Montag, 28. Mai 2018

Kürzstgeschichtchen 8





Über Überüberfremdung


"Passt auf, wir spielen jetzt Laurasien gegen Gondwana", sagte der Sportlehrer.



Es hat nicht wollen sein


"Hurensöhne werden weiterleben", dachte Peter, als er sich hinten anstellte. Er kaufte eine Flasche Mineralwasser, nein, nicht irgendeine, Staatl. Fachingen. Es hat schon feierlich sein sollen. Alkohol trank Peter nicht, er rauchte auch nicht, aß nichts Süßes, befriedigte seine Wollust stets widerwillig und selbst. Er bezahlte die Flasche und dachte noch: "Reiche Säcke, die überleben immer, egal was passiert". Er setzte sich auf sein Fahrrad und fuhr durch den Regen bis zu einer hohen Eisenbahnbrücke. "Mörder und Vergewaltiger werden weiterleben", dachte er unterwegs, "Nazis, Drogendealer, Betrüger, Kriegstreiber, sie werden weiter leben". Peter lehnte sein Fahhrad an das Brückengeländer. "All die Parasiten, Vampire, Blutsauger, - sie alle werden einfach weiterleben", dachte er, und sprang in die Tiefe.



Unendlichsam


Nullsam war Edwin nur, als es ihn noch nicht gab. Später war er nur noch einsam. Edwin ging auf die 40 zu, sah perfekt aus, verdiente eine Million im Jahr an der Börse, arbeitete nebenbei für nichts und ein Danke in mehreren sozialen Einrichtungen. Alles glückte ihm, was er im Leben anfing, nur eine Frau fand er nie. Dabei sah er doch so gut aus. Vorgestern im Zug, da setzte sich eine sehr hübsche Blondine Anfang 30 zu ihm, flirtete mit ihm, wollte was von ihm, und er bedauerte nur, dass sie schon über 30 sei. Gestern traf ihn eine wesentlich Jüngere, übernahm wiederum selbst die Initiative, aber Edwin fühlte sich nicht wohl, und ließ sie sitzen. Heute früh rannte ihn ein Mädchen um, das es so eilig zur Schule hatte. Edwin lächelte dem Kind hinterher und dachte: "So viele Jahre hast du noch, - doch ist es noch Glück, wenn man von seinem Glück nichts weiß?" Vor zwei Stunden traf er sie wieder, die, die er immer wieder traf, sie war 19, und in ihn so etwas wie verknallt. Er mochte sie sehr, und versuchte ihr daher wo es nur ging aus dem Weg zu gehen. Doch nun offenbarte er ihr: "Wenn ich dich sehe, muss ich immer an das Mädchen denken, das du einst warst, und ich kann an nichts mehr denken, als an dieses Mädchen, und ich kann dich nur bemitleiden, dass du nicht mehr dieses Mädchen bist". Sie murmelte wirres Zeug, und lief weg. Und jetzt gerade sitzt Edwin auf einer Parkbank und denkt: "Vielleicht brauche ich eine künstliche Frau, die niemals ein Mädchen war, denn Mitleid und Liebe schließen einander aus, o nein, man kann nicht jemanden lieben, den man bemitleidet". In seinem Blickfeld spielen Mädchen, doch er bemerkt sie nicht: auf Mädchen hat er es nicht abgesehen.



Optimistisch-Realistisches Wörterbuch


Kindheit (bestenfalls): Zeit der Hilflosigkeit, Angst und Furcht, sowie der Ungeduld, endlich groß zu werden.

Schulzeit (sofern man sensibel genug ist, damit überhaupt von höheren menschlichen Empfindungen gesprochen werden kann): die Hölle auf Erden.

Studium (wenn es hoch kommt): Gehirnjogging. Viel Alkohol und Sex mit Schöngetrunkenen.

Mittleres Alter (wenn nichts Schlimmeres passiert): ästhetisch-körperlicher Verfall. Arbeit.

Spätes Alter (wenn das Wetter mitspielt): physischer Verfall. Gefühlt noch mehr Arbeit, obwohl man eigentlich damit rechnete, es würde weniger werden.

Rentenalter (wenn man genug Rente kriegt): Arztbesuche. Erinnerungen daran, wie es hätte damals sein können. Anderen unbedingt erzählen müssen, was für ein gutes Leben man hatte, um einer realistischen Rückschau Einhalt zu gebieten.

Tod (da wird es erst interessant): Entweder macht er die Scheiße wett, oder aber er setzt das zynische Krönchen des Nichts dem Ganzen auf.



Malcorco


Ein physisches Logo, das aus dem Namen des Unternehmens besteht? Ja, sagten sie, das ist ein Malcorco. Auf dem Papier, im Netz, - kein Malcorco. Ein aufgemaltes Logo, wie auf dem Monitor hier, das ist auch kein Malcorco. Aber das hier, guck, diese Plastikbuchstaben am Rand der Kiste. Oben an den Häusern stehen manchmal die Firmennamen in großen physischen Buchstaben. Es war mir ja klar, was sie meinten, ich wusste nur nicht, ob es das Wort auch wirklich gibt. Malcorco? Nie gehört. Und nun sagten sie, es gäbe ein neues Gesetz, wonach das Malcorco ab sofort verboten wäre. Ob ich eine Petition unterschreiben wolle? Moment. Ich wachte erstmal auf, schaltete den Computer ein. Hab´s gegoogelt: das Wort gibt es nicht! Da erinnerte ich mich, was sie zu mir gesagt hatten. Aha, es ist wirklich verboten und wurde bereits aus dem elektronischen Gedächtnis gelöscht.



Der Kindergartenhitler


Als die Erzieherin die Fünfjährigen fragte, was ihr Traumberuf sei, sagte ein Junge, er wolle Hitler sein. Sofort wurden alle großen Brüder und Schwestern verständigt, die Stasiakten der Eltern aufgeklappt und die Federn gespitzt, die frauenfeindlichkeitsfeindliche Gesinnungspolizei und die liberalstalinistische Inquisition waren vor Ort. Man einigte sich schließlich, den Fünfjährigen in ein Kinderguantanamo einzusperren. Da wollte der Richter zur Sicherheit noch mit dem Kleinen reden und fragte ihn, warum dieser Hitler werden wollte. "Im Radio laufen doch diese Hits", sagte der Junge, "und wer sie singt, wird berühmt. Ich will auch solche Hits machen, darum will ich von Beruf Hitler werden".



Die saubere Gesellschaft


Es wurde einfach mal das Kacken verboten. Das menschliche Verdauungssystem wurde dadurch natürlich nicht verändert, und es wurde nach wie vor reichlich gegessen. Alle öffentlichen und privaten Toiletten wurden abgeschafft, und wer beim Kacken erwischt wurde, wurde sofort denunziert, angezeigt und eingebuchtet. Da offenbar niemand mehr kackte, stellten sich einige die berechtigte Frage: wo ging bloß all die Kacke hin? Denen wurde von höchster Stelle empfohlen,  diese Störung des öffentlichen Friedens in Zukunft zu unterlassen. Da machten Verschwörungstheorien die Runde, als den Neugierigen verboten wurde, ihre Fragen zu stellen. Darauf gaben die Wissenschaftler eine Erklärung ab, laut welcher die Kacke sich vor ihrer Ausscheidung dematerialisieren konnte. Die Kirchen sprachen von fortwährenden millionenfachen Wundern. Das Unmögliche war per Gesetz real geworden - das menschliche Verdauungssystem arbeitete nun abfallfrei.



Nihinichts


Ein Nichts und noch weniger, aber seine Anwesenheit ist da. Nicht zu verwechseln mit dem großen Nichts, das allem zugrunde liegt. Nicht das Nichts, aber auch nicht nichts: ein Nichts. Ein Nichts von vielen Nichtsen, es regnet diese Nichtse regelrecht. Es gibt kaum noch Platz. Und Platz ist äußerst schade für diese Nichtse - es soll ja mit nichts gefüllt sein, so dass etweder nichts oder das Nichts darin ist, aber nicht das nichtigste Nichts. Schweinerei, sowas. Wer wischt es auf? Man hört, die tun ja nichts. Ja, schön, aber sie sind, und da wo sie sind, könnte ebensogut nichts sein. Die Dinger sind wie Staub. Es geht nicht ein für alle mal, es muss jede Woche neu gereinigt werden. Was man ohnehin tut, also, wo ist das Problem? Da: keine Rede Wert, aber schleichen sich in die Rede ein, wollen, dass von ihnen die Rede ist, wollen, dass ihnen Interesse entgegengebracht wird. Kennt man ein Nichts, kennt man sie alle. Aber ich kenne nichts, und das Nichts werde ich bald kennenlernen.


Donnerstag, 24. Mai 2018

Was für ein Scheißfamiliendrama





Da war nun die Familie versammelt: Vater, der Bäcker, Mutter, die Bankangestellte, Sohn, der Doktorand, Tochter, die Abiturientin, und die Großeltern durften natürlich auch nicht fehlen - Opa, schon im Rollstuhl, fast 90, Oma, Anfang 80, noch ganz gesund. Und sie hatte Geburtstag. Es wurde viel geschenkt, sie freute sich an diesem Abend über die Aufmerksamkeit ihrer vielbeschäftigten Kinder und Enkel. Nur der Opa schenkte ihr seit Jahren nichts, aber das wurde wieder einmal knapp überlächelt.

Die Tochter rutschte in der Küche auf einer Apfelschale aus, aber es war nichts weiter passiert. Der Opa wollte noch eine Tasse Tee. Die Oma schenke ihm den Tee ein, hustete, spuckte dabei ausversehen in die Tasse. Alle guckten zu, wie Oma ihr bronchitisches Erzeugnis mit dem Finger aus Opas Tasse zu befördern versuchte. Dann tranken alle weiter Tee.

An dieser stelle wäre Omas Geburtstagsfeier auch schon zu Ende, wäre da nicht ein Anruf gewesen: die Tochter wurde von ihrem Freund angerufen, es ging um den Abiball. "Kannst du nicht an einem anderen Tag seinen Schwanz lutschen? Oma hat Geburtstag!" war ihr älterer Bruder erzürnt. "Was hast du gesagt?" wunderte sich die Mutter. "Du Loser, du kriegst keine ab, darum brüllst du so rum!" schrie seine Schwester. "Streitet woanders, aber die Oma soll es nicht mithören", empfahl der Vater. Der Sohn lehnte sich im Sessel zurück und fragte mit etwas verbitterter Miene: "Warum eigentlich nicht? Hat Oma etwa nie Schwänze gelutscht?" "Es reicht!" schrie die Mutter hysterisch. Der Vater wollte aufstehen, stürzte aber über Opas Beine, die Mutter lachte, die Oma auch. "Wollt ihr noch Tee?" hatte sich der Sohn wieder beruhigt.

"Ich möchte noch ein Stück Kuchen", sagte die Oma. Der Sohn warf den Kuchen in eine Ecke des Wohnzimmers und sprach: "Dann hol es dir, sonst frisst ihn der Hund!" Die Mutter ging hin und kratzte den Kuchen vom Boden. "Wo sind meine Spielkarten?" wusste der Opa nicht, während die Mutter der Oma den vom Boden gekratzten Kuchen auf den Teller schüttete. "Und noch etwas Staub, wenn schon vom Boden!" lachte der Sohn und klopfte seine Hausschuhe über Omas Teller ab. Die Tochter lachte auch und sprang auf den Tisch, pisste in die Salatschüssel und gab diese der Mutter:  "Opa hat bestimmt Durst". Die Mutter goss die Pisse ihrer Tochter über Opas Glatze und zog sich aus, um auf dem Tisch zu tanzen. Der Vater masturbierte für sich und den impotenten Opa dazu. Der Sohn machte im Wohnzimmer ein Lagerfeuer und tanzte mit seiner Schwester herum. "Hier ist deine Doktorarbeit", warf die Mutter die 300 ausgedruckten Seiten ins Feuer, die der Sohn gestern unfassbarerweise nicht mehr finden konnte, "das ist dafür, was du aus meiner Karriere gemacht hast!" Der Vater lachte und schob dem Opa sein Glied in den Mund: "Das ist dafür, dass du sie vor mir hattest!" Der Sohn öffnete eine Flasche Korn und goss den Alkohol gewaltsam dem Vater in den Mund: "Das ist ist dafür, dass ich mich in der Schule wegen dir schämen musste!" Die Oma aß ihre vollgeschissenen Windeln und murmelte: "Das ist mir dafür, dass ich diesen Kinderschänder geheiratet habe!" Dann hatten sich alle wieder lieb und gingen schlafen - wer miteinander, wer mit Opa.

2011

Samstag, 12. Mai 2018

Innere Wertschöpfung





Er sah nicht gut aus. Nein, er war nicht krank oder erkältet, vielleicht erkaltet, aber dort wo gewöhnlich Gewöhnliche erkalten, nicht im Herzen. Also dachte er sich auf Sparflamme innere Werte aus, denn:

Erforderlich: 110 Balzpunkte.

Aussehen: 2 Balzpunkte.

Geld: 37 Balzpunkte.

Freunde: 15 Balzpunkte.

Als Temperament verkannte Rohheit: 9 Balzpunkte.

Wieviel fehlen? 47 oder kann ich nicht rechnen? Wo nimmt man die her? Aus inneren Werten. Er kramte all seine inneren Werte zusammen, kam aber nur auf 20 Balzpunkte. Was tun? Er verordnete sich ein Konjunkturprogramm - sein inneres Wirtschaftswachstum betrug beachtliche 10%. Wieviel fehlen nun? 25 oder ich wurde gestern in der Kneipe um den korrekten Betrag verschaukelt. Er borgte sich 11 Balzpunkte von seinen Freunden, aber es fehlten immer noch 14. Er verabschiedete ein inneres Wachstumsbeschleunigungsgesetz und beschleunigte sein Wachstum um weitere 10%. Wieviel ist 10% von 10% von 20? Zu wenig. Insgesamt hatte er etwas weniger als 100 Balzpunkte, brauchte aber 110. Er verzagte nicht. Mögliches Versagen ist besser als unnötiges Verzagen. Er ging also auf den Balzplatz.

Der Balzplatz war etwas heruntergekommen, und er hatte Gastrecht. 5 Punkte Abzug von den Möglichen.

Seine Gastgeberin leistete sich zu Beginn des Affentheaters eine Peinlichkeit, unforced error, 6 Punkte Abzug.

Reicht das? - biss er sich in die Fäuste. Wird das nun reichen? 3 Punkte Abzug für ihn.

Wenn jetzt nichts explodiert, hat er versagt. Letzter Ausweg: einen Anschlag simulieren, eine Stressituation generieren, um eine unbemerkte Inflation der inneren Werte durchzuziehen. Drückst du ihm die Daumen? Druck ihm lieber seine Innere-Werte-Scheine, wenn du ihm helfen willst. Oder nutze die Gelegenheit und binde ihm einen Innere-Werte-Kredit auf, die Zinshöhe muss nicht allzu gering sein, er hat es bitter nötig.



2011