Donnerstag, 5. November 2020

Die Gatekeeper

 

 

 

 

Es war einmal ein sehr durstiger Mann, der ohne eigenes Verschulden keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hatte. Es gab einen Brunnen mit weitundbreitem Wassermonopol, doch die Politik der Brunnengesellschaft war "Kein Wasser an Durstige!" Das wunderte den Mann, zumal die Brunnengesellschaft sich für einen Club besserer Menschen hielt, und sich selbst Empathie und Mitgefühl mit jeder Art von Benachteiligten besonders hoch anrechnete. Doch diese guten Menschen wollten dem durstigen Mann kein Wasser geben, es sei denn, er würde für ein Glas 1000 Euro bezahlen, doch so viel bezahlen wollte er nicht, da er morgen wieder durstig sein würde und bei diesen Preisen schnell bankrott wäre.

Ein bärtiger Typ aus der Gemeinschaft der Roten Pille lehrte den durstigen Mann, dass er nicht durstig wirken durfte, um an das Wasser des Brunnens zu kommen: "Du musst so tun, als hättest du keinen Durst. Ansonsten wirkst du bedürftig, und die Gatekeeper rümpfen sich ihre feinen Nasen. Tu so, als wäre dir das Wasser egal". Der durstige Mann ging zum Brunnen und tat so, als wäre er gar nicht durstig, doch die Gatekeeper erkannten sofort an seiner Körpersprache, genauer gesagt, an seiner Krankheitssymptomatik, dass er immer noch an Durst litt, und lachten ihn nur aus.

Doch eines Tages fand der durstige Mann auf einem Berg einen Gletscher, aus dessen Schnee und Eis sich prächtiges Trinkwasser gewinnen ließ. Er kam endlich zu Kräften und baute sich im Wald am Berghang eine solide Hütte. Nun wurde er von der Brunnengesellschaft aufgesucht. Sie boten ihm eine Zisterne Wasser umsonst an, doch er lehnte mit einem verachtungsvollen Blick das Angebot ab. Da fingen sie an, ihm Schuldgefühle einzureden: "Du hast unseren Brunnen im Stich gelassen! Was, wenn Räuber kommen, wer schützt uns und unseren Brunnen?" Und sie boten ihm wieder Wasser an, so viel wie er trinken konnte und für immer. Doch der Mann wollte nur seine Ruhe haben und schickte die Gäste fort.