Donnerstag, 15. Dezember 2022

Begierde und Begehren

 

 

 

 

Das Tor der Akademie wurde einer Nacht mit der Graffiti-Aufschrift "SEX" dekoriert. Beim Entfernen des Vandalismus-Schadens fragte ein Schüler den Meister: "Begehrst du wirklich keinen Sex?" Der Meister verneinte, womit er die Aussage bejahte. "Aber du hast doch Begierde?" "Durchaus", sagte Zhuang Jack.

Der Meister erklärte: "Es geht darum, ob du dich mit der Begierde identifizierst. Wenn du nachts aufstehst und Heißhunger hast, ist es dann dein Wille, zu essen?" Der Schüler verneinte. "Und so muss auch die sexuelle Begierde nicht zu einem willentlichen Begehren nach Sex werden".

Der Meister erklärte tiefer: "Alle Lebewesen empfinden Lust und Schmerz. Aber haben deshalb alle Menschen die Maxime, nach Lust zu streben, und Schmerz zu vermeinden?" "Nein, Menschen können für sich eine andere Maxime aufstellen!" hatte ein Schüler seinen Kant gelesen. "Aber befreit diese Willensentscheidung sie vom Empfinden von Lust und Schmerz?" "Natürlich nicht", wusste der Schüler.

Psychologie als Innenpolitik

 

 

 

 

"Als höherer Mensch lüge ich jeden Tag", sprach der Meister. "Und wen belügst du?" fragte ein erstaunter Schüler. "Mein niederes Selbst, das aus Körper und Psyche besteht. Ich habe nicht immer die Energie, über mein tellurisches Selbst, Körper und Psyche, wie ein Diktator mit Gewalt zu herrschen. Darum muss ich wie ein lügender Politiker der Arbeiterklasse versprechen, was ich nicht halten kann. Ein Ochse bewegt sich nicht aus reiner Pflicht oder aus Romantik. Ein Ochse braucht konkrete empirische Belohnungsperspektiven".

"Als höherer Mensch betrüge ich jeden Tag", sprach Zhuang Jack. "Wen?" fragte ein entsetzter Schüler. "Mein empirisches Ich, meine Seele. Mein lunares Selbst würde ohne die Perspektive einer romantischen Liebe im Diesseits depressiv und suizidal werden. Will ich heiter und produktiv bleiben, muss auch der Mittelstand meines Selbst funktionieren. Die Seele könnte ich, selbst wenn ich wollte, nicht mit Gewalt zwingen".