.


2010