Samstag, 28. Dezember 2019

Interview mit einem MGTOW




Mit kolossalsten männerfeindlichen Vorurteilen trifft ein millenialer Vorzeigejournalist in einem Hipster-Café einen Mann, der seinen eigenen Weg geht, im politisch korrekten Helldeutschland unbekannt als MGTOW. Wird sich das Vorurteil des jungen Latte-Macchiato-Feministen bestätigen, dass alle Männer sexgierige Schweine sind, infantil und verantwortungslos, und insbesondere die, die ihren eigenen Weg gehen?



Willst du denn keine Kinder?

Ich habe diese Anspruchshaltung nicht, ich frage mich vielmehr: kann ich es verantworten, ein Kind in diese Welt zu setzen? Einen Kinderwunsch habe ich durchaus, ich mag Kinder. Ein Recht auf Kinderzeugung gibt es aber nicht.

Ein Mensch braucht, wünscht sich, will doch eine Beziehung...Sex...?

Das Grundbedürfnis lässt sich auf banale Weise befriedigen, und wer andere dafür beschämt, dass sie keinen Sex haben, sondern „nur masturbieren“, den frage ich: Was, du urinierst einfach ins Klo, du hast niemanden, der dir den Pimmel hält und deine Pisse trinkt? Was für ein Loser! Aber im Ernst: es gibt kein Bedürfnis nach Sex mit einem anderen Menschen, man kann sich sexuell selbst befriedigen. Wünsche ändern sich jeden Tag. Was bleibt, ist der Wille, und der ist frei. Warum ich nicht mit einer Frau zusammenleben will? Weil es meine freie Entscheidung ist.

Hast du keine Angst vor Einsamkeit im Alter?

Nein, aber ich habe sehr große Angst vor Einsamkeit in der Jugend. Nun bin ich 36, meine Jugend ist vorbei, und ich war immer einsam. Bis Mitte 20 war es unerträglich, bis Anfang 30 war es schwer, seit ein paar Jahren haben sich alle Nachteile der Einsamkeit erschöpft und die Vorteile werden endlich wirksam. Ich bin einsam, aber glücklich einsam.


Aber hättest du nicht gern auch Beziehungserfahrung?

Durchaus, aber nur wenn ich wieder 15 sein könnte.


Und heute mit einer 15-Jährigen?

Nur mit einer gleichaltrigen 15-Jährigen.


Fühlst du dich minderwertig, weil du nie Sex hattest?

Habe ich mich auch mit 20 nicht gefühlt. Heute bin ich sogar erleichtert und froh darüber. Ich fühle mich rein und unverstrickt. 

Hoffst du auf Sex im nächsten Leben?

Wenn es ein nächstes Leben gibt, hoffe ich, eine glückliche Kindheit zu erleben. Sexuell gibt es für mich nichts nachzuholen, ich bin drüber hinweg.


Nutzt du das Label MGTOW und distanzierst du dich von den Incels?

Warum sollte sich ein Mönch von Bettlern distanzieren? Ich habe Mitleid mit ihnen, ich hoffe für sie, dass der technologische Fortschritt sie mit Sex- und Beziehungsrobotern versorgt. 

Es würden Frauen übrigbleiben, die dann keinen Mann finden. Hast du kein Mitleid?

Ich finde es erbärmlich, wenn Beziehungen dadurch zustande kommen, dass zwei Menschen einsam und verzweifelt sind, aber nichts füreinander empfinden. Auch Frauen können sich künstliche Männer kaufen, sobald es sie gibt. Wem das nicht reicht, wie auch den Narzissten unter den Incels, der hat ein Problem mit seiner Anspruchshaltung. Keine Frau und kein Mann schuldet dir etwas. Die Welt ist niemandem einen Beziehungspartner schuldig.

Du bist, wie ich zu meiner Überraschung feststellen muss, nüchtern und vernünftig, gerecht und liebevoll, behandelst Frauen freundlich und respektvoll, wirst du dennoch manchmal als Egoist oder Loser beschämt?

Ich weiß, dass die MGTOW von vielen frustrierten Frauen und widerlichen Männern so genannt werden, aber ich habe persönlich mit solch selbstsüchtigen, narzisstischen, manipulativen und charakterlich minderwertigen Menschen nichts zu tun. Und ich gehöre nicht zu den Menschen, die Frauen Schlampen nennen, weil sie keine abbekommen.


Was stört dich am meisten an der MGTOW-Thematik?

Dass alles sich im Endeffekt um Frauen dreht. Frauen sind aber auch nur Menschen, und so sollte man sie auch sehen, und eben nicht als begehrenswerte Prestigeobjekte. Das Leben ist so viel mehr als Sex und Partnerschaft, und wer das nicht begreift, ist ein Incel, kein MGTOW.


11.2019

Dienstag, 3. Dezember 2019

La Liebè Unerwiderté





„Du warst also mehrmals verliebt, und deine Liebe wurde nie erwidert“, stellte Lunus Lunarius fest, um zu entgegnen: „...aber in deiner Schulzeit gab es doch auch Mädchen, die unglücklich in dich verliebt waren?“ Zuerst nickte ich und schenkte mir den Rest des Samuel Smith Oatmeal Stout aus der Flasche ins Glas ein, dann aber wurde mir der Unterschied zwischen Äpfeln und Birnen mit gläserner Klarheit bewusst.

„Ich liebte und war bereit, zu geben. Ich liebte leidenschaftlich und selbstlos; romantisch, aufopferungsvoll. Die Erwiderung meiner Liebe wäre bloß ein Annehmen dessen gewesen, was ich zu geben bereit war“. Lunus guckte etwas debil oder er tat nur so dumm. Ich fuhr fort: „Die Mädchen, die in mich verliebt waren, haben jedoch gewartet, dass ich auf sie zugehe und ihnen etwas gebe, und zwar das, was für die Mädchen, in die ich verliebt war, bestimmt war. Ich wollte lieben, die aber wollten geliebt werden“.

Lunus gähnte. Er kannte es selbst nicht anders, als dass wenn er eine Frau begehrte, er von ihr geliebt werden wollte, und die Anspruchshaltung hatte, dass ihre Zuneigung ihm zustand. Darum hatte er Verständnis für die Mädchen, deren passiv-aggressives Warten auf mein Werben nicht erwidert wurde. Mit romantischer, leidenschaftlicher, gebender Liebe konnte er selbst nichts anfangen. Und ich dachte: was, wenn die Mädchen, in die ich verliebt war, mich für einen wie ihn gehalten haben, für einen verweiblichten, narzisstischen Mann, der nur begehrte, aber nicht liebte.

Montag, 11. November 2019

Der Gamma-Incel




Frustriert bin ich, Alter. Als Gamma-Depri poste ich jeden Tag Texte im Internet auf Nichtverlag, melancholische, depressive Texte halt. Hatte immer zehn Likes mindestens, aber seit ein paar Wochen immer weniger. Ich war seit Jahren der Lieblingsautor von mindestens 50 Usern, heute, als ich das letzte Mal nachgeguckt habe, waren es 15 Frauen und vier Rentner. Dafür freue ich mich über die Nachricht, dass der Frauenanteil in STEM-Fächern in diesem Semester auf fast 80% gestiegen ist, das ist doch toll! Mein Nachbar, der misogyne Kleinunternehmer in der Bestattungsbranche, schaut die Nachrichten doch auch. Die Suizidrate bei Frauen beträgt neuerdings nicht mehr ein Fünftel, sondern ein Hundertstel von der der Männer. Der Oberincel des Internets hat sich öffentlich bei allen Frauen dieser Welt entschuldigt und eingestanden, dass Incels Loser und Frauenhasser sind. Wenn ich ins Café gegenüber gehe, wo der Bestattungs-Heini immer seinen Americano trinkt, sehe ich seit Tagen nur noch Weiber. Worüber freut er sich also so?

Ich bin Student im 19. Semester Sozialwissenschaften, aber allgemeinbildungshalber gehe ich auch mal nach Mathe. Gestern keinen einzigen Typen im Vorlesungsraum gesehen! Der Feminismus hat endlich gewonnen, geil, oder? Aber seltsam ist, dass dieser rechte Typ, der sich immer so frauenfeindlich geäußert hat, nur noch schweigt, aber nicht im Frust, sondern erleichtert, fast entrückt. Hat dieser Incel etwa eine Freundin gefunden? Übrigens sind die Incel-Foren, wo ich für mein Frauenhass-Im-Internet-Projekt recherchiere, seit Tagen leer. Nein, nicht gesperrt oder so, die gehen da einfach nicht mehr rein. Vielleicht haben sie endlich eingesehen, dass wir gewonnen haben.

Die Müllabfuhr streikt nicht, aber der Müll wird nicht mehr abgeholt. Ich arbeite so Studentenjobs, und wundere mich über diese boomenden Stellenanzeigen-Seiten. Dieser Autist mit seinem Weininger wurde von drei IT-Personalchefs gedrängt, die sagten, kein Problem, dass Sie nicht programmieren können, wir bringen es Ihnen bei, die boten ihm scheißviel Geld an. Er sagte, er würde überlegen. Arrogantes Arschloch. Fragt doch mich, ihr Scheißfrauenhasser! Ich habe mich danach in der Bar besoffen, musste aber ewig warten, es gab einen Barkeeper statt wie immer mindestens drei. Eh ne Loserkneipe, wo nur schüchterne Typen arbeiten. Am nächsten Tag dann etwas verkatert bin ich durchs Unigebäude spaziert und habe festgestellt, dass die Uni jetzt Vorlesungsräume an Pick-Up-Artists vermietet. Neulich gelesen, dass wir fast 80% Frauen haben, Abbruchquote bei männlichen Studenten so hoch wie nie. Egal, ich hab mich da hingesetzt und aus Langeweile gelangweilt zugehört.

Ein dürrer Typ Ende 30 sagte zum Publikum: „Das Leben endet nunmal mit dem Tod, da kommt nix mehr. Nüx, alles aus, fertig. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Epikur sagte, wenn wir sind, ist der Tod nicht, und wenn der Tod ist, sind wir nicht. Kein Schmerz! Nüx. Auch wenn ihr wütend seid und euch rächen wollt und um eure Rechte oder Bedürfnisse oder was auch immer kämpfen wollt, die Welt hat endliche Ressourcen! Es kann nicht jeder eine 10 haben. Es kann auch nicht jeder eine 9 haben. Und außerdem ist keine Frau so schön, dass es nicht nach ein paar Monaten wieder so beschissen wird wie vorher. Ach, verdammt, ich sag euch, wenn man mir morgen eine Milliarde schenkt, dann werde ich trotzdem dabei bleiben, dass ich mir am meinem 40. Geburtstag in den Kopf schieße. Glaubt ihr, Reiche wären weniger unglücklich oder weniger krank? Nur eines ist auf dieser Welt real: das Leid. Die Tiere können es nicht beenden. Die Frauen können es nicht beenden. Die Feiglinge sehen die richtige Lösung ein, sind aber zu feige, ihr Leid zu beenden. Wovor haben die denn Angst? Nach dem Tod ist einfach gar nichts! Noch weniger Leid als im traumlosen Schlaf! Habt Mitleid mit ihnen, sie sind nicht reflektiert genug, sie sind instinktgesteuert, sie haben nur Gefühle, keine Gedanken. Aber wir hören endlich auf mit der Hass-Scheiße, Freunde! Hass quält nur einen selbst. Kein Hass mehr! Kein Neid! Keine Incel-Postings! Macht euch morgen einen schönen Tag und verlasst übermorgen diese sinnlose Welt!“ Wie der zu 99% männliche und zu 99% volle Vorlesungssaal gejubelt hat!

Scheiße, ich meine Fuck, ich bin eigentlich kein Incel. Oder bin ich ein Incel? Verfickt nochmal, ja, natürlich bin ich ein Incel! Ich hatte zwar was in der Schule mit der kurzhaarigen Revoluzzerin, neulich was mit der Dicken da, aber im Ernst, wann hat sich mal eine schöne Frau für mich interessiert? Selbst dieser arrogante Autist wird von den Miezen angeguckt, er merkt es entweder nicht, oder ist noch arroganter als ich dachte. Aber ich mit meiner eigentlich guten Kindheit, aus einer guten Familie, nie Außenseiter gewesen, nie was schlimmes erlebt, ich wundere mich, ja, ich war doch immer da und so, bin auf Parties gegangen, ich meine, nicht mal eine 7, ja nicht mal eine 6 wollte was von mir. Fuck, der Suizid-Selbsthilfegruppentyp hat Recht! Wozu leben und sich weiter verarschen lassen!? Also sitze ich jetzt auf dem Zehnerturm im geschlossenen Freibad, bin über den Zaun geklettert, und sehe, wie Typen so ungefähr von 25 bis 40 auf der Wiese tot umfallen. Ein friedlicher Incel-Massensuizid. Und ich sitze hier einsam und allein, will eigentlich auch nicht mehr leben, und weiß nicht, was ich machen soll. Und nun höre ich die Stimme des Mannes, den ich aus meinem ganzen linksgrünfeministischen Herzen hasse. „Die Furcht vor dem Tod ist ein strenger Wächter“, sagt er zu mir. „Es ist ok, wenn du zu feige bist, dich umzubringen. Ich habe übrigens diesen IT-Langweilern abgesagt und arbeite stattdessen in der Suizid-Prävention für Menschen, die keinen Mut zu einem echen Suzid haben“. „Verstehe ich nicht“, verstand ich nicht. „Du wärest bestenfalls zu einem Hilfeschrei-Suizidversuch fähig, aber würdest eh nicht sterben. Darum wollen wir dafür sorgen, dass du keinen Suzidversuch unternimmst. Es kann zu bleibenden Schäden führen...“ Ich staunte nicht schlecht, wieviel Empathie so einer wie er für so einen wie mich haben kann. Eins musste ich ihm versprechen: nie wieder in den Vorlesungssaal zu diesem Typen zu gehen, den ich anfangs für einen Pick-Up-Artist gehalten hatte.




Samstag, 19. Oktober 2019

Mystisches Dating





Der Traum ist die höhere Form der Realität, hier ist die Seele nicht durch die Beschränkungen des Körpers eingeengt und kann sich frei von Raum und Zeit sowie der im Wachzustand üblichen Zwangsverkörperung erleben. Nur im Traum kann ich für mich interessante Mädchen und Miezen treffen, da in der empirischen Wirklichkeit keine den Grundvoraussetzungen der Reinheit genügt.

Nun geht es also nach dem ersten Treffen im Traum zu einem Date in Verkörperung. Zuerst bedarf es einer Art Jakobsleiter, die mich zu einem Weltenfahrstuhl bringt. Der Lift fährt mich mehrere Multiversencluster hoch zu einer Plattform mit dem ersten der drei Pools of Life, dem Schwarzpool. Ich ziehe mich aus und springe in den Schwarzpool, in dem mein derzeitiger Körper gereinigt wird. Im Pool findet ein Dimensionswechsel statt, ich kann nicht zurück zum Absprungturm. Ich tauche in der nächsten Dimension an einer Plattform auf, die mich zur Lichtkapelle bringt. Bin ich würdig, sie durch die Altartür zu verlassen, gelange ich auf die Plattform vor dem weiß schäumenden Seelenpool. Ich springe hinein und gelange in die nächste Dimension als reine Seele in Körperform meines inneren Kindes. In dieser Verkörperung springe ich in den dritten Pool of Life, den klaren Reinpool, aus dem ich in der Destinationsdimension in einem neuen reinen Körper, nach eigenem Wunsch und dem Alter der zu treffenden Mieze ausgewählt, zum Hochort der Einsamkeit gelange, in dem ich eine Eingewöhnungszeit verbringe, bevor es zum Date geht.

Wie man sieht, ist das Dating nicht erst seit dem Zeitalter von Internet und Tinder eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, sondern war z. B. für einen ideational-solaren Mystiker seit Zeitengedenken nicht einfach.

Mittwoch, 16. Oktober 2019

Frauen und Mädchen in der Geschichte




Ein junger Demiurg und Rumtreiber, Yehova ben Allah, werkelte sechs Tage an einem Universum, und dachte am siebenten Tag: „Fuck! Irgendwie ist alles schief, die Naturkonstanten sind ungerade, zu viel Chaos, zu unharmonische Naturgesetze...“ und wollte das Machwerk schreddern. Da kam ein kleines niedliches Mädchen vorbei, sah sich das Universümchen an und dachte“Wie süüüüß“, und der Demiurg überlegte es sich anders. Als eine der vielen Frauen, die diesen Alpha-Nerd an Sonntagen zu Sexeszwecken besuchten, in seiner Garage über dieses Teil stolperte, stoppte die Inflation und es entstanden zehn hoch mindestens achzig Teilchen, aus denen sich später Materie bildete. Eine besoffene Bitch auf der Suche nach der Toilette erschuf also die Materie, vorher war Gottes Werk noch rein geistig.

Nach Jahrmilliarden des Waltens brutaler Naturgesetze bewirkte die natürliche Auslese der Schlimmsten die Entstehung des Menschen, einer geldgeilen und gierigen Tierart, die die coole Megafauna der Steinzeit ausrottete. Die Erde wollte vulkanisch Dampf ablassen, aber eine Frau, ein typisches Curvy Model, setzte sich mit dem Arsch auf den größten Vulkan und verstopfte die Austrittsstelle des Zorns des Erdgeistes so lange, bis der Vulkan schließlich explodierte und die Menschheit und die vielen Tierheiten fast ausrottete. Als ägyptische Magier gelernt hatten, vermittelst Luft und Liebe große Pyramiden aufzurichten, erschufen sie in ihrem Zaubereiwahn auch ein subatomares Teilchen, das zu einem die Erde verschlingenden Schwarzen Loch zu kollabieren drohte. Da kam ein Mädchen wie das Mädchen im Film „Once Upon a Time in Hollywood“ und stieg, so klein und zierlich wie Mädchen halt sind, ins Innere dieses Teilchens, und flocht ein paar Strings auseinander, und das Teilchen verwandelte sich in ein harmloses Up-Quark.

1919 rannte ein tapferer Kriegsveteran um sein Leben: riesige Ströme von Menstruationsblut ergossen sich in ein österreichisches Tal, verschlangen Kühe und Pferdekutschen, und ertränkten fast den armen Adolf. Doch die reine Engelin Arielle Persile Unschuldine pustete einen Strohhalm vom Katzenhimmel in die Menschenwelt, der junge Mann klammete sich daran und schwamm einem furchtbaren Tode davon. Dies Erlebnis prägte ihn nachhaltig, und so dachte er darüber nach, warum die menschliche Natur so selbstzerstörerisch war, und selbst nach dem schrecklichsten Krieg aller Zeiten von der Gewalt immer noch nicht genug hatte. Da kam ihm eine Idee: man müsste nur einen derart schrecklichen Krieg vom Zaun brechen, dass die Menschen die Sinnlosigkeit des Krieges für immer einsehen und fortan friedlich leben. Eine liebliche Elfe und eine zarte Fee flüsterten ihm die Worte ein, die später zum Buche „Mein Kampf“ wurden. Als der abermals furchtbarste Krieg aller Zeiten vorbei war, besannen sich die Menschen auf der ganzen Welt und wollten friedlich leben, doch da kam eine breithüftige großtittige jointrauchende Hure, auf deren kurzem Rock in kyrillischen Buchstaben das Wort „Kapitalismus“ mit Blutdiamantenblut geschrieben war, und verführte die Menschen mit unanständigen Arschwackelgesten und toxisch-weiblichen Aufschreien wie „Sei ein Mann!“ dazu, weiterzumachen wie bisher.


Samstag, 20. Juli 2019

11


1. Das Schulfest

Alfred warf Basketbälle auf dem Schulbasketballplatz in den Korb aus großer Entfernung und traf ziemlich oft. Gewitterwolken drohten an zwei Horizöntern, Ben eilte aber schneller herbei als der Beginn der Blitzeshow, und zog Alfred ins Schulgebäude. An jenem Freitagabend im August wurde eine Schulfestivität veranstaltet, Anika wartete schon, wie eine Prinzessin angezogen, auf Alfred, der weniger an den Ball und mehr an das kommende Basketballspiel gegen eine 11. Klasse einer Hauptstadtschule dachte. Alfred klatschte sich mit Ben, Bill und Brandon ab und schritt zum Mikrofon im Festsaal, wo er eine kurze und witzige Rede hielt. Gale wichste mit dem Arsch auf dem Stuhl rum und flüsterte zu jedem Satz des “Idioten” giftige Bemerkungen. Omar saß neben ihm in der letzten Reihe und war genervt davon, denn ihn schien die kindische Rede des “Rüden” vielleicht zu motivieren, vielleicht im letzten Augenblick von etwas abzuhalten. Wäre da nicht Anika: hellblond, zierlich, und einfach nur schön. Was fand sie an diesem Einsneunzig-Recken, der außer wilder Kraft und guter Laune nichts hatte? Als der Ball begann, stellte Gale fest, dass ihn Gitty zugunsten von Bill versetzt hatte, weil seine Freundin auf einmal krank war. Gale giftete rum, legte Schleimspuren in einem überlegenen Ton, tat, was er immer tat, und wofür ihn jeder verachtete. Omar sagte nach Gales Beschwerde über Gittys “Hinterfotzigkeit” nur, dass er als Einziger aus der Klasse nicht einmal eine schriftliche Einladung zum Schulball bekommen hatte.

Die Gewitterwolken verdichteten sich und legten lagsam los, wie auch der Ball. Es wurde getanzt und gelacht, und in einer Ecke wurde ein Liebesbrief vorgelesen. Der Brief war aus Omars von Gale geklautem Tagebuch; der Giftzwerg überreichte an jenem Morgen nach zäher und wichtigtuerischer Verhandlung das Stück Papier dem von Ben zu ebendieser Verhandlung geschickten Dennis. Und Dennis las nun den Brief, der an Anika adressiert war, und auf ewig in Omars Tagebuch hätte bleiben sollen. Erst kam eine lange Beschreibung von Anikas Schönheit, woraufhin nicht wenige, aber besonders Ben und Bill, sich lachend wunderten, wie “notgeil” derjenige gewesen sein muss, der diesen Brief geschrieben habe. Dann folgten verzweifelte Floskeln. Omar musste derweil kacken, und tat es genüsslich und lange, denn er fühlte sich irgendwie “connected”, saß zum ersten Mal seit Monaten an einem Abend nicht zu Hause rum, sondern war dort, wo Leute sind. Fröhlich pfeifend verließ der die Jungentoilette und begab sich zum Festsaal. Er unterhielt sich kurz mit Dennis, den ihn freundlich anlächelte und ihm zu der einizgen 1 der 11. Klasse im Mathe-Test gratulierte. Die ausgelassene Stimmung mache dem schüchternen kleingewachsenen Nahostdeutschen Mut, sich endlich normal mit Leuten zu unterhalten, es war das erste Schulfest, bei dem er Spaß hatte. Bis Gale dies neiderfüllt bemerkte und Omar klarmachte, dass alle nicht mit ihm, sondern über ihn lachten.

Omar war zuerst wie versteinert, dann schlich er aus dem Festsaal hinaus , aber ging nicht nach Hause, sondern in den Keller. Dort störte Lars etwa zehn Minuten, bevor er von Ben abgeholt wurde, und auf dem Weg zum Festsaal diesem gegenüber versprach, dass es gleich sehr lustig werden würde. Auf der Leinwand im Festsaal sollte gleich vom Server der Schule eine Diashow gezeigt werden, und Lars hatte sich soeben in den Schulserver gehackt und einige Fotos mit Pornobildern ersetzt, auf denen die Köpfe der Pornodarsteller mit deren der Lehrer und des “nervigen Strebers” Gale ersetzt wurden. Draußen begann es heftig zu donnern, und Sigurd suchte auf seiner Fahrradtour bei Lieblingswetter kurzzeitig Schutz im Schulgebäude vor dem drohenden Starkregen. Während bei der Diashow Irritationen und Verwirrungen für eine witzige Klimax sorgten, paarten sich Donnerschläge mit Granatenexplosionen, wobei die Letzteren für eine geraume Zeit für die Ersteren gehalten wurden. Bis Dennis schrie: “Omar läuft Amok!”


2. Vier Granaten und keine Leiche

“Wo ist Anika?” fragte der kahle dicke Cop zum wiederholten Mal. Omar schwieg. Er bekam schließlich Kaffee, um weiterhin verhörfähig zu bleiben, denn es war 3 Uhr nachts. “Wir wissen, dass du Anika getötet hast”, wiederholte der Cop, und fragte, wo ihre Leiche sei. Omar schwieg.

Es war Sigurd, der den Granatenschmeißer im Flur überwältigt hatte. Dennis rief sofort die Polizei, und nach den vorläufigen Angaben dieser soll zeitlich irgendwo zwischen 21:55 und 22:15, bei Donner und Regen, Omar Anika getötet und ihre Leiche versteckt haben. Da der von Sigurd überwältigte Schwächling nicht nass wurde, wurde der Aufenthaltsort der Leiche im Schulgebäude vermutet, aber nicht gefunden. Es gab ein paar leicht Verletzte nach vier Granatenexplosionen, mit denen Omar die Pokalwand, den Sportsaal, die Raucherecke und den Matheraum verwüstet hatte. Erschöpft durfte er spät am Samstagmorgen endlich schlafen, nachdem er endlich seinen Mund aufgemacht und bei Allah geschworen hatte, nur Sachschaden verursacht, aber niemanden getötet zu haben.

Lars spülte den Rest der Schlafmittel im Klo des geschlossenen Möbellagers runter und gähnte leicht unausgeschlafen. Er pisste, frühstückte und sah ins versteckte Zimmer: alles war in Ordnung. Er setzte sich in einen bequemen Sessel und las ein Buch.

Alfred musste am Samstagmittag wie viele andere zum Polizeirevier, aber ein anderer war der Star. Der mutige und entschlossene Sigurd, der auf dem Schulfest erst gar nicht erschienen war, hatte ja den Amokläufer überwältigt und Schlimmeres verhindert. “Das ist große Zivilcourage” lobte der kahle dicke Cop. “Nein”, schüttelte Alfred mit dem Kopf und sah ihm direkt in die Augen. “Wie bitte?” fragte der Polizeibeamte nach. “Das ist Mut, nicht Zivilcourage”, sagte Alfred und sah Sigurd anerkennend an, was dem aber wohl entging, denn er erwiderte seinen Blick nicht. Ben warf ein: “Alfred hätte genauso gehandelt, wenn er zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen wäre”. “Auf jeden Fall!” rief Dennis.

“Du hast Glück, mein Junge,” sagte der kahle dicke Cop irgendwann im Laufe des Abends zu Omar, “weil wir keinen Vorwurf der Islamophobie wollen, lassen wir dich jetzt frei. Vorerst glauben wir dir, dass du dich nur an Sachen abreagiert hast, aber falls Anikas Leiche auftaucht, dann schwöre ich beim Propheten...”

Sigurd saß im Café mit Alfreds Betas und bohrte wie ein Detektiv aus dem Film nach. Er ließ sich über den Verlauf des Abends bis zum Amoklauf aufklären, aber es kam dabei nichts Zusammenhängendes zusammen. Sigurd dachte anschließend laut nach, dass Lars keineswegs besser als Gale sei, nur eben ein introvertiertes und kein extrovertiertes Arschloch, genauso destruktiv. Doch Lars, der Hobbymusiker und Lebenskünstler, war beliebt, und Gale verhasst. “Gale ist ein Incel” lachte Bill. “Und Lars?” lachte Sigurd. Und nach kurzem Schweigen stellten Alfreds Betas tatsächlich fest, dass auch Lars nie eine Freundin hatte, nur war es vorher niemandem so richtig aufgefallen.

“Omar, was hast du getan!?” schimpfte der Vater, während der Junge nur schwieg und weinte. Bis er aufschie: “Ich hab nur deren Scheiß zerstört, ich hab niemandem was getan!!” Der anwesende Sozialarbeiter überlegte sich eine Weile, den Jungen in die Geschlossene zu stecken, überlegte es sich aber dann anders und ließ die Familie in Ruhe.    


3. Die Entführung der Prinzessin

Um 13 Uhr nochwas am Samstag wachte Anika auf. Sie stellte fest, dass es sich wohl um eine Entführung handelte, da sie in einem unbekannten verschlossenen Raum war. Auf einem anonymen Brief stand die Anweisung, sich zu schminken und festlich anzuziehen, sonst drohte Gewalt. Derweil sah Lars auf der anderen Seite des Spiegels zu, und betrat, als Anika fertig war, den Raum.

– Lars!?
– Wen hast du den erwartet? Hannibal Lecter?
– Wo bin ich? Was soll das hier...
– Entspann dich. Du bist tot.
– Was!?
– Das ist, was alle denken. Sie suchen nach deiner Leiche.
– Wer... wer war das?
– Ach das... Das war Omar. Er hatte keine Waffen dabei, nur ein paar Böller.
– Und du? Bist du sein Komplize?
– Verarschst du mich? Keineswegs, ich habe nur diem gecarpet, du weißt schon.
– Nein, weiß ich nicht!
– Alle denken, er hätte dich getötet, nachdem er wegen dem Liebesbrief ausgerastet war.
– Und du!?
– Ich war am richtigen Zeit am richtigen Ort, um endlich das Richtige zu tun.
– Mich zu entführen!?
– Warum denn nicht? Hätte ich sonst je eine Chance bei dir?
– Jetzt hast du bestimmt keine mehr.
– Tu nicht so, als ob ich je eine gehabt hätte. Für dich habe ich nie existiert.
– Wie auch immer... Bring mich jetzt nach Hause, oder du weißt, was passiert.
– Was passiert denn?
– Ich zeige dich an, du kommst in den...
– Träum weiter, Bitch. Und vergiss nicht, dass du tot bist. Omar hat es bereits getan. Man wird deine Leiche finden und...
– Bist du wahnsinnig?
– Du fragst mich allen Ernstes, ob ich wahnsinnig bin? Ich liebe dich seit der fünften Klasse, und du hast mich nie wahrgenommen, das ist wahnsinnig! Aber jetzt hat der Wahnsinn ein Ende.
– Was hast du denn vor, mich vergewaltigen und umbringen? Komm schon, das bist nicht du...
– Der unsichtbare Trottel, DAS bin nicht ich. Ich bin nett, hilfsbereit, gut, freundlich, ich bin... ich bin... für dich jedenfalls war ich die ganze Zeit nur Luft!!
– Hör auf zu schreien, du machst mir Angst!
– Sorry. Sorry, tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich wollte doch nur... doch nur...
– Weinst du jetzt...
– Warum guckst du so!? Bin ich denn kein Mensch für dich!!? … Natürlich bin ich kein Mensch für dich. Ja, das ist es. Nicht liebenswert. Nicht existent. Nur der witzige Lars, der Streiche spielt. Aber, ich hab, verdammt nochmal auch einen Schwanz! Scheiße!!! Ich hab... Scheiße. Scheiße...
– Komm schon, hör auf zu weinen.
– Scheiße... Ich hab... Ich hab Lippen, die geküsst werden wollen, Haut zum Gestreicheltwerden, ich habe mich mit ganzem Wesen so nach dir gesehnt...
– Hihi, sorry, sorry! Das war nicht so gemeint, ich wollte nicht über dich lachen, sorry!
– Ohhhh doch. Genauso war es gemeint. So war es die ganze Zeit gemeint. Du miese Nutte!
– Ich habe Angst! Ich werde schreien!
– Hier wird dich keiner hören. Du weißt doch nicht mal, wo du dich gerade befindest, also sei ruhig und tu, was ich sage.
– Sonst was?
– Was hast du da geflüstert? Lauter bitte.
– Sonst was!?
– Du bist nicht so naiv wie du aussiehst. Du weißt genau, was mit dir passieren wird.
– Wirst du mir etwas antun?
– Ja, das werde ich. Ich werde dir etwas antun. Das, was du mir all die Jahre angetan hast.
– Mich ignorieren?
– Dich quälen!!!

Lars schloss hinter sich die Tür und ging weinen. Nachdem er sich beruhigte, beobachtete er beim langen Teetrinken Anika durch den Spiegel, bis sie einschlief. Er hatte sich ausgesprochen, er hatte sich alles von der Seele geredet, und wusste nun nicht, was er machen sollte. Also machte er in der Nacht die Tür auf und verpisste sich heimlich und leise. Als Anika am Sonntagmorgen aufwachte, erkundete sie ängstlich die Räumlichkeiten auf der Suche nach einem Ausgang, doch als sie diesen endlich fand, hörte sie eine ängstliche weibliche Stimme, die ihre Neugier und nicht nur Neugier so sehr triggerte, dass sie ihren Entführungsort nunmehr freiwillig betrat.


4. Ein gemütlicher Sonntag

Lars holte den Termin bei der Polizei nach, entschuldigte seine Abwesenheit am Samstag mit Schockzuständen, log, er hätte sich zu Hause ins Bett verkrochen und den ganzen Tag Angstzustände gehabt. Doch er versicherte auch, dass Omar Anika nicht getötet hatte, indem er angab, sie nach seiner Festnahme noch kurz gesehen zu haben. Viele trafen sich am Nachmittag bei Dennis, und auch Lars ging hin. Weil die Nachricht von Anikas Wiederauftauchen sich immer noch nicht verbreitet hatte, war er zunehmend nervös.

Es hörte sich wie der Schmerzensschrei eine Mieze an, aber von wo? Anika ging rein und raus, schlich um den Gebäudekomplex, dachte schließlich an einen Porno und ging fast schon nach Hause, als sie eine Gestalt auf einem hohen Balkon sah. Trotz großer Angst siegte die Neugier, und Anika stellte fest, dass das Möbellager sich noch weitere Stockwerke hochwärts erstreckte, und weiter oben viel luxuriösere Divane und Einrichtungen warteten. Eine der Zimmereinrichtungen sah wie ein BDSM-Raum aus, den das Mädchen mit großer Neugier und blühender Phantasie erstmal erkundete. Die Entführung hatte sie anscheinend aus ihrer gewohnten Realität in eine Traumwelt versetzt, in der nun vieles möglich war.

17 Uhr, und immer noch keine Rückkehr von Anika. Derweil räsonnierte Gale wichtigtuerisch über das erbärmliche Incelleben von Omar, hetzte gegen seine angebliche Sonderbehandlung aufgrund der Zugehörigkeit des armen Schweins zum islamischen Kulturkreis und zog verbal über Loser und Incels her. Lars ließ sich lange nichts anmerken, doch die Anspannung wuchs mit jeder Viertelstunde. Was, wenn Anika auf dem Heimweg von sie wusste nicht einmal wo was passiert war? Was, wenn jemand gerade das mit Anika tat, womit Lars verzweifelt gedroht hatte? Er traute sich nicht, zum Möbellager zurückzukehren, und so blieb ihm nur gespanntes Warten.

“Omar, hör mal, das war, muss ich sagen, eigentlich doch leider geil, was du in der Schule gemacht hast”, rief ihn Ben in Alfreds Auftrag an. “Geil, so viel Scheiß in die Luft gejagt. Megageil! Weißt du, wir hätten dich längst in unserem Team, wenn du einen Kopf größer wärst, aber Basketball, du weißt schon. Der Brief, komm schon, keiner wusste, dass der aus deinem Tagebuch war. Ist halt peinlich und intim und so, aber komm schon, komm drüber weg...” Omar bedankte sich nur höflich, aber verlor ansonsten nicht viele Worte. Während bei Dennis bald nicht nur Worte flogen: es wurde Lars zu viel, er konnte Gales dämliches Gelaber nicht mehr ertragen, und schlug ihm mit der Faust in die Fresse. Gale kroch durchs ganze Wohnzimmer zur Heizung, doch Lars sprang hinterher und trat ihm mit dem Vollspann in den Arsch. Dennis wollte Gale zur Hilfe eilen, doch Alfred sagte: “Lass ihn”, und so trat Lars den sich am Boden wälzenden Gale mit der Verse in den Bauch. “Scheiße!” rief Alfred, als er Dennissens Eltern herbeieilen hörte, “Herr Deltens, Gale ist ausgerutscht und voll auf die Fresse gefallen”.

Anika hörte wieder diese erotisch anregenden Miezenschreie und begab sich nun wirklich auf die Suche. Es war so eine Art Penthaus, wo sie die an eine Hartgummiwand gefesselte Mieze Anfang 20 sah: zierlich, in erotischer Unterwäsche, perfekte Figur. Die nicht minder attraktive, aber etwas höher gewachsene und robustere Quälerin sah sie kommen und lächelte. Im dezenten schwarzen Damenanzug stand sie von einer Reihe brennender Kerzen und bot Anika einen bequemen tiefroten Sessel an. “Wie jung bist du, Mäuschen?” “16”, flüsterte Anika. “Gefällt dir die Mieze?” “Ich weiß nicht... Ja.” “Möchtest du heißes Wachs auf ihre...”


5. Eine Art Hitzefrei


Alfred ließ Ben, Bill und Brandon dafür sorgen, dass alle, die sich Gesternsonntag bei Dennis getroffen hatten, bei der Geschichte blieben, Gale sei ausgerutscht. Am Montag war keine Schule, da gerade erst die Renovierungsarbeiten begannen. Stattdessen war Klassentreffen bei Ben. Bill besorgte Bier, Alfred rief Brandon an, er möge bei Omar klingeln und ihn mitnehmen. Belli war vor allen anderen da, das war ihr aber peinlich, also ging sie dreimal um den Block spazieren, um als eine der Letzten bei Ben anzutanzen. Ohne Anika war Belli die Schönste in dieser 11. Klasse, was ihr durchaus nicht entging. Sie tat so, als hätte sie Brandon nicht bemerkt, und schritt nach dem Hereinplatzen zur Kunstfreakin Diane, die einen kleinen Araber mit einem Granatenwerfer zeichnete. Omar fand das Bild so geil, dass er es einrahmen und bei sich im Zimmer aufhängen wollte. Selbst die Sozialstunden als Konsequenz seines Outbursts, die da kommen würden, waren vergessen, als er schließlich von Alfred den Spitznamen Bomberman bekam.

Der Montag zog sich hin, doch an Anikas Verschwinden war keinerlei Entwicklung abzusehen. Der kahle dicke Cop wollte sich wieder Omar vorknöpfen, doch eine kluge Kollegin überzeugte ihn, und vor allem seinen Vorgesetzten, dass Lars derjenige war, der Anika als Letzter gesehen hatte, schließlich habe er auch geschworen, Anika nach Omars Festnahme am Freitagabend noch gesehen zu haben. Also musste Lars aufs Revier. “Wo hast du sie gesehen?” fragte die gutaussehende lesbische Polizistin. “Im Korridor... Sie muss auf dem Mädchenklo gewesen sein, als Omar...” Lars wurde vorerst geglaubt, und da Anikas Eltern immer noch nicht die Rückkehr ihrer Einzelprinzessin vermelden konnten, begann eine ressourcenreiche Suche nach dem Mädchen, die dessen Schönheit durchaus angemessen war.

Und auch am Dienstag ließ sich Anika nicht blicken. In der Nacht zum Mittwoch beim spontanen Klassentreffen am See ließ Bill in Alfreds Namen verkünden: “Gale heißt ab jetzt Ork”. Toller Spitzname, sagte Gitty, um einen Smalltalk mit Lars anzufangen. “Hast du vielleicht etwas mit Anikas Verschwinden zu tun?” Lars schwieg. “Komm schon, hast du sie vielleicht entführt und getötet? Wär echt cool. Ich meine nicht, dass Anika tot ist, sondern du weißt schon... Dass du ein Psychopath bist”. Belli flirtete nun offen mit Alfred, der sie aber wie schon am Montag abblitzen ließ. “Warum kommt Sigurd eigentlich nie?” fragte sie daraufhin Ben.

Seit Sonntag schon verwöhnten drei Miezen Anfang 20 Anika mit Wellness und Beauty. Nun kam wieder die Torturatorin und fragte, ob das Mädchen nicht vielleicht nach Hause wollte. “Auf keinen Fall!” kicherte Anika und betrachtete sich prinzessinenhaft im Spiegel. Die Torturatorin ließ die Miezen gehen und fesselte Anika an die Hartgummiwand. Anika kicherte. Darauf kicherte die junge Frau auch und fragte, warum Anika sich so sicher sei, sie würde ihr nichts tun. “Weil ich so süß bin”, kicherte Anika. Zwischen den Zeiträumen, in denen sie mit großen Federn gekitzelt wurde, wurde sie mit luxuriösen Torturationsutensilien bedroht, bis sie fast schon glaubte, die Torturatorin würde ihr etwas antun, doch dann doch nicht. Beim Abendtee fragte diese, was Anika empfunden hatte, als “...du weißt schon”. “Ich fühlte, wie schön und zart ich bin”, kicherte Anika. “Und als ich deine Hand mit der Kerze genommen habe und geführt habe und das Wachs auf die zarte Haut der Mieze...” “Da fühlte ich noch mehr, wie schön und zart ich bin”. “Ich fahre jetzt in die Stadt, soll ich dich vor deiner Haustür absetzen?” “Auf keinen Fall”, kicherte Anika. “Wirklich nicht?” fragte die Frau mit ernster Stimme. “Nein”, weinte Anika. “Alle machen sich Sorgen, vielleicht wurde wegen dir schon jemand verhaftet”. “Ich kann nichts dafür, dass ich so schön bin”, schluchzte Anika.

“Lars”, murmelte der kahle dicke Cop. “Unser Hauptverdächtiger ist Lars. Er hat anscheinend auch diesen Torben-Flynn zusammengeschlagen, den sie alle Gale nennen, weil der von der Entführung berichten wollte. Die Anderen decken ihn, weil es vielleicht eine Gruppenvergewaltigung war, vermutlich in der Nacht, nachdem der Amoklauf und die Verwirrung...” “Zu weit hergeholt”, unterbrach ihn die lesbische Polizistin.


6. Ruhe und Frieden

Am Donnerstag führte Lars die Cops zum Möbellager, das ganze Gebäudekomplex wurde gründlich durchsucht, doch nichts gefunden. Wegen mir ist Anika tot, dachte Lars, und war mit dem Gedanken nicht allein. Nun war er derjenige, der Anika angeblich womöglich vergewaltigt, mit Sicherheit aber getötet, und die Leiche versteckt hatte. Durch einen Suizid entkam er der Untersuchungshaft.

“Ben, Lars ist tot”, murmelte Belli am Freitagabend bei Alfred am Pool. Gitty hörte es und kommentierte zynisch: “Lars und Anika, was für eine tragische Liebesgeschichte”. Bomberman trauerte in Stille, traute sich still, das erste Bier seines Lebens zu trinken, und statt des zweiten folgte ein Gefühl der Erleichterung: Anika ist tot. Ein wohliger Schauer des Nihilismus konvertierte Bomberman vom Islam zum Existentialismus, wie er im Gespräch mit Diane feststellte. “Schön, dass sie jetzt nicht mehr älter wird”, freute sich die lesbische Diane, “so kann ich sie immer süß und unschuldig in Erinnerung behalten”. Sonst freute sich keiner, alle waren geschockt bis schockiert, und nicht wegen des tatsächlichen Todes von Lars, sondern wegen des vermuteten Todes von Anika.

“Alfred”, flirtete Belli durch die Trauer hindurch, “also ich denke, Sigurd hat ein Geheimnis”. “Quatsch”, wimmelte Alfred sie ab und trank sein fünftes Bier. Dennis schwamm genüsslich seine Runden im Pool, denn seine Eltern hatten keinen Pool. Bill und Brandon gingen noch mehr Bier holen. Unterwegs gestanden sie sich gegenseitig ihren Crush on Anika. Der Vater von Lars stürmte besoffen rein: “Es war dieser... dieser... Omar! Wo ist der Türke? Wo versteckt sich dieser Araber? Komm raus, du Kasache! Mein Sohn hat Anika nicht getötet, es war dieser Islamist!” Zufällig war Alfreds Vater Polizist und nahm den Betrunkenen mit aufs Revier. “Was für Eltern bringen solche Kinder zur Welt?” räsonnierte der kahle dicke Cop. “Noch nie was von Condomen gehört? Man kann die Geburt von solchen Unmenschen verhüten!” Der Vater von Lars stammelte etwas vor sich her, schlief dann in seiner Kotze ein.

Die Nacht an Alfreds Pool wurde lang. Im Busch knallte Alfred kurz Gitty, kam dann zurück auf den Liegestuhl und trank sein achtes Bier. Betrunken machte Ben Belli an, bekam aber einen Korb. Belli dachte für einen kurzen Moment, Sigurd sei in den Garten gekommen, doch es war nur Bill. Omar und Diane gingen zu Diane, wo sie keinen Sex hatten. Sie beobachteten vom Dachboden aus die Sterne und tauschten ihre Erinnerungen an Anika aus, die sie seit der fünften Klasse kannten.

Belli nahm den nächtlichen Bus nach Hause, verfuhr sich, wurde in einem Park vergewaltigt, wunderte sich, dass es gar nicht so schlimm war, wie sie immer dachte, und nahm einen weiteren Bus nach Hause, wobei sie sich diesmal nicht verfuhr. Ihre Mutter war schockiert über die zerrissene Kleidung, die Elisabeth mit wildem Sex mit Sigurd auf der Party erklärte. Sigurd aber erschien erst jetzt bei Alfred im Garten, wo er Alfreds Betas mitteilte, dass seit ein paar Tagen in der Stadt ein Vergewaltiger lauerte, und man deshalb die Mädchen nicht allein nach Hause gehen lassen sollte. “Die zwei Kleinsten und Schönsten von euch kann ich nach Hause bringen”, sprach er zu einer Mädchengruppe und tat daraufhin das Gesagte.

“Anika, bist du sicher, dass du bei uns leben willst?” fragte die Torturatorin, immer noch voller Skrupel. “Wir sind schon 1000 Kilometer weit weg, wovor hast du denn Angst? Wenn das wahr ist mit eurem Schloss auf der Insel, dann werden sie mich nie finden”. “Und deine Eltern?” “Hihi”. “Und deine Freunde?” Anika kicherte. “Als ich mich vor einer Woche vor dem Spiegel schminkte, da verliebte ich mich zum ersten Mal im Leben”. “In wen?” fragte die exzentrische Unimieze. “In mich”, kicherte Anika.

7.2019

Mittwoch, 19. Juni 2019

Die Sinnlichkeit



1


Noch eine Kurve auf dem steilen Bergpfad, und da war dieser Platz, ein versteckter natürlicher Balkon mit Panoramaaussicht. Liine nickte pick, und sah Ari mit drei Miezen seines Alters zurückkommen. “Habe ich euch zuviel versprochen?” lachte der wie Anfang 20 aussehende 36-jährige Mann. Die Miezen hatten zunächst Höhenangst, waren dann aber immer mehr von der Aussicht begeistert. “Das wäre ein sauber Selfie”, witzte Liine, “...da würde von einem nichts übrig bleiben”. “Selfie?” fragte eine der Miezen. “Nicht der gemeiniglich geläufige Selfie, ein Selfie der düstereren Art”, klärte Ari auf. Die Miezen wollten gar nicht erst runtergucken, wo man da aufschlagen könnte. 600 Meter mindestens, aber wohl eher 800. “Und das war der einzige Weg hierher?” Ari nickte. “Vor dem Sonnenuntergang müsst ihr hier verschwinden. In der Dunkelheit würdet ihr abstürzen, ein unfreiwilliger Selfie, sozusagen”.

Die Miezen, eine langhaariger als die andere, nickten mit pick. Ari setzte sich so, dass der 15-jährige Junge zwischen ihm und den Miezen saß, und schwieg die meiste Zeit, weit in die Ferne blickend. Die Gesprächsthemen verdüsterten sich nach anfänglichem Höflichkeitssmalltalk, und Ari stimmte mit ein: “Das Problem ist, dass die Leute nicht mehr verrecken. Es ist eine Sache, seinen Eltern einen Selfie mit 18 nicht zumuten zu wollen. Aber wenn du 40 bist, und deine Eltern immer noch leben, wie lange willst du noch warten?” “Ja, diese verdammte lange Lebenserwartung”, bemängelte auch der 15-jährige Liine. “Aber mir würde schon eine weitere Woche wie eine Ewigkeit vorkommen”. Die 18-jährige Hienne, die Alterspräsidentin des Miezentrios, dachte laut, Liine sei unglücklich verliebt. Die anderen Miezen guckten verlegen, aber es hätte keine von ihnen sein können, denn sie kannten Liine erst seit einer Stunde und Ari seit zwei. Aus ihrem langweiligen Feriencamp kamen sie mit dem schweigsamen Sigma mit, den sie beim Lesen seiner Kant-Lektüre gestört hatten, um ihn nach einem guten Rückzugsort zu fragen. Nun waren sie an diesem Ort und wollten nicht wieder gehen.

Ari setzte einen Tee auf. Hienne stellte fest, dass er am Bergrand der Granitplattform eine Höhlenwohnung hatte, und fragte ihn, wie viele Miezen er hierher schon verschleppt und wo er ihre Leichen entsorgt hätte. “Wäre ich bloß so eine Lesbi-Raubkatze Anfang 20, ich könnte dich stundenlang hotwaxtorturen oder wasauchimmern, aber für einen Mann wäre das eh nur ein Zehntel der Lust”. “Du meinst, Sex für Männer lohnt sich nicht?” “Hedonisch auf keinen Fall. Der Preis ist zu hoch für zu wenig Lust. Aber dafür kennen wir die romantische Liebe, wenn wir jung sind”. Mit dem Tee zurück, sahen Ari und Hienne, wie die jüngeren Miezen dem Schönling Liine näher kamen, sein langgelocktes blondes Haar war halt schön. Julie, das 16-jährige brü- und auch sonst nette Mädchen, holte schon fast zum Kuss aus, als die ultraschüchterne hellblonde Eleine, auch 16, und langhaarigste von allen, ihr etwas ins Ohr flüsterte. “Wie süüüüß!” konnte sich Julie nicht halten und umarmte den Jungen. “Und wie alt ist er?” fragte sie nach anfänglichem Kichern. “Er ist 11, sieht aber aus wie 9, oder wie ein Mädchen, je nachdem, was weiß ich”, war Liine verlegen. Hienne ging zum schon wieder am Abgrund sitzenden Ari, der sie nur mahnte: “Ihr müsst jetzt gehen”. Stattdessen verlangte die verführerische Mieze noch einen Tee. Es dunkelte. “Die werden uns nicht suchen”, wollte sie den sich sorgenden Erwachsenen beruhigen, “Wir haben gut gelogen, wo wir sind”. Es wurde dunkel. Die Jugendlichen kuschelten sich aneinander, Ari legte sich etwas abseits auf den Rücken und beobachtete die immer sichtbarer werdenden Sterne.

Als unheimliche Geräusche der Nacht Stimmung verliehen, wurde Ari zurück auf die Picknickdecke gezogen, und gefragt, was er am liebsten gerade tun würde. “Die Kleine beschützen, die Maus küssen und mich von der Katze verführen lassen”, brachte er die Mädchen zum Lachen, wurde dann aber wieder ernst: “Aber höchstens mit 18. Ich bin schon doppelt so alt, wie ich gern wäre, und was hat es gebracht? Wissen, Weisheit, Freiheit, all das Unsinnliche, das einen immer weiter vom Leben entfernt”. “Ich wäre gern so weise und frei wie du”, seufzte Liine. Er weinte fast “Stattdessen kann ich nur an diesen Jungen denken, der schon in drei Jahren ein zur Unkenntlichkeit entstellter Bengel sein wird, kein zartes engelhaft mädchelndes Kind mehr”. “Eigentlich will man sich in jedem Alter umbrigen”, stellte Hienne fest, und fügte vergenauigend hinzu: “...jedenfalls, wenn man ein Junge ist. Wir Mädchen sind so unromantisch, wir langweilen uns so mit uns selbst, und warten nur darauf, dass sich wegen uns jemand umbringt, nur damit wir wieder Gesprächsstoff haben”.

Schon um Mitternacht war Ari dem Schlaf nahe, während für die Jugendlichen die Nacht erst begann. “Ich wünschte, die Zeit würde stehenbleiben”, würdigte Julie die Schönheit der Nacht. Keiner sagte etwas, also schmiegte sie sich an Ari und fragte: “Du weißt aber schon, wie langweilig die Jungs in unserem Alter sind?” “Meinst du etwa, Männer wären anders? Nur desillusioniert und verbittert, das ist alles”. “Und du?” ließ die Maus nicht locker. “Wenn ich halb so alt wäre, könnten wir weiter flirten”, stand Ari auf und ging wieder an den Rand des Abgrunds. Hienne tat so, als würde sie ihn hinunterstoßen wollen, doch ihm war es zu egal, so dass die schönste Abiturjahrgangsmieze ihrer Schule und nicht nur ihrer selbst Höhenangst bekam und weiter vom Abgrund zurückrückte. “Tut mir leid, dass wir euch nicht unterhalten können”, seufzte Liine, doch Hienne strich ihm übers Haar und sagte: “Ich bin froh, dass ihr nicht versucht, uns zu beeindrucken. Wir sind Freundinnen geworden, weil Schönheit einsam macht, ich denke, du weißt genau, warum”. Liine wusste. Alle Schwulen aus seiner Schule waren wütend auf ihn, dass er sich nicht outete und mit keinem von ihnen etwas anfing. Auch er war der Schönste in seinem Umfeld, wenn auch süßerweise auf mädchenische Art.

Die Nacht wurde kühler, die Miezen wollten kuscheln. “Hast du ein Problem mit dir?” fragte Hienne, als Ari weiterhin über dem Abgrund stehenblieb. Er schwieg. “Magst du dich nicht?” Er wusste nicht, was er sagen sollte. “Du fühst dich gar nicht alt an, sondern rein und kindlich. Du bist ein Traumkuschelwolf, wenn ich mal so sagen darf”. Er lächelte, aber wusste, dass er nicht dadurch wieder 18 sein könnte, dass er sich so anfühlte, auch nicht dadurch, dass er einen frischen gut trainierten und wohlduftenden Body hatte. Nach einer längeren Pause fragte Hienne endlich: “Oder bist du schwul?... Ich meine, wie hast du Liine kennengelernt?” “Er suchte nach einem Ort, um sich umzubringen, aber ich war schon hier”, seufzte Ari. “Es war ein Fehler, euch hierherzubringen. In 3 Jahren werdet ihr nicht mehr die reinen Mädchen von jetzt sein, in 10 Jahren, und was sind schon 10 Jahre, wird auch eure Schönheit verschwinden. Und ich bin dazu verdammt, der Vergänglichkeit zuzuschauen, und jedesmal noch weiser und noch weiser zu werden, und immer mehr Freiheit zu erlangen, die dann zu immer größerem Nichts führt”. Hienne schluchzte und ergriff seine Hand: “Nur der Tod kann dich erlösen, aber du... du kannst uns erlösen. Was meinst du, wie sinnlos das Leben eines Mädchens ist, wenn es nichts Höheres gibt? Du bist ein stolzer Adler, wir sind Kätzchen, Mäuschen, Mädchen! Du bist frei und weise und genügst dir selbst, wir sind unfrei, abhängig, schwach, unwissend, zart, zerbrechlich, niedlich, süß, achwasweißich...” Nun, wie geht es jetzt weiter, dachte sich Ari, und das denke ich mir gerade auch.



2


Wozu den Umweg über die Sinnlichkeit ins Nichts gehen, das Nichts ist doch schon da. Wartet. Ist offen. Ein gähnender Abgrund, der dich anlacht, weil die Lösung so einfach ist. Einfach springen. Aber nein, die Sinne wollen was erleben, und zwar die sexiesten Sexe, und das Ego will Bestätigung, und zwar im Form von anerkennendstem Respekt-ey. Erst allen alles beweisen, und dann springen. Und außerdem bin ich 18, dachte Ari, ich habe noch ein Leben vor mir. Was, wenn da mehr ist als nichts? Nach einem Sommer der Fahrradtouren, um sich selbst zu entfliehen, fand er endlich diesen abgelegenen und hochgelegenen Ort, eine Art natürlichen Balkon über einem Abgrund. Wenn sich umbringen, dann hier, es geht fast einen Kilometer runter. Aber die Maus, was wird sie denken? Dieses wunderschöne und ultraschüchterne 15-jährige Mädchen, weiß sie, dass ich in sie verknallt bin? Und wenn ja, weiß sie, wie sehr? Jeder Tag des Sommers war eine Qual, nur der Gedanke ans Springen ließ Ari ruhig schlafen. Aber ist es nicht am coolsten, das Leben so früh wie möglich wegzuwerfen? Oder haben wir eine Aufgabe hier, ohne zu wissen, wer sie uns gestellt hat? Wie können wir wissen, ob dem so ist? Wie können wir wissen, was die Aufgabe ist? Ist die Aufgabe vielleicht die Aufgabe, und zwar des Lebens durch einen Freitod?

Seit 18 Jahren, seit er 18 war, ging Ari an diesen Ort, baute sich sogar eine Höhlenwohnung, las hier, studierte im Grunde hier, und nicht auf der Uni, und wusste in dieser Sommernacht um 1:31 nicht weiter. Er schloss die Augen und stürzte in die Tiefe, es dauerte nicht lange, bis er aufschlug. Und dann war nichts. Aufgabe erfüllt. Gedanklich zum hundertsten Mal. Er öffnete die Augen, und es war genauso dunkel. Drei Minuten, versprach er der ob der Sinnlosigkeit eines Mädchenlebens fast schon weinenden Hienne, dann würde er sich wieder dazusetzen. Wenn die Mieze wüsste, dass es unendlich schärfer empfundene Sinnlosigkeiten gibt. Ist es sinnlos, das Nichts im dunklen Abgrund anzustarren? Für einen Hund. Für Ari wäre es sinnloser, jeder dieser Menschen zu sein, doch zum Glück war er keiner dieser Menschen, sondern er selbst, und empfand die sinnvollste, die höchste Sinnlosigkeit, eine Art Sinnlosigkeitsluxus. Anstatt sich mit tierisch-menschlichen Problemen abzugeben, starrte er ins Nichts, noch eine Minute lang, dann setzte er sich wieder zu den Mädchen und dem Schönling, der gerade nicht vom Küssen und Sinnlicherem sprach, sondern feststellte, dass er die Maus von einem Jungen, in die er verknallt war, am liebsten strahlend vor Glück sehen wollte, mit dem Mädchen, in welches der Liebling des Schönlings verknallt war. Die Welt ist nicht klein, aber es gibt sehr wenige schöne Mädchen, und als Liine vom Traummädchen des kleinen Jungen erzählte, erkannte Hienne eine bekannte Mieze.

Die Ultraluxusmieze Couchelle, die war es, in die der 11-jährige Junge trotz eines Altersunterschieds von 7 Jahren verknallt war. Zarter und zierlicher als sie es war, war für ihr Alter nicht möglich, aber dennoch handelte es sich um eine 18-Jährige. Die Mädchen kicherten erst, dann lachten sie. Liine versicherte noch, dass der Kleine nicht bloß von einer Mieze wie aus einem Film träumte, sondern ernsthaft in sie verknallt war, sie beschützen wollte, mit ihr zusammen sein, wie mit einer Gleichaltrigen. “Was wolltet ihr denn als Kinder?” machte sich Ari auf einem Kissen bequem und war dem Schlaf nahe. “Ich denke, wir wussten alle in dem Alter nicht, wie lesbisch wir sind”, stellte Julie fest. “Aber ihr habt euch immer so verhalten...” “Als ob wir einen Hund wollten?” unterbrach Hienne den enttäuscht klingenden Liine. “Das ist die einzige Macht, die Mädchen haben. Die Wirkung auf Simps und Manginas. Manipulieren können. Durch Liebreiz in den Selfie treiben. Das ist grausam, aber machtlos zu sein, macht Angst”. “Wenn die Wölfe euch nicht beschützen...” meinte Liine den fast schon schlafenden Ari. Julie seufzte: “Alle guten Männer sind einsame Wölfe oder Mönche oder tot”. “Es tut mir aufrichtig leid”, sagte der einsamste der Wölfe mit edler Stimme, “aber ich habe mich nie als Objekt betrachtet. Ich bin weder gut noch ein Mann noch sonst irgendwas, ich sehe mich, seit ich denken kann, als ein in die Sinnlichkeit geworfenes Bewusstsein, das das Rätsel der Welt, letztendlich vielleicht des Nichts, lösen muss. Ich gehe im Sinnlichen nicht auf, es zieht spurlos, na gut, nicht ganz spurlos, an mir vorbei. Ich leide an dessen Vergänglichkeit, aber ich kann es nicht davor bewahren. Ich wäre euch kuschelgern ein besserer Demiurg, als der, der diese Welt regiert. Ich würde euch die sinnvollsten, liebevollsten, sinnlichsten Lesbiversen erschaffen, aber ich bin leider kein schaffender, sondern nur ein betrachtender Geist. Verflucht, ich kann sogar lieben, aber der Geliebten dann keine Welten schenken”.

Erst streichelte der Wind Aris Gesicht mit dem Haar des langhaarigsten Mädchens, dann spürte der Edelwolf ihren lieblichen Atem, als sie, ängstlich an ihn gekuschelt, einschlief. Hienne betrachtete noch minutenlang das unbeschreiblich schöne Gesicht des soeben eingeschlafenen Mädchens, bevor auch sie einschlief, während die Füße des Jünglings und der Maus über dem Abgrund baumelten. “Ich finde alle Männer hässlich”, sagte Julie. “Nur einige Jungen und einige, die noch wie Jungen aussehen, finde ich erträglich. Aber Mädchen sind schöner. Nur halt langweilig”. Liine war nach Weinen, aber er ertappte sich beim unedlen Grübeln darüber, ob er damit einen unmännlichen Eindruck machen würde. Sein Basileus machte übrigens Anstalten, den Miezen zu beweisen, dass er nicht schwul war. Der Gedanke, Couchelle zu vernaschen, machte ihn geil, er wollte dem Kleinen zeigen: ich bin ein Mann, du ein Kind. Julie wusste selbst, dass sie diese destruktive, tierisch machende Wirkung auf Jungen hatte, und begann leise zu weinen, als Liine unfreiwillig in erotischen Phantasien versank.

Der Sonnenaufgang weckte Ari, der die schlafende Eleine mit einer Zärtlichkeit zudeckte, als wäre sie seine vierjährige Tochter, was Hienne im Halbschlaf registrierte, und weshalb sie das Mädchen etwas an sich zog, als wäre sie was sie halt auch war, ein kindlichst niedliches 16-jähriges Mädchen.  Liine träumte davon, wie der kleine Junge, nun erwachsen, ihn eine widerliche Schwuchtel nannte, und wachte in Tränen auf. Neben ihm schlief brünetterweise Julie, schlief wie ein einsames verlassenes Kätzchen, wehrlos und lecker. Ari prüfte seine Waffenkammer, bewunderte ein paar geile Granaten, checkte die Maschinengewehre und das Geld. Als er mit dem Tee zur Picknickdecke schritt, waren alle schon wach. “Du musst ein Haus bauen”, sagte Julie. “Und einen Staat gründen”, lieblichte Hienne bei. Eleine nickte schüchtern, und Liine fragte zynisch nach: “Was soll er denn werden, ein thermonuklearer Despot?” “Warum nicht?” begeisterte sich Hienne, “er könnte doch eine Insel besetzen, und dort ein Lesbiversum gründen. Wir würden jeden Tag ungestört von all den Losern, all den Alten, Kranken und Bedürftigen, Kätzchen streicheln und interessante Gespräche führen”. “Du verachtest die Menschen”, stellte Ari anerkennend fest. Hienne erleichterte ihr Herz: “Alles Vampire, emotionale Kannibalen, hässliche Monster, dumme, lüsterne, stinkende...” Alle lachten, alle lachten mit. Wenn du nicht allein bist, dann bist du für die, die du liebst, verantwortlich, und die sind halt zart, sensibel, zerbrechlich, verwöhnungsbedürftig, und du willst natürlich die Welt für sie schön machen, so richtig aufräumen, purgen, wenn nötig, alles Leben vernichten, und neues, schönes, nicht ekliges, Leben erschaffen. Nur Gott kann es sich leisten, zu lieben, dachte Ari, als er sich mit den Mädchen zurück auf den Weg ins Feriencamp machte. Selbst der edelste Mensch kann nur aus der Ferne lieben, machtlos, leidend, die Vergänglichkeit alles Geliebten und das Nichts als Endresultat vorwegnehmend. “Was wirst du tun?” fragte Liine, nachdem Ari zurückkehrte. “Ich werde ein Mann sein” sagte der edle Adler entschlossen, “und du geh und sei ein Junge, solange du noch kannst”.


6.2019

Sonntag, 16. Juni 2019

Diese verfluchte Hitze




Hinten im Schlafzimmer spielten zwei Degeneraten Galaxian, der Balkon war voll mit rauchenden Halbstarken, in der Küche wurde gesoffen und Flaschendrehen gespielt. Derjenige, der sich ekelte, nannte sich seit diesem Morgen Riki, denn als er auf dem Weg zur Schule aufs Geländer stieg, um sich von der Brücke zu schmeißen, da kam ein Mädchen auf ihn zu, und fragte, wer er sei, und was er zu tun gedenke. “Ich bin ein Nichts”, sagte er, aber das aufgeweckte Kind wusste eine bessere Antwort: “Du bist General Riki. Nur du weißt, wie man sie besiegt”. Und so stieg Riki aufs Fahrrad und fuhr weiter zur Schule, und an jenem Abend ging er zum ersten Mal zu einem Klassentreffen. Im Flur wurde er in ein Gespräch darüber verwickelt, was man denn im Leben wirklich will. Riki sagte es geradeheraus, und alle sahen ihn so an, als hätte er sie beleidigt, obwohl das, was er sagte, harmlos und kindlich war. Wie dem auch hatte gewesen geseint, er fuhr nach Hause, und schlief in der Nacht zum Freitag ganz gut.

Auf dem Schulweg sah Riki, wie die Polizei zwei Subpassionarier abführte, wahrscheinlich nach einem Drogenbeschaffungsdiebstahl der Sorte Peinlich. 18, bald 18, knallte Riki die ganze Mathestunde hindurch durch den Kopf, 18, und die Jugend vorbei, ohne eine gehabt zu haben. Ein Urlaub vom Leben, das wäre jetzt geil. Dass die Zeit stehen bleibt, und dann halt drei Wochen entspannen. Aber das Leben ging weiter, auf die dritte Stunde folgte die vierte. In Deutsch musste Riki eine Buchrezension präsentieren, die er mit den Worten abschloss: “Es ist freilich kein Wunder, dass das Machwerk unseres wenn auch gealterten so doch immer noch Zeitgenossen die Klasse von Spenglers Untergangsgemälde nicht erreicht, jedoch ist unbestritten, dass die Selbstabschaffung eines Kulturvolkes zutreffenderweise empirisch festgestellt wurde, wenngleich auf tiefgründige psychopolitische Analyse weitgehend verzichtet wurde und stattdessen banale und angreifbare Statistiken zu Demografie und Genetik...” Der Lehrer wollte den Satz nicht zu Ende hören. Was er nicht wusste, war, dass Riki nur so tat, als würde er vom Hausaufgabenheft ablesen. In Wirklichkeit rezensierte er den roten Bestseller life. Ach, endlich. Zwei Stunden Schwimmen.

Nächstes Jahr Abitur, Scheiße. Schulzeit vorbei, wie Haftstrafe abgesessen. Und nun diese verfluchte Hitzewelle, dieses abartige Scheusal eines scheußlichst beschissenen Wetters, diese idiotesk-affenpenisartige Unzivilisiertheit, diese zum Wetterrassismus einladende Stinkscheiße von Hochsommertemperatur, diese schwüle arschartige abnormale missgeborene kakerlakerale Krankheit, genannt 32 Grad. Ein Gewitter hoffentlich. Und dann vom Blitz getroffen werden, das wärs. Auf dem Weg zum Fahrrad kam der Deutschlehrer auf den müden schwitzenden Häftling zu und dankte ihm für sein Engagenment gegen Rassismus, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit, welches für Riki doch eine Selbstverständlichkeit war. Ja, in der 11. Klasse hatte er jedeste Menge Gutes getan, nur leider nichts Gutes erlebt. Und nein, schlechter bis mittelmäßiger Sex mit der da oder der da hätte nicht gezählt. Scheiße, was solls. Noch eine Woche Schule, dann in den Sommerferien auswanderungstauglich Englisch lernen. Von Deutschland hatte Riki genug.

Als es blitzte, stieg er auf sein Fahrrad und fuhr los, einfach dem Donner hinterher. Der Wind blätterte im zweiten Band des Untergangs des Abendlandes, der auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums lag. Ein Baum wurde getroffen und verfehlte den Radfahrer beim Fallen nur knapp. Es fing an zu regnen, Riki stellte das Fahrrad ab und ging in den Konsumtempel. Er wusste nicht wohin, also schritt er immer weiter nach oben, in die Schlafmöbel-Abteilung, wo er einen Nicki machte, bis der Laden schloss. Und wenn er mal Nicki machte, dann machte er meistens einen kräftigen Nicki. Er ging zum überdimensionalen Fenster und sah auf den leeren Parkplatz. Cool, dachte Riki, und versuchte, irgendwo eine Tasse schwarzen Tee aufzutreiben. Der Sücherheitsdienst war nicht anwesend, und auch sonst schien sich niemand im Gebäude aufzuhalten. Cool, dachte Riki, und fand in unmittelbarer Bälde einen Wasserkocher und eine Packung English Breakfast.

Riki duschte und suchte nach einer Schlafmöglichkeit. Auf einem Ehebett für früher 5999, jetzt und nur noch bis Dienstag für 3499, richtete er sich ein, und schlief in der Nacht zum Samstag ganz gut. Er träumte davon, wie zwei Degeneraten in seinem Schlafzimmer Galaxian spielten, lachte aber auf, als er sich erinnerte, dass er doch gar keine Nintendo-Konsole hatte, und der Traum somit luzide wurde. Cool, dachte Riki, und entführte in seinem luziden Traum eine Polizeikarre, mit der er Cruisin USA auf den Straßen seiner norddeutschen Mini-Großstadt spielte. Er wachte auf, und sah sich um nach einem passenden Frühstück. Gar nicht so schlecht, dachte er, eigentlich so, als wäre gerade Zombie-Pokalypse, und er hätte sich an einem geilen Ort verschanzt. Draußen war nichts. Keine Autos, auch keine Subpassionarier, die außerhalb der Geschäftszeiten den riesigen Parkplatz mit Skateboards zweckentfremdeten. Aber etwas schreckte ihn auf. Höre ich etwa Galaxian, dachte er und schaute nach. In der Spieleabteilung saß eine wunderschöne Mieze in einem riesigen Sessel und spielte Super Mario 64 auf Nintendo 64. “Setz dich”, sagte diese wahrscheinlich-so-um-die-18-jährige Maus von einer Mieze, “ich habe gerade angefangen”. Und so begann ein vielstündiger Walkthrough, während Riki entspannt danebenlag und nebenbei beobachtete, wie weder Degeneraten noch Subpassionarier, sondern das ultimative Endprodukt langsam den Parkplatz füllte.



6.2019

Samstag, 9. März 2019

Die Nacht vor Cannae





"Patrizier! Hier, wo der Primitivo gekeltert wird, werden wir morgen unsere Schlacht schlagen, zu Ruhm und Ehre von Rom! Dieser Schurke hat es geschafft, zwei unserer Armeen zu besiegen, und glaubt, er hätte eine große Zukunft vor sich! Doch wie Ray Bradbury zu sagen pflegte: wir verhindern die Zukunft! Wer ist überhaupt dieser Hannibal? Ich habe den Roman über Hannibal Lecter gelesen, ich habe die Serie mit Mads Mikkelsen gesehen, nicht schlecht. Aber ich sage euch, edle Römer: nicht schlecht wird uns nicht beeindrucken. Unsere Vorfahren stammen aus Troja, deren bloß aus Tyros. Troja ist nördlicher, das heißt nordischer, das heißt wir sind rassisch edler und sie sind im Grunde Afrikaner, oder, rassistisch korrekt, Neger! Mögen die Götter uns nein nicht zum Sieg führen, das schaffen wir schon selbst, aber mögen die Götter uns vom Olympus Mons zujubeln, wenn wir diese sozialdarwinistisch gesagt Untermenschen annihilieren. Ruhm und Ehre sei Rom".

"Danke, Paullus. Also. Hm, nun, nuja, also. Leute! Hey, hey, hey Ruhe, Ruhe... Leute! Soldaten! Männer! Gestern habt ihr noch gewichst, doch morgen werdet ihr ficken! Wir reißen diesen Pussies ihre pinken Pussies auf, yo, Nigga, wir machen sie Messer, was los, yo, Bitch! Wir sind die Niggaz von de fucking Rom, Alter, wir ficken eure Mutter..."

"Danke, danke, es reicht, Varro. Deine Männer haben dich verstanden. Ruht euch aus, sauft nicht zu viel, Smartphones ausschalten, und keine Videospiele. Wir werden zwar locker gewinnen, aber euren Schlaf braucht ihr trotzdem".  Die Sonne ging unter, die Rolex von Lucius Aemilius Paullus zeigte analog und digital auf demselben Tableau den Tageswechsel vom 1. auf den 2. August an. Er schrieb noch einen kurzen Brief an seine Frau: "Liebe Vanessa, in fünf Tagen werden wir uns wiedersehen. Ich hoffe, mir wird ein Triumph gewährt, und wir feiern ordentlich mit einem vortrefflichen Primitivo di Manduria aus dem Jahrgang minus 222. Bye bye und grüß die Kinder, dein Ehemann und Konsul."

2.2019

Sonntag, 3. März 2019

Die Krällchen der Maus




Aniki ging in die 10. Klasse einer edlen Schule, und war zusammen mit einem arroganten langhaarigen Mädchen Klassenbester. Nach den Herbstferien kam ein noch langhaarigeres Mädchen neu in die Klasse, nicht minder intelligent und abgehoben, nicht minder brünett. Seine Konkurrentin um die besten Noten nannte Aniki heimlich die Katze, und so war es nur konsequent, das neue, etwas kleinere Mädchen die Maus zu nennen. Ein kleines oder sogar großes wenig war Aniki in die Katze verknallt, und sie wusste zumindest die Hälfte eines Wenigstels davon. Da es sich um eine edle Schule handelte, waren die sozialen Interaktionen sehr diskret, ein Klassenpärchen gab es zum Beispiel gar nicht. Der Oktober ging vorüber und hinterließ mehr Kälte und gemütliches Novembergrau. Der zarte Jüngling kuschelte sich vor immer längeren Nächten in die liebliche kühle Decke, ein bestimmtes Mädchen meinend, die zarte Mädchenikin lieblichte sich entzart einer bestimmten Phantasie, die bestimmt auch Aniki hatte. Sie sprachen manchmal miteinander, und das Eis des Geheimnisvollen war fast reif zum Brechen, doch eines kühlen und diskreten Novembertages entfachte sich die Rivalität neu.

Ging es um die besten Noten im Halbjahr? Aniki kam jeden Morgen angespannter, gestresster, ließ sich nichts anmerken, sein schulterlanges schwarzes Haar saß wie immer perfekt. Aniki vermied schon immer Berührungen mit anderen in der Schule, doch gegen Mitte November vermied er auch Berührüngchen, und es dauerte nur eine weitere Woche, bis er auch jegliche Berührüngchelchen mied. Beim Kalt seiner Hände dachte er immer verzweifelter an das Kalt ganz bestimmter Hände, es fühlte sich trotz normaler Beheiztheit der Räume in der Schule jeden Tag kälter an. Das Eis der Luft konnte man fast knacken hören. Eisstarr war auch Anikis Hals in den Unterrichtsstunden, er traute sich in bestimmte Richtungen gar nicht mehr zu gucken. Er wusste auch nicht mehr, wohin mit dem Blick. Am letzten Novemberschultag, als erster Schnee gefallen war, saß Aniki am Fenster und die Katze am anderen Ende des Raumes an der Periodensystemwand. Aniki dachte, er könnte so tun, als würde er auf die Elemente gucken, und überlegte sich, der besseren Glaubwürdigkeit halber, ob er seine Gedanken nicht zunächst ganz einer bestimmten Eigenschaft der Elemente widmen sollte. Edelgase, dachte Aniki mit gut gespieltem Ernst, und schaute hoch zu Helium, dann etwas runter zu Neon.

Der Rest der Klasse befand sich geographisch zwischen Aniki und der Katze, beim Blick auf die schwereren Edelgase würde sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich die Blicke treffen. Ist das alles kindisch, ich bin immerhin fast 16, sprach sich das Mädchen innerlich den Mut zu, und warf blitzschnelle Blicke zu Aniki, ohne den Kopf zu drehen. Der Unterricht begann, die Maus packte ihre Sachen aus, und stellte fest, dass der Kugelschreiber sich in der Mitte auseinandergeschraubt hatte. Argon, dachte Aniki, und würdigte das Element eines entschlossenen Blickes. Ach, die Schneeflöckchen fallen, machte der Winter der Katze Mut, und sie drehte den Kopf nach links und sah zum Fenster. Langsam, fast in Zeitlupe schraubte die schüchterne Maus den Kugelschreiber zusammen, während Anikis Blick über Krypton zu Xenon glitt, und sich schließlich verfing. Aniki kannte den Flow-Zustand beim Lesen, beim Fahrradfahren, bei Geometrie und Algebra, aber so noch nicht beim Gucken. Sein Blick ruhte nun, fest aber zärtlich, behutsam aber entschlossen.

Als der Kugelschreiber nach sich endlos dehnenden Momenten am Ende nahezu gestoppter Zeit zusammengeschraubt war, hob Aniki den Blick nur ein ganzkleinwenig an, und traf den verträumten, sich festgeguckten Blick der Katze. Aniki versuchte, den Blick nicht allzu auffällig abrupt abzuwenden, doch wurde schon nach einer knappen Sekunde rot im Gesicht, was auch mit der Katze geschah. Das sonst so arrogante und unnahbare Mädchen wusste nicht, wohin mit dem Blick, und ausgerechnet in diesem Moment herrschte im Klassenraum nach einer misslungenen Wortmeldung eines nicht besonders klugen Strebers peinliche Stille. Die verletzlichverlegene Süßscham der Zwei an den gegenüberliegenden Enden des Klassenraums wäre von anderen unbemerkt geblieben, hätte nicht die Maus in der Mitte mit einem kurzen Verlegenheitslächeln genau dorthin geschaut, wovon sich äußerst ungern gerade zwei Blicke getrennt hatten. Zwei Herzen klopften wild, zwei Chemiebücher wurden energisch ergriffen, und zwei zitternde Arme streckten sich in die Luft, um den peinlichen Fehler des Strebers zu korrigieren.

2.2019

Dienstag, 26. Februar 2019

Der Brand




Jörg erzählte mir einmal von der folgenden Begebenheit im Büro des Unternehmens, für das er den Schaden nach einem Amoklauf schätzen sollte, und ja, die Begebenheit war der Amoklauf selbst. John war der CEO, ein höflicher, kultivierter, stets adrett gekleideter Mann mittleren Alters, oder, Euphemismen beiseite, Ende 40. Der Mitarbeiter Fritz war Mitte 30 und immer unzufriedener aufgrund mangelnden Respekts seitens der Unternehmensführung. Er trieb in seiner Freizeit Kampfsport, und das immer heftiger, und reagierte sich irgendwann nicht mehr bloß an Sparringspartnern und Sandsäcken ab.

Erst half er dem Skinhead Pedro, den Drogendealer Pablo schwer zu verprügeln, dann drangsalierte er Ausländer in seiner Nachbarschaft, und schließlich veranstaltete er eines Morgens eine Schlägerei in der Firma. Er war viel kräftiger und kampferfahrener als alle Kollegen, sie waren Fallobst für ihn. Nur der Boxer Vladimir war stark genug, doch Fritz versetzte ihm einen so starken Schlag, dass dieser sich erstmal lange davon erholen musste. Dem CEO reichte es, er rief Fritz zur Ordnung, doch der beleidigte Zukurzgekommene lachte nur und jagte weiter die Kollegen durch die Räume der Firma und schlug sie zusammen. John stellte Fritz im Flur, schlug ihm zweimal ins Gesicht, doch dieser war trotz blutender Nase nicht beeindruckrt, und scheuerte John erstmal eine. Dann machte er sich wieder an die Mitarbeiter ran, die wie hilflose Hühner durch die Korridore rannten und der Gewalt einfach nur entkommen wollten.

In der VIP-Lounge saß der Hauptaktionär der Firma, der dicke Sam, er warf John einen Baseballschläger zu, mit dem der Endvierziger auf den Amokläufer zurannte, doch den der Wütende mehrmals gekonnt abwehrte. Nun wurde John angesichts seiner Hilflosigkeit gegenüber dem Rowdy richtig zornig, nahm Anlauf, schlug Fritz mit voller Kraft, wo er ihn treffen konnte, warf ihn mit schweren Schlägen schließlich zu Boden, woran auch der wieder zu sich gekommene Boxer beteiligt war: seine Faustschläge waren weit wirkungsvoller als der Baseballschläger in der Hand des nicht mehr so jungen und kräftigen Kerls. Aber John ließ Fritz nun nicht wieder auf die Beine kommen, sondern prügelte weiter auf ihn ein, schlug ihm auf den Kopf, sodass mehrere Gehirnerschütterungen folgten, infolge derer Fritz seine Schulzeit in Hamburg aus dem Gedächtnis verlor, dann seine kurze Liebschaft in Pforzheim, und schließlich sogar seine Kindheit im elterlichen Haus in Dresden.

Fritz kam in die Klinik und musste für einige Zeit dort bleiben, beendete Jörg seinen Bericht, und ich sagte nur, ich hätte Verständnis für Johns harte Schläge zum Schluss der Gewaltorgie, denn angesichts seiner anfänglichen Hilflosigkeit und des bereits durch den Angreifer angerichteten Schadens war es durchaus nachvollziehbar, warum John mit voller Härte und durchaus barbarisch weiterschlug.

2.2019

Samstag, 16. Februar 2019

Die Komplizen





Elif traute ihren Ohren nicht, aber sie hörten richtig. Der junge Mann an der Bar lobte Trump und sogar Duterte, nannte ein Dutzend westlicher Regierungschefs Hurensöhne, jedes fünfte Wort aus seinem Mund war “Neger”, und seine Beispiele, um Kants kategorischen Imperativ zu veranschaulichen, waren extrem rassistisch. Als Elif an ihm und seinem Gesprächspartner vorbeiging, bemerkte er, dass ihm nichts an dieser jungen Frau gefiel außer ihrer Größe, sie sei nämlich so herrlich klein, wecke Beschützerinstinkte, und Mädchen müsste man beschützen, insbesondere vor ihren Familien. Elif verließ die Kneipe und lief nach Hause. Der blonde hochgewachsene verständnisvolle Traumtyp war nicht gekommen, also schrieb sie ihm die fünfte Email, in der sie ihn aufforderte, ein gemeinsames Foto von seiner Facebook-Seite zu entfernen.

Kaum geschlafen, ging es schon zum Mathetest in der elften Klasse eines Großstadtgymnasiums. Elif traute sich nach drei Tassen Kaffee endlich, den Vertrauenslehrer aufzusuchen, der ihr freundlich einen Kaffee anbot, und die Tatsache, dass sie schon drei hatte, als Zurückweisung empfand. Er sagte ihr vorweg: “Ich bewundere deine Kultur, Elif. Du darfst dir von den anderen nichts sagen lassen. Du bist die beste Schülerin in deiner Klasse. Wer auch immer Druck auf dich ausübt, dass du seit einiger Zeit ohne Kopftuch zur Schule kommst, du kannst mir ihre Namen aufschreiben, sie werden was erleben, das sage ich dir!” Elif wusste nicht, wie sie anfangen sollte, woraufhin er weiterredete: “Der Ben mag noch so cool tun und damit prahlen, dass er angeblich mit dir zusammen ist, nimm diesen Trottel einfach nicht ernst. Es wäre schade um Leonie, falls sie ´s glaubt. Du musst dich nicht gleich als lesbisch outen, aber besuch doch mal den LGBT-Schulverein, um ein Zeichen zu setzen. Vielleicht möchtest du lieber mit einer Frau darüber reden...”

Die Schulpsychologin gab Elif einen kurzfristigen Termin, und es sah fast schon wieder nach Hoffnung aus, als Elif den blonden hochgewachsenen Ben am nächsten Morgen auf dem Schulhof zur Rede stellen konnte. “Egal, was die anderen sagen, ich behalte das Foto mit dir auf meinem Account. Ich bin nicht rassistisch oder islamophob, das sollen alle auch ruhig sehen. Oder ist es dir peinlich, dass du auf dem Foto ein Kopftuch trägst?” Da klingelte es, und sie verstand ja schon, dass Ben lieber virtuesignallte, als ihre Sorgen ernst zu nehmen. Drei Stunden später saß Elif bei der Schulpsychologin im Zimmer und wusste nicht, wo sie anfangen sollte. “Wir sind ein offenes und tolerantes Gymnasium”, war die 60-jährige Frau stolz. Während sie sich und die Schule weiter beweihräucherte, merkte Elif, dass ihr der Atem stockte, und sie jetzt ein kein Wort mehr herausbekommen würde.

Am nächsten Morgen, das war ein Freitagmorgen, da weinte sie still in einer Ecke des Schulhofs. Um sich besser zu verstecken, hatte sie wieder das Kopftuch an. Der Lehrer für evangelische Religion lobte und ermutigte sie im Vorbeigehen, dass sie das Kopftuch trug. “Lass dich von denen nicht unterkriegen”, war seine freundliche Empfehlung. Nur hatte es auf jener Schule seit Jahren keinen rassistischen oder islamfeindlichen Vorfall gegeben. Nach der Schule ging das Mädchen nicht nach Hause, sondern in diese Bar; sie war so verzweifelt, dass sie hoffte, diesen Rassisten dort wiederzusehen, doch er war nicht da, und auf dem Heimweg wurde Elif in einen schicken Mercedes gezerrt und zu einem Waldstück außerhalb der Stadt gefahren. Da wartete schon ihr älterer Bruder Abdul neben einem frischen tief gegrabenen Erdloch. “Hure” rief er in seiner und ihrer Muttersprache und tötete seine Schwester mit einem Kopfschuss.


2.2019

Sonntag, 10. Februar 2019

Die Geburtstagsnacht




In einer Stunde werde ich 30, denkt Hiite, aber ich fühle mich wie 13, und nein, nicht so fröhlich und vital, sondern so am Anfang mit all den Lieblichialitäten. Das Studium ist längst geschafft, die Arbeit hat die Schule abgelöst, aber nur als Ort der Plackerei, nicht der Begegnung. Es ist 23:03 auf Hiites Uhr, er geht durch die schwach beleuchteten Gassen der Stadt und denkt über sein Leben nach. Über sein Unliebesleben, genauer gegast. Über sein Unliebessein, scharfzüngiger gegiftet. Die Laternen versprühen eine solche Trauer, dass sich die Bäume abzuwenden scheinen, während Hiite in den Park hineinspaziert. Die Menschen, denkt Hiite, kommen wegen Eitelkeiten, Kleinigkeiten miteinander nicht klar, und er selbst, mit seiner sozialen Kommunikationsstörung, kommt eigentlich nur mit Arschlöchern nicht klar, wird als Freund geschätzt, als aufrichtiger Mensch geachtet. Ein ordentlicher Typ, der Hiite. Manchmal beneidet er sich selbst um die Vernünftigkeit und Besonnenheit, die ja stets ein großer Segen war, denn er hat keine bereuenswerten Fehler gemacht, seine Seele ist leicht wie eine Feder. Aber er hat eben auch sonst nichts gemacht, nur gelernt und gearbeitet, nungut, hier und da zugehört, hüben und drüben geholfen. Der Park endet am Fluss, Hiite schaut wieder auf die Uhr: noch 40 Minuten, dann wird er 30. Nie, Quasch nie, immer, jeden Tag hat er sich so allein gefühlt. Wie einem Verdurstenden das Wasser fehlt ihm das lebenswichtige Geliebtizin, aber das gibt es nunmal nicht in der Apotheke zu kaufen.

Hiite spaziert am Fluss vorbei am Rande des Parks. Ganz selbstverständlich schlendern Menschen paarweise an ihm vorüber: gewöhnliche, schwule, lesbische. Hiite ist nichts besonderes, ein gewöhnlicher junger Mann. Nur überdurchschnittlich intelligent und ungewöhnlich still. Aber wozu auch Lärm machen, er ist doch keine hysterische Lusche. Hiite ist solide, ein korrekter Typ. Er hält Durststrecken aus, er kann mal länger leiden, ohne zu jammern. Er erzählt auch niemandem, wovon er niemandem erzählt. Ein Windstoß fühlt sich auf der Haut an wie ein Hauch nächtlicher Geliebtität, Hiite lächelt seit Langem wieder. Melancholisch bin ich nicht, denkt er, schon gar nicht depressiv, er würde seinen Gemütszustand am ehesten als iggeliebtifiziell beschreiben. Noch fünf Minuten. Über die Brücke, und dann nach Hause, schlafen. Morgen wird er nicht feiern. Einsamkeit erträgt man am besten allein. Auf der Brücke stellt er fest, dass er eigentlich überhaupt nicht selbstmordgefährdet ist, als er über das Geländer steigt. Aber die Sehnsucht sagt der Hoffnung, lass die Phantasie noch an, dreh sie voll auf, es will sich ja so sehr, dass etwas passiert, weiß aber selbst nicht, was. Hiite schließt die Augen und denkt an mädchenhändchenische Berührungen, an süßniedlichzartverspieltes Verlegenheitsgelächter, an die Miezen damals in der Elften und in der Zwölften, an den aus Schüchternheit verpassten Schulabschlussball, an sein Tunnelblickstudium, an  all die Momente, als jemand ruft: “Weg da, stören Sie mich nicht beim Springen!” Vier Stunden später hat Hiite den Herrn Mitte 40 überzeugt, keinen Suizid zu begehen, und begleitet den neuen Lebensmut fassenden Mann nach Hause. Erschöpft macht er die Tür seiner Wohnung auf, fällt auf seine Schlafcouch und erinnert sich im letzten wachen Moment, dass er 30 geworden ist.

2.2019