Evilius Bösmann hatte eine furchtbare Tat
begangen, doch vor Gericht konnte er nur gewinnen: er wollte die
Todesstrafe, um sich nicht selbst umbringen zu müssen. Evilius war seit
er denken konnte depressiv und lebensmüde. Solange ihn seine
Kinderängste am Freitod hinderten, musste er weiter leben, durfte nicht
selbstbestimmt sterben. Am ersten Verhandlungstag war Evilius Bösmann
froh gestimmt, er sang auf dem Weg zum Gericht, präsentierte sich stolz
den Journalisten, beantwortete ihre Fragen geduldig und freundlich, auch
die als Fragen getarnten Beschimpfungen und Beleidigungen.
Die Richterin ließ den Staatsanwalt Evilius Bösmann anklagen, und seine
Anklage hörte nicht auf. Er warf dem Angeklagten zuerst dessen Tat vor,
dann aber sämtliche Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Evilius
Bösmann durfte nicht antworten, und sein Verteidiger saß nur
teilnahmslos da und spielte auf seinem Laptop rum. Dann ergriff die
Richterin das Wort. Sie wurde laut und warf Evilius Bösmann hohle
Phrasen an den Kopf, die stets Wörter wie "immer", "nie" und "jedesmal"
enthielten. Die Richterin sprach bis tief in die Nacht, ihre Tirade war
gänzlich ohne Struktur und ohne jeden Sinn, sie wiederholte ständig nur
das bereits Gesagte in anders formulierten Sätzen. Als sie zu reden
aufhörte, schickte sie alle Anwesenden zum Schlafen nach Hause.
Am nächsten Tag war Evilius Bösmann nicht mehr gesprächsfreudig, und
sagte den Journalisten nichts, - vielmehr ging er mit einem Tunnelblick
ins Gerichtsgebäude, um seine in der schlaflosen Nacht vorbereitete
Erwiderung endlich vorzutragen. Als die Richterin die Verhandlung
eröffnete, sprach sie von ihrem Hund und vom Wetter. Evilius Bösmann kam
nicht mehr zu Wort, aber es wurde auch mit keinem Wort an seine Tat und
an die gestrige Gerichtsverhandlung erinnert. Der Staatsanwalt
bemängelte die Verschleißerscheinungen an seinem Auto, und deutete in
einer halbstündigen monotonen Rede an, dass er eigentlich einen neuen
Wagen bräuchte. Es wurde im Gerichtssaal gegessen, dann gab es Kaffee
und Kuchen. Am Abend durfte Evilius Bösmann, müde vom Sitzen, nach Hause
gehen. Während er mit einem niederschmetternden Gefühl der
Hilflosigkeit und Ungewissheit durch die Straße schlich, zeigten Zeugen
der Verhandlung mit dem Finger auf ihn und kicherten.
2012
1. Thrinaxodon
Wenn ich Hunger habe, denke ich immer an dich,
mein Thrinaxodon, und entscheide mich für Magersucht. Mein Perm neigt
sich dem Ende, es ist fast schon Trias. Bald sterbe ich aus, die
Rutiodon werden meinen Platz übernehmen. Diese Viecher sind nicht
zimperlich: Fleisch ist für sie immer nur Fleisch, ob auf dem Teller
oder im Bett. Doch du, mein Thrinaxodon, bist bei Frauen nicht gerade
beliebt. Sie meiden dich, können dich nicht riechen. Sie fürchten sich,
von anderen Frauen mit dir zusammen gesehen zu werden. Werde erstmal 16,
lass dir Zeit. Junge, du hast noch nie ein Mädchen gesehen: immer nur
Frauen, 15-jährige, 13-jährige, 11-jährige Frauen. Die Pubertät beginnt
immer früher, die Rutiodon werden immer fetter. Ich bin ein einsamer
halb verhungerter Gorgonopsid, aber ich zerfleische sie schon, wenn sie
dir zu nahe kommen.
Der Trend geht zum Kriechen hin, und habe meine Beine nicht seitlich am
Körper. Doch glaub mir, es werden ganz andere Viecher kommen. Lach mich
aus, aber ich glaube, dass sich ein Tier auf zwei Beinen bewegen kann.
Nennen wir sie Euparkeria: ihnen gehört die Zukunft. Nein, mein
Thrinaxodon, das sind keine Reptilien. Wir Gorgonopsia erzählen uns gern
Geschichten aus dem Carbon: ein 27-jähriges Mädchen hat es mal gegeben.
So zart und bleich, jedes Haar an ihr war glaubwürdig. Sie hatte
verdammt lange Haare, und wog Magersucht plus ein Unendlichstel. Sie
ernährte sich von Licht und Schatten, nicht von Fleisch wie wir. Aber du
bist kein richtiger Carnivore, mein Thrinaxodon, du küsst ja nur. Ich
könnte richtig hinlangen, das liegt in meiner Natur. Aber ich hungere
und bewundere diese Mädchenbilder, die du mir malst. Du bist auch
verglichen mit einem Mädchen ein schöner Junge, und du malst, dichtest,
musizierst, tanzt, bist Klassenbester in allen Fächern, und fürchtest
dich sogar vor Libellen. Im Carbon hätte dich keiner dafür ausgelacht,
aber in unserer Zeit schlagen in Tel Aviv wieder Raketen ein. Das
27-jährige Mädchen, so unschuldig und rein, arbeitete damals an einer
todsicheren Verteidigung aller existierenden und noch kommenden
Unschuld. Sie war talentierte Physikerin, und hätte eine neue Generation
von Atomwaffen erschaffen können. Sie musste nicht leiden, als sie
starb: der Asteroid, der ihre Stadt in einem 35-Grad-Winkel traf, war
mit einem Bein noch in der Stratosphäre, als er den Boden berührte.
Haut verlangt nach Haut, das ist ihr weiches Schicksal, das so hart
sein kann. Deine Nachkommen werden noch besser sein, als diese
Euparkeria. Deine Kopfgeburten werden die Welt auf den Kopf stellen. Ich
werde auch weiterhin nichts essen, denn so reiße ich nur ein Stück
raus, und lasse den ganzen Kadaver liegen. Ich beiße zu und schlucke
runter, zum Kauen fehlt mir der angeborene Sadismus. Ich bin ein
einfacher ehrlicher Mörder, kein Tierquäler. Ich bin alte Schule, tiefes
Mittelalter, meine Essgewohnheiten sind in dieser Zeit fast so
lächerlich wie meine moralischen Prinzipien. Ich habe noch nie ein
Mädchen gesehen. Du, mein Thrinaxodon, musst dich nur sicher vor Ruß,
Feuer und Lava verstecken. Warte ab, bis Weiß wieder Weiß ist, genauer
gesagt, bis Weiß, das immer Weiß ist, und immer Weiß war und sein wird,
wieder Weiß genannt wird. Es gab eine präkambrische Zeit, da war die
ganze Erde ein einziger Schneeball. Manchmal wünsche ich mir diese alten
Zeiten zurück. Manchmal will ich alle Prinzipien vergessen und endlich
essen, aber dann kaufe ich mir doch wieder nur ein Eis.
2. Tiktaalik
Kennst du diesen kalten Schlamm, der nach
Feigen riecht? Er wird wärmer, wenn du bis zu den Knien versinkst. Ich
rauche, trinke, fluche noch auf, und komme hinab zu dir.
Du warst nie ein artiges Mädchen: du warst ein großartiges Mädchen. Du
tatest keiner Fliege was, und führtest dich dennoch wie ein Elefant auf.
Mit deinem Rüssel warfst du mit Haut nach Messern. Sie konnten tief
schneiden, gar die Klingen brechen: wo hattest du nur all diese Häute
her? Ihre Brüste so weiß, ihre Brustwarzen so rosa. Und du lässt sie da
einfach sterben. Hohe Gräser wachsen über sie, und ich denke, was uns
Savannah wohl in "Art of Desire" sagen wollte? Dass Gewalt nicht immer
Verbrechen ist, und Verbrechen nicht immer Gewalt? Kein Galgen hinter
dem Haus, keine Konsequenz für seine einvernehmliche, behutsame Unzucht.
Und sie war eine Künstlerin, sie malte Lesben in neblige Phantasien.
Die andere Seite des Pinsels passte prima wo rein.
Zwei Todesarten können wir am lebendigen Leib erfahren, und die erste,
die edle, wollte ich mit dir teilen. Diese Unendlichkeit der Schönheit
ist nicht auszuhalten: wenn ich etwas in meiner Hand halte, und es sich
wie deine Hand anfühlt, und in drei Sekunden immer noch, und in fünzehn
Minuten immer noch, dann versäume ich es, in deinen Blick zu blicken,
der in drei Sekunden und in fünfzehn Minuten immer noch wie dein Blick
aussieht. Darum wurde uns der Schlaf geschenkt. Wie an einer Asymptote
können wir uns am Tod entlangschmiegen, und deine Hand liegt in meiner,
und wir beide in Pyjamas unter zwei Decken; dein Kissen riecht nach
Pfirsichen, meins nach Pflaumen. Die zweite Todesart wäre die
Selbstzerstörung, ein langes Wort, das in schnellebigen Zeiten mit Sex
abgekürzt wird.
Du nanntest mir den Namen eines Mädchens, das noch Kind war, und sobald
es dir um den Hals fiel, konntest du dir nicht mehr vorstellen, wie es
ist, dieses zierliche Kind eines Tages, einer Stunde, einer Minute nicht
mehr festzuhalten. Vielleicht bringt dir ein Fluss dieses Mädchen
zurück, denn sein Wasser ist Schlaf ohne Träume, und Tote träumen nicht.
Menschen sagen deinen Namen, grübeln und rätseln über ihn, vielleicht
kommt er ihnen bekannt vor, weil irgendwo abgeguckt und schlecht
nachgemacht. Sag ihnen, wo die Leichen sind. In ländlichen Gegenden
verwaisen die Bahnhöfe, und Metall wird gestohlen. Plötzlich sind all
diese Leichen wieder so frisch wie vor gar nicht so geraumer Zeit, als
du mit Kugelschreibern nach Mädchen warfst. Deine Kugeln trafen.
Und du bist doch nicht dieses Mädchen, denn der Spiegel wirft nichts
zurück. Nein, sie ist nicht dieses Mädchen, aber du schon, denn du
stehst wie immer hinter dem Spiegel. Du weißt genau, warum ich an deinem
Hügel vorbeiging, als noch Winde wehten. Ohne Wind kann ich nicht
abheben. Fliegen ist eine Sucht, und nur die Sehnsucht nach dir ist noch
stärker, nur du fehlst mir mehr, als die kalten Lüfte. Sie werden über
dich herfallen, wenn du eine von diesen Leichen geworden bist. Sie
werden dich sezieren und interpretieren, doch sie werden
chronostratigraphisch weit daneben liegen.
3. Gorgonopsid
Der Drache atmet, die Welten entstehen. Er
pustet, die Akkretionsscheiben drehen sich. Später bewegen sich
Planeten, Sonnen, Monde und diese aberwitzigen Leuchtraketen mit
abertausendkilomenterlangem Schweif. Jeder Mord ist ein Selbstmord - das
weiß der Drache: bevor er das Feuer ausatmet, atmet er sein Herz ein.
Der Kern implodiert, woraufhin der Stern explodiert. Jede Geburt ist ein
Mord, dem ein Selbstmord vorangeht.
Ich war schnell und gnadenlos, aus meinem Maul glänzten die ersten
Säbelzähne der Welt hervor. Ich konnte reißen, aber nicht zerfleischen,
und es gab einfach keine Schokobons zu meiner Zeit. Wer warst du,
dunkelblaugraues Lächeln? Warst du ein Cynognathus? Unmöglich, denn die
kamen viel später. Vielleicht ein Thrinaxodon? Jedenfalls etwas Kleines,
das überlebt hat. Es war höllisch heiß, die Luft war pures Gift, die
Ozeane kippten um, und primitive Reptilien, Kaltbülter, nutzten all die
Schwächen aus, zu welchen meine einstigen Stärken wurden.
Du weißt ja, ich komme aus Sibirien, direkt über diesen Trapps
verbrachte ich meine Kindheit. Es war eine triste, permische Kindheit,
ganz ohne Zierkatzen oder Leptictidien. So dachte ich mir alle möglichen
Schneefeen aus, deren Zauberei darin bestand, das Leben sinnvoll
erscheinen zu lassen. Dich kannte ich nicht, doch du warst immer bei
mir: als Asymptote. Auch heute kommt nichts an dich heran, - hast du
mich darum vernichtet, damit ich dieses Nichts sein kann? Ja, jetzt bin
ich bei dir, und wir sehen von endlosen Gletschern auf die Welt herab.
Von hier aus ist die Raumzeit so gekrümmt, dass uns alle Zeitalter
zugleich gegenwärtig sind.
Bernsteinfarben kann der Whisky sein oder rot wie ein Rubin, doch nichts
macht mich so betrunken wie dieses dunkle kastanienfarbene Zeug -
allein beim Hinsehen. Nichts schmeckt aber wie dieses Konzentrat aus all
den Schatten, die du jemals warfst. Es gibt so viele Eisplanten im
Weltall, wir sollten unbedingt hin. Von einer gigantischen
Gletscherzunge tropfen Sintfluten, bis großes Leid aus Kulturen
Zivilisationen entstehen lässt. Heldentum, Moral, freier Wille:
Errungenschaften des Wartens, das zur Verzweiflung wurde, zur Religion
erwuchs, und in Gravitation kulminierte. Der Rand des Universums ist
der Ereignishorizont, und in der Mitte ist das Loch, in welches alle
Fragen unbeantwortet fallen.
Auch die beschleunigte Expansion zerreißt schließlich alle Materie,
sogar den Raum, die Zeit, so dass es im Grunde egal ist, ob man
aufeinander zugeht, bis es schmerzt, oder sich unendlich lange vermisst
und durch Sehnsucht immer weiter voneinander entfernt. Zirkusaffen äffen
dich nach, und ich sehe ihre Schatten, und sehe dich darin, die Idee,
das sonnige eisig frische Draußen. Ich bin der letzte Gorgonopsid, der
sich vor den Supervulkanen in einem gewaltigen unterirdischen
Höhlensystem gerettet hat. Ja, ich lebe noch, doch ich sehe kein Leben:
ich sehe Fledermäuse, Schaben, Monster, - ich will hier raus, doch es
ist ein Labyrith. Wartet am Ausgang nur ein Minotaurus oder vielmehr ein
Minotaurasaurus? Ich fürchte nicht, durch ein noch größeres Tier
umzukommen. Ich fürchte, dass meine Augen zu lange in der Dunkelheit
waren, - und wenn ich dich nicht sehen kann, Schneeflockenmädchen, dann
ist mir keine Finsternis dunkel genug.
Schönheit ist nur ein Symbol: des Guten, der Vollkommenheit? Mag sein,
doch hier stehe ich, erhaben, und Erhabenheit ist auch ein Symbol: des
Großen, des Vollkommenen. Und dennoch bin da, nicht nur abstrakt.
Hieraus schließe ich, dass auch du da bist, kein bloßer Schein, keine
Mirage. Sei eine Katze, ein Blatt, ein Eichhörnchen, eine Wolke, ein
Komet, ein Mond, eine Sonne, ein Quasar, ein Pulsar, doch sei kein
Mädchen, das nicht verdient hat, du zu sein. Begegne mir nie in einer
menschlichen Gestalt, berühre mich nicht, zeig mir nicht dein Lachen,
lass mich nie in deine Augen blicken, wenn du nur als Geisel von
sadistischen Mördern und Psychopathen existieren könntest. Begeistere
mich nicht, lass mein Herz kalt, lass meine Sinne verkümmern. Töte mich
durch deine Nichtexistenz, und ich kann mich nicht glücklicher schätzen.
Was sind wir? Wellenreiter auf pyroklastischen Strömen, Pollen,
fortgespült vom Sonnenwind? Hier auf Erden tarne ich mich als ein
unscheinbares menschliches Wesen, und du dich äußerlich als etwas, das
mein Herz höher schlagen lässt, und innerlich als das was mein Herz
überhaupt schlagen lässt.
11.2012
"Ich werde ausziehen". "Mach das...Warum will
er ausziehen, das Haus ist so verdammt groß, zur Arbeit fährt er 15
Minuten mit dem Bus...". Erich lehte sich zurück und betrachtete die
Sterne. Dieser Sturkopf ist tatsächlich von Zuhause ausgezogen. Erich
wollte auch weit weg gehen, aber hatte einem Freund etwas versprochen.
Er musste sie finden.
Der September 2024 überraschte mit winterlicher Kälte. Erichs Wagen
hätte sich auf der glatten Straße auch überschlagen können. Vielleicht
wäre es das Beste für alle gewesen. "Hochheim", las Erich vom Schild,
und suchte die Straße. Das Licht braucht keine 15 Minuten von der Sonne
zum Mars, dachte Erich. Er wäre gern Julius gefolgt.
Die alte Lehrerin schickte Erich zu einem Psychotherapeuten, aber nicht
in Behandlung, sondern weil dieser in der 4. Klasse neben dem Mädchen
saß. "Ich nannte sie Kleinika, weil sie so viel kleiner war", sagte er.
"Ich beschützte sie immer, vielleicht weil ihre Blicke so verängstigt
waren. Aber das war so komisch, denn keiner tat ihr was". "Wo ist sie
jetzt", fragte Erich ungeduldig, und dachte dabei an Julius. Ich hole
dich ein, dachte er. "Das weiß niemand", wurde Erich enttäuscht.
Der Vater von Julius rief Erich immer wieder an: "Was sprichst du in
Rätseln? Sag mir endlich, wo mein Sohn ist!" "Nun, er ist ausgezogen",
sagte Erich immer, "er hat eine Arbeit gefunden, die ihn glücklich
macht, und es geht ihm sehr gut". "Warum meldet er sich dann nicht
mehr?" Darauf schwieg Erich nur, was hätte er denn sagen sollen, - er
war einem Freund noch etwas schuldig.
"In Deckung, Erich!" rief der Verletzte, und Erich gehorchte, und kroch
um sein Leben. Der blutüberströmte Mann richtete sich auf und ballerte
auf den heranrückenden Feind. Er hatte Hunderte erwischt, bevor er von
Hunderten von Kugeln durchsiebt wurde. Erich fing noch seinen letzten
Blick, den Blick einen glücklichen Mannes, eines, der endlich erlöst
wurde. Es schien, als würde sein Blick Erich genau zwei Worte zuwerfen,
einen Vornamen und einen Nachnamen, und in dieser Kombination konnte
doch nur ein großer Künstler die beiden Namen kombiniert haben. "Ich
verspreche dir, sie zu suchen", flüstere Erich, als seine Kameraden den
von einem einzigen Helden zerschmetterten Feind überranten.
Erich brach in alle relevanten Archive ein, fand aber nichts. Ein
Notizbuch mit einer Gedichtreihe, die "An Kleinika" betitelt wurde,
erwies sich als Fälschung in dem Sinne, dass es erst im Nachhinein
geschrieben wurde. Erich stürmte das Haus der alten Lehrerin: "Es hatte
sie nie gegeben, oder!?" Die Antwort war ein trauriges Nicken.
"Ich versichere Ihnen, dass ich soweit bin". "Erich, Sie sind nicht
mehr der Jüngste, und was wollen Sie dort überhaupt? Sie hatten sich
doch nie für Sterne interessiert". "Es geht nicht um mich, und auch
nicht um die Sterne", sagte Erich, und rief einen besorgten alten Mann
an, bevor er verschwand: "Julius wird nie zurückkehren. Sein Weg kennt
nur eine Richtung".
Erichs Rakete war deutlich leistungsfähiger. Es würde zwar Monate
dauern, aber dann ist Julius eingeholt. Auch Erich flog allein, und auch
er ließ den Bordcomputer eine Maschine sein, und keine Imitation eines
menschlichen Gesprächspartners. "Diese Welt, Schall und Rauch", funkte
er an Julius. "Es hat diese Welt nie gegeben", funkte Julius zurück.
Als sie sich trafen, verstummte die Erde. Sie bauten das von Erich
mitgebrachte Teleskop zusammen und blickten sich an, als wären sie von
Hunderten von Kugeln durchsiebt worden: so glücklich, so erlöst. Ein
Asteroid mit einem Durchmesser von mindestens 30 Kilometern schien den
Planeten getroffen zu haben, völlig unerwartet, er kam wie aus dem
Nichts. "Für mich hat Kleinika existiert, und für dich?" fragte Erich.
Die Antwort war ein fröhliches Nicken.
9.2012
1. Icher als du
Der späte Sommerabend kühlte hormonell belastete Gemüter. Icher trank
die Luft, sah zu den Sternen. Museum: Treppe und Vorbau. Da hat er sie
sitzen sehen. Er ging zu ihr. Er konnte sie vom Weiten sehr schlecht
erkennen, und es wurde nicht besser. Ihre Stimme aber beruhigte ihn. Er
atmete erleichtert auf und setzte sich daneben. "Trügt die Stimme?"
fragte er. Sie negierte. "Dann bist du ungefähr 15, durch und durch und
durch und abermals durch schlank, hast wunderschönes langes Haar, nach
dem jeder Wind verrückt ist, wegen dem allein er schon zu wehen bereit
ist...". "Das ist wahr. Und ich bin bewaffnet". "Es war kein Kompliment,
also musst du es nicht als Drohung empfinden. Ich wollte mich nur
versichern, dass du kein Antidiskriminierungsfall bist", sagte Icher mit
sanfter Stimme. "Wie heißt du?" fragte sie. "Ich heiße Icher", sagte
Icher. "Und ich bin Cxiette". Icher dachte über ihren Namen nach. Noch
nie so einen Namen gehört. "Und was bedeutet dein Name?" fragte sie.
"Schwer zu erklären", murmelte Icher. "Mir leicht", lachte Cxiette.
"Also gut. Als ich klein war, da guckte ich mir jeden Abend eine Fliege
aus und dachte: Diese Fliege hält sich für ein Ich. Ich konnte mir nicht
vorstellen, wie etwas, das Ich zu sich sagt, tot sein kann. Jeden Abend
tötete ich eine Fliege". "Ohne Erkenntnisgewinn", konstatierte Cxiette.
"Genau. Dann begann ich damit, die Luft anzuhalten, um zu sterben. Und
zurückzukommen". "Und warst bestenfalls ohnmächtig, aber nie tot". Eine
nicht geringfügig menschenbestückte Gäng nahte. "Meine Waffe ist leider
nicht mehr geladen", flüsterte Cxiette, "aber erzähl weiter". Die Gäng
war laut, einige ihrer Glieder erreichten bereits die Treppe vor dem
Museum. "Nutte, komm fickööhn!" schrieen die Gängglieder das Mädchen an.
Icher nahm ein langes Messer und stach sie alle wie Schweine ab, und
das Messer glitt wie Butter durch die gräßlichen Leiber. Cxiette setzte
sich weiter oben hin, das Blut war eklig. "Dann sprang ich von einem
Hochhaus", sagte Icher. "Polizei!" rief er und schnitt seinen Kopf auf.
Cxiette machte einen Salto in der Luft, schrumpfte und sprang in sein
Hirn. Icher schloss seinen Kopf wieder. "Haben Sie diese... 79, 80,
diese 81 Menschen ermordet?" fragte der Kommissar. "Das trifft zu",
postulierte Icher. "Da haben Sie meinen Ausweis. Und hier meine
Todesurkunde". Der Kommissar leuchtete mit der Taschenlampe auf die
Papiere und überzeugte sich telefonisch von deren Richtigkeit. "Alles
klar, gehen wir!" rief er die Kollegen. "Gehen wir woanders hin, da
kommen schon die Aasfresser", sagte Icher zu dem Mädchen in seinem Kopf
und ging.
2. Am Ichsten
"Du, nicht du da, du dort, die du auch du bist, von mir aus gesehen!"
"Ich heiße Mi". Am Ichsten kam näher. Das Mädchen war gerade 14,
hellblond, auf natürliche Weise ultraschlank und sehr niedlich. "Bläst
du?" fragte ein grober Kerl im Vorbeigehen. "Nur Kohlendioxid in die
Luft", antwortete Mi. "Soll ich den Penner töten?" war Am Ichsten so
freundlich. Mi bejahte dies. Am Ichsten tötete den Penner, was mit einer
Schusswaffe geschah.
Mi und Am Ichsten fuhren mit der U-Bahn, beide autolos. Nicht der Armut
zuschulde, wegen dem schlechten ökologischen Gewissen. Da kamen drei
Werber für die Partei "Die Grünen" und gaben an: "Wir haben diesen Monat
durchschnittlich 15% CO2 gespart, und ihr?" Am Ichsten sah sie nicht
an, sondern wandte sich zuvorkommenderweise zu Mi: "Soll ich diese
Sozialschmarotzer töten?" Mi nickte und sie waren tot, was durch gekonnt
platzierte Kopftreffer geschah.
Am Ichsten lud Mi in ein schickes Eiscafé ein, Mi lehnte ab. Sie
rechnete etwas im Kopf aus und stimmte dann wiederum zu. Im Café musste
Am Ichsten pissen, er ging, poss kurz und konzentriert, machte seinem
Freund da unten Druck, wollte das zierliche Mädchen nicht länger als
eine Minute allein lassen, denn da waren überall Leute. Als er
zurückkam, fand er eine Vierjährige, wo Mi gesessen hatte. "Hast du das
Mädchen gesehen, das eben hier war?" fragte er das Kleinkind. Im Hirn
eines vierzigjährigen Politiklehrers am Gymnasium klingelte Folgendes:
"Den Mann beschuldigen, das Kind belästigt zu haben, dann gibt es unter
dem Schutzmantel des Schutzes bis zu drei Quadratmetersekunden
Hautkontakt mit diesem bildschönen Kind, bis es in symbolische
Sicherheit gebracht ist". Er schaltete schnell, tat, was er dachte,
bevor andere Hautkontaktgierige dachten, dasselbe zu tun. Das kleine
Mädchen schaute Am Ichsten mit großen Augen an und wunderte sich: "Warum
fragst du mich nicht?" Am Ichsten fragte, sie bejahte. Er tötete den
Gymnasiallehrer, was durch eine schnell wirkende Giftinjektion geschah.
"Ich habe mir schon gedacht, dass du deine Altersphasen wechselst",
kommentierte Am Ichsten die Beinaheverwechslung. "Eigentlich sogar
regelmäßig", sagte Mi, "aber bei Süßigkeiten und Eis manchmal spontan".
Mi und Am Ichsten verließen das Café. "Du bist immer noch klein". "Noch
elf Stunden", lachte Mi. "Was bist du am Ältesten?" "Das was du am
Ichsten". "Jetzt?" fragte Am Ichsten, und Mi bejahte zum ersten nein
zweiten Mal an diesem Tag etwas anderes als eine Tötung.
3. UnendlICH
Amallerichsten pfiff auf einer Parkbank auf das Verbot illegalen
Waffenbesitzes, als eine Gruppe Jugendlicher ein gleichaltriges Mädchen
einholte und rumzuschubsen begann. Die weiblichen Gruppenmitgleider
zeigten Titten und lachten mit den anderen - nein nicht über das eigene
affenhafte Betragen - über das Mädchen, dem sie sie zeigten.
Amallerichsten wunderte sich und hörte den Beschimpfungen nun zu:
"Lesbe". Er ging hin und fragte: "Und das berechtigt euch, ihre
Privatsphäre zu verletzen?" Er zählte der ausgestreckten Mittelfinger
ganze sieben und schoss sie alle mit seiner herrlichen langen Beretta
ab. Ein Jugendlicher starb, als er über den abgeschossenen Finger seiner
Freundin stolperte und mit dem Kopf gegen einen Stein knallte. Vierzig
Leute waren bei der Beerdigung, viele Tränen flossen. Krokodilsquote:
34%.
Amallerichsten ging eine Tiefkühlpizza kaufen, da sah er, wie an der
Nachbarkasse ein hilflos wirkender Junge als vermeintlicher Dieb
beschämt wurde. Er stotterte schon aufgrund seiner Schüchternheit, aber
er stotterte noch dazu mit extra eingebautem Sprachfehler.
Amallerichsten sah drei lachende junge Männer, und ihm war klar, dass
sie dem Jungen etwas in die Tasche gesteckt hatten. So forderte er die
Ordnungshüter auf, diese zu fassen, was jene verweigerten. Daraufhin
stieß er sie weg von dem Jungen, begleitete ihn aus dem Supermarkt und
schoss die hinterhältigen Verbrecher nieder. Achtundneunzig Leute waren
bei deren Beerdigungen, viele Tränen flossen. Krokodilsquote: 52%.
Amallerichsten war nach einem langen Fußmarsch müde und wollte mit der
U-Bahn heimfahren. Da kamen vier große Gestalten auf ihn zu und
forderten die Brieftasche, das Runterziehen der Hose und eine demütige
Geste. Amallerichsten nahm sein Menschenrecht nach Artikel 1 des
Grundgesetzes wahr und verweigerte ihnen dies. Da schlugen sie zu, er
fiel auf den Boden und erschoss sie im Liegen. Von den Kameras
überführt, saß er nun vor Gericht und konnte nicht beweisen, dass er
angegriffen wurde. "Hätten sie die Pistole nicht dabei gehabt, hätten
Sie denen gehorcht, hätten Sie sich totprügeln lassen, dann hätte ich
Ihnen geglaubt, dass es Notwehr war", urteilte der Richter. Während auf
den Beerdigungen der vier Erschossenen hunderteinundneunzig Leute zu 38%
Krokodilstränen vergossen, bedankte sich Amallerichsten höflich für das
Urteil, hob ein Maschinengewehr unter dem Tisch hervor und erschoss
alle im Gerichtssaal Anwesenden.
Und so ging die Geschichte von Amallerichsten weiter: er pflanzte Bäume,
arbeitete ehrenamtlich in sozialen Einrichtungen, engagierte sich
politisch für Rechte der Minderheiten, war nett und hilfsbereit, lieh
Nachbarn Geld - auch denen, von denen er wusste, dass sie es nie
zurückzahlen würden - , setzte sich geduldig für den Tierschutz ein -
ohne provokante Gleichsetzungen von Massentierhaltungen mit
Konzentrationslagern - , vertrat seine politischen und weltanschaulichen
Ansichten in toleranter und unaufdringlicher Weise und nahm seine
verfassungsgemäß verbrieften Rechte wahr. Als er starb, waren exakt neun
Leute auf seiner Beerdigung anwesend, und die Krokodilsquote ihrer
Tränen betrug lächerliche 11%.
2010-2011
Ich hörte, als ich noch zur Schule ging, eine
Geschichte, die während meiner Schulzeit an meiner Schule stattgefunden
hatte, und von der ich, während sie sich ereignete, nichts mitbekam, und
die ich, nachdem sie sich ereignete, nicht glauben konnte. Solche
menschlich-unmenschlichen Abgünde gibt es, dachte ich, höchstens in
skandinavischen Kinofilmen, und der tiefste Abgrund, in den ich zu jener
Zeit geschaut hatte, war, dass eine Mitschülerin öffentlich
herumposaunte, dass ich noch nie mit einer Frau geschlafen habe, und ich
war immerhin 18, das war also eine große Schande, - doch anstatt im
Boden zu versinken, fragte ich sie, was das sollte, und sie gab zu, es
von jemandem erfahren zu haben, der eigentlich darüber nicht hätte reden
dürfen, und es rumerzählt zu haben, um meinen Ruf zu schädigen, weil
ich ihr unnahbar und unangreifbar erschien. Sie meinte es gar nicht böse
mit mir, sie wollte einfach nicht länger ertragen, dass sie Luft für
mich war, und ich war nunmal seit langer Zeit in ein anderes Mädchen
heimlich und unerschütterlich verknallt. Sie wollte auch nichts von mir,
aber sie wollte, dass ich etwas von ihr wollte, oder mich jedenfalls
bedürftiger, abhängiger, manipulierbarer machen, denn diese Leute, denen
alles am Arsch vorbei geht, diese Leute mit sozialem Tunnelblick und
einem festen oder aber gar nicht vorhandenen Ziel, gehen in diesem Alter
nunmal so gut wie allen auf den Sack, denn man ist in diesem Alter
gewöhnlicherweise extrem unsicher.
Der freundliche und beneidenswert witzige Leon, der in einer
Parallelklasse war, hatte dasselbe nennen wir es ruhig Problem wie ich,
und dazu noch eine Behinderung, die nicht offenschtlich war, aber sie
war bekannt. Ich sah ihn oft mit dieser Hanna, eine Klasse unter mir,
ein wenig hübsch, ziemlich eingebildet, und mit Leon befreundet. Leon
hatte großes Mitgefühl mit allen und immer ein offenes Ohr. Hanna sagte
ihm, er würde sie als einziger Mensch auf der Welt verstehen, und er
fühlte sich ein großes Stück für sie verantwortlich. Er, die 18-jährige
Jungfrau, mochte wohl ihre kindliche und unvoreingenommene Art, sonst
mied er eher die Mädchen. Eines Tages bekam Hanna einen anonymen
Liebesbrief, und jemand flüsterte ihr zu, der Brief wäre von Leon. Man
sagte mir, dass Leon, als man ihn darauf ansprach, nur lachte, und
sofort Hanna aufsuchte, aber sie hatte plötzlich keine Zeit für ihn.
Leon ging davon aus, dass er Hanna nur die Wahrheit sagten musste,
nämlich dass er diesen Brief nicht geschrieben hatte, aber dazu bot sich
ihm in den folgenden Tagen keine Gegelenheit mehr. Schließlich ging er
auf Distanz zu Hanna, weil es auf einmal aussah, als würde er ihr
nachstellen; unverschuldet befand er sich nun in einer sehr
erniedrigenden Situation, aus der er keinen Ausweg wusste. Er schrieb
Hanna einen Brief, in dem stand, dass er den Liebesbrief nicht
geschrieben habe, aber von da an würdigte ihn Hanna keines Blickes mehr.
Und so waren sie nicht mehr Freunde, nein, das war jetzt undenkbar.
Schließlich fand Hanna, obwohl sie unbegreiflicherweise niemals wirklich
an der Wahrheit interessiert war, durch einen Zufall heraus, dass der
Brief ein dummer Streich eines Jungen aus ihrer Klasse war, - der Junge
hatte sich überhaupt nichts dabei gedacht, es war seinerseits nur ein
Scherz. Ein ziemlich harmloser Scherz, der sich gleich am ersten Tag in
einer heiteren Runde gemeinsamen Lachens hätte auflösen können, ja
eigentlich müssen.
Als ich von der Geschichte erfuhr, dachte ich wieder an diese
Mitschülerin, die mich nicht leiden konnte, und aus Frust etwas über
mich rumerzählt hatte, was sie gar nicht so meinte. Ich fand es trotzdem
hinterfotzig von ihr, bis ich eben Leons Geschichte hörte. Hanna hätte
nie etwas Gemeines zu Leon gesagt oder über Leon erzählt, sie war stets
nett, höflich, ein durchaus liebenswerter Mensch. Nein, sie hätte
niemals gesagt, dass sie Leon für minderwertig hielt, und Leon hätte es
auch niemals erfahren, hätte es diesen Streich mit dem Brief nicht
gegeben. Es gab da diesen einen Kerl aus dem Abschlussjahrgang, der auf
einer Party jemandem Drogen ins Bier getan hat, und sie anschließend
vergewaltigt, - ihm konnte nichts nachgewiesen werden, aber er wurde bis
zum Schulabschluss wie ein Aussätziger gemieden. Er hat jemanden
vergewaltigt. Und Leon hat diesen Brief nicht geschrieben. Neulich sah
ich Hanna weinen, sie saß allein da, und warf mit hilflosen Blicken um
sich. Auch Leon kam nie wieder gut gelaunt zur Schule.
3.2013
Die aufgeschlagene Tür schlug ihn zu Boden,
drei Männer Anfang 20, maskiert, bewaffnet, stürmten ins Haus. Anders
kam schnell auf die Beine, aber bekam einen Schlag ins Gesicht und flog
auf den Küchentisch. Der Anführer der Einbrecher zog eine Walther P99
und rief, alle sollten unverzüglich aus ihren Löchern kriechen. Der
jüngste Einbrecher, ein schlanker Jüngling, vom Aussehen noch nicht
volljährig, lief ins Kinderzimmer und rief, sie sei hier. Er setzte sich
an den Computer im Wohnzimmer, rief die gesuchte Seite auf und sah den
Anführer an. Das sei Michelle, bestätigte dieser.
Anders wurde von den Einbrechern ins Wohnzimmer geschleppt und
gefesselt. Von zerbrochenen Gläsern geschnitten, blutete er, auch sei
Gesicht war voller Blut. "Was wollt ihr?" fragte er, als er sich neben
seinem Cousin Casper und seiner Frau an die Heizung gefesselt fand. "Das
andere Mädchen. Wo ist es?" - der Anführer zeigte auf den Monitor, aus
dem die zarte zwölfjährige Michelle mit einem süßen Mädchen von etwa
zehn Jahren ins Wohnzimmer lächelte. "Betreibt ihr diese Seite?" "Ich"
sagte Anders. "Komm her" rief er den Jüngling zu sich und starrte ihn
an, bis dieser mit einem Küchentuch das Blut, das von Anders
aufgeplatzter Stirn in seine Augen lief, entfernte. "Lasst uns frei"
sprach er nun zum Anführer. Dieser ließ sich vom befehlenden Ton nicht
beeindrucken, er predigte nur: "Das da ist höchst bedenklich. Um nicht
zu sagen an der Grenze zum Kinderporno". "Die Seite wurde juristisch
überprüft, es wurde nichts Laszives gefunden" sagte Anders trocken. Der
Anführer wurde zornig, rempelte den dritten, stillen und maskrierten
Einbrecher an und murmelte, er sollte weiter nach dem anderen Mädchen
suchen. "Sind die Fotos auf dieser Seite alles... sind das alle
Aufnahmen von Michelle?" Der Jüngling setzte das schlanke blonde Mädchen
auf den Wohnzimmertisch und roch an dem langen Haar des Mädchens,
während der Anführer weitersprach: "Ich will die anderen Fotos sehen.
Und die Filme". "Hören Sie, wir sind eine professionelle
Kindermodelagentur. Wir haben nicht das, wonach Sie suchen" erklärte
Casper.
Der Jüngling lachte: "Ich sagte dir doch, die Kleine ist noch
unschuldig". Der Anführer überreichte dem stillen Einbrecher ein langes
Messer, als er sah, dass die Suche nach dem anderen Mädchen von Erfolg
gekrönt wurde. "Ich will sehen, wie deine Tochter weint" sagte er zu
Casper. Der stille Einbrecher schlich an den Wohnzimmertisch, an dem die
leicht bekleidete Michelle mit ihren großen verängstigten Augen ins
Nichts schaute. "Sie ist nicht meine Tochter" rief ihm Casper nach.
"Was?" wunderte sich der Anführer. "Wir haben sie adoptiert. Sie war in
Gefahr..." "Und die Gefahr hat sie jetzt offenbar eingeholt"
triumphierte der Anführer und entledigte sich seines Gürtels. Michelle
zuckte zusammen. Das andere Mädchen lief zu Michelle, umarmte sie und
blieb neben ihr sitzen. "Sind Sie mit der leiblichen Mutter verwandt?"
richtete sich Anders an den Anführer und sah den Jüngling abermals
befehlend an. Doch dieser schlug ihn diesmal mit einer Vase auf den
Kopf. Casper begann zu flennen. Seine Frau rief: "Tut den Kindern nichts
an! Sie haben euch nichts getan!" "Oh, doch" philosophierte der
Anführer, "oh, doch. Jeden Tag sah ich mir diese Fotos an, diese
wunderschönen unberührten Mädchen, zart, verwöhnt, frisch, aber ich
wusste, ich würde nie so ein Mädchen anfassen können, niemals. Nun bin
ich hier, nennt mich den Teufel, aber ich habe mich dazu entschlossen,
mein Leben in die Hand zu nehmen..." "Wir sind nicht die Guten. Lassen
Sie uns frei" sagte Anders. Der Jüngling kniete neben ihm und steckte
ihm das Messer in den Rachen. Er bewegte es mit der Breitseite hin und
her auf Anders Zunge, wonach er sprach: "Respektieren Sie uns. Wir sind
erwachsene Menschen und aus freiem Willen hier, und dieser Wille will
Leid, Schmerz, Qualen, Tränen, Blut, und vor Allem Angst sehen". "Stopf
ihm etwas ins Maul" empfahl der Anführer. "Ich denke, er hat es schon
verstanden" erwiderte der Jüngling und setzte sich auf den Boden vor den
Mädchen. "Was ich nicht verstehe, das sind doch Stöckelschuhe, oder?"
wandte er sich an die Kollegen, welche bejahend nickten. "Lassen Sie die
Mädchen in Ruhe!" rief Casper. "Oder was?" lachte der Jüngling, zog
Michelles Schuhe aus und begann ihre Zehen zu lecken. Anders musste
lachen, als er die Frage nach den Konsequenzen hörte. Die Zunge des
Jünglings fuhr das linke Bein des Mädchens hoch, als die Eingangstür zum
zweiten Mal eingebrochen wurde und vier Männer Ende 40 mit
Maschinenpistolen das Haus betraten. Der Jüngling sprang wie von der
Tarantel gestochen zur Seite, aber Michelle sah ihn befehlend an; er
kroch zu ihr und zog ihr ihre silberglitzernden Schuhe mit dünnen etwas
hohen Absätzen wieder an.
Überrascht und konsterniert, ließen die Einbrecher die Männer ihre
Waffen wegnehmen und sich in Handschellen abführen, in einen graublauen
Minibus. Die Gefesselten wurden befreit; ein hoher kahler Typ warf
Anders ein Handtuch zu. "Bleib bei den Mädchen" sagte Anders und ging
mit Casper und den beiden anderen Männern zum Minibus.
Der stille Einbrecher hieß Jörg, seine Sozialwohnung war nicht weit von
Caspers Haus entfernt. Die Männer stiegen aus und führten Jörg zu
demselben nach Hause, während Casper eine Flasche zehnjährigen Laphroaig
aufmachte und Anders die restlichen Glassplitter aus seinen Armen zog.
Der Jüngling und der Anführer blickten verängstigt, wie Anders Casper
die Flasche wegnahm, seine Arme mit dem Whisky übergoss, Casper die
Flasche zurückgab und sich mit einem Mädchenslip abtrocknete. Der
Anführer senkte der Kopf - der Slip wurde ihm aus der Hosentasche
gezogen. Anders hielt ihn hoch, sprach: "Dachtet ihr, der ist von
Michelle?" und lachte. "Wo habt ihr ihn her?" "Im Internet ersteigert"
murmelte der Jüngling. "Der wäre ihr zu groß" sagte Anders nüchtern und
machte die Seitentüren des Wagens auf. Die zwei Männer stellten vier
Tiefkühlboxen unter die Sitze und fuhren zur WG des Jünglings. "Was...
was ist in den Boxen?" flüsterte der Jüngling wiederholt in Panik, die
Männer lachten nur.
Casper war nun breit, er stieg mit den Männern aus und nahm den
Jüngling mit. Anders starrte fragend auf den Anführer, bis dieser
gestand: "Ich habe mich in das Mädchen auf den Fotos verliebt. Ich
wollte sie entführen und beschützen". "Und so geschah mir", beruhigte
ihn Anders, während er seine aufgeplatzte Stirn verklebte. "Ich sah
Michelle an einem Strand, überall gierige Böcke, und als ich ihre Eltern
sah, da wusste ich, was zu tun war. Wären es Leute wie Casper, hätte
ich den Schmerz aushalten können, dass sie nicht bei mir ist. Aber sie
schätzten sie nicht, sie respektierten sie nicht". Anders machte die
Seitentüren des Wagens auf. Die Männer stiegen ein, brachten diesmal
fünf Tiefkühlboxen mit. Casper und der Jüngling waren auch dabei, und
setzten sich wieder an ihre Plätze. Der Anführer starrte den Jüngling
fragend an, den ganzen Weg zu seinem in einem Bauerndorf befindlichen
Haus lang, aber dieser starrte teilnahmslos ins Nichts.
"Aussteigen" weckte Anders den in Gedanken versenkten Anführer. "Ich
heiße Ben". "Das ist uns kein Geheimnis" bemerkte Anders trocken. Der
betrunkene Casper zog den Jüngling wie ein Stück Vieh angekettet hinter
sich, Anders und Ben gingen vor. Im Haus war niemand, Ben lebte allein,
abgeschieden. Nicht einmal ein Haustier hatte Ben. Als die Männer, der
besoffene Casper und der verstörte Jüngling ankamen, gab Anders einem
der Männer eine Stoppuhr. "Und los" sagte er und begann zu suchen.
"Vierundvierzig, nicht schlecht" kommentierte der Mann die Sekundenzahl.
"Mach uns einen Tee, Ben" befahl Anders und wies den Gästen ihre Plätze
zu. Der Abend ward lang, Ben hatte im Laufe seines Lebens als
abgeschieden lebender Internetauktionshändler viele Kinderpornos
angehäuft. Gegen Mitternacht gönnten sich die Männer mehrere Zigaretten,
gingen dazu freundlicherweise aus dem Haus. "Du dachtest im Ernst,
solche Filme von Michelle würden existieren?" fragte Anders Ben. Ben
nickte. "Darum habe ich euch überfallen. Ich konnte den Gedanken nicht
ertragen" vervollständigte er sein Nicken. Anders nahm Ben die
Handschellen ab. "Töte diesen Bastard" zeigte Anders mit Bens Walther
auf den Jüngling. Ben verweigerte sich der Tat. "Als Liebender einem
Liebenden sage ich dir: Töte ihn, Ben, und du bist frei". Ben zierte
sich, nahm aber das Küchenmesser, das Anders ihm reichte, doch in die
Hand. "Was machst du? Ben!? Ben!! Sie haben meine Familie
abgeschlachtet! Hörst du!? Sie haben sie aufgeschlitzt!!" "Und ihnen die
Organe entnommen" sprach Anders mit gewohnt ruhiger Stimme. Ben starrte
zu Boden, eine Minute, zwei, richtete sich schließlich gerade auf, warf
seinen Kopf hoch und stach in den Hals des Jünglings. Casper, wieder
klar im Kopf, erbrach auf den Wohnzimmertisch, schimpfte und ging in die
Toilette. "Zieh das Messer raus" sagte Anders. "Eine Planänderung. Du
wirst ihm selber die Organe entnehmen. Mach alles akkurat und verpacke
die Organe in diese Beutelchen hier. Steck die Beutelchen in die
Tiefkühlbox und ruf mich wenn du fertig bist". Anders sah nach Casper,
während Ben seinen besten Freund zerfleischte; der Jüngling war noch
nicht ganz tot, als Ben, den er noch aus dem Kindergarten kannte, ihm
die Organe aus dem Körper schnitt. Als er fertig war, rief er Anders,
dieser lobte ihn, versiegelte die Box und packte sie in den Minibus. Die
Männer waren längst im Wagen und hörten klassische Musik. Ben blieb wie
erstarrt auf dem Boden neben der Leiche seines besten Freundes sitzen,
stand nach einiger Zeit auf und lief dem davonfahrenden Minibus
hinterher. "Pass auf Michelle auf!" hörte ihn Anders noch zurufen.
1.2010
"Fuck!"
dachte Bob, der sich gerade noch vor dem Sergeant gebrüstet hatte, wie
ihm die neue Blondine vom Stützpunkt doch noch einen blies. Nun lag Bob
immer noch in diesem an einen Kabelsalat angeschlossenen Sarg, aber
niemand war mehr da, auch nicht der kleine dürre Arzt, den Bob einen
Loser nannte, weil dieser noch nie mit einer Frau geschlafen hatte.
"Hallo!?" rief Bob, doch niemand antwortete. Er kroch aus dem Sarg und
ging aus dem Versuchslabor hinaus, den Stützpunkt erkannte er nicht
wieder - hier war nun eine Stadt. Bob musste mal, wurde aber von einem
Wächter vor einer blitzblanken öffentlichen Toilette aufgehalten:
"Hierhin nicht!" "Wieso?" wunderte sich Bob, "das ist doch eine
Männertoilette, und ich bin ein richtiger Mann, wie du siehst, du
uniformiertes Schwein! Wie viele Weiber hast du denn schon flachgelegt?
Ich vermute mal, gar keins". "Richtig geraten", sagte der Wächter
emotionslos, und zeigte Bob die andere Tür, die zu einer
heruntergekommenen Toilette führte. "Was ist los, Mann?" wunderte sich
Bob. "Sie sind unkeusch, Sie dürfen keine saubere Toilette benutzen".
Bob ging durch die Stadt und dachte darüber nach, wie viele Jahre er
wohl in diesem Gefriersarg gelegen hatte. Passanten wechselten die
Straßenseite, in den Kantinen wurde er nicht bedient, in Restaurants und
Gaststätten nicht hereingelassen. Aus Geschäften und öffentlichen
Einrichtungen wurde Bob verwiesen. Er verschaffte sich per Fausthieb den
Zugang zu einer Bank, um Geld abzuheben, und während ein Polizist den
Niedergeschlagenen nach dem Flüchtigen befragte, konnte Bob das ganze
Geld von seinem Konto abheben und aus dem Gebäude flüchten. Nun wurde es
aber bitter für Bob: er bot dem Taxifahrer eine große Summe an, doch
dieser lachte nur, und nahm das Geld nicht. "Das ist Spielgeld",
erklärte er. "Was laberst du da, du Schwuchtel?" wunderte sich Bob. "Mit
diesem Geld bezahlen nur die Ficker", erklärte der Taxifahrer höflich
und öffnete dem Bob verfolgenden Polizisten die Tür.
Der Cop schmiss Bob auf den Rücksitz mit den Worten: "Unfassbar, dass es
euch Abschaum noch gibt! Mein ganzes Leben muss ich mich mit euch
Ungeziefer rumschalgen! Man sollte eine hohe Mauer um euch rum machen!"
Bob verstand die Welt nicht mehr - ein gepflegter 35-jähriger Offizier
wurde wie Dreck behandelt. Er fragte zur Sicherheit nach: "Träume ich
vielleicht? Oder bin ich tot?" "Wie gern würde ich euch Hurensöhne alle
tot sehen!" seufzte der Polizist. Er stoppte den Wagen außerhalb der
Stadt und zeigte Bob eine Mauer, die sich bis zum Horizont erstreckte:
"Nach dem nächsten Referendum werdet ihr alle hinter dieser Mauer leben.
Diesmal werden zwei Drittel für eine totale Segregation stimmen, da bin
ich mir so was von sicher". "Warum hassen Sie uns so?" senkte Bob seine
Birne. "Euch Ficker?" "Ja... wieso Ficker? Haben Sie denn keinen Sex?"
"Niemand hat Sex, wir sind doch keine Tiere! Und einer wie du hat meine
Schwester vergewaltigt, darum hasse ich euch alle, ihr seid doch alle
gleich!"
Im Gefängnis verirrte sich Bob zunächst, als er zu einem Waschbecken mit
der Aufschrift "keusch" wanderte, wofür er von einem Schließer eine
Kopfnuss bekam. Bob ging zum dreckigen Waschbecken mit dem kaum lesbaren
Schild "unkeusch" und wusch sich mit Abwasser das Gesicht. Als
Handtücher benutzten die unkeuschen Insassen die fünf Tage getragenen
Unterhosen der keuschen Gefangenen. "Na, war es nicht mal andersrum?"
fragte ein stämmiger Bursche Bob nach vergangenen Zeiten. "Du weißt,
dass ich..." "Dass du einer der aufgetauten Hurensöhne bist? Ja, und du
bist nicht der Einzige". "Warum werden wir nicht gleich getötet?"
schluchzte Bob, worauf ein freundlicher Schließer erwiderte: "Leute wie
du werden im Zoo gehalten. Scheiß Dekadenz, sage ich dir, aber die
Kunden zahlen viel Kohle dafür, um zu sehen, wie ihr Drecksschweine
fickt, so wie die Hunde oder Karnickel". "Gibt es auch aufgetaute
Frauen?" "Die dienen anderen Zwecken. Aber ihr Schweinlein werdet doch
nach zwei Wochen ohne Fick so geil, dass ihr auch Kerle vögelt! Wenn
deine Strafe vorbei ist, wer würdest du gerne sein, der Schwanz oder der
Arsch?" Alle lachten, Bob weinte. Er legte sich auf die Bodenmatratze
in seiner Zelle und schlief ein in der Hoffnung, es sei alles nur ein
böser Traum, aber ein heftiger Fusstritt in den Bauch weckte ihn um fünf
Uhr morgens auf: "Amnestie, Hurensohn! Glückwunsch zum Abendarsch im
Hauptstadtzoo, dein Hintern ist ja richtig knackig!"
2.2012
Montag, 3.8.2009. Heute werde ich die Welt verändern!
Donnerstag, 6.8.2009. Gerade an diesem Tag sage ich und wiederhole:
diese Welt ist eine gute Welt! Ja, es gab Hiroshima, aber es gab auch
Anne Frank, und ich bin stolz, in die 11. Klasse einer Anne-Frank-Schule
zu gehen!
Freitag, 7.8.2009. Hihi.
Montag, 10.8.2009. Es ist weiß Gott nicht mein Niveau, aber nochmals HIHI!
Dienstag, 11.8.2009. Mag sein, dass ich gestern zu euphorisch war.
Mittwoch, 12.8.2009. Liebe! Hoffnung! Ich bin dennoch zuversichtlich.
Jeder mensch ist fünf Mal am Tag ein peinlicher Idiot, - diese Grenze
nicht zu überschreiten, ist Coolness.
Freitag, 14.8.2009. Natürlich hoff ich!
Freitag, 21.8.2009. Hoffentlich hat sie nicht die Schule gewechselt.
Montag, 24.8.2009. Es ist kindisch, pessimistisch zu sein. Diese Welt
ist die beste aller Möglichen, sonst gäbe es sie doch gar nicht. Diese
Eins in Religion, ach, das ist eine Kleinigkeit des Lebens. Ich bin
froh, auf der Welt zu leben! Diese eins, ich widme sie ihr, ohne sie
hätte gar nicht den Mund aufgemacht. Das war ihre Inspiration. Nur weil
sie so geguckt hat, habe ich das Richtige gesagt.
Sonntag, 30.8.2009. Es müsste langsam. Nicht, dass ich ungeduldig wäre.
Montag, 31.8.2009. Es ist exakt 24 Tage her. Nun erwarte ich den nächsten Level.
Dienstag, 1.9.2009. Leibniz ist brilliant!
Donnerstag, 3.9.2009. Ich weiß, dass alle in meinem Alter Sex wollen,
und das sofort, aber mit IHR- nicht! Ich will mit IHR bis Weihnachnten
nur unschuldig kuscheln. Könnte Anne Frank uns bloß sehen!
Freitag, 4.9.2009. Jedes gesagte Wort verändert die Welt. Und IHRE Worte
klingen so rein, wie mein Herz sie liebt. Ich werde bis Montag nicht
mehr schlafen, ich will nicht, dass der Klang ihrer Worte in mir
vergessen wird.
Montag, 7.9.2009. Wahrscheinlich wird das eine Fünf. Aber die Welt ist
nicht Mathematik! Und ich war gehandicapt. Was für eine widerliche
insektliche Kleinigkeit, diese Fünf! SIE war heute nicht da, das ist
wirklich katastrophal!
Freitag, 11.9.2009. Was für respektlose Schweine! Behaupten allen
Ernstes, die Amis hätten es selbst getan! Haben die keinen Respekt vor
den Opfern und deren Angehörigen? Und sowas nennt sich Referat! Und was
ist das für ein Lehrer, der "zumindest eine logische Stringenz" darin
erkennt? Verschwörungstheorie, nur dumme, dämliche Verschwörungstheorie!
Sonntag, 13.9.2009. Hm, das war wahrscheinlich Einbildung. Der Kuss an
der Ampel ist aber auch ein bekannter Archetyp. Das war doch nicht SIE!
wie lächerlich, dies überhaupt anzunehmen!
Dienstag, 15.9.2009. Gier ist die Ursache der Finanzkrise! Alles sofort!
Schnelle Rendite! Keine Geduld! Ich warte gern, denn meine Gefühle sind
echt. Ich will nicht bloß Spaß, ich liebe unendlich sehr, und
spätestens Ende Oktober werden wir Hand in Hand durch den Park
spazieren.
Freitag, 18.9.2009. Streit. Wer ist schuld? Natürlich Jan. Immer Jan.
Samstag, 19.9.2009. Das ist aber schon komisch, das zuerst ich
bezichtigt werde, und erst dann objektiv geguckt wird, wer angefangen
hat.
Sonntag, 20.9.2009. Streit gehört zum Leben wie Warten zum Lieben.
Montag, 21.9.2009. Ich brauche etwas Zeit für mich.
Freitag, 16.10.2009. Las Schopenhauer. Wie konnte ich so naiv sein, und
diesem dämlichen Leibniz zustimmen? Natürlich ist diese Welt die
SCHLECHTESTE aller Möglichen, denn wäre sie noch schlechter, wäre sie
nicht mehr da. DAS ist Logik! Und Leibniz - das ist Philosophie!
Demagogie!
Montag, 19.10.2009. Auf dieser Welt kann uns nur noch die Liebe retten.
Und wer aus so reinem Herzen so ehrlich liebt wie ich, üssiert in jeder
Welt re!
Dienstag, 20.10.2009. Ich kann - was soll ich sagen - nur noch stolz auf mich sein.
Mittwoch, 21.10.2009. Wahrscheinlich Burnout, sonst hätte ich heute an der Ampel nicht halluziniert.
Donnerstag, 22.10.2009. Ihr heult! Ich dagegen weine! Man kann nur stolz
sein auf Tränen, die unschuldige Wangen entlang kullern. Liebe ist
heilig! Ich bin heilig!
Sonntag, 25.10.2009. Wenn es Gott gibt, wird sie mich morgen ansprechen.
Montag, 26.10.2009. Was für ein Idiot bin ich doch! Gott eine Pistole
vor die Brust setzen! Ich darf doch Gott keine Fristen vorschreiben.
Aber das wäre schon ein Gottesbeweis, wenn...
Mittwoch, 28.10.2009. Gott weiß, was er tut. Etwas zu einem bestimmten
Termin von Gott zu erwarten, ist lächerlich, aber NICHTS wäre doch ein
Beweis seiner Nichtexistenz!
Samstag, 31.10.2009. Nicht umsonst hat Luther reformiert. Vielleicht hat
er aber nicht weit genug gedacht. Eine interessante Doku gesehen, die
auch mal die andere Seite beleuchtet! Wie war denn Hitlers Kindheit so?
Das steht komischerweise in keinem Geschichtsbuch. Man leugnet die
Wahrheit, tut so, als sei nichts gewesen, und gibt ihm für alles die
Schuld!
Montag, 2.11.2009. Warum verdrängt sie so, dass sie mich liebt? Wird sie
von ihrem Vater sexuell missbraucht? Ist das der Grund? Ich warte noch
eine Woche, vielleicht zwei, dann schicke ich ihrer Mutter einen Brief!
Dienstag, 3.11.2009. Jaja, der böse Jan. Was hab ich denn gesagt? Dass
Anne Frank nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war - ist das etwa nicht
wahr? Ich habe sie sehr bewundert, aber es gibt Grenzen.
Mittwoch, 4.11.2009. Wie kann man überhaupt nach einem KIND, das gar nichts geleistet hat, eine Schule benennen!!?
Freitag, 6.11.2009. Nicht, dass ich glauben würde, die Mondlandung sei
gefälscht, aber das hat was. Wenn man tiefer nachdenkt, und nicht nur
oberflächlich bleibt, wie alle Menschen und gewisse Mädchen, kann man
sogar deutlich sehen, dass eine Fälschung wahrscheinlicher ist - zum
Beispiel SIE, sie verhält sich mir gegenüber IMMER falsch.
Verallgemeinern wir das: sollte die Mondlandung echt gewesen sein, dann
wäre es eine AUSNAHME! Und ausgerechnet in diesem heiklen Fall soll eine
Ausnahme die Wahrheit sein? Tut mir leid, Freunde, aber die Welt ist
Mathematik! Solange es keine Beweise gibt, halte ich mich an das
Wahrscheinlichere.
Montag, 9.11.2009. Ein Schicksalstag, auch für mich. Wird das meine persönliche Pogromnacht?
Dienstag, 10.11.2009. Was kommt als Nächstes? Elterngespräch: die
Parallelen sind erstaunlich! Als wäre das so eine Art Wannseekonferenz.
Jan ist böse! Jan ist der Quell allen Übels in der Schule, in der
Familie, warum nicht gleich auf der ganzen Welt!? Jan muss vernichtet
werden!
Mittwoch, 11.11.2009. Zum Kotzen!
Donnerstag, 12.11.2009. Es gibt einen Schwanz, der sehr bald sehr tief gelutscht wird, das verspreche ich euch!
Sonntag, 15.11.2009. Habe meine Tränen Gott anvertraut. Es war wirklich
meine Schuld, ich war Egoist. Ich habe meine Fehler eingesehen und
bereut. Ich danke Gott, dass er mir vergibt und mich nicht im Stich
lässt!
Mittwoch, 18.11.2009. Ich dachte, Gott würde mich nicht im Stich lassen. Als hätte ich am Sonntag zu der Wand gesprochen!
Freitag, 20.11.2009. Klappt die Tafel auf, kritisiert mein Gedicht. Es
war an SIE, du Depp! Steck dir deine Literaturkritik in deinen faulen
Lehrerarsch! Die ganze Romantik versaut! Eichmann!
Samstag, 21.11.2009. Ich werde der Linken auf ewig meine Stimme geben.
Das ist keine Politik mehr, das ist WAHRHEIT. Lafontaine ist ein
Heiliger. MIT SEKUNDÄRTUGENDEN KANN MAN AUCH EIN KONZENTRATIONSLAGER
LEITEN!!! Ich glaube, ich bin in einem.
Montag, 23.11.2009. Die freuen sich schon auf Weihnachten. Ich hoffe, es gibt bis dahin noch einen Atomkrieg.
Donnerstag, 26.11.2009. Hoffentlich greifen die bald den Iran an. Hoffentlich fliegt gleich hier alles bald um die Ohren!
Freitag, 27.11.2009. Objektiv Einsplus. Subjektiv Vierminus. Hure! Nicht
mal das arithmetische Mittel zwischen der objektiven Wertung meiner
Arbeit und ihrer subjektiven nuttigen Meinung! Nein, das
Allerschlechtestmöglichste! Jan muss ja bestraft werden!
Samstag, 28.11.2009. Celan ist ein Hochstapler. ICH bin der
UNGLÜCKLICHSTE Mensch der
Welt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Montag, 30.11.2009. Ich bringe mich um, wenn Weihnachten NICHTS passiert!
Mittwoch, 2.12.2009. Gott und die Welt haben noch Zeit bis Heiligabend. Dann kann ich nichts mehr versprechen.
Donnerstag, 3.12.2009. Anne Frank ist eine Phantasiefigur so wie Shakespeare oder Gott.
Montag, 7.12.2009. Die Welt ist einfach nur eine Wüste, nein, eine Wüste
stinkt ja nicht, die Welt ist einfach nur eine Kugel SCHEIßE!
Dienstag, 8.12.2009. Ich verachte alle Menschen gleich tief. Wie konnte
dieser Hurensohn meinen, ich würde die RAF verteidigen? Genauso
Schwanzlutscher, wie alle.
Mittwoch, 9.12.2009. Ich würde das nicht Schwänzen nennen. Jeder hat das angeborene Recht, Übel von sich fernzuhalten.
Donnerstag, 10.12.2009. Eine Entschuldigung soll ich schreiben? Und wer
entschuldigt sich bei mir? Ihm ist egal, dass auf dieser schönen Welt
Kinder gefickt werden, aber dass der böse Jan gestern die Schule
geschwänzt hat, ist schlimmer als der Holocaust! Ich wundere mich nur
noch, warum mich Gott nicht gleich in der Hölle "erschaffen" hat.
Sonntag, 13.12.2009. Morgen die letzte Chance!
Montag, 14.12.2009. Morgen die LETZTE Chance!
Dienstag, 15.12.2009. Von den Menschen erwarte ich nichts mehr. Aber ich
FREUE mich auf Weihnachten! Gott ist HEILIG und nicht korrupt und
verlogen!
Mittwoch, 16.12.2009. Ich weiß nicht, was ich von dieser Eins halten
soll. Zynismus pur. So, als hätte ein Aufseher im KZ einen
ausgehungerten Schriftsteller in seinem Drecksloch aufgesucht und
gesagt, ihm hätte sein (längst verbranntes) Buch gefallen!
Donnerstag, 17.12.2009. Ich werde keine Biographie schreiben. Mein Leben ist in menschlier Sprache nicht zu erfassen.
Dienstag, 22.12.2009. Das an der Ampel - das war sie, jedesmal. Mein
Herz ist mehr als nur gebrochen. Wer leugnet, was ich gerade erleide,
sollte mit dem Tode bestraft werden.
Donnerstag, 24.12.2009. 21:53. Noch zwei Stunden. 22:58: Nur noch eine.
23:50. Zehn Minuten. 23:51. Neun. 23:52. Acht. 23:59: eine Minute noch.
Bin gespannt, was jetzt passiert. 0:01. Vielleicht geht meine Uhr vor.
0:10. NICHTS!!!??? Vielen Dank auch. Um Zwei springe ich vom Balkon.
2:10. Ich wusste ja, dass ich euch allen egal bin, aber dass ich euch SO
egal bin, selbst dem ach so lieben Gott!!! 2:30. Ich danke meinen
Eltern für alles und gehe erhobenen Hauptes in den Tod.
2011
"Psychiel?" "So heißt er, ja. Wahrscheinlich
auch so ein biblischer Name. Rein mit dir". Aad schmiss sich aufs Bett.
"Sind Sie der glücklichste Mensch der Welt?" Aad lächelte zynisch: "Ja".
...
"Was ist los?" kam Aad zu sich. "Er hat Sie bewusstlos geschlagen, fast
getötet. Sie bekommen vorerst ein Einzelzimmer". Tolle Klapse, dachte
Aad. Um keinen Selbstmord zu begehen, freiwillig hierhier gefunden, und
gleich am ersten Tag fast getötet.
"Wo ist mein Kind?" schrie jemand die halbe Nacht. Wahrscheinlich eine
Frau, nur es gab keine Frauen auf dieser Station. Ein Mann Ende 30, der
normalerweise mit einer sehr tiefen Stimme sprach, der war das. Aad
lernte auf der Toilette einen kennen, der sich beim Ablecken der
Kloschüssel einen runterholte. Interessanter Mann, dachte Aad. "Warum
bist du hier?" fragte ihn ein alter Penner. "Ficken, schätze ich", sagte
Aad.
Am zweiten Tag Gruppensitzung, da versuchte der Arzt dem Mann mit dem
verlorenen Kind schonend beizubringen, dass dieser keine Frau war -
vergebens. Welches Kind, wusste auch keiner so Recht, der Mann hatte gar
kein Kind. Aad versuchte in der zweiten Nacht, sich umzubringen.
"Wo bin ich?" schrie er, als er merkte, dass er nicht in der Klinik
war. "Ruhig", flüsterte Psychiel, "ich habe dich eine Woche lang
versucht zum Singen zu bewegen, du hast mir nichts gesagt". Aad
erinnerte sich nicht. Psychiel - wer war das? Jurastudent, vorbildlicher
Sohn seiner in Frieden ruhenden Eltern, hilfsbereit, zuvorkommend,
alleinstehend. Er war normal, als er das erste Mal in einen Laden
einbrach, um erwischt zu werden. Er war noch normal, als er sein ganzes
Geld für teuren Cognac ausgab, den er dann in die Kloschüssel
hinausgoss, um sich mit billigsten Branntweinen zu besaufen. War er noch
normal, als er als Tagelöhner zehn Stunden am Tag schuftete, seinen
Lohn verbrannte und um Kleingeld bettelte? War er normal, als er sich in
den Bars völlig nüchtern vor allen Leuten auszog, sich einen Hurensohn
nannte, und jede erdenkliche Erniedrigung über sich ergehen ließ? Er
bekam sogar Honorar fürs Stiefellecken, nur verbrannte er diesen sofort,
er verbrannte immer sein Geld, um anschließend um Kleingeld zu betteln.
Ein Penner wollte in eine Weinhandlung einbrechen, und Psychiel erwies
sich wieder einmal als hilfsbereit und zuvorkommend. Er brach für den
Penner ein, nahm den teuersten Wein mit, ergoss alles auf den Boden und
gab dem Penner die zweitbeste Weinflasche - der Penner trank den Wein
genüsslich aus, wonach Psychiel ihn zusammenschlug und sonach in die
Klapse kam.
"Ich bin der glücklichste Mensch der Welt!" hörte sich Aad aus einer
alten Videoaufzeichnung sagen. Aad war Feuerwehrmann, er rettete an dem
Tag ein Kind, riskierte dabei sein Leben, und gewann das des Kindes.
Psychiel fasste es an dem Abend anders auf - er merkte nicht, wie er den
Sender umschaltete, als eine Sendung über einen gefassten
Kinderschänder lief, der ein bildschönes elfjähiges Mädchen wochenlang
gequält hatte; auf einmal stand Aad da und sprach stolz davon, wie
glücklich er wegen des Kindes war. Psychiel hatte danach noch ein ganzes
Jahr funktioniert. Irreversibel, drehte sich in seinem Kopf herum,
verurteilt aber glücklich, da ihm seinen Genuss keiner mehr nehmen kann.
Ein Buch wird er darüber schreiben, wird vor Gericht monatelang lang
und breit erzählen, wie er das Kind quälte. Selbsttherapie, Therapie auf
Staatskosten, irgendwann ein neues Leben. Psychiel kannte das System
gut. Er versuchte es mit Theologie, aber eine Garantie dafür, dass es
eine Hölle gab, fand er auch dort nicht. Friedlich wird er einschlafen,
dachte Psychiel. Er rannte nächtelang umher und schrie, er sei ein
Kinderschänder. Er begann, sich selbst zu bestrafen, doch er sah den
Unsinn seiner Handlungen ein. Sinn war es, wovor er nicht fliehen
konnte. Er wollte keinen Sinn mehr. Er schiss auf die Tische in den
Seminarräumen und summte umher, als wäre er eine Fliege, aber auch das
war ihm viel zu sinnvoll. Er bewarb sich für die dreckigsten Jobs, und
bestand darauf, einen halben Cent als Lohn zu bekommen, wobei er Hammer
und Meißel zum Zerteilen der Münze mitbrachte. Es war zu sinnvoll. Aus A
folgte B. Es war unerträglich.
"Es war ein Irrtum", sagte er sich nun. Aad versuchte, sich zu bewegen.
Er konnte nicht. Er war fast tot. "Ein Irrtum!" lachte Psychiel und
rannte fröhlich auf die Straße. "Ein Irrtum!" schrie er, nahm irgendwo
ein Brecheisen her, brach in einen Spirituosenladen ein, schnappte sich
die teuerste Flasche und trank aus ihr, tanzend. Aad, zum Fenster
gekrochen, beobachtete dies. Er kroch nun weiter, so dass er aus dem
Fenster hinaus kroch, aus dem fünften Stock auf den Bürgersteig fiel und
von seinen milden Qualen erlöst wurde.
2010
1
Man kann es monologisch nicht äussern.
- Hallo?
- Hallo. Kommst ungelegen. Löcher.
- Du weisst, das das verboten ist.
- Darum solltest du es nicht sehen.
- Mach es wieder weg.
- Nein. Ich mache die Restlichen zu.
- Du weisst, dass das verboten ist.
Wir fuhren nach Irgendwasfelde, eine Kleinstadt, im Rathaus feierlich ein Terrarium, herum gut gekleidete Leute.
- Einen Scotch?
- Gern.
- Coldman? Junge, lange nicht gesehen, komm in die Hall, da sind...
- Wenn du wüsstest wie weg ich muss.
- Was starrst du die Wände an?
- Du weisst, dass das keine Wände sind.
- Wenn schon. Komm.
Möge mein Name mein Schicksal werden. Ich stand neben mir, wie immer,
grüsste die wichtigen Leute nicht, die an mir vorbei. Mein Reisepartner,
Steinman, war nervös, er sah es auf uns zu kriechen, es war
chitingepanzert und hatte einen Rüssel. Ich liess es an uns
vorbeikriechen, er verpasste dem Ding unbeholfene Schläge, bis es stehen
blieb und seinen Rüssel einzog. Ruhig, sagte ich, es genügt nur einer,
es kommt darauf an, wohin. Es war hellbraun, zwei Meter in der Länge,
einen Kopf breit, eine Art Hundertfüssler. Ich machte es kaputt. Der
Vorhang hebte sich, ein Ganzwandterrarium, dort verästelte Kunstbäume,
auf denen sein Nachwuchs, weiss, seidig, acht bis zehn Zentimeter lang,
in tausendfacher Ausführung, als ob das Trennglas gar nicht da wäre. Ich
warnte Steinman, so dass er sein Gesicht abwenden konnte, ich sah halb
hin, mir war halb schlecht, aber ich war noch bei mir, und in meiner
Wohnung, dieser gebigbrotherten Zelle, waren, soweit ich mich erinnern
konnte, alle Tuben - so hiessen hunderte Löcher in der Wand, durch die
Wand, ins Nirgendwo, ins Irgendwo, wo ich nicht sein wollte - waren
vorschriftsungemäss verstopft.
- Steinman, musst du brechen?
- Es geht.
- Wir müssen bei Lichte bleiben.
- Es gibt nicht viele Plätze an diesem Ort, wo Licht.
- Werbung, guck.
Ich sah sie alle so freundlich, überall Gesichter, solch herzliches,
gewinnendes Lächeln, man konnte sich dem nicht entziehen, es gab keine
schlecht gelaunten Menschen, es gab gar nichts, was diese
Kirmesatmosphäre trüben konnte, vielleicht nur mich und Steinman. Den
Leuten versuchten wir, soweit es bei Lichte ging, aus dem Weg zu gehen,
ihre Freundlichkeit war so ansteckend, ihre Augen so verschlingend,
kommt, seid unsere Freunde. Steinman fand eine Absteige am Rande der
Stadt, da war niemand, ausser Pennern vielleicht, Penner, Alkoholiker,
extreme Alkoholiker, wenn nicht, dann mussten wir sofort wieder weg.
Aber unser Glück: regelrechte Alkoholjunkies. Wir setzten uns in ihre
Mitte, gaben ihnen Geld, so dass sie um uns blieben, und schliefen gute
fünf Stunden.
2
Der Traum war warm wie die Luft, der Wärme konnte man nicht entkommen,
sie war in allen Löchern, in allen Gliedern, in Gesichtern und in der
Luft.
- Fertig?
- Fahren wir.
- Wer ist unser Freund?
- Xilincia.
- Ihr Vorname?
- Ja.
- Ich will keine Vornamen wissen. Sind ihre Hände kalt?
- Weiss nicht.
Sie neigte sich zu mir, von Hinten auf den Beifahrersitz. Nein, nicht
die Handschuhe ausziehen, einfach sagen, ob ihre Hände den Umständen
entsprechen kalt sind. Sie bejahte dies. Gut. Wann mich zum letzten Mal
eine Wurst von Mitmensch anfasste, wann war das, das war lange her, das
war als damals dieses Mädchen am Strand, vielleicht Ende 15, sich zu mir
setzte, und ich mich wunderte, warum sie mich so freundlich angrinste,
da gab ich ihr die Hand, und es war wie fester Brei, nicht fest, nicht
flüssig, sah dabei normal aus, keine anatomischen Auffälligkeiten, beim
Allsehenden war das Mädchen schön, beim Allahnenden musste ich die ganze
Nacht brechen. Genug davon, das war nun Vergangenheit.
Wir fuhren - eigentlich, soweit uns die verbotenen Götter beistehen
konnten, die kalten, die unfreundlichen, Götter eben - nach Inii,
nördlicher war nur der Pol. Der Morgen war staubtrocken, das gefiel mir
gut, aber die Hitze, schon um acht Uhr morgens war die Luft heisser als
die Leber, gut das wir Klimaanlage hatten, gut, dass Xilincia nie
Schockbäder nahm, und es wert war, mit uns zu reisen. Sie war ganz
verhüllt, ein beiges Kopftuch, eine Taucherbrille. Handschuhe, - so
erkannten wir uns. So lernte ich Steinman kennen. Wir waren die
einzigen, die auf der Party in Hann- oder Gameover, oder wo das war,
nicht einmal die Handschuhe auszogen. Steinman entrann dem Tode nur
knapp, als ich ihn in der Badewanne unterkühlt fand, im Eisbad, in der
Szene Schockbad genannt - eine Firewall für Körper und Geist, so
sprachen die Iceball-Earth-Jünger, die uns die Vorsichtsmassnahmen
lehrten. Die verstopften Tuben, und die Luft muss zirkulieren, wird der
Automat an der Wand spätestens in 16 Stunden melden, wie weit sind wir
schon weg, wo werden sie uns suchen? Achtung, Smile Police, direkt auf
uns zu, konnte ich noch, bevor.
Nein, verliere niemals das Bewusstsein. Wir wachten nicht irgendwo im
Nirgendwo auf, wir fuhren weiter. Steinman, der beste Autofahrer meines
Wissens überhaupt, nahm eine Abkürzung. Er wechselte die Spur so
schnell, und dabei so elegant, dass unser Wagen sie glauben liess, dass
wir ebendiese Ausfahrt nehmen wollten. Weiter, weiter nach Osten.
- Steinman, kannst du noch fahren?
- Fahr du.
3
Bald sind wir in Djed. Wie ein Mantra. Bald, bald sind wir in Djed.
- Das war Perm!
- Was?
- Das war Perm... das war mal Perm.
- Wo sind die Flüchtlingslager?
- Hundert Kilometer nördlich, aber da ist alles verstopft.
- Weiter nach Osten?
- Ja.
- Schläft Xilincia?
- Ja.
Perm, Permafrost, dieser Dung war nur die Kornkammer der Welt. Irgendwo
nördlich davon, wo eine halbwegs gemässigte Klimazone begann, warteten -
ich lüge nicht - vier bis acht Milliarden Flüchtlinge auf die Einreise
in das einzige Land, in dem es noch Schnee gab. Im Winter. Kraftlos,
hungernd schliefen wir ein. Es war an einer rund um die Uhr beleuchteten
Landebahn für Hubschrauber, wir wussten nicht, wie hoch frequentiert.
Der Punkt war erreicht, an dem alles, auch der Tod, endlich egal war,
weil der Körper nur noch schlafen wollte; auch der Hunger bliebt nur
abstrakter Gedanke, der Magen spürte nichts.
- Wach?
- Ja, Steinman. Ich bin wach.
- Noch vier Tausend.
- Das ist gut.
- Das sind fünfzig Stunden, wenns gut geht.
- Xilincia schläft.
- Ja.
- Bis du sicher...
- Nein, sie ist nicht tot.
Ich setzte mich zu ihr, als sie aufwachte. Unsere Jacken berührten
einander, ich legte meinen Regenmantel um sie. Falls wir Djed nicht
erreichen, und ich weiss dass du und Steinman sauber seid, gehe ich los
und hole irgendeine Maschine, ein Flugzeug, ein Hubschrauber, irgendwas,
und ihr müsst euch mit dem Tod abfinden, es ist gar nicht so schwer,
aber falls ihr überlebt - dazu besteht immerhin eine dreiprozentige
Chance, bleibt nicht dort, ihr müsst sofort nach Inii. Keinen Tag
verlieren. Ich werde verseucht sein, das steht fest. Schüttelfrost, bis
ich den vierzigsten Breitengrad erreiche. Muskelkrämpfe, permanente
Übelkeit, Hautausschlag, Blut aus allen Löchern - vielleicht ist es gar
nicht so schlecht, ich gehe einfach zu Fuss nach Norden, bis ich vor
Schmerzen zusammensinke und quallvoll sterbe.
4
- Du hustest Blut? Seit wann?
- Seit zwei Stunden. Aber ich habe noch Alkohol.
- Gut. Aber du musst in den Kofferraum.
- Vielleicht ist es was Anderes.
- Was denn!?
- Sieh mich nicht so an, Steinman. Es kann doch was Anderes sein, oder?
- Coldman, entweder steig aus oder geh in den Kofferraum.
Der Kofferraum, ein Uterus. Ich fühlte mich wie seit vor der Geburt
nicht. Vielleicht lag es nicht an der gemütlichen Enge des Raums,
sondern an der enormen Menge Alkohol, die ich durch den Strohhalm in
meinen Körper beförderte. Die Strasse war immer noch eben, also trennten
uns noch Stunden von Djed. Wie wir da rein gelangen wollten, frag mich
was Leichteres. Vier bis acht Milliarden Flüchtlinge. Die Grenzübergänge
werden so vollgestopft sein wie meine Tuben. Ich fürchte, wir schaffen
es nicht, dachte ich, aber fühlte nicht, durch den Alkohol war es mir
angenehm egal.
- Steig aus.
- Warum? Wo sind wir?
- Steig aus. Smile Police.
- Versteck Xilincia. Ich töte sie und hole Benzin. Ihr wendet bei New
Awdaghost, da ist ein Flughafen. Der Mann, von dem ich dir erzählte,
sein Name ist Bernstein. Er will seine Tochter sehen. Lebend. Und zwar
so lebend, wie wir beide es meinen, wenn wir von lebend sprechen.
- Wird er uns glauben, dass Coldman uns geschickt hat?
- In seiner Verzweiflung ja. Aber bleibt nicht in Djed. Fahrt weiter nach Norden.
Ich ging auf die Buddies zu, sie lächelten mich an, so gewinnend, so
entwaffnend, doch ich zog eine Waffe und leerte das Magazin. Ich liess
Steinman den Wagen herfahren, er tankte das restliche Benzin aus dem
Fahrzeug der Smile Police und fuhr mit Xilincia weg. Ich ging in die
Überwachungskabine, konnte das Gleichgewicht kaum halten, fiel
schliesslich hin. Eine Ratte lief auf mich zu, und ich empfand ein
Wohlwollen, eine Zärtlichkeit, welche ich seit Langem für ein Wesen
nicht mehr empfand. Bloss kein Hautkontakt, sonst ist die Ratte hin.
Aber wenn sie hier bleibt, lebt sie auch nicht mehr lang. Nicht so, wie
Steinman und ich leben verstehen.
Ein Strand. Ich lief hin, mein Alkoholbehälter war leer. Jetzt helfen
nur Erinnerungen. Ich dachte an das Mädchen. Die Hülle, perfekt fürs
Auge, versteckte einen widerlichen Kern, mehr noch eine
Entkernungsvorrichtung, in wenigen Monaten wird der Infizierte ohne
Wirbelsäule sein, so jedenfalls Professor Doktor Bernstein.
5
Jetzt beginnen die Schmerzen. Gott schütze dich, Steinman. Und Gott
schütze Xilincia. Ich bin zwar verrückt, wenn ich daran denke, aber ich
denke tatsächlich daran, irgendwann vielleicht ihr Gesicht zu sehen. Das
Mädchen mit dem Minirock, mit dem sie dann auch direkt ins Wasser ging.
Es war ein Strand wie dieser. Werde ich mich auch so anfühlen wie sie?
Werde ich bald auch nur noch lächeln. Hilf mir, Alkohol, aber du bist
nicht da, ich habe dich getrunken.
"Sascha, hast du den Regenwurm? Wird ihn jetzt ins Glas. Was passiert,
Kinder? Richtig, im Alkohol stirbt er. Alkohol ist ein tödliches Gift,
für alle Lebewesen". Als ich noch zur Schule ging, repräsentierte der
Regenwurm unsere menschliche Existenz, wir alle Lebewesen waren in
unserer Biosphäre vereint. Und Sascha lebte in Perm. Er starb später an
einer Alkoholvergiftung.
Ein Meer war hier früher nicht, hier war Tundra, hier war Permafrost.
Ihr kalten Götter, ich verende hier, dabei hatte ich noch so viel
Nördliches vor. Ich werde den Schnee von der Strasse lecken, falls ich
in Inii ankomme. Ein Bus. Aber ich kann nicht aufstehen. Und da, im
Wasser, es schwimmt auf den Strand, direkt auf mich zu - ein Trilobit.
Aus dem Bus steigen Terroristen, Touristen aus, ich rufe ihnen etwas zu,
sie hören mich nicht, der Strand ist schier endlos, sie gehen ins
Wasser. Die Erstgenannten nicht, sie eröffnen einfach das Feuer. Der
Trilobit kehrt um, schwimmt auf die blutigen Gliedmassen zu, bald sind
viele da. Zehn Tausend, eine vorsichtige Schätzung. Ich kann immer noch
nicht aufstehen. Es ist etwas mit meinem Körper los, und die
Alkoholvergiftung ist tertiär, wenn nicht quartär. Sekundär ist der
Hunger. Ich verhungere...
Gierig bissen meine Zähne ins rohe Fleisch der Zerfetzten, Erschossenen,
die Trilobiten um mich herum, zwanzig Zentimeter bis so gross wie ein
Wagen der A-Klasse, liessen mich in Ruhe. Ich war kein Fremdkörper für
sie. Diese Trilobiten, wie aus dem Lehrbuch, genau so, exact so sahen
sie aus. Ich hatte vorher nie rohes Fleisch gegessen. Aber nun, nun
werden andere Zeiten kommen. Ich werde Schlimmeres tun. Das ist mir
bewusst.
6
Von hier bis zur früheren Mongolei, das ist die Thedée. Ein Bundesstaat
mit nur elf Milliarden Einwohnern, der flächengrösste Bundesstaat der
Globalen Föderation. Noch ein Bus. Ich steige ein, man stellt mir keine
Fragen. Es sind die Jünger des Tempels des Ewigen Winters, eine grausame
Sekte. Es waren ihre Freunde, die den ersten Bus entführt und die
Touristen erschossen haben. Warum tun sie mir nichts? Warum fragen sie
mich nichts? Ich lehne mich zurück, bald schlafe ich ein. Die wichtigste
Regel gebrochen - in der Gegenwart von Mitmenschen das Bewusstsein
verloren.
Ich fragte mich, warum es so dunkel war, und warum ich nicht angekettet
war, bis ich verstand, dass dieser Raum hermetisch abgeriegelt. Ein
nachter Mann brachte mir Essen. Ein grosser Teller unter einer
Keramikkuppel. Was werde ich dort vorfinden? Das, worauf ich Heisshunger
habe? Werde ich das Gegessene sofort wieder auskotzen oder Augen
schliessen und schmecken? Du bist so elitär, sagte mir Damman vor zwei
Wochen, so elitär. Du willst nur aus dem Grund nicht, dass eine Trillion
Menschen auf der Erde leben, weil du dich vor dem Essen ekelst. Vor dem
einzig möglichen, einzig vernünftigen Essen, das auf einem kleinen
Planeten für eine grosse Anzahl von Menschen in kurzer Zeit produzierbar
ist. Ich hob die Keramikkuppel. Nein, da waren bloss Kekse. Sie
schmeckten mir nun wie Holz, ich musste sie runterwürden. Dann kam ein
bekleideter Mann zu mir. Er führte mich in einen anderen Raum und setzte
mich auf einen Stuhl. Ein Team fesselte mich und brachte mir Elektroden
an.
- Wo sind sie?
- Wer?
Elektroschock. Füsse. Schmerz.
- Wo ist Steinman? Wo ist Bing?
- Ich weiss es nicht.
Elektroschock. Bauch. Nochmal Schmerz.
- Ich schneide dir die Arme ab. Willst du ein Fisch sein, hähä!
- Vall, ich will kein Blut sehen.
Elektroschock. Hoden. Hoden. Hoden.
- Erschiessen wir ihn, er wird uns nichts sagen.
- Wirf ihn auf die Strasse, aber zuerst Hirnmassage.
- Wartet. Sie sind in Inii.
- Inii? Du lügst. Niemand schafft es bis nach Inii.
Elektroschock. Hirnmassage.
7
Die Gxorée, in deren Hauptstadt Ghittox 2,5 Milliarden Menschen leben,
eine mittlere Grosstadt, dort wurde ich hingebracht. Die Kleinstadt, ich
weiss nicht wie sie hiess, zehn Kilometer von Ghittox entfernt, dort
bekam ich eine verriegelte Zelle, vier Quadratmeter, zwei Meter hoch.
Dort sollte ich bis zu meinem Lebensende bleiben. Doch die nordischen
Götter erhörten meine sterbenden Hoffungen, und am siebten Tag befreiten
mich die Jünger des Tempels des Ewigen Winters, die mich zuvor gegen
einen Terroristen ausgetauscht hatten. Sie flogen mich nach Xhigget, die
grösste Stadt der Welt mit 600 Milliarden Einwohnern. Früher war dort
so etwas wie Tibet.
- Ich bin Bing. Du hast mich vor exakt vier Monaten nicht verraten. Deine Freiheit ist mein Dank.
- Warum bist du nicht in Djed?
- Ich bin Bing. Vielleicht darum. Und du, kalter Mann, hast du nicht dein Leben für zwei andere Menschen geopfert?
- Freunde.
- Steinman war dein Freund. Du hattest ausser ihm keine Freunde.
- Weisst du wo sie sind?
- Genausowenig wie du, und das ist verdammt gut für uns wie für sie.
- Wo gehen wir hin?
- 760-ster Stock, der Dritte Kambrische Turm. Dort ist ein Café, in dem
es Essen gibt für Parasiten wie dich. Corn flakes, all das
Kaninchenfutter, das du so gern frisst... Wir sind da.
- Bing, hast du ein Implantat?
- Ich habe neun Implantate, eine Titanlegierung. Ich habe keine
natürlichen Knochen mehr. Leg deine Hand auf den Tisch. Hat es Weh
getan?
- Ja.
- Du bist gesund. In den ersten Wochen müsstest du gar nichts spüren.
- So wie die Zombies?
- Genau.
Ich rätselte lange, was es mit diesen Sonderlingen auf sich hatte, die
scheinbar keinen Schmerz spürten und die verrücktesten Sachen
anstellten; sie brachen sich Arme und Beine, lagen auf dem Beton und
lachten herzlich. Sie waren in der Transformationsphase. Nach fünf bis
acht Wochen spürten sie wieder Schmerz. Und lächelten gewinnend.
8
Das Kaninchenfutter hatte mir durchaus geschmeckt. Die Folter hat mir
wohl gut getan. Die Elektronenschwärme, die durch mein Nervensystem
gepeitscht wurden, sie haben eine Hirndrüse kaputt gemacht. Besser gehts
nicht. Ich bin ein Mensch, - ich bin das, was Steinman und ich meinen,
wenn wir Mensch sagen.
- Taxi!
- Steig ein, Bruder.
- Bruder?
- Bist du kein Kreuzritter des Nordpols?
- Tut mir leid..?
- Schon gut. Du bist grimmig, darum dachte ich, du wärst einer von uns.
- Fahr mich aus dieser Hölle, egal wohin.
Er fuhr mich nach Xhursin, mit etwas weinger denn 10 Milliarden eine
angenehm kleine Stadt. Er hatte ein Steinhaus am Meer. In einem weit
verzweigten Bunkersystem pflanzte er Kartoffeln an; er hielt sich
Hühner, Enten, Gänse. Alles geheim, alles unter dem Schutz der Sekte. Im
Haus begrüssten uns nur zweihundert Leute, vielleicht sogar weniger.
Ein langhaariger natürlich lächelnder Mann meines Alters, also knapp
unter dem Alter des Gekreuzigten, geisselte den Hausbesitzer. "Fleisch,
fleisch, willst du Menschen.. würdest.. würdest du Menschenfleisch
essen?" erging er sich in seiner Wut. "Das einzig effektive
Nahrungsmittel, du musst es doch einsehen. Pflanzen sind nicht effektiv.
Algen sind nicht effektiv. Aber diese Dinger fressen unsere Leichen,
entwickeln sich innerhalb von zehn Stunden von einem mikroskopischen Ei
zu einer vollen Mittagsportion, und du willst Kannibale werden, nur weil
du dich ekelst!?" "Ich ekele mich nicht" sprach der Taxifahrer ruhig.
"Ich will bloss ein Mensch bleiben". "Mein Gott! Iss sie gebraten, du
musst sie nicht roh essen wie die Anderen!" - Ich ging in den Keller,
dort war es angenehm kühl. So gut wie niemand hatte, und niemand
brauchte eine Klimaanlage. Sie waren an die Hitze angepasst. Nur die
Terroristen, die sich in gewalttätigen Sekten zusammenfanden, pflegten
Extrawürste zu braten. "Auf der Erde sollten maximal 200 Millionen
Menschen leben. Das ist meine Meinung" flüsterte der Taxifahrer mir zu
und gab mir eine rohe Kartoffel, die ich geniessenden Mundes ass, bevor
wir in den kühlen frischen Kellerpool sprangen.
- Du weisst, dass wir dich hier behalten werden?
- Ich nehme es an.
- Du weisst, wieso?
- Weil ich immun bin?
- Wir wissen nicht, ob du immun bist. Wir wissen so gut wie gar nichts
über all die Dinge, wie sie wirken, wie sie die menschlichen Gene
verändern, was für Drüsen sie im Hirn wachsen lassen. Wir wissen es
nicht. Aber du bist infiziert und veränderst dich nicht. Du könnstest
uns nützlich sein.
- Ich will nach Inii. Ich werde alles tun, um dorthin zu gelangen.
- Wer war der schlimmste Mörder der Geschichte?
- Der.. der den Fusionsreaktor in der Nigxorée gesprengt hat. Er tötete 75 Milliarden Menschen.
- Du, Coldman. Du wirst es sein. Und du wirst ihn bei Weitem übertreffen.
- Was habt ihr vor?
- Ein Bisschen Platz schaffen. Wir und die Winterkavaliere haben uns auf
30 Milliarden geeinigt. Immer noch zu viel, wie ich finde. Aber jemand
muss arbeiten, jemand muss die Trümmer wieder zusammensetzen. Unsere
Obergrenze lag bei zehn Milliarden, deren Untergrenze bei 50.
- Ich habe gesehen, wie sie Menschen erschossen haben. Wie Tiere abgeschlachtet.
- Ich nehme an, das werden sie mit den Überschüssigen tun, sobald der Wiederaufbau vollendet ist.
Wann hat sich die Welt so verändert? 2290, da war sie noch in Ordnung.
Mein Urgrossvater hatte eine Villa, eine Yacht, zehn Hektar Land,die
Umwelt war weitgehend entgiftet. Und jetzt, 400 Jahre später ist unsere
Welt eine Kloake, und die Menschheit degeneriert je mehr die
Wissenschaft fortschreitet. Ich will kein Mörder sein. Ich will nach
Inii.
9
"Die Langlebigkeit war unser grösstes Problem. Im Vier- und
Fünfundzwazigsten Jahrundert betrug die durchschnittliche
Lebenserwartung 210 Jahre, aber wir hatten noch keine
Bevölkerungsexplosion" - der Taxifahrer hielt einen Vortrag vor der
Sekte. Er war die Nummer drei in deren Rangordnung, der Ranghöchste in
Xhursin. In der tiefen Nacht gingen wir an den künstlichen Strand in
seinem Kellerlabyrinth, sogar der künstliche Vollmond sah echt aus. "Es
möcht kein Hund so länger leben" zitierte er Goethe.
- Es ist mir rätselhaft, warum die plötzliche Bevölkerungsexplosion in der Mitte des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts stattfand.
- Genfood.
- Nein, so einfach ist das nicht.
- Alles wurde vertuscht, aber die Getreidearten, die damals entwickelt
wurden, führten zu Veränderungen im menschlichen Erbgut, so dass die
schlimmste Mordwaffe aller Zeiten ihr Werk unlimitiert verrichten
konnte. Frauen konnten bis zum zweihundertsten Lebensjahr schwanger
werden und setzten unzählige Kinder in die Welt. Ganze Völker verloren
die Kindheit, das Leben fing gleich mit der Pubertät an. Als meine
Mutter mit mir schwanger wurde, war sie drei.
- Es fällt schwer, das alles zu glauben.
- Das glaube ich dir. Du bist behütet und isoliert in der Thedée
aufgewachsen, du grösster Mörder aller Zeiten hähä, in spe hähä.
Bernstein empfing Steinman kühl, aber Xilincia erinnerte ihn an seine
verschollene Tochter. So half er ihnen, über die Grenze zu kommen, und
in das Land des Winters zu gelangen. Sie hielten sich in Djed nicht
lange auf, sie fuhren sogleich nach Norden, nach Djedendjed, erst dort
blieben sie für mehrere Tage.
Dort, wo es dunkel war, konnte man jederzeit auf Arthropoden treffen.
Sie waren - für Tiere - beängstigend intelligent. Sie waren von der
Weltregierung geduldet. Sie frassen Leichen und fütterten die Menschen
mit ihrem Nachwuchs. Einige von ihnen waren so gross wie nie zuvor in
der Erdgeschichte, doch die grossen waren harmlos. Die von der Grösse
eines mittleren Hundes die am meisten Verbreiteten, die von der Grösse
einer Ratte - in unseren Zeiten wahrhaft ein edles Tier - die
gemeingefährlichsten, denn sie passten durch die offen zu haltenden
Tuben hindurch, krochen in die Wohnungen und legten in schlafenden
menschlichen Organismen ihre Eier ab. Die Wissenschaftsreligion dieser
Zeit besagte, dass sie sich nur die Todgeweihten als Madenkrippen
aussuchen würden, doch das war beim Pol nicht der Fall. Sie spritzten
wahllos ihre Eier unter die Haut, mit ihnen gleichsam natürliche
Analgetika, und die Menschen wurden im Schlaf von Maden zerfressen.
Dieselbigen wurden von den Ernteteams abgeholt und später von anderen
Menschen verspeist. Das war grausam, aber wann war die Menschheit schon
nicht grausam, nein, das für mich Grausame war, wie sehr den Menschen
ihr neues essen schmeckte, und so gut wie alle verspeisten sie lebend.
- Steak. Vom Kalb. Das esse ich als Erstes, wenn alles vorbei ist. Hörst du, Coldman?
- Wie kannst du ans Essen denken?
- Meine beiden anderen Grundbedürfnisse sind zufriedenstellend
befriedigt. Essen, Coldman. Ein glücklicher Mensch denkt ans Essen. Wer
an Sex und ans Überleben denkt, ist ein leidendes Wesen.
10
Ein letztes Mal noch an die schwüle Luft, bat ich meinen Gastgeber. Er
gewährte mir eine Stunde, um mich auf meinen Mordanschlag vorzubereiten.
Ich ging den - diesmal natürlichen - Strand auf und ab, wagte mich
schliesslich in die Dunkelheit und liess mich von einem Trilobiten ins
offene Meere tragen. Sein Rückenpanzer war von beachtlicher Grösse, doch
das nutzte mir wenig, als er sich entschied, in die Tiefe zu tauchen.
Weit ins offene Meer getragen, konnte ich nur noch ertrinken.
Es waren keine Fischer, die mir halfen. Es war ein Trilobit. Er
schleppte mich auf eine überschaubare Insel, von der aus die Stadt gut
zu sehen war - Gebäude bis zum Horizont, soweit das Auge reicht. Auf der
anderen Seite der Indische Ozean. Das Schicksal meinte es gut mit mir.
Vielleicht aber nur die Trilobiten. Ich fand Kokospalmen, brach Nüsse,
pisste in den Dschungel und dacht nach. Ich bin hier, im Süden. Inii ist
auf demselben Längengrad, aber im Norden. Der Breitengrad von Inii ist
89. Dort gibt es im Winter Schnee. Auf mich krochen Arthropoden zu:
gigantische Tausendfüssler, alle in ihren prächtigen Chitinpanzern, so
gefielen sie mir. Ich sah, dass sie hungrig waren, aber sie krochen an
mir vorbei. Ein Tausendfüssler, hellbraun, fünf Meter lang, das
Kopfglied wie ein Gymnastikball, nach Hinten die Breite etwas
bescheidener, stolperte unbeholfen über meine Füsse. Ich klopfte ihm auf
den Panzer, er sammelte sich und fand den ursprünglich genommenen Weg
sogleich wieder. Ich sah wie am Strande der Stadt eine Schiesserei mit
Hunderten von Toten stattfand; Boote steuerten auf mich zu, und ich
liess mich festnehmen. Die Terrorzelle von Xhursin wurde an diesem
Morgen neutralisiert.
- Wasser?
- Ja, gern.
- Oder Substanzsaft?
- Nein, Wasser.
- Aber Sie sind hungrig.
- Dann bringen Sie mir doch was zu essen.
- Wir haben ausser... nur Menschenfleisch.
- Frisch?
- Ja. Gerade geschlachtet.
- Wenn er schon tot ist, was solls, bringen Sie´s mir.
- Es.
- Was!?
- Es. Ein Kind. Ein Kleinkind.
- Warum sehen Sie mich so an? Wer hat es getötet, ich oder Sie?
- Hier, guten Appetit.
- Und da sind wirklich...
- Nein, keine Maden drin.
11
Die Laugh Police, der globale Geheimdienst, verhörte mich.
- Hat ihnen der Junge geschmeckt?
- Vortrefflich.
- Wissen Sie etwas, was wir auch wissen sollten?
- Die Sekten arbeiten zusammen.
- Das hilft uns nicht weiter.
- Über mehr Informationen verfüge ich nicht.
- Nein? Sehen Sie ins Terrarium dort drüben!
- Warten Sie... Lassen Sie mich überlegen... Es ist ein Anschlag geplant, in Xhigget.
- Wann? Und wo in Xhigget?
- Dort wo die... Kraftwerke sind.
- Sie lügen. Sehen sie nochmal ins Terrarium. Sind die nicht hellgrün? Ich wette die sind länger als Ihr Schwanz.
- Ich weiss nicht mehr, als ich Ihnen bereits gesagt habe, aber warten Sie, finden Sie das nicht komisch, die Trilobiten...
- Macht ihn los, gleich wird gefressen.
- Die Arthropoden, sie haben mich nicht angerührt! Hören Sie mir zu? Sie
haben aufeinander Jagd gemacht, mich aber nicht angerührt!
- Das... Das glaube ich jetzt nicht. Verbrennt die Raupen und bringt den
Mann ins Hauptquartier. Ja, nach Chichya, ihr habt richtig gehört.
Chichya, vormals nördliches Kanada, am Nordkap der Baffin-Insel. Eine
mit vier Millionen Einwohnern sehr menschenleere Stadt. Und dort
herrschen Temperaturen unter 30 Grad vor. Und ich bin wichtig, ich kann
denen Bedingungen stellen. Ich will ein ungetubtes Zimmer mit einem
frischen Bett, ich will bei der Postproduktion des Bettes, der Laken,
der Decken, der Kissen dabei sein. Dass alles steril ist. "Die Maden
sind steril, und das müssen sie sein, sonst würden sie im Kadaver von
Bakterien zerfressen werden" sprach einst mein Lehrer.
- Wir sind da.
- Wo bringen Sie mich hin?
- Zu Doktor Bernstein.
- Überrascht?
- Allerdings. Sie Arbeiten für die Laugh Police? Wieso?
- Meine Tochter. Sie lebt. Und zwar in einer Unterwasserstadt in der
Antarktis. Gehen Sie, ruhen Sie sich aus. Ich werde Sie morgen
untersuchen.
- Wo ist mein Zimmer?
- Antarktis, mein Freund.
Antarktis. Wann ist die Antarktis geschmolzen... 2496. Mein Zimmer ist
auf der anderen Seite des Korridors, neunzehn Stockwerke tiefer. Ich
gehe jetzt schlafen.
12
Mich weckte ein Zischen, ein Arthropode war in meinem Zimmer. So gross
wie ich, vielleicht noch grösser. Wie gelangte er rein? Was tat er da?
Er hatte gerade Eier abgelegt, wohl in mir drin. Ich setzte mich vor dem
Käfer hin und starrte ihn an. Dann riss ich ihm alle abreissbaren Teile
aus dem Kopf, griff durch die Löcher tief in die Innereien hinein und
machte ihn tot. Ein Ärzteteam begleitete mich in die Duschkabine - eine
Dusche so gross wie eine Sporthalle, doch mir war nicht danach zu
fragen. Ich stand nackt da und liess das warme Wasser über meinen Körper
fliessen, während die Maden, dadurch wohl angeregt, unter meiner Haut
schlüpften. Sie zerfrrassen mich nicht, mein Körper schied sie durch die
Haut aus.
- Ein Experiment. Tut mir Leid, wenn es unangenehm für Sie war.
- Ich werde Sie töten, Bernstein.
- Ich habe gelogen. Ich bin nicht Bernstein. Ich bin sein Klon. Mein Name ist Kinner.
- Ich werde Sie töten, Kinner.
- Wollen Sie denn nicht wissen, was mit ihrem Körper passiert ist? Der
Arthropode hat unter Ihrer Haut Eier abgelegt, aber Sie wurden nicht
gefressen. Warum?
- Was weiss ich, ich bin jedenfalls infiziert.
- Das sind Sie. Aber Ihre Knochen lösen sich nicht auf. Ihr Körper ist menschlich geblieben.
- Wäre mein Körper menschlich, wäre ich nicht mehr am Leben. Wissen Sie denn etwas?
- Nein, aber ich schlage vor, wir führen weitere Experimente durch.
- Warum sind die Duschkabinen so gross?
- Das sind keine Duschkabinen.
Kinner begleitete mich auf ein anderes Zimmer. Ich bekam Protein- und
Glukoseriegel und eine Kiste Mineralwasser. Unterhaltungselektronik war
nicht im Zimmer, nur ein altes Buch. Ich vertiefte mich in die
Geschichte so sehr, dass ich nicht merkte, wie aus den Lichtlöchern in
der Decke faustgrosse Käfer auf den Boden sprangen. Erst ein Biss in den
Arm schreckte mich auf.
- Sie sind hochgiftig. Aber Ihnen ist nicht passiert.
- Die Trilobiten sind vor 250 Millionen Jahren ausgestorben. Wo kommen sie auf einmal wieder her?
- Aus Laboratorien. Was für ein Buch haben Sie da?
- Erdgeschichte.
- Das Werk ist von 2240, es ist überholt.
- Also nicht aus Laboratorien?
- Nein, sie haben sich immer weiter entwickelt.
- Zu was?
- Zu den Trilobiten, die heute in den Meeren schwimmen. Noch ein Experiment?
- Injizieren Sie mir das was Sie mir injizieren wollen, aber hier und mit einer Spritze.
- Gern. Hormone von Neumenschen. Aber ich ahne bereits, dass Ihr Körper
sie wie Alkohol ausscheidet. Ihr Immunsystem ist nicht menschlich...
Resultat
Für einen Moment zweifelte ich, ob es Inii überhaupt gab, aber es gab
Inii. Steinman wartete dort auf mich. Mein Rücken war auf einmal so
steif, die Rippen schienen dicker geworden zu sein. Ich konnte noch
nicht ahnen, was mit meiner Haut passieren wird. Kinner setzte mich in
ein Flugzeug nach Djed, gegen die Vorschriften, aber mit Überzeugung,
oder, besser beobachtet, wie ein Automat, wie ein Roboter, denn ich
durfte unter keinen Umständen entkommen, schon gar nicht in das einzige
freie Land der Welt. Kinner wurde zu Tode gefoltert; er wunderte sich
selbst, wie er tat, er konnte es schon nach zwanzig Minuten nicht mehr
nachvollziehen. Im Flugzeug neben mir sass ein Mann, der mich genau
beobachtete, bis er das Wort ergriff.
- Sie sind nicht einzigartig, mein Freund.
- Nicht? Wie viele gibt es von mir?
- Milliarden. Billionen. Schwer zu sagen.
- Wo werden Menschen zu sowas wie ich umgewandelt? Wozu? Was soll aus mir werden?
- Sie wissen es, bleiben Sie ruhig. Die Maschine wird übrigens abstürzen. Sie werden den Fall ins offene Meer überleben.
Und so geschah es. Ich schwamm an einen Strand, legte mich in eine
Höhle, überall Stein und Fels. Und die, die wie ich waren. Sie lagen
dort und warteten auf ihre Umwandlung. Ich war hingegen infiziert, darum
konnte ich wohl die ganze Zeit laufen. Jetzt nicht mehr. Wird mich
Steinman erkennen? Werde ich Xilincias Gesicht sehen? In meinem schweren
Chitinpanzer schwamm ich wieder ins Meer. Ich kann nicht sagen, wie ich
aussah. Aber Steinman erkannte mich, als ich vier Jahre später an den
Strand von Inii angeschwemmt wurde. Er setzte sich auf mein Rückenpanzer
und sprach: "Das Land der Freiheit, dachtest du. Ich dachte es auch. Es
ist euer Bauernhof, mein Freund. Ihr haltet hier Menschen, um sie zu
essen. Und ihr seid weiter entwickelt als wir. Ihr könnt Gedanken
manipulieren. Und willst du wissen, der du einmal Coldman warst, mein
einziger Freund, warum es diese Bevölkerungsexplosion in der Mitte des
fünfundzwanzigsten Jahrhunderts wirklich gab? Ihr habt uns genetisch
verändert. Frag nicht wie, wir Menschen haben keine Ahnung von eurer
Technologie. Aber ich weiss, wieso. Weil wir so gut schmecken. Weil wir
so schreien, wenn wir lebend verspeist werden. Arthropoden schreien
nicht... Weisst du, ich dachte, die Menschheit würde aus dem Weltraum
erobert werden. Aber ihr wart die ganze Zeit da, habt nur gewartet. Und
nun haltet ihr uns wie Vieh, und wir denken, all die Entbehrungen, die
Enge, die Hitze, der Ekel wären Folgen unseres menschlichen Handelns.
Die Überbevölkerung. Es hätte nie auf natürliche Art mehr als 25
Milliarden Menschen auf der Welt geben können. Es hätte Kriege gegeben.
Wir hätten aufgehört, Kinder zu kriegen...". Ich schwamm davon, wollte
ihm nicht mehr zuhören. Aus der Ferne sah ich Xilincia, sie war schön.
Sie zog sich bis auf Minirock und Bikini aus und schwamm ins Meer. Ich
schwamm zurück und holte sie mir, bevor andere Trilobiten mir
zuvorkommen konnten. Sie litt sehr lange und schmeckte sehr gut,
vielleicht deshalb.
12.2009
Lehrer: Guten Tag, ich bin Herr Dweller, euer neuer Geschichte-darf-sich-nicht-wiederholen-Lehrer.
Klassenbitch: Guten Tag, Mr. Dweller.
Klugscheißer: Herr Dweller, nicht Mr. Dweller, wird sind hier in Deutschland.
Anarchozicke: Ist voll fascho von dir!
Klassenstecher: Wieso, er hat sich doch selbst mit Herr Dweller vorgestellt.
Lehrer: Den Witz habt ihr natürlich nicht kapiert.
Vorlauter Normalo: Doch, Geschichte darf sich nicht wiederholen.
Lehrer: Und was bedeutet das? Sag du.
Stiller Normalo: Dass sich Geschichte in Deutschland nicht wiederholen darf.
Lehrer: Und konkret für euch?
Klassenbitch: Können wir endlich mit dem Unterricht beginnen?
Lehrer: Ach, du bestimmst hier, wo es lang geht? Komisch, ich hätte auf die da drüben getippt.
Klassenschönste: Danke fürs Kompliment.
Klassenstecher: Warum sind Sie so gemein zu meiner Freundin?
Der Arsch: Eure Bettgeschichten könnt ihr im Bett ausdiskutieren. Oder braucht ihr dafür Publikum?
Lehrer: Ruhe jetzt! Sorry, muss mich erstmal an das deutsche Gymnasium
gewöhnen. Bei uns in Kentucky ist es nicht so anarchisch zugegangen.
Der Kiffer: Kentucky... war da nicht was mit Ficken?
Klugscheißer: Chicken, du Huhn.
Anarchozicke: Ey, das ist voll frauenfeindlich von dir, ihn Huhn zu nennen!
Lehrer: Wieso denn? Sind Frauen etwa Hühner?
Vorlauter Normalo: Was hat es denn damit zu tun?
Lehrer: Das ist nur Logik. Damit "du Huhn" frauenfeindlich ist, müssen Frauen Hühner sein.
Klugscheißer: Oder Hühner Frauen.
Klassenfascho: Hauptsache sie können kochen und bügeln.
Anarchozicke: Ich boykottiere den Unterricht, bis sich dieser Schwanz entschuldigt hat!
Vorlauter Normalo: Bei wem denn? Siehst du hier Hühner?
Der Arsch: Oder Frauen?
Lehrer: Zunächst will ich euch beibringen, was ein Syllogismus ist. Du, Macho, bilde einen Satz mit Hitler.
Klassenstecher: Wieso mit Hitler?
Lehrer: Ist mir spontan eingefallen, wir haben doch schließlich Geschichtsunterricht.
Klassenfascho: Hitler war...
Lehrer: Warum guckst du nach hinten? Fühlst du dich beobachtet? Komm schon, kann doch nicht so schwer sein. Was Banales...
Klassenfascho: Hitler war der größte Verbrecher in der Geschichte der Menschheit.
Lehrer: Muss nicht so melodramatisch sein. Etwas einfacher bitte. Und nicht so ängstlich herumschauen, dir tut keiner was.
Klassenfascho: Hitler... war böse.
Lehrer: Geht doch... aber sag mal, warum eigentlich?
Klassenbitch: Das ist doch wohl ein Scherz!?
Lehrer: Überhaupt nicht. Kann mir jemand sagen, warum Hitler böse war.
Kommt schon, es ist doch einfacher, als einen banalen Satz zu bilden! Du
vielleicht?
Vorlauter Normalo: Ähm.. äh...
Lehrer: Fällt dir nichts ein? Komisch. Gut, machen wir weiter mit dem Syllogismus. Jetzt brauchen wir einen zweiten Satz.
Der Arsch: Nö, ich will jetzt wissen, warum Hitler böse war.
Anarchozicke: Spinnst du total!!?
Der Arsch: Nö, ich bin halt nicht so klug wie du. Ganz ehrlich: ich weiß es nicht.
Klassenbitch: Mr. Dweller, dafür muss er zum Rektor!
Lehrer: Und wenn er es wirklich nicht weiß? Die Anderen wissen es ja.
Los, erklärt es ihm! Wenn du der Rektor wärst, was würdest du ihm sagen?
Klassenbitch: Ähm... hm... ähm...
Lehrer: Gut, weiter mit dem Syllogismus. Der zweite Satz lautet
meinetwegen: Alle Bösen sind Psychopathen. Wie lautet die
Schlussfolgerung aus den beiden Sätzen?
Streber: Dass sich Geschichte in Deutschland nicht wiederholen darf!
Lehrer: Habt ihr alle einen Stock im Arsch? Entschuldigung. Sagt man das
in Deutschland so? Aha, danke. Wir müssen wohl zunächst den ersten Satz
begründen. Wer will? Wer traut sich?
Der Kiffer: Hehe. Soll doch der ihn begründen, der ihn uns eingebrockt hat!
Klassenfascho: Hitler war... böse! Da gibts doch gar nichts zu begründen! Hitler war böse und Punkt.
Lehrer: Und Punkt? Das nennt man, Freunde, Faschismus. Eine Meinung muss
hinterfragbar und begründbar sein, ansonsten ist es ein Dogma. Also,
willst du es nochmal versuchen?
Klassenfascho: Hitler war böse, weil...
Der Arsch: Weil Heil.
Klassenbitch: Sehr witzig! Gehen wir.
Lehrer: Sag mal... Fräulein, es ist Unterricht! Sagt man in Deutschlein
Fräulein? Nein? Wie sagt man denn? Was? Mädel. Nie gehört. Na gut. Ist
es hier Brauch, nach Lust und Laune den Unterricht zu verlassen? Nein?
So, zum letzten Mal: Hitler war böse, weil...
Klassenfascho: Weil äh... äh... ganz ehrlich, Herr Dweller: ich weiß es nicht!
Lehrer: Hey, hey, was soll dieses Raunen? Was soll diese Welle der
Entrüstung bedeuten? Ganz ruhig. Junge, hast du nie im
Geschichtsunterricht gelernt, warum Hitler böse war?
Vorlauter Normalo: Nein, keiner hat es gelernt!
Lehrer: Was habt ihr denn gelernt? Du in der Ecke, nicht so schweigsam! Das ist ja wie bei der Inquisition.
Streber: Sie meinen wohl, als hätten wir alle Angst vor der Inquisition.
Stiller Normalo: Wir haben gelernt, dass wer das leugnet, mit Gefängnis bestraft wird.
Lehrer: Wer was leugnet?
Klassenstecher: Na dass Hitler böse war, Sie Cowboy!
Nerviger Normalo: Hä? Warum Cowboy?
Klassenstecher: Na weil er so langsam schaltet!
Lehrer: Dann schalte du mal. Ihr sagt, ihr dürft nicht leugnen, dass Hitler böse war, aber wisst nicht, warum er böse war?
Klassenfascho: Das dürfen wir auch nicht sagen.
Lehrer: Was?
Klassenfascho: Dass wir es nicht wissen.
Lehrer: Aber wie könnt ihr es wissen, wenn ihr es nie gelernt habt?
Klassenbitch: Können wir jetzt mal das Thema wechseln?
Lehrer: Gern. Sogar sehr gern. Aber ich geb euch was mit auf den Weg: wenn
euer moralisches Urteil durch Strafandrohung erzwungen ist, dann seid
ihr nicht wirklich der Meinung, dass...
Streber: Also sind wir alle Nazis!
Lehrer: Nein, das wollte ich nicht sagen. Aber wenn ihr nicht versteht, warum ihr meint, dass jemand böse war, dann...
Vorlauter Normalo: Dann wissen wir nicht, ob der böse war?
Anarchozicke: Hallo!? Aber er war doch böse!
Der Kiffer: Ich sag mal ganz gechillt: Hitler war böse, alle Bösen sind Psychopathen, also war Hitler ein Psychopath.
Klassenstecher: Sie Ami dachten, wir wären blöd? Wieder so ein
Vorurteil. Aber selbst dieses Opfer da weiß: Hitler war böse, weil er
ein Psychopath war. Unfassbar, dass wir solche Banalitäten im
Geschichtsunterricht ausdiskutieren müssen.
Klassenbitch: Ja, wirklich unfassbar. Komm, wir gehen.
Anarchozicke: Sagen Sie mal, Mr. Dweller, euer Bush ist doch auch nicht ganz dicht?
Vorlauter Normalo: Ist doch voll Nazi, Bush auf eine Stufe mit Hitler zu stellen!
Klugscheißer: Nä, nicht Nazi, sondern Logik.
Lehrer: Da klingelt es schon. Hausaufgabe: denkt über die folgende Frage
nach: Kann es eventuell sein, dass jemand vielleicht darum böse sein
könnte, weil er womöglich etwas Böses getan hat?
1.2012