1. Die Entweihung
"Fucking bitch!" wiederholte die männliche Stimme im Gestöhn. Markus schüttelte ungläubig mit dem Kopf. "Das ist Johannes", so ich. "Wo hat er das fucking Video fucking her?" "Frag ihn fucking selber". "Wo hast du das fucking Video fucking her?" "Aufm fucking Schwarzmarkt gekauft". "Fucking bitch", schimpfte Markus, "motherfucking bitch".
Ach, fucking richtig, es sind zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre nachdem Peter Vater von einer Babyleiche geworden war. Er erhängte sich. Auch so ein Arschloch wie Peter hat Gefühle. Markus verliebte sich vor einem Jahr in Jennifer, 16. Ich war fucking skeptisch, aber er ließ sich nicht beirren. Sie war sehr kindlich, konnte niedlich gucken, hatte schulterlanges dunkles Haar, schöne Augen, einen kindlichen Mund - in den sie auf dem Video sich etwas reinschieben ließ, was Markus eigentlich vom täglichen Pissen gut kannte, nun aber deswegen kotzen musste. "Fuck", krie Markus, "von Roberts Schwester erwartet man sowas, aber doch nicht von Jennifer! Wie hätte ich das wissen können!" Johnannes - fucking Kopfschütteln. "Ganz objektiv Junge, sie ist schön, - denkst du, sie ist nur für dich schön?" Markus ließ sich von logischen Argumenten nicht beirren, sondern in Fassstärke volllaufen.
Sie kam am nächsten Tag in die Bar, in der wir Billiard spielten. Alle tranken, nur Markus nicht. Er überreichte ihr schweigend das fucking Video. "Ja, nun, es ist passiert", stammelte Jennifer, "aber ich bin immer noch Jungfrau". Markus, der nichts getrunken hatte, kotzte ihr in die Fresse. Nein, nicht absichtlich. Robert ging mit ihm zur Toilette, Johannes schlug vor, nach Draußen zu gehen. Natürlich ließen wir sie da stehen, was hatten wir mit ihr zu tun? Markus kam aus der Bar, Robert begleitete Jennifer nach Hause, er hatte ja reichlich Erfahrung mit seiner Schwester, was das Widerliche angeht. "Siehst du das Mädchen da?" fragte Johannes. "14" schätzte ich. "Was meinst du?" fragte er Markus. "2 Stecher". Johannes lachte: "4." Ich wunderte mich: "4? Bist du sicher?" "4", wiederholte Johannes. Er irrte sich noch nie, warum fucking diesmal. "Sie hat dich nicht betrogen", weise sprach Johannes, "für sie ist das kein motherfucking Betrug. Sie weiß gar nicht, wo das Problem ist, komm, was ist schon ein BJ?" Markus kotzte wieder, nun gegen eine Hauswand. "Sag nicht BJ, sonst kotzt er wieder", so ich.
Es ging Markus überhaupt nicht gut, er kollabierte. Wir brachten ihn fucking zum Notarzt. Um drei Uhr Nachts chillten wir - also die wir, die noch übrig blieben, Johannes und meine Neutralität, auf einem Spielplatz. "Nicht alle sind so", wiederholte ich den Glaubenssatz aus meiner Kindheit.
2. Der Endeffekt
"Fucking Markus! Wie geht´s, motherfucking!?" "Fucking gut, und dir fucking?" "Fucking auch fucking gut, fucking!" Johannes fragte mich: "Reden die immer so?" "Schon lange", nickte ich. Markus wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Wir gingen schwimmen, zum Fluss, nur Robert nicht. Er war jetzt mit Jennifer zusammen.
"Das Kind von damals, weißt du noch?" fragte mich Erik, der später dazukam. "Das Mädchen, das von seinem Vater an einen Päderasten vermietet werden sollte? Ja, ich erinner mich". "Ist jetzt Junkie. Der Onkel, ein korrekter Typ, hat mit seiner Frau das Sorgerecht übernommen, die Göre hat ihn fucking in die Geschlossene gebracht". "Wie denn das?" fragte Markus. "Wohl wie immer" sprach Johannes mit der tiefen Stimme, "erst guckte sie ihn niedlich an, bis er sie ins Herz schloss, und dann zerriss sie es von Innen". Erik wollte etwas sagen, aber schwieg. Ich verstand, was er nicht gesagt hat. Ich konnte es trotzdem nicht bereuen, damals die Cops gerufen zu haben, aber im Endeffekt hatte Erik Recht. Aber das wäre eiskalt und berechnend, alles vom Endeffekt her zu betrachten. Dann dürften wir ja keinen Cent mehr spenden, sondern müssten beim Verhungern noch helfen. "Der kleine Brasilianer, der wegen uns nicht verhungert ist", berichtete Erik, "gründete letztes Jahr, wie es aussieht, eine Gang. Fünf Leichen schon aufm Konto. Wäre er doch im Slum verreckt". Erik hatte als Schüler noch bei so einem Projekt... egal, Fehler sind da, damit man sie begeht. Ich sprang ins Wasser.
Robert kam, Markus ging, denn Robert kam nicht allein. Ein Lagerfeuer ward entzündet, als es dunkelte. Es wurde kalt. Jennifer kokettierte mit meiner Winterjacke - ich hatte noch nicht auf Sommer umgestellt - aber ich setzte mich weiter weg von ihr. Robert sprach das böse S-Wort aus. Johannes lachte gut. "Er mag sie einfach nicht, ist das ein Verbrechen? Ist das so tragisch? Ausgerechnet die, die von allen gemocht werden, fühlen sich diskriminiert, wenn sie einer mal nicht mag. Schon komisch", giftete Erik. Robert stand auf und ging, mit Jennifer, demostrativ. Erik wollte hinterher, aber ich hielt ihn auf: "Er ist kein Dummkopf, er weiß, was er tut"."Lieben tut er sie nicht, also ist alles gut", pflichtete Johannes bei.
Er war mal Messdiener, der Johannes. Nein, fucking, er wurde fucking nicht gefickt. Der Priester war ein korrekter Typ, lebte heimlich mit einer Tante zusammen. Den Kindern half er wo er konnte, so auch Anzeige gegen kinderfickende Eltern zu erstatten. Eine Klassenkameradin von Johannes wurde so aus ihrer Kindheitshölle befreit und fand Unterschlupf bei einem kinderlosen Paar. Peter kannte sie als Nadine, wenn ich mich noch erinnern kann. Ach ja, die Zeit und die Wunden, es gibt da überhaupt keinen Zusammenhang, wie das Leben lehrt. Mit der Ewigkeit schon.
3. Der Missbrauch
Da war ein Mann mit Ganzschädelglatze, ein Psychotherapeut, ein Arschloch. Er vertrieb den Schaukelpäderasten seinerzeit aus der Praxis, als dieser ihm erzählte, er sei von seiner Mutter sexuell missbraucht worden. Frauen tun so etwas nicht, so der Psychotherapeut. Johannes rief mich und Erik, wir lauschten dem Gespräch dieses Pissers und einer Frau um die 60. Warum wir es taten? Wahrscheinlich weil die Beiden den Päderasten auf dem Spielplatz beobachteten und über ihn stritten. Der Glatzkopf war außer sich, vergasen sollte man solche Leute, schimpfte er. "Wie geht fucking das?" kommentierte Erik. "Wiefuckingso?" äußerte Johannes sein Unverständnis. "Müsste der Typ nicht eher Verständnis für diese Wichser haben, er hat doch tagtäglich mit denen zu tun. Als Arzt!" "Tolle Theorie", lachte ich gut, "je besser man also jemanden kennt, umso mehr mag man ihn oder was? Fucking Bullshit, es ist eher andersrum". Johannes nickte - er wusste wovon ich sprach. Er hatte eine große Familie. Nun ging das Gespräch weiter, während der Päderast pinkelte. "Warum sitzt er nicht im Knast?" interessierte sich die Frau etwas rhetorisch. "Der verdammte Hurensohn! Kein schwerer Missbrauch - zum Kotzen! Ich wünschte, er hätte einmal einen schweren Missbrauch begangen, aber nein, so läuft er frei rum, so eine Missgeburt!" "Mäßigen Sie sich", so die Frau. "Was verstehen Sie schon? Frauen verstehen aber wirklich gar nichts, tut mir Leid, wenn ich das so sage, aber Frauen sollten die Klappe halten, wenn es um so Ernstes geht". Die Frau lachte natürlich, wir Zuhörer auch. "Ihr wisst, was ich denke", stellte Johannes fest. Erik war aber gewichtsproblembehaftet von Begriff. "Er würde selber gern Bum-Bum, ist aber zu feige", so Johannes. "Wissen Sie was, junger Mann", sprach die Dame zu ihrem jüngeren Kollegen: "als ich 11 war, hatte ich eine Geliebte. Sie war 21." "Mit zunehmendem Alter und Abstand wird man zynisch", begann der Glatzkopf. "Aber nein", unterbrach sie ihn, "ich habe es damals gar nicht als Missbrauch empfunden. Es war sehr schön, ich erinnere mich immer wieder gern daran, an den ganzen Sommer. Sie fragen sich jetzt, was mit mir nicht stimmt. Mit mir stimmt alles. Mit ihr aber stimmte etwas nicht, und ich glaube, Sie wissen ganz genau, was mit ihr nicht stimmte". Johannes lächelte. "Sie war wunderschön", flüsterte er ihr nach.
Der Glatzkopf ging irgendwann zum Spielplatz und packte seinen früheren Fast-Patienten am Kragen. Peinlich nur, dass er ihn mit jemandem verwechselte - der Jemand war der Vater der beiden Kinder, die dort spielten. Der kranke Wichser war gerade Dope besorgen, kam bald wieder, und sah, wie der Psychotherapeut hasserfüllt auf den Mann einredete. Er half dem Mann, den Arzt zu überwältigen und die Polizei zu rufen. Beleidigung. Geldstrafe. Herrlich. Der guter Vater und der böse Mann rauchten gemeinsam auf dem Spielplatz, wurden Freunde. Der Päderast war seit dem Vorfall, den ich damals meldete und Erik damit die gute Laune nahm, trocken, oder wie es auch immer bei denen heißt.
"Scheiße", stellte Johannes fest. "Eine hübsche zierliche Studentin sittete mich Baby, als ich 10 war. Ich wollte was von ihr, wusste damals nur nicht, was. Heute sage ich Sex dazu". "Motherfucking Muttertag heute", erinnerte sich Erik. "Du hast ja ein wahrhaft fucking kalendarisches Gedächtnis", lobte ich ihn, "aber heute ist leider Himmelfahrt". "Also Vatertag", beunrichtigte mich Erik. "Fucking Blasphemie", schüttelte Johannes mit dem Kopf, "Himmelfahrt ist Himmelfahrt, nix fucking Vatertag". "So wie Unschuld Unschuld ist und Sex Sex?" witzte Erik. "Du hast ja die Frau gehört", lächelte Johannes, "Beides schließt sich nicht fucking zwingend aus - und der Schlüssel fängt mit einem Sch an".
4. Der Feinstaub
"Schönheitsrassisten wir", urteilte Johannes. Wir lagen auf der Wiese, es schien die Sonne. Erik beobachtete seit nun fast einer Stunde eine Lolita, die etwa 30 Meter von uns mit anderen Mädchen Ball spielte. "Ist Erik jetzt pädophil, weil er guckt?" fragte Johannes in die Luft. "Wo soll er denn fucking hingucken? Ringsum ist nichts als bauchfreies Fett", sagte ich angewidert. "Er guckt, wo am Schönsten ist?" lachte Johannes fragend. "Tu ich immer", sagte ich mit fester Stimme, "bin kein fucking Masochist".
Die Sonne versteckte sich, wahrscheinlich hinter Feinstaub, oder wie heißt es, Vulkanasche. Jemand hielt mir die Augen zu, es fühlte sich sehr zart an. Dreimal musste Erik nicht raten, wer das war. Er platzte förmlich vor Eifersucht, während ich da lag und alle weiblichen Namen die ich kannte laut der Reihe nach durchging, bis das Mädchen müde war, mir die Augen zuzuhalten. "Hallo Kersey", sagte sie zu mir. Ich verstand nichts, aber gut, dass Robert hinzu kam. "Death Wish", so Robert. Jetzt verstand ich es. Das Mädchen hatte mich wohl vor einigen Tagen bei Zivilcourage beobachtet. Zivilcourage ist hierzulande ein fucking schlimmeres Verbrechen als Kindesmissbrauch, also stritt ich alles ab. Erik war neidisch, ging Zigaretten kaufen, um nicht endgültig zu platzen. Das Mädchen, vielleicht 12, flirtete unbeirrt, sagte, in ihrer Schule sprächen sie über mich. "Es tut mir Leid, Kind, du verwechselst mich mit Jemandem", sagte ich und ging. Johannes hinterher.
Am späten Abend strahlte Robert wie ein Isotop. Als "bester Freund von Kersey" hatte er sich ausgegeben, stundenlang mit Eriks Lolita geflirtet. Mit Jennifer war jetzt Schluss. "Ich bin in die Kleine verknallt", sagte Robert, und es war ihm Ernst. Markus kam. Sein kleiner Neffe war in derselben Klasse wie das Mädchen, und so stellte ich mit Erleichterung fest, dass der Held dieser Kinder eine Transformation bis zur Unkenntlichkeit erfahren hatte. Er war größer, das Haar heller, modisch - und nicht so wie ich - angezogen, hatte ein supercooles Handy, das ihm stets aus der Hosentasche angeberisch heraushing. Wunderbar also. Ich beschützte zwei kleine Jungen und ein Dopedealer wurde dafür bestraft. Eine Ironie der Gerechtigkeit: der Dealer verkaufte Dope hauptsächlich an Kinder. Die Polizei hatte also ihren Zivilcouragetäter und Kersey lief immer noch frei rum.
Am Freitagabend war eine fucking Party los. Bei Robert, wie so oft. Erik kam, weil er hoffte, seine Lolita zu sehen. Das Mädchen kam, weil sie hoffte, ihren Kersey zu sehen. Sie fand und fing mich, kitzelte mich solange bis ich es zugab. Robert betrank sich und landete mit Jennifer im Bett. Markus und ich spielten mit Eriks Lolita und dem kleinen Neffen von Markus Super Mario 64, nur wir nüchtern, sonst fucking alle besoffen. Als das Mädchen ging, flüsterte ihre zarte Stimme mir ins Ohr: "Danke, dass du meinen Bruder beschützt hast". Erik kam irgendwann zu mir und fragte mich aus über meine Gefühle für dieses Mädchen. Hand aufs erloschene Herz - es gab keine. Ich empfand seit Jahren nichts für niemanden. "Aber du findest sie süß!" wütete Erik. "Da gibt es nichts zu finden, sie ist süß", sprach ich und went home.
5. Der Beobachter
Ein neutraler Beobachter achtet, wie ich sah, nicht neutral beob. Es gibt ihn auch wirklich, er verändert, was er beobachtet, er ist nunmal da. All die Zeit gelang es mir so zu tun, als wäre ich fucking nicht da, bloss Subjekt, aber kein Objekt. Alle waren mit allen zusammen, Beziehungen, Freundin, Schluss, - ich war nur da, aber ich war nicht, denn ich war nichts, keiner, und nun war ich einer - einer, auf den Erik eifersüchtig war, einer, der Robert seine "Freundin" "ausspannte" - ohne Anführungszeichen ist solch Absurdes nicht zu denken.
Einer, der ist, nicht nur da ist, unterliegt der Inquisition. "Du magst sie, oder?" "Das neulich Abend hat dir doch gefallen!" "Gibt doch zu, dass die Kleine dir gefällt!" All den fucking Scheiß musste ich nun erhören. Es gab Minimalsympathie meinerseits, meine Sinne sind ja nicht völlig taub, doch je mehr ich das Minimale eingestand, umso bohrender wurden die Aufblasfragen, die das Minimale zum Zeppelin aufpumpten. Ich machte das Spiel irgendwann nicht mehr mit, und so blieb nur Johannes an meiner sogenannten Seite. Denn das "Was hast du denen getan?", "Wie schwer hast du sie verletzt?", "Hast du vielleicht zu brutal zugeschlagen?" aus Markus gehörendem verbalen Genitalbereich wurde für mich auch zu belastend, um nicht zu sagen, belästigend. Ich kann nunmal nicht nichts tun. Aber den Fehler, mich fürs Nichtnichtstun zu rechtfertigen, mache ich nie wieder. Natürlich hätte ich die Messerstecher erst warnen müssen, dass ich mir ein Rohr ausgeguckt habe, und dass ich die beiden Achtjährigen auf der Bushaltestelle nicht mit der Kraft meiner Zunge beschützen würde. Und warum habe ich die überhaupt beschützt? War ich etwa scharf auf sie? - Die Inquisition kriecht, wenn du es zulässt, mit der Zeit auch in deinen Kopf; aus Sprechzensur wird Denkzensur, aus Terror Selbstterror. Das wusste auch Johannes, denn nicht umsonst ist ein Evangelium nach ihm benannt. "Erst beichtete ich bis zum fucking Exzess, dann ließ ich alle möglichen Leute auf meinen verfickten fucking Fehlern penibelst rumreiten, dann scheiterte ich mich selbst zu einem Haufen", berichtete er von seiner späten Pubertät. "Glaubst du immer noch?" fragte ich indiskret. "Aber natürlich", antwortete er mit fester Stimme, "was kann Gott denn dafür, dass wir wie die fucking Motherfucker durchdrehen?"
Wenn ich etwas hasse, dann Beziehungen. Wir liefen uns ja ständig über den Weg, das Mädchen und ich. Sie wohnte um die Ecke, wollte immer spielen, ihr kleiner Bruder auch, - welch ein Fluch, zuhören zu können und Kinder ernst zu nehmen. Ich sah mich nach einer Stadt um, in der mich mit zufriedenstellender Wahrscheinlichkeit keiner kennen würde, und dort würde ich sicherlich nicht wieder Zivilcourage begehen, ich hätte sonst wieder die Polizei und neue Bekanntschaften am Hals. Aber was taugen schon gute Vorsätze, wenn dich diese großen Augen ansehen und dir die Wehrlosigkeit dieses sich dir gewaltsam sympathisch machenden Wesens physisch Weh tut?
6. Das Altern
Das Zeitalter ist nicht verrückt, das Zeitalter ist verreckt. Wir altern nur noch. Früher, da haben wir neben dem fucking Altern so fucking nebenbei noch was Anderes getan. Vor 10 Jahren sollte eine Klassenfahrt sein, die Bedingung war - alle fahren oder keiner. Warum die Bedingung pädagogisch sinnvoll war, weiß ich nicht. Ich wollte Englisch lernen, es war fucking Ende des Schuljahrs und wir sind im Buch nur bis zur Hälfte gekommen. Home geschoolt, wäre ich wesentlich weiter gewesen, aber home wird in Germany nunmal nicht geschoolt, - Apathie bis zur Depression ist fucking Pflicht. Nun, wer mir die Lust am Lernen gründlich austreibt, sollte doch in der Lage sein, mir den Stoff mit Gewalt durchzupauken. Sollte - nein, keiner fühlte sich fucking verantwortlich, und so sprachen wir jede fucking Englischstunde nur noch über die fucking Klassenfahrt. Natürlich erwarteten alle, ich würde yiehen, schließlich wurde ich ja nicht diskriminiert - vielen Dank auch, denn normal wäre ja gewesen, mich warum eigentlich zu diskriminieren, aber ich problematisierte den Lernrückstand und wollte wissen, ob Nachholunterricht geplant war. Es kam eine zehnminütige Jammerpredigt, wie schwer es die Lehrer hätten. Dann war Pause.
Die zweite Klassenfahrtbesprechungsenglischstunde verpasste ich, die zwei Stunden Mathematik vorher fielen aus, und an diesem Tag hatte ich nur noch Kunst. Ich blieb zu Hause. Am späten Nachmittag fuhr ich fucking Radfahren. Ich hätte die Zeit vor dem Radfahren auch fucking in der Schule absitzen können, aber ich verhielt mich pädagogischer zu mir selbst, in dem ich zu Hause blieb. Von Selbst fiel mir so gegen 11 Uhr das Englischbuch in die Hand und ich lernte neue Redewendungen und schrieb eine Kurzgeschichte, um das Gelernte, umrahmt von einem malerischen Massaker, zu zelebrieren.
Ich merkte, das jemand falsch spielte. Dieser jemand waren alle, wie ich dann merkte. Als ich nicht da war, sprachen sie die Strategie an, mit der ich überredet werden sollte. Erst Schmeicheleien, dann Vorwürfe, dann Drohungen. Ich ließ sie wie Idioten aussehen. Ich könnte auch zum Schuldirektor gehen und mich von ihm aufklären lassen, ob eine Klassenfahrt verpflichtend sei oder nicht. Entrüstete hilflose Wut in Gesichtern, es klingelte, ich ging in den Laden gegenüber der Schule, kaufte eine Flasche Wasser. Da warteten schon zwei aus meiner Klasse, meinten, sie seien meine Freunde. "Ich habe keine Freunde", sagte ich, "nicht hier". Nach Schulschluss kam die Klassensprecherin auf mich zu, nun war ich nicht mehr Luft für sie, was war ich denn, Nebel? Rauch? Ihr Gerede war fair, ich antwortete freundlich. Man müsse mich überzeugen, nicht überreden, so ich. Hättest du denn Lust, für eine Woche als Außenseiterin weiß der Teufel wohin zu fahren? Sie lachte, nicht über den Außenseiter, über das Wort, sie meinte, Außenseiterinnen gäbe es nicht, es gäbe nur Außenseiter. Wie auch fucking immer.
Ich spielte nun mit offenen Karten, denn es war die vierte missbrauchte Englischstunde in Folge. Ich ermahnte den Lehrer, nun endlich seinem Beruf nachzugehen, und wir würden uns schon einig werden, keine Sorge. Für fünf Minuten war tatfuckingsächlich Unterricht, dann erzählte er von einer Klassenfahrt vor zwei Jahren. Nun herrschte Stimmung. In der Pause ließ ich nicht nach mir suchen, ich ging dorthin, wo sie sich trafen, die - wenn du Außenseiter bist, die dann fucking Andersrumseiter, also Andersseiter als Außenseiter. "Das Mädchen", sagte ich fordernd. Die Blicke waren fragend: "Welches Mädchen?" "Ihr wisst, welches Mädchen.". "Sie ist doch in der anderen Klasse", stellte der Generalsekretär der Klicke verdutzt fest. "Der Spaßvogel nimmt seinen Sohn mit, und der ist auf der anderen Schule", meinte ich den Lehrer. "Nun ja, wir könnten mit ihr reden, vielleicht fährt sie ja..." "Es reicht mir nicht, dass sie fährt", bremste ich die Euphorie. "Was willst du denn?" "Einen Grund, um mitzufahren, nicht mehr. Aber weniger als ein Grund wäre auch schade, oder? Es gibt nunmal keinen halben Grund". "Aber...", meinte ein blonder Streber, den man nicht ausreden ließ. "Gut... gut...", stammelte der sozial priviligierteste Typ der Klasse. Ein anderer Streber fiel ihm ins Wort: "Komm schon, Mann, du hast doch keine Chance bei ihr!" "Warum eigentlich nicht?" stellte ich mich dumm. "Nun ja, wir kennen uns schon alle seit dem Kindergarten, und sie ist seit der Grundschule mit Marcel zusammen". "Keine Chance also?" fragte ich pädagogischerweise nach. Freundliches Kopfschütteln. "Keine Chance?" "Keine Chance". "Ihr seit doch Menschen, oder? Ich meine, Empathie und so. Ihr werdet die ganze Zeit Spaß haben. Ich werde irgendwo in der Ecke sitzen, oder unterm Baum, oder allein am Strand. Was wird mir da wohl durch den Kopf gehen, während die Sonne auf- und untergeht?" Sie guckten mich an, zwei-drei Münder waren offen. Peinliche Stille. "Keine Chance", lächelte ich. "Keine Chance", wiederholten drei-vier Zungen wie fremdgesteuert. "Keine Chance", lachte ich. Es klingelte.
In der Biostunde wurde die Klassenfahrt wieder zum Thema. Der weibliche Teil der Klasse bildete eine geschlossene "Du bist ein Egoist"-Fraktion. Ich klopfte Sprüche, nahm kein "Argument" ernst, für mich war die Sache erledigt. "Was heißt eigentlich Egoist", so der Vorstandsvorsitzende der Klicke. "Dass jemand seine Ruhe haben will?" Ein lautes "Hä?" wurde tätlich beantwortet, als das Mädchen kam und Marcel abholte. "Ist er in die verknallt oder was?" meinte ein großer schmieriger Macho verwundert. "Was meinst du, was Außenseiter sind? Monster oder was? Meinst du, der hat keine Gefühle, nur weil er ein stranger Freak ist?"
Niemand fuhr irgendwohin. Manche bewunderten meine Kompromisslosigkeit - was sich äußerlich als Hass ausdrückte - , andere waren neidisch, dass ich so lange im Mittelpunkt gestanden habe. Mir war kalt noch warm, das Mädchen welkte bei Marcel vor sich hin, und war im Herbst kein Thema mehr; die gräßliche Kurzhaarfrisur war nur konsequent.
7. Die Scheiße
"Perverse Scheiße", sagte ich fassungsvoll. "Verfluchte, verckackte Scheiße!" wütete Johannes, "Denk dir irgendeine Schweinerei aus, und es gibt keine, die es auf dieser gottverdammten Kegel nicht gibt. Denk dir was Gutes aus, irgendwas, und du stellst fest, dass, sobald du es etwas genauer betrachtest, das Gute daran dorthin zurückweicht, von wo es in die Sache reinkam - in deine Phantasie!" "Worüber redet ihr?" interessierte sich eine kurzhaarige junge Frau. "Über Massenvergewaltigung im Krieg". "So ein Kastrat meinte, vielleicht reiße ich die Scheiße aus ihrem verfickten Zusammenhang, von Wegen Niederlage der Männer als Geschlecht. Da bist du erstmal für n Paar beschissene Sekunden im Trailer eines falschen Films..." "Wieso? Im Grunde stimmt das doch", meinte die kurzhaarige Frau. Ich sah mir den Fahrplan an - bald kommt mein Zug. Endlich hier wegziehen. "Ich würde nie im Leben so etwas tun. Erwische ich einen dabei, ist er tot", murmelte Johannes. "Das sagst du jetzt so. Alle Männer sagen das. Aber glaub mir - du würdest das tun, wenn du in der Situation wärst". "Warum bist du dir so sicher? Weißt du überhaupt, was du da redest? Du sagst, ohne mich zu kennen, ich wäre ein verfickter Vergewaltiger..." "So ist das nunmal", meinte sie und zündete sich eine an.
"Ein Freund von mir war vier Jahre lang in eine BWL-Studentin verknallt, sie war intelligent, sympathisch usw. - und mit einem anderen Typen zusammen", dachte ich mir aus, "bis mein Kumpel groß im Lotto gewann. Nun wurden seine Gefühle erhört. Drei Wochen lang durfte sie sein Geld verprassen, und als keins mehr da war, war Schluss". "Ja, es gibt Nutten", meinte die Kurzhaarige. "Alle Frauen sind so", lächelte Johannes. "Du bist Sexist!" drohte sie ihm, wer weiß, womit. "Ich lasse mich nicht wegen ein Paar Schlampen, die es nunmal gibt, als Nutte bezeichnen!" "Das sagst du jetzt so", so Johannes. Sie schimpfte und ging weg, kam dann wieder. "Entschuldige", meinte sie zu Johannes, "ich hab in Ruhe nachgedacht... Weißt du, ich höre mir mein ganzes Leben lang diesen Schwachsinn an, von Wegen Männer sind Schweine, und alle sind gleich, und wollen alle das Eine, und wir armen Frauen. Mein Gott, mir ist richtig peinlich, wo ich jetzt darüber nachdenke..." "Schon gut. Wer denkt, ist mein Freund", scherzte Johannes. "Aber lass dich nicht ins andere Extrem treiben. Nicht dass du jetzt denkst, die Frauen wären die Bösen". Sie schwieg. "Na ja, die Frauen, die mir das Hirn gewaschen haben, irgendwie schon. Damals in der Schule habe ich aus männerfeindlicher Verbohrtheit vier Typen abblitzen lassen, dabei mochte ich ja jeden von denen seinerzeit. Und was haben die falsch gemacht? Gar nichts. Alles. Die konnten es nur falsch machen, egal was sie zu mir sagten, wie sie drauf waren, Macho, Softie, alles Tricks, um mich ins Bett zu kriegen, dachte ich...", sprach sie und bliebt verdutzt stehen. "Warte... Du bist doch... Bist du Johannes?" Johannes yiehte. Er war der erste von diesen vier Typen, damals in der Neunten. Ob die Beiden nun Freunde wurden, geht mich nichts an.
8. Der Nazi
Und los fuhr der Zug. Im Fahrgastfernsehen zeilte ein Kurzbericht über erneute Misshandlungsfälle an Schulen. Meine Augen fielen zu. Weder habe noch wurde ich in der Schule misshandelt. Ich wurde als Außenseiter respektiert, und mehr beneidet, als mir an Verachtung zuteil wurde, und mir wurde immens daran zuteil. Jan wurde misshandelt. Nein, er war kein Außenseiter, er gehörte dazu - als Opfer. Ihm wurden perverse Streiche gespielt, er wurde nachgeäfft wegen seines unbeholfenen Auftretens, die Mädchen lachten ihn aus. Jan spielte Fussball in einem Dorfclub, in dem viele Neonazis zu Hause waren. Das wusste man, und Jan musste oft Sprüche hören wie "Geh doch zu den Nazis!", "Lass dir deinen Mädchenzopf abschneiden und geh NPD wählen!", "Heil Kittler!" - Kittler war sein Nachname. Nun, Jan versuchte immer wieder, sich aus seiner Lage zu befreien, und seine Mitschüler taten oft so, als würden sie ihm eine Chance geben, in der Klickenhackordnung aufzusteigen, um ihn im lustigen Moment wie ein Stück Kuhmist auf den Boden fladen zu lassen. Er befreundete sich mit einen jungen Skinhead, einem durchaus intelligenten Wichser aus seinem Dorfclub. Der Typ hatte Geschichte-LK am anderen Gymnasium, las revisionistische Literatur, engagierte sich politisch in der NPD, wobei 80% seines rechtsradikalen Engagements nichts Anderes war, als Gemeinnützigkeit im braunen Gewand.
Aber Nazis! Nein, nicht mit Nazis! Jan versuchte es immer wieder in der Schulklicke, und sein Glück spielte mit ihm wie die jüngere Schwester des Tigers mit dem kleinen Bruder der Ratte. Er versuchte seinen Selbstmord, scheiterte, verbrachte die Sommerferien mit dem erwähnten Skinhead aufm Dorf, kam strahlend ins neue Schuljahr. Man merkte ihm an, dass es nach Rechts gerückt war, aber er war glücklich. Eines Tages wurde sein Tagebuch gestohlen, fotokopiert und verteilt, und die Einträge im Mai-Juni, kurz vor den Sommerferien, wühlten für kurze Zeit die Gemüter der ganzen Schule auf. Jan war dabei, eine "Abrechnung" zu planen. Von einem "Scheiß Glatzkopf" war die Schreibe, der sich konsequent weigerte, ihm Waffen zu besorgen. So hilflos wie Jan war, konnte er sich nirgendwo sonst vorstellen, bezüglich der Tötungsmittel anzufragen. Nun, Unwissenheit schützt nicht immer vor Erfolgen. Der Eintrag vom 10. Juni wurde mit "Endlich!!!" betitelt und handelte von südländischen Jugendlichen, bei denen Jan mehrere Pistolen und ein Gewehr für 1000 Euro erworben hatte, - sie hatten ihn an einer Bushaltestelle unverbindlich angesprochen. Die Waffen hatte er, den Hass auch, aber Amok lief er irgendwie nicht. Ab dem 13. Juni gab es keine Einträge mehr, und der Eintrag vom 1. August zelebrierte den selbst errichteten Schießstand auf einem Bauernhof - Jan wurde stolzer Dritter bei einem Schützenwettbewerb der Kahlköpfe.
Es war Mitte August, als sich die Gemüter beruhigten. "Nochmal gut gegangen, was?" sprach mich jemand in der Raucherecke aus Langeweile an. "Er hätte mich eh nicht erwischt", schertze ich. "Herrliche Woche. Wir haben die ganze Zeit über den Beinahe-Amoklauf geredet. Kein Unterricht. Herrlich", postulierte der Typ. "Habt ihr auch darüber gesprochen, wer den Amoklauf letztlich verhindert hat?" sprach ich und ging pissen.
2010