Sonntag, 31. März 2013

Evilius Bösmann




Evilius Bösmann hatte eine furchtbare Tat begangen, doch vor Gericht konnte er nur gewinnen: er wollte die Todesstrafe, um sich nicht selbst umbringen zu müssen. Evilius war seit er denken konnte depressiv und lebensmüde. Solange ihn seine Kinderängste am Freitod hinderten, musste er weiter leben, durfte nicht selbstbestimmt sterben. Am ersten Verhandlungstag war Evilius Bösmann froh gestimmt, er sang auf dem Weg zum Gericht, präsentierte sich stolz den Journalisten, beantwortete ihre Fragen geduldig und freundlich, auch die als Fragen getarnten Beschimpfungen und Beleidigungen.

Die Richterin ließ den Staatsanwalt Evilius Bösmann anklagen, und seine Anklage hörte nicht auf. Er warf dem Angeklagten zuerst dessen Tat vor, dann aber sämtliche Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Evilius Bösmann durfte nicht antworten, und sein Verteidiger saß nur teilnahmslos da und spielte auf seinem Laptop rum. Dann ergriff die Richterin das Wort. Sie wurde laut und warf Evilius Bösmann hohle Phrasen an den Kopf, die stets Wörter wie "immer", "nie" und "jedesmal" enthielten. Die Richterin sprach bis tief in die Nacht, ihre Tirade war gänzlich ohne Struktur und ohne jeden Sinn, sie wiederholte ständig nur das bereits Gesagte in anders formulierten Sätzen. Als sie zu reden aufhörte, schickte sie alle Anwesenden zum Schlafen nach Hause. 

Am nächsten Tag war Evilius Bösmann nicht mehr gesprächsfreudig, und sagte den Journalisten nichts, - vielmehr ging er mit einem Tunnelblick ins Gerichtsgebäude, um seine in der schlaflosen Nacht vorbereitete Erwiderung endlich vorzutragen. Als die Richterin die Verhandlung eröffnete, sprach sie von ihrem Hund und vom Wetter. Evilius Bösmann kam nicht mehr zu Wort, aber es wurde auch mit keinem Wort an seine Tat und an die gestrige Gerichtsverhandlung erinnert. Der Staatsanwalt bemängelte die Verschleißerscheinungen an seinem Auto, und deutete in einer halbstündigen monotonen Rede an, dass er eigentlich einen neuen Wagen bräuchte. Es wurde im Gerichtssaal gegessen, dann gab es Kaffee und Kuchen. Am Abend durfte Evilius Bösmann, müde vom Sitzen, nach Hause gehen. Während er mit einem niederschmetternden Gefühl der Hilflosigkeit und Ungewissheit durch die Straße schlich, zeigten Zeugen der Verhandlung mit dem Finger auf ihn und kicherten.



2012

Donnerstag, 28. März 2013

Was zum Dunkleosteus...





1. Thrinaxodon


Wenn ich Hunger habe, denke ich immer an dich, mein Thrinaxodon, und entscheide mich für Magersucht. Mein Perm neigt sich dem Ende, es ist fast schon Trias. Bald sterbe ich aus, die Rutiodon werden meinen Platz übernehmen. Diese Viecher sind nicht zimperlich: Fleisch ist für sie immer nur Fleisch, ob auf dem Teller oder im Bett. Doch du, mein Thrinaxodon, bist bei Frauen nicht gerade beliebt. Sie meiden dich, können dich nicht riechen. Sie fürchten sich, von anderen Frauen mit dir zusammen gesehen zu werden. Werde erstmal 16, lass dir Zeit. Junge, du hast noch nie ein Mädchen gesehen: immer nur Frauen, 15-jährige, 13-jährige, 11-jährige Frauen. Die Pubertät beginnt immer früher, die Rutiodon werden immer fetter. Ich bin ein einsamer halb verhungerter Gorgonopsid, aber ich zerfleische sie schon, wenn sie dir zu nahe kommen.

Der Trend geht zum Kriechen hin, und habe meine Beine nicht seitlich am Körper. Doch glaub mir, es werden ganz andere Viecher kommen. Lach mich aus, aber ich glaube, dass sich ein Tier auf zwei Beinen bewegen kann. Nennen wir sie Euparkeria: ihnen gehört die Zukunft. Nein, mein Thrinaxodon, das sind keine Reptilien. Wir Gorgonopsia erzählen uns gern Geschichten aus dem Carbon: ein 27-jähriges Mädchen hat es mal gegeben. So zart und bleich, jedes Haar an ihr war glaubwürdig. Sie hatte verdammt lange Haare, und wog Magersucht plus ein Unendlichstel. Sie ernährte sich von Licht und Schatten, nicht von Fleisch wie wir. Aber du bist kein richtiger Carnivore, mein Thrinaxodon, du küsst ja nur. Ich könnte richtig hinlangen, das liegt in meiner Natur. Aber ich hungere und bewundere diese Mädchenbilder, die du mir malst. Du bist auch verglichen mit einem Mädchen ein schöner Junge, und du malst, dichtest, musizierst, tanzt, bist Klassenbester in allen Fächern, und fürchtest dich sogar vor Libellen. Im Carbon hätte dich keiner dafür ausgelacht, aber in unserer Zeit schlagen in Tel Aviv wieder Raketen ein. Das 27-jährige Mädchen, so unschuldig und rein, arbeitete damals an einer todsicheren Verteidigung aller existierenden und noch kommenden Unschuld. Sie war talentierte Physikerin, und hätte eine neue Generation von Atomwaffen erschaffen können. Sie musste nicht leiden, als sie starb: der Asteroid, der ihre Stadt in einem 35-Grad-Winkel traf, war mit einem Bein noch in der Stratosphäre, als er den Boden berührte.

Haut verlangt nach Haut, das ist ihr weiches Schicksal, das so hart sein kann. Deine Nachkommen werden noch besser sein, als diese Euparkeria. Deine Kopfgeburten werden die Welt auf den Kopf stellen. Ich werde auch weiterhin nichts essen, denn so reiße ich nur ein Stück raus, und lasse den ganzen Kadaver liegen. Ich beiße zu und schlucke runter, zum Kauen fehlt mir der angeborene Sadismus. Ich bin ein einfacher ehrlicher Mörder, kein Tierquäler. Ich bin alte Schule, tiefes Mittelalter, meine Essgewohnheiten sind in dieser Zeit fast so lächerlich wie meine moralischen Prinzipien. Ich habe noch nie ein Mädchen gesehen. Du, mein Thrinaxodon, musst dich nur sicher vor Ruß, Feuer und Lava verstecken. Warte ab, bis Weiß wieder Weiß ist, genauer gesagt, bis Weiß, das immer Weiß ist, und immer Weiß war und sein wird, wieder Weiß genannt wird. Es gab eine präkambrische Zeit, da war die ganze Erde ein einziger Schneeball. Manchmal wünsche ich mir diese alten Zeiten zurück. Manchmal will ich alle Prinzipien vergessen und endlich essen, aber dann kaufe ich mir doch wieder nur ein Eis.





2. Tiktaalik


Kennst du diesen kalten Schlamm, der nach Feigen riecht? Er wird wärmer, wenn du bis zu den Knien versinkst. Ich rauche, trinke, fluche noch auf, und komme hinab zu dir.

Du warst nie ein artiges Mädchen: du warst ein großartiges Mädchen. Du tatest keiner Fliege was, und führtest dich dennoch wie ein Elefant auf. Mit deinem Rüssel warfst du mit Haut nach Messern. Sie konnten tief schneiden, gar die Klingen brechen: wo hattest du nur all diese Häute her? Ihre Brüste so weiß, ihre Brustwarzen so rosa. Und du lässt sie da einfach sterben. Hohe Gräser wachsen über sie, und ich denke, was uns Savannah wohl in "Art of Desire" sagen wollte? Dass Gewalt nicht immer Verbrechen ist, und Verbrechen nicht immer Gewalt? Kein Galgen hinter dem Haus, keine Konsequenz für seine einvernehmliche, behutsame Unzucht. Und sie war eine Künstlerin, sie malte Lesben in neblige Phantasien. Die andere Seite des Pinsels passte prima wo rein.

Zwei Todesarten können wir am lebendigen Leib erfahren, und die erste, die edle, wollte ich mit dir teilen. Diese Unendlichkeit der Schönheit ist nicht auszuhalten: wenn ich etwas in meiner Hand halte, und es sich wie deine Hand anfühlt, und in drei Sekunden immer noch, und in fünzehn Minuten immer noch, dann versäume ich es, in deinen Blick zu blicken, der in drei Sekunden und in fünfzehn Minuten immer noch wie dein Blick aussieht. Darum wurde uns der Schlaf geschenkt. Wie an einer Asymptote können wir uns am Tod entlangschmiegen, und deine Hand liegt in meiner, und wir beide in Pyjamas unter zwei Decken; dein Kissen riecht nach Pfirsichen, meins nach Pflaumen. Die zweite Todesart wäre die Selbstzerstörung, ein langes Wort, das in schnellebigen Zeiten mit Sex abgekürzt wird.

Du nanntest mir den Namen eines Mädchens, das noch Kind war, und sobald es dir um den Hals fiel, konntest du dir nicht mehr vorstellen, wie es ist, dieses zierliche Kind eines Tages, einer Stunde, einer Minute nicht mehr festzuhalten. Vielleicht bringt dir ein Fluss dieses Mädchen zurück, denn sein Wasser ist Schlaf ohne Träume, und Tote träumen nicht. Menschen sagen deinen Namen, grübeln und rätseln über ihn, vielleicht kommt er ihnen bekannt vor, weil irgendwo abgeguckt und schlecht nachgemacht. Sag ihnen, wo die Leichen sind. In ländlichen Gegenden verwaisen die Bahnhöfe, und Metall wird gestohlen. Plötzlich sind all diese Leichen wieder so frisch wie vor gar nicht so geraumer Zeit, als du mit Kugelschreibern nach Mädchen warfst. Deine Kugeln trafen.

Und du bist doch nicht dieses Mädchen, denn der Spiegel wirft nichts zurück. Nein, sie ist nicht dieses Mädchen, aber du schon, denn du stehst wie immer hinter dem Spiegel. Du weißt genau, warum ich an deinem Hügel vorbeiging, als noch Winde wehten. Ohne Wind kann ich nicht abheben. Fliegen ist eine Sucht, und nur die Sehnsucht nach dir ist noch stärker, nur du fehlst mir mehr, als die kalten Lüfte. Sie werden über dich herfallen, wenn du eine von diesen Leichen geworden bist. Sie werden dich sezieren und interpretieren, doch sie werden chronostratigraphisch weit daneben liegen.





3. Gorgonopsid


 Der Drache atmet, die Welten entstehen. Er pustet, die Akkretionsscheiben drehen sich. Später bewegen sich Planeten, Sonnen, Monde und diese aberwitzigen Leuchtraketen mit abertausendkilomenterlangem Schweif. Jeder Mord ist ein Selbstmord - das weiß der Drache: bevor er das Feuer ausatmet, atmet er sein Herz ein. Der Kern implodiert, woraufhin der Stern explodiert. Jede Geburt ist ein Mord, dem ein Selbstmord vorangeht.

Ich war schnell und gnadenlos, aus meinem Maul glänzten die ersten Säbelzähne der Welt hervor. Ich konnte reißen, aber nicht zerfleischen, und es gab einfach keine Schokobons zu meiner Zeit. Wer warst du, dunkelblaugraues Lächeln? Warst du ein Cynognathus? Unmöglich, denn die kamen viel später. Vielleicht ein Thrinaxodon? Jedenfalls etwas Kleines, das überlebt hat. Es war höllisch heiß, die Luft war pures Gift, die Ozeane kippten um, und primitive Reptilien, Kaltbülter, nutzten all die Schwächen aus, zu welchen meine einstigen Stärken wurden.

Du weißt ja, ich komme aus Sibirien, direkt über diesen Trapps verbrachte ich meine Kindheit. Es war eine triste, permische Kindheit, ganz ohne Zierkatzen oder Leptictidien. So dachte ich mir alle möglichen Schneefeen aus, deren Zauberei darin bestand, das Leben sinnvoll erscheinen zu lassen. Dich kannte ich nicht, doch du warst immer bei mir: als Asymptote. Auch heute kommt nichts an dich heran, - hast du mich darum vernichtet, damit ich dieses Nichts sein kann? Ja, jetzt bin ich bei dir, und wir sehen von endlosen Gletschern auf die Welt herab. Von hier aus ist die Raumzeit so gekrümmt, dass uns alle Zeitalter zugleich gegenwärtig sind.

Bernsteinfarben kann der Whisky sein oder rot wie ein Rubin, doch nichts macht mich so betrunken wie dieses dunkle kastanienfarbene Zeug - allein beim Hinsehen. Nichts schmeckt aber wie dieses Konzentrat aus all den Schatten, die du jemals warfst. Es gibt so viele Eisplanten im Weltall, wir sollten unbedingt hin. Von einer gigantischen Gletscherzunge tropfen Sintfluten, bis großes Leid aus Kulturen Zivilisationen entstehen lässt. Heldentum, Moral, freier Wille: Errungenschaften des Wartens, das zur Verzweiflung wurde, zur Religion erwuchs, und in Gravitation kulminierte. Der  Rand des Universums ist der Ereignishorizont, und in der Mitte ist das Loch, in welches alle Fragen unbeantwortet fallen.

Auch die beschleunigte Expansion zerreißt schließlich alle Materie, sogar den Raum, die Zeit, so dass es im Grunde egal ist, ob man aufeinander zugeht, bis es schmerzt, oder sich unendlich lange vermisst und durch Sehnsucht immer weiter voneinander entfernt. Zirkusaffen äffen dich nach, und ich sehe ihre Schatten, und sehe dich darin, die Idee, das sonnige eisig frische Draußen. Ich bin der letzte Gorgonopsid, der sich vor den Supervulkanen in einem gewaltigen unterirdischen Höhlensystem gerettet hat. Ja, ich lebe noch, doch ich sehe kein Leben: ich sehe Fledermäuse, Schaben, Monster, - ich will hier raus, doch es ist ein Labyrith. Wartet am Ausgang nur ein Minotaurus oder vielmehr ein Minotaurasaurus? Ich fürchte nicht, durch ein noch größeres Tier umzukommen. Ich fürchte, dass meine Augen zu lange in der Dunkelheit waren, - und wenn ich dich nicht sehen kann, Schneeflockenmädchen, dann ist mir keine Finsternis dunkel genug.

Schönheit ist nur ein Symbol: des Guten, der Vollkommenheit? Mag sein, doch hier stehe ich, erhaben, und Erhabenheit ist auch ein Symbol: des Großen, des Vollkommenen. Und dennoch bin da, nicht nur abstrakt. Hieraus schließe ich, dass auch du da bist, kein bloßer Schein, keine Mirage. Sei eine Katze, ein Blatt, ein Eichhörnchen, eine Wolke, ein Komet, ein Mond, eine Sonne, ein Quasar, ein Pulsar, doch sei kein Mädchen, das nicht verdient hat, du zu sein. Begegne mir nie in einer menschlichen Gestalt, berühre mich nicht, zeig mir nicht dein Lachen, lass mich nie in deine Augen blicken, wenn du nur als Geisel von sadistischen Mördern und Psychopathen existieren könntest. Begeistere mich nicht, lass mein Herz kalt, lass meine Sinne verkümmern. Töte mich durch deine Nichtexistenz, und ich kann mich nicht glücklicher schätzen. Was sind wir? Wellenreiter auf pyroklastischen Strömen, Pollen, fortgespült vom Sonnenwind? Hier auf Erden tarne ich mich als ein unscheinbares menschliches Wesen, und du dich äußerlich als etwas, das mein Herz höher schlagen lässt, und innerlich als das was mein Herz überhaupt schlagen lässt.



11.2012

Dienstag, 26. März 2013

Kleinika




"Ich werde ausziehen". "Mach das...Warum will er ausziehen, das Haus ist so verdammt groß, zur Arbeit fährt er 15 Minuten mit dem Bus...". Erich lehte sich zurück und betrachtete die Sterne. Dieser Sturkopf ist tatsächlich von Zuhause ausgezogen. Erich wollte auch weit weg gehen, aber hatte einem Freund etwas versprochen. Er musste sie finden.

Der September 2024 überraschte mit winterlicher Kälte. Erichs Wagen hätte sich auf der glatten Straße auch überschlagen können. Vielleicht wäre es das Beste für alle gewesen. "Hochheim", las Erich vom Schild, und suchte die Straße. Das Licht braucht keine 15 Minuten von der Sonne zum Mars, dachte Erich. Er wäre gern Julius gefolgt.

Die alte Lehrerin schickte Erich zu einem Psychotherapeuten, aber nicht in Behandlung, sondern weil dieser in der 4. Klasse neben dem Mädchen saß. "Ich nannte sie Kleinika, weil sie so viel kleiner war", sagte er. "Ich beschützte sie immer, vielleicht weil ihre Blicke so verängstigt waren. Aber das war so komisch, denn keiner tat ihr was". "Wo ist sie jetzt", fragte Erich ungeduldig, und dachte dabei an Julius. Ich hole dich ein, dachte er. "Das weiß niemand", wurde Erich enttäuscht. 


Der Vater von Julius rief Erich immer wieder an: "Was sprichst du in Rätseln? Sag mir endlich, wo mein Sohn ist!" "Nun, er ist ausgezogen", sagte Erich immer, "er hat eine Arbeit gefunden, die ihn glücklich macht, und es geht ihm sehr gut". "Warum meldet er sich dann nicht mehr?" Darauf schwieg Erich nur, was hätte er denn sagen sollen, - er war einem Freund noch etwas schuldig.

"In Deckung, Erich!" rief der Verletzte, und Erich gehorchte, und kroch um sein Leben. Der blutüberströmte Mann richtete sich auf und ballerte auf den heranrückenden Feind. Er hatte Hunderte erwischt, bevor er von Hunderten von Kugeln durchsiebt wurde. Erich fing noch seinen letzten Blick, den Blick einen glücklichen Mannes, eines, der endlich erlöst wurde. Es schien, als würde sein Blick Erich genau zwei Worte zuwerfen, einen Vornamen und einen Nachnamen, und in dieser Kombination konnte doch nur ein großer Künstler die beiden Namen kombiniert haben. "Ich verspreche dir, sie zu suchen", flüstere Erich, als seine Kameraden den von einem einzigen Helden zerschmetterten Feind überranten.


Erich brach in alle relevanten Archive ein, fand aber nichts. Ein Notizbuch mit einer Gedichtreihe, die "An Kleinika" betitelt wurde, erwies sich als Fälschung in dem Sinne, dass es erst im Nachhinein geschrieben wurde. Erich stürmte das Haus der alten Lehrerin: "Es hatte sie nie gegeben, oder!?" Die Antwort war ein trauriges Nicken.

"Ich versichere Ihnen, dass ich soweit bin". "Erich, Sie sind nicht mehr der Jüngste, und was wollen Sie dort überhaupt? Sie hatten sich doch nie für Sterne interessiert". "Es geht nicht um mich, und auch nicht um die Sterne", sagte Erich, und rief einen besorgten alten Mann an, bevor er verschwand: "Julius wird nie zurückkehren. Sein Weg kennt nur eine Richtung". 


Erichs Rakete war deutlich leistungsfähiger. Es würde zwar Monate dauern, aber dann ist Julius eingeholt. Auch Erich flog allein, und auch er ließ den Bordcomputer eine Maschine sein, und keine Imitation eines menschlichen Gesprächspartners. "Diese Welt, Schall und Rauch", funkte er an Julius. "Es hat diese Welt nie gegeben", funkte Julius zurück. 


Als sie sich trafen, verstummte die Erde. Sie bauten das von Erich mitgebrachte Teleskop zusammen und blickten sich an, als wären sie von Hunderten von Kugeln durchsiebt worden: so glücklich, so erlöst. Ein Asteroid mit einem Durchmesser von mindestens 30 Kilometern schien den Planeten getroffen zu haben, völlig unerwartet, er kam wie aus dem Nichts. "Für mich hat Kleinika existiert, und für dich?" fragte Erich. Die Antwort war ein fröhliches Nicken.


 9.2012

Sonntag, 24. März 2013

Cxiette




1. Icher als du

Der späte Sommerabend kühlte hormonell belastete Gemüter. Icher trank die Luft, sah zu den Sternen. Museum: Treppe und Vorbau. Da hat er sie sitzen sehen. Er ging zu ihr. Er konnte sie vom Weiten sehr schlecht erkennen, und es wurde nicht besser. Ihre Stimme aber beruhigte ihn. Er atmete erleichtert auf und setzte sich daneben. "Trügt die Stimme?" fragte er. Sie negierte. "Dann bist du ungefähr 15, durch und durch und durch und abermals durch schlank, hast wunderschönes langes Haar, nach dem jeder Wind verrückt ist, wegen dem allein er schon zu wehen bereit ist...". "Das ist wahr. Und ich bin bewaffnet". "Es war kein Kompliment, also musst du es nicht als Drohung empfinden. Ich wollte mich nur versichern, dass du kein Antidiskriminierungsfall bist", sagte Icher mit sanfter Stimme. "Wie heißt du?" fragte sie. "Ich heiße Icher", sagte Icher. "Und ich bin Cxiette". Icher dachte über ihren Namen nach. Noch nie so einen Namen gehört. "Und was bedeutet dein Name?" fragte sie. "Schwer zu erklären", murmelte Icher. "Mir leicht", lachte Cxiette. "Also gut. Als ich klein war, da guckte ich mir jeden Abend eine Fliege aus und dachte: Diese Fliege hält sich für ein Ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie etwas, das Ich zu sich sagt, tot sein kann. Jeden Abend tötete ich eine Fliege". "Ohne Erkenntnisgewinn", konstatierte Cxiette. "Genau. Dann begann ich damit, die Luft anzuhalten, um zu sterben. Und zurückzukommen". "Und warst bestenfalls ohnmächtig, aber nie tot". Eine nicht geringfügig menschenbestückte Gäng nahte. "Meine Waffe ist leider nicht mehr geladen", flüsterte Cxiette, "aber erzähl weiter". Die Gäng war laut, einige ihrer Glieder erreichten bereits die Treppe vor dem Museum. "Nutte, komm fickööhn!" schrieen die Gängglieder das Mädchen an. Icher nahm ein langes Messer und stach sie alle wie Schweine ab, und das Messer glitt wie Butter durch die gräßlichen Leiber. Cxiette setzte sich weiter oben hin, das Blut war eklig. "Dann sprang ich von einem Hochhaus", sagte Icher. "Polizei!" rief er und schnitt seinen Kopf auf. Cxiette machte einen Salto in der Luft, schrumpfte und sprang in sein Hirn. Icher schloss seinen Kopf wieder. "Haben Sie diese... 79, 80, diese 81 Menschen ermordet?" fragte der Kommissar. "Das trifft zu", postulierte Icher. "Da haben Sie meinen Ausweis. Und hier meine Todesurkunde". Der Kommissar leuchtete mit der Taschenlampe auf die Papiere und überzeugte sich telefonisch von deren Richtigkeit. "Alles klar, gehen wir!" rief er die Kollegen. "Gehen wir woanders hin, da kommen schon die Aasfresser", sagte Icher zu dem Mädchen in seinem Kopf und ging.


2. Am Ichsten

"Du, nicht du da, du dort, die du auch du bist, von mir aus gesehen!" "Ich heiße Mi". Am Ichsten kam näher. Das Mädchen war gerade 14, hellblond, auf natürliche Weise ultraschlank und sehr niedlich. "Bläst du?" fragte ein grober Kerl im Vorbeigehen. "Nur Kohlendioxid in die Luft", antwortete Mi. "Soll ich den Penner töten?" war Am Ichsten so freundlich. Mi bejahte dies. Am Ichsten tötete den Penner, was mit einer Schusswaffe geschah.
Mi und Am Ichsten fuhren mit der U-Bahn, beide autolos. Nicht der Armut zuschulde, wegen dem schlechten ökologischen Gewissen. Da kamen drei Werber für die Partei "Die Grünen" und gaben an: "Wir haben diesen Monat durchschnittlich 15% CO2 gespart, und ihr?" Am Ichsten sah sie nicht an, sondern wandte sich zuvorkommenderweise zu Mi: "Soll ich diese Sozialschmarotzer töten?" Mi nickte und sie waren tot, was durch gekonnt platzierte Kopftreffer geschah.
Am Ichsten lud Mi in ein schickes Eiscafé ein, Mi lehnte ab. Sie rechnete etwas im Kopf aus und stimmte dann wiederum zu. Im Café musste Am Ichsten pissen, er ging, poss kurz und konzentriert,  machte seinem Freund da unten Druck, wollte das zierliche Mädchen nicht länger als eine Minute allein lassen, denn da waren überall Leute. Als er zurückkam, fand er eine Vierjährige, wo Mi gesessen hatte. "Hast du das Mädchen gesehen, das eben hier war?" fragte er das Kleinkind. Im Hirn eines vierzigjährigen Politiklehrers am Gymnasium klingelte Folgendes: "Den Mann beschuldigen, das Kind belästigt zu haben, dann gibt es unter dem Schutzmantel des Schutzes bis zu drei Quadratmetersekunden Hautkontakt mit diesem bildschönen Kind, bis es in symbolische Sicherheit gebracht ist". Er schaltete schnell, tat, was er dachte, bevor andere Hautkontaktgierige dachten, dasselbe zu tun. Das kleine Mädchen schaute Am Ichsten mit großen Augen an und wunderte sich: "Warum fragst du mich nicht?" Am Ichsten fragte, sie bejahte. Er tötete den Gymnasiallehrer, was durch eine schnell wirkende Giftinjektion geschah. "Ich habe mir schon gedacht, dass du deine Altersphasen wechselst", kommentierte Am Ichsten die Beinaheverwechslung. "Eigentlich sogar regelmäßig", sagte Mi, "aber bei Süßigkeiten und Eis manchmal spontan". Mi und Am Ichsten verließen das Café. "Du bist immer noch klein". "Noch elf Stunden", lachte Mi. "Was bist du am Ältesten?" "Das was du am Ichsten". "Jetzt?" fragte Am Ichsten, und Mi bejahte zum ersten nein zweiten Mal an diesem Tag etwas anderes als eine Tötung.


3. UnendlICH

Amallerichsten pfiff auf einer Parkbank auf das Verbot illegalen Waffenbesitzes, als eine Gruppe Jugendlicher ein gleichaltriges Mädchen einholte und rumzuschubsen begann. Die weiblichen Gruppenmitgleider zeigten Titten und lachten mit den anderen - nein nicht über das eigene affenhafte Betragen - über das Mädchen, dem sie sie zeigten. Amallerichsten wunderte sich und hörte den Beschimpfungen nun zu: "Lesbe". Er ging hin und fragte: "Und das berechtigt euch, ihre Privatsphäre zu verletzen?" Er zählte der ausgestreckten Mittelfinger ganze sieben und schoss sie alle mit seiner herrlichen langen Beretta ab. Ein Jugendlicher starb, als er über den abgeschossenen Finger seiner Freundin stolperte und mit dem Kopf gegen einen Stein knallte. Vierzig Leute waren bei der Beerdigung, viele Tränen flossen. Krokodilsquote: 34%.

Amallerichsten ging eine Tiefkühlpizza kaufen, da sah er, wie an der Nachbarkasse ein hilflos wirkender Junge als vermeintlicher Dieb beschämt wurde. Er stotterte schon aufgrund seiner Schüchternheit, aber er stotterte noch dazu mit extra eingebautem Sprachfehler. Amallerichsten sah drei lachende junge Männer, und ihm war klar, dass sie dem Jungen etwas in die Tasche gesteckt hatten. So forderte er die Ordnungshüter auf, diese zu fassen, was jene verweigerten. Daraufhin stieß er sie weg von dem Jungen, begleitete ihn aus dem Supermarkt und schoss die hinterhältigen Verbrecher nieder. Achtundneunzig Leute waren bei deren Beerdigungen, viele Tränen flossen. Krokodilsquote: 52%.

Amallerichsten war nach einem langen Fußmarsch müde und wollte mit der U-Bahn heimfahren. Da kamen vier große Gestalten auf ihn zu und forderten die Brieftasche, das Runterziehen der Hose und eine demütige Geste. Amallerichsten nahm sein Menschenrecht nach Artikel 1 des Grundgesetzes wahr und verweigerte ihnen dies. Da schlugen sie zu, er fiel auf den Boden und erschoss sie im Liegen. Von den Kameras überführt, saß er nun vor Gericht und konnte nicht beweisen, dass er angegriffen wurde. "Hätten sie die Pistole nicht dabei gehabt, hätten Sie denen gehorcht, hätten Sie sich totprügeln lassen, dann hätte ich Ihnen geglaubt, dass es Notwehr war", urteilte der Richter. Während auf den Beerdigungen der vier Erschossenen hunderteinundneunzig Leute zu 38% Krokodilstränen vergossen, bedankte sich Amallerichsten höflich für das Urteil, hob ein Maschinengewehr unter dem Tisch hervor und erschoss alle im Gerichtssaal Anwesenden.

Und so ging die Geschichte von Amallerichsten weiter: er pflanzte Bäume, arbeitete ehrenamtlich in sozialen Einrichtungen, engagierte sich politisch für Rechte der Minderheiten, war nett und hilfsbereit, lieh Nachbarn Geld - auch denen, von denen er wusste, dass sie es nie zurückzahlen würden - , setzte sich geduldig für den Tierschutz ein - ohne provokante Gleichsetzungen von Massentierhaltungen mit Konzentrationslagern - , vertrat seine politischen und weltanschaulichen Ansichten in toleranter und unaufdringlicher Weise und nahm seine verfassungsgemäß verbrieften Rechte wahr. Als er starb, waren exakt neun Leute auf seiner Beerdigung anwesend, und die Krokodilsquote ihrer Tränen betrug lächerliche 11%.


 2010-2011

Samstag, 23. März 2013

Der Brief




Ich hörte, als ich noch zur Schule ging, eine Geschichte, die während meiner Schulzeit an meiner Schule stattgefunden hatte, und von der ich, während sie sich ereignete, nichts mitbekam, und die ich, nachdem sie sich ereignete, nicht glauben konnte. Solche menschlich-unmenschlichen Abgünde gibt es, dachte ich, höchstens in skandinavischen Kinofilmen, und der tiefste Abgrund, in den ich zu jener Zeit geschaut hatte, war, dass eine Mitschülerin öffentlich herumposaunte, dass ich noch nie mit einer Frau geschlafen habe, und ich war immerhin 18, das war also eine große Schande, - doch anstatt im Boden zu versinken, fragte ich sie, was das sollte, und sie gab zu, es von jemandem erfahren zu haben, der eigentlich darüber nicht hätte reden dürfen, und es rumerzählt zu haben, um meinen Ruf zu schädigen, weil ich ihr unnahbar und unangreifbar erschien. Sie meinte es gar nicht böse mit mir, sie wollte einfach nicht länger ertragen, dass sie Luft für mich war, und ich war nunmal seit langer Zeit in ein anderes Mädchen heimlich und unerschütterlich verknallt. Sie wollte auch nichts von mir, aber sie wollte, dass ich etwas von ihr wollte, oder mich jedenfalls bedürftiger, abhängiger, manipulierbarer machen, denn diese Leute, denen alles am Arsch vorbei geht, diese Leute mit sozialem Tunnelblick und einem festen oder aber gar nicht vorhandenen Ziel, gehen in diesem Alter nunmal so gut wie allen auf den Sack, denn man ist in diesem Alter gewöhnlicherweise extrem unsicher.

Der freundliche und beneidenswert witzige Leon, der in einer Parallelklasse war, hatte dasselbe nennen wir es ruhig Problem wie ich, und dazu noch eine Behinderung, die nicht offenschtlich war, aber sie war bekannt. Ich sah ihn oft mit dieser Hanna, eine Klasse unter mir, ein wenig hübsch, ziemlich eingebildet, und mit Leon befreundet. Leon hatte großes Mitgefühl mit allen und immer ein offenes Ohr. Hanna sagte ihm, er würde sie als einziger Mensch auf der Welt verstehen, und er fühlte sich ein großes Stück für sie verantwortlich. Er, die 18-jährige Jungfrau, mochte wohl ihre kindliche und unvoreingenommene Art, sonst mied er eher die Mädchen. Eines Tages bekam Hanna einen anonymen Liebesbrief, und jemand flüsterte ihr zu, der Brief wäre von Leon. Man sagte mir, dass Leon, als man ihn darauf ansprach, nur lachte, und sofort Hanna aufsuchte, aber sie hatte plötzlich keine Zeit für ihn. Leon ging davon aus, dass er Hanna nur die Wahrheit sagten musste, nämlich dass er diesen Brief nicht geschrieben hatte, aber dazu bot sich ihm in den folgenden Tagen keine Gegelenheit mehr. Schließlich ging er auf Distanz zu Hanna, weil es auf einmal aussah, als würde er ihr nachstellen; unverschuldet befand er sich nun in einer sehr erniedrigenden Situation, aus der er keinen Ausweg wusste. Er schrieb Hanna einen Brief, in dem stand, dass er den Liebesbrief nicht geschrieben habe, aber von da an würdigte ihn Hanna keines Blickes mehr. Und so waren sie nicht mehr Freunde, nein, das war jetzt undenkbar. Schließlich fand Hanna, obwohl sie unbegreiflicherweise niemals wirklich an der Wahrheit interessiert war, durch einen Zufall heraus, dass der Brief ein dummer Streich eines Jungen aus ihrer Klasse war, - der Junge hatte sich überhaupt nichts dabei gedacht, es war seinerseits nur ein Scherz. Ein ziemlich harmloser Scherz, der sich gleich am ersten Tag in einer heiteren Runde gemeinsamen Lachens hätte auflösen können, ja eigentlich müssen.

Als ich von der Geschichte erfuhr, dachte ich wieder an diese Mitschülerin, die mich nicht leiden konnte, und aus Frust etwas über mich rumerzählt hatte, was sie gar nicht so meinte. Ich fand es trotzdem hinterfotzig von ihr, bis ich eben Leons Geschichte hörte. Hanna hätte nie etwas Gemeines zu Leon gesagt oder über Leon erzählt, sie war stets nett, höflich, ein durchaus liebenswerter Mensch. Nein, sie hätte niemals gesagt, dass sie Leon für minderwertig hielt, und Leon hätte es auch niemals erfahren, hätte es diesen Streich mit dem Brief nicht gegeben. Es gab da diesen einen Kerl aus dem Abschlussjahrgang, der auf einer Party jemandem Drogen ins Bier getan hat, und sie anschließend vergewaltigt, - ihm konnte nichts nachgewiesen werden, aber er wurde bis zum Schulabschluss wie ein Aussätziger gemieden. Er hat jemanden vergewaltigt. Und Leon hat diesen Brief nicht geschrieben. Neulich sah ich Hanna weinen, sie saß allein da, und warf mit hilflosen Blicken um sich. Auch Leon kam nie wieder gut gelaunt zur Schule.



3.2013

Freitag, 22. März 2013

Endsucht




Die aufgeschlagene Tür schlug ihn zu Boden, drei Männer Anfang 20, maskiert, bewaffnet, stürmten ins Haus. Anders kam schnell auf die Beine, aber bekam einen Schlag ins Gesicht und flog auf den Küchentisch. Der Anführer der Einbrecher zog eine Walther P99 und rief, alle sollten unverzüglich aus ihren Löchern kriechen. Der jüngste Einbrecher, ein schlanker Jüngling, vom Aussehen noch nicht volljährig, lief ins Kinderzimmer und rief, sie sei hier. Er setzte sich an den Computer im Wohnzimmer, rief die gesuchte Seite auf und sah den Anführer an. Das sei Michelle, bestätigte dieser. 

Anders wurde von den Einbrechern ins Wohnzimmer geschleppt und gefesselt. Von zerbrochenen Gläsern geschnitten, blutete er, auch sei Gesicht war voller Blut. "Was wollt ihr?" fragte er, als er sich neben seinem Cousin Casper und seiner Frau an die Heizung gefesselt fand. "Das andere Mädchen. Wo ist es?" - der Anführer zeigte auf den Monitor, aus dem die zarte zwölfjährige Michelle mit einem süßen Mädchen von etwa zehn Jahren ins Wohnzimmer lächelte. "Betreibt ihr diese Seite?" "Ich" sagte Anders. "Komm her" rief er den Jüngling zu sich und starrte ihn an, bis dieser mit einem Küchentuch das Blut, das von Anders aufgeplatzter Stirn in seine Augen lief, entfernte. "Lasst uns frei" sprach er nun zum Anführer. Dieser ließ sich vom befehlenden Ton nicht beeindrucken, er predigte nur: "Das da ist höchst bedenklich. Um nicht zu sagen an der Grenze zum Kinderporno". "Die Seite wurde juristisch überprüft, es wurde nichts Laszives gefunden" sagte Anders trocken. Der Anführer wurde zornig, rempelte den dritten, stillen und maskrierten Einbrecher an und murmelte, er sollte weiter nach dem anderen Mädchen suchen. "Sind die Fotos auf dieser Seite alles... sind das alle Aufnahmen von Michelle?" Der Jüngling setzte das schlanke blonde Mädchen auf den Wohnzimmertisch und roch an dem langen Haar des Mädchens, während der Anführer weitersprach: "Ich will die anderen Fotos sehen. Und die Filme". "Hören Sie, wir sind eine professionelle Kindermodelagentur. Wir haben nicht das, wonach Sie suchen" erklärte Casper.


Der Jüngling lachte: "Ich sagte dir doch, die Kleine ist noch unschuldig". Der Anführer überreichte dem stillen Einbrecher ein langes Messer, als er sah, dass die Suche nach dem anderen Mädchen von Erfolg gekrönt wurde. "Ich will sehen, wie deine Tochter weint" sagte er zu Casper. Der stille Einbrecher schlich an den Wohnzimmertisch, an dem die leicht bekleidete Michelle mit ihren großen verängstigten Augen ins Nichts schaute. "Sie ist nicht meine Tochter" rief ihm Casper nach.  "Was?" wunderte sich der Anführer. "Wir haben sie adoptiert. Sie war in Gefahr..." "Und die Gefahr hat sie jetzt offenbar eingeholt" triumphierte der Anführer und entledigte sich seines Gürtels. Michelle zuckte zusammen. Das andere Mädchen lief zu Michelle, umarmte sie und blieb neben ihr sitzen. "Sind Sie mit der leiblichen Mutter verwandt?" richtete sich Anders an den Anführer und sah den Jüngling abermals befehlend an. Doch dieser schlug ihn diesmal mit einer Vase auf den Kopf. Casper begann zu flennen. Seine Frau rief: "Tut den Kindern nichts an! Sie haben euch nichts getan!" "Oh, doch" philosophierte der Anführer, "oh, doch. Jeden Tag sah ich mir diese Fotos an, diese wunderschönen unberührten Mädchen, zart, verwöhnt, frisch, aber ich wusste, ich würde nie so ein Mädchen anfassen können, niemals. Nun bin ich hier, nennt mich den Teufel, aber ich habe mich dazu entschlossen, mein Leben in die Hand zu nehmen..." "Wir sind nicht die Guten. Lassen Sie uns frei" sagte Anders. Der Jüngling kniete neben ihm und steckte ihm das Messer in den Rachen. Er bewegte es mit der Breitseite hin und her auf Anders Zunge, wonach er sprach: "Respektieren Sie uns. Wir sind erwachsene Menschen und aus freiem Willen hier, und dieser Wille will Leid, Schmerz, Qualen, Tränen, Blut, und vor Allem Angst sehen". "Stopf ihm etwas ins Maul" empfahl der Anführer. "Ich denke, er hat es schon verstanden" erwiderte der Jüngling und setzte sich auf den Boden vor den Mädchen. "Was ich nicht verstehe, das sind doch Stöckelschuhe, oder?" wandte er sich an die Kollegen, welche bejahend nickten. "Lassen Sie die Mädchen in Ruhe!" rief Casper. "Oder was?" lachte der Jüngling, zog Michelles Schuhe aus und begann ihre Zehen zu lecken. Anders musste lachen, als er die Frage nach den Konsequenzen hörte. Die Zunge des Jünglings fuhr das linke Bein des Mädchens hoch, als die Eingangstür zum zweiten Mal eingebrochen wurde und vier Männer Ende 40 mit Maschinenpistolen das Haus betraten. Der Jüngling sprang wie von der Tarantel gestochen zur Seite, aber Michelle sah ihn befehlend an; er kroch zu ihr und zog ihr ihre silberglitzernden Schuhe mit dünnen etwas hohen Absätzen wieder an.


Überrascht und konsterniert, ließen die Einbrecher die Männer ihre Waffen wegnehmen und sich in Handschellen abführen, in einen graublauen Minibus. Die Gefesselten wurden befreit; ein hoher kahler Typ warf Anders ein Handtuch zu. "Bleib bei den Mädchen" sagte Anders und ging mit Casper und den beiden anderen Männern zum Minibus.


Der stille Einbrecher hieß Jörg, seine Sozialwohnung war nicht weit von Caspers Haus entfernt. Die Männer stiegen aus und führten Jörg zu demselben nach Hause, während Casper eine Flasche zehnjährigen Laphroaig aufmachte und Anders die restlichen Glassplitter aus seinen Armen zog. Der Jüngling und der Anführer blickten verängstigt, wie Anders Casper die Flasche wegnahm, seine Arme mit dem Whisky übergoss, Casper die Flasche zurückgab und sich mit einem Mädchenslip abtrocknete. Der Anführer senkte der Kopf - der Slip wurde ihm aus der Hosentasche gezogen. Anders hielt ihn hoch, sprach: "Dachtet ihr, der ist von Michelle?" und lachte. "Wo habt ihr ihn her?" "Im Internet ersteigert" murmelte der Jüngling. "Der wäre ihr zu groß" sagte Anders nüchtern und machte die Seitentüren des Wagens auf. Die zwei Männer stellten vier Tiefkühlboxen unter die Sitze und fuhren zur WG des Jünglings. "Was... was ist in den Boxen?" flüsterte der Jüngling wiederholt in Panik, die Männer lachten nur. 


Casper war nun breit, er stieg mit den Männern aus und nahm den Jüngling mit. Anders starrte fragend auf den Anführer, bis dieser gestand: "Ich habe mich in das Mädchen auf den Fotos verliebt. Ich wollte sie entführen und beschützen". "Und so geschah mir", beruhigte ihn Anders, während er seine aufgeplatzte Stirn verklebte. "Ich sah Michelle an einem Strand, überall gierige Böcke, und als ich ihre Eltern sah, da wusste ich, was zu tun war. Wären es Leute wie Casper, hätte ich den Schmerz aushalten können, dass sie nicht bei mir ist. Aber sie schätzten sie nicht, sie respektierten sie nicht". Anders machte die Seitentüren des Wagens auf. Die Männer stiegen ein, brachten diesmal fünf Tiefkühlboxen mit. Casper und der Jüngling waren auch dabei, und setzten sich wieder an ihre Plätze. Der Anführer starrte den Jüngling fragend an, den ganzen Weg zu seinem in einem Bauerndorf befindlichen Haus lang, aber dieser starrte teilnahmslos ins Nichts.


"Aussteigen" weckte Anders den in Gedanken versenkten Anführer. "Ich heiße Ben". "Das ist uns kein Geheimnis" bemerkte Anders trocken. Der betrunkene Casper zog den Jüngling wie ein Stück Vieh angekettet hinter sich, Anders und Ben gingen vor. Im Haus war niemand, Ben lebte allein, abgeschieden. Nicht einmal ein Haustier hatte Ben. Als die Männer, der besoffene Casper und der verstörte Jüngling ankamen, gab Anders einem der Männer eine Stoppuhr. "Und los" sagte er und begann zu suchen. "Vierundvierzig, nicht schlecht" kommentierte der Mann die Sekundenzahl. "Mach uns einen Tee, Ben" befahl Anders und wies den Gästen ihre Plätze zu. Der Abend ward lang, Ben hatte im Laufe seines Lebens als abgeschieden lebender Internetauktionshändler viele Kinderpornos angehäuft. Gegen Mitternacht gönnten sich die Männer mehrere Zigaretten, gingen dazu freundlicherweise aus dem Haus. "Du dachtest im Ernst, solche Filme von Michelle würden existieren?" fragte Anders Ben. Ben nickte. "Darum habe ich euch überfallen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen" vervollständigte er sein Nicken. Anders nahm Ben die Handschellen ab. "Töte diesen Bastard" zeigte Anders mit Bens Walther auf den Jüngling. Ben verweigerte sich der Tat. "Als Liebender einem Liebenden sage ich dir: Töte ihn, Ben, und du bist frei". Ben zierte sich, nahm aber das Küchenmesser, das Anders ihm reichte, doch in die Hand. "Was machst du? Ben!? Ben!! Sie haben meine Familie abgeschlachtet! Hörst du!? Sie haben sie aufgeschlitzt!!" "Und ihnen die Organe entnommen" sprach Anders mit gewohnt ruhiger Stimme. Ben starrte zu Boden, eine Minute, zwei, richtete sich schließlich gerade auf, warf seinen Kopf hoch und stach in den Hals des Jünglings. Casper, wieder klar im Kopf, erbrach auf den Wohnzimmertisch, schimpfte und ging in die Toilette. "Zieh das Messer raus" sagte Anders. "Eine Planänderung. Du wirst ihm selber die Organe entnehmen. Mach alles akkurat und verpacke die Organe in diese Beutelchen hier. Steck die Beutelchen in die Tiefkühlbox und ruf mich wenn du fertig bist". Anders sah nach Casper, während Ben seinen besten Freund zerfleischte; der Jüngling war noch nicht ganz tot, als Ben, den er noch aus dem Kindergarten kannte, ihm die Organe aus dem Körper schnitt. Als er fertig war, rief er Anders, dieser lobte ihn, versiegelte die Box und packte sie in den Minibus. Die Männer waren längst im Wagen und hörten klassische Musik. Ben blieb wie erstarrt auf dem Boden neben der Leiche seines besten Freundes sitzen, stand nach einiger Zeit auf und lief dem davonfahrenden Minibus hinterher. "Pass auf Michelle auf!" hörte ihn Anders noch zurufen.


 1.2010

Mittwoch, 20. März 2013

Fuck





"Fuck!" dachte Bob, der sich gerade noch vor dem Sergeant gebrüstet hatte, wie ihm die neue Blondine vom Stützpunkt doch noch einen blies. Nun lag Bob immer noch in diesem an einen Kabelsalat angeschlossenen Sarg, aber niemand war mehr da, auch nicht der kleine dürre Arzt, den Bob einen Loser nannte, weil dieser noch nie mit einer Frau geschlafen hatte. "Hallo!?" rief Bob, doch niemand antwortete. Er kroch aus dem Sarg und ging aus dem Versuchslabor hinaus, den Stützpunkt erkannte er nicht wieder - hier war nun eine Stadt. Bob musste mal, wurde aber von einem Wächter vor einer blitzblanken öffentlichen Toilette aufgehalten: "Hierhin nicht!" "Wieso?" wunderte sich Bob, "das ist doch eine Männertoilette, und ich bin ein richtiger Mann, wie du siehst, du uniformiertes Schwein! Wie viele Weiber hast du denn schon flachgelegt? Ich vermute mal, gar keins". "Richtig geraten", sagte der Wächter emotionslos, und zeigte Bob die andere Tür, die zu einer heruntergekommenen Toilette führte. "Was ist los, Mann?" wunderte sich Bob. "Sie sind unkeusch, Sie dürfen keine saubere Toilette benutzen".

Bob ging durch die Stadt und dachte darüber nach, wie viele Jahre er wohl in diesem Gefriersarg gelegen hatte. Passanten wechselten die Straßenseite, in den Kantinen wurde er nicht bedient, in Restaurants und Gaststätten nicht hereingelassen. Aus Geschäften und öffentlichen Einrichtungen wurde Bob verwiesen. Er verschaffte sich per Fausthieb den Zugang zu einer Bank, um Geld abzuheben, und während ein Polizist den Niedergeschlagenen nach dem Flüchtigen befragte, konnte Bob das ganze Geld von seinem Konto abheben und aus dem Gebäude flüchten. Nun wurde es aber bitter für Bob: er bot dem Taxifahrer eine große Summe an, doch dieser lachte nur, und nahm das Geld nicht. "Das ist Spielgeld", erklärte er. "Was laberst du da, du Schwuchtel?" wunderte sich Bob. "Mit diesem Geld bezahlen nur die Ficker", erklärte der Taxifahrer höflich und öffnete dem Bob verfolgenden Polizisten die Tür.

Der Cop schmiss Bob auf den Rücksitz mit den Worten: "Unfassbar, dass es euch Abschaum noch gibt! Mein ganzes Leben muss ich mich mit euch Ungeziefer rumschalgen! Man sollte eine hohe Mauer um euch rum machen!" Bob verstand die Welt nicht mehr - ein gepflegter 35-jähriger Offizier wurde wie Dreck behandelt. Er fragte zur Sicherheit nach: "Träume ich vielleicht? Oder bin ich tot?" "Wie gern würde ich euch Hurensöhne alle tot sehen!" seufzte der Polizist. Er stoppte den Wagen außerhalb der Stadt und zeigte Bob eine Mauer, die sich bis zum Horizont erstreckte: "Nach dem nächsten Referendum werdet ihr alle hinter dieser Mauer leben. Diesmal werden zwei Drittel für eine totale Segregation stimmen, da bin ich mir so was von sicher". "Warum hassen Sie uns so?" senkte Bob seine Birne. "Euch Ficker?" "Ja... wieso Ficker? Haben Sie denn keinen Sex?" "Niemand hat Sex, wir sind doch keine Tiere! Und einer wie du hat meine Schwester vergewaltigt, darum hasse ich euch alle, ihr seid doch alle gleich!"

Im Gefängnis verirrte sich Bob zunächst, als er zu einem Waschbecken mit der Aufschrift "keusch" wanderte, wofür er von einem Schließer eine Kopfnuss bekam. Bob ging zum dreckigen Waschbecken mit dem kaum lesbaren Schild "unkeusch" und wusch sich mit Abwasser das Gesicht. Als Handtücher benutzten die unkeuschen Insassen die fünf Tage getragenen Unterhosen der keuschen Gefangenen. "Na, war es nicht mal andersrum?" fragte ein stämmiger Bursche Bob nach vergangenen Zeiten. "Du weißt, dass ich..." "Dass du einer der aufgetauten Hurensöhne bist? Ja, und du bist nicht der Einzige". "Warum werden wir nicht gleich getötet?" schluchzte Bob, worauf ein freundlicher Schließer erwiderte: "Leute wie du werden im Zoo gehalten. Scheiß Dekadenz, sage ich dir, aber die Kunden zahlen viel Kohle dafür, um zu sehen, wie ihr Drecksschweine fickt, so wie die Hunde oder Karnickel". "Gibt es auch aufgetaute Frauen?" "Die dienen anderen Zwecken. Aber ihr Schweinlein werdet doch nach zwei Wochen ohne Fick so geil, dass ihr auch Kerle vögelt! Wenn deine Strafe vorbei ist, wer würdest du gerne sein, der Schwanz oder der Arsch?" Alle lachten, Bob weinte. Er legte sich auf die Bodenmatratze in seiner Zelle und schlief ein in der Hoffnung, es sei alles nur ein böser Traum, aber ein heftiger Fusstritt in den Bauch weckte ihn um fünf Uhr morgens auf: "Amnestie, Hurensohn! Glückwunsch zum Abendarsch im Hauptstadtzoo, dein Hintern ist ja richtig knackig!"



2.2012

Dienstag, 19. März 2013

Freitod 2010




Montag, 3.8.2009. Heute werde ich die Welt verändern!

Donnerstag, 6.8.2009. Gerade an diesem Tag sage ich und wiederhole: diese Welt ist eine gute Welt!  Ja, es gab Hiroshima, aber es gab auch Anne Frank, und ich bin stolz, in die 11. Klasse einer Anne-Frank-Schule zu gehen!

Freitag, 7.8.2009. Hihi.

Montag, 10.8.2009. Es ist weiß Gott nicht mein Niveau, aber nochmals HIHI!

Dienstag, 11.8.2009. Mag sein, dass ich gestern zu euphorisch war.

Mittwoch, 12.8.2009. Liebe! Hoffnung! Ich bin dennoch zuversichtlich. Jeder mensch ist fünf Mal am Tag ein peinlicher Idiot, - diese Grenze nicht zu überschreiten, ist Coolness.

Freitag, 14.8.2009. Natürlich hoff ich!

Freitag, 21.8.2009. Hoffentlich hat sie nicht die Schule gewechselt.

Montag, 24.8.2009. Es ist kindisch, pessimistisch zu sein. Diese Welt ist die beste aller Möglichen, sonst gäbe es sie doch gar nicht. Diese Eins in Religion, ach, das ist eine Kleinigkeit des Lebens. Ich bin froh, auf der Welt zu leben! Diese eins, ich widme sie ihr, ohne sie hätte gar nicht den Mund aufgemacht. Das war ihre Inspiration. Nur weil sie so geguckt hat, habe ich das Richtige gesagt.

Sonntag, 30.8.2009. Es müsste langsam. Nicht, dass ich ungeduldig wäre.

Montag, 31.8.2009. Es ist exakt 24 Tage her. Nun erwarte ich den nächsten Level.


Dienstag, 1.9.2009. Leibniz ist brilliant!

Donnerstag, 3.9.2009. Ich weiß, dass alle in meinem Alter Sex wollen, und das sofort, aber mit IHR- nicht! Ich will mit IHR bis Weihnachnten nur unschuldig kuscheln. Könnte Anne Frank uns bloß sehen!

Freitag, 4.9.2009. Jedes gesagte Wort verändert die Welt. Und IHRE Worte klingen so rein, wie mein Herz sie liebt. Ich werde bis Montag nicht mehr schlafen, ich will nicht, dass der Klang ihrer Worte in mir vergessen wird.

Montag, 7.9.2009. Wahrscheinlich wird das eine Fünf. Aber die Welt ist nicht Mathematik! Und ich war gehandicapt. Was für eine widerliche insektliche Kleinigkeit, diese Fünf! SIE war heute nicht da, das ist wirklich katastrophal!

Freitag, 11.9.2009. Was für respektlose Schweine! Behaupten allen Ernstes, die Amis hätten es selbst getan! Haben die keinen Respekt vor den Opfern und deren Angehörigen? Und sowas nennt sich Referat! Und was ist das für ein Lehrer, der "zumindest eine logische Stringenz" darin erkennt? Verschwörungstheorie, nur dumme, dämliche Verschwörungstheorie!

Sonntag, 13.9.2009. Hm, das war wahrscheinlich Einbildung. Der Kuss an der Ampel ist aber auch ein bekannter Archetyp. Das war doch nicht SIE! wie lächerlich, dies überhaupt anzunehmen!

Dienstag, 15.9.2009. Gier ist die Ursache der Finanzkrise! Alles sofort! Schnelle Rendite! Keine Geduld! Ich warte gern, denn meine Gefühle sind echt. Ich will nicht bloß Spaß, ich liebe unendlich sehr, und spätestens Ende Oktober werden wir Hand in Hand durch den Park spazieren.

Freitag, 18.9.2009. Streit. Wer ist schuld? Natürlich Jan. Immer Jan.

Samstag, 19.9.2009. Das ist aber schon komisch, das zuerst ich bezichtigt werde, und erst dann objektiv geguckt wird, wer angefangen hat.

Sonntag, 20.9.2009. Streit gehört zum Leben wie Warten zum Lieben.

Montag, 21.9.2009. Ich brauche etwas Zeit für mich.


Freitag, 16.10.2009. Las Schopenhauer. Wie konnte ich so naiv sein, und diesem dämlichen Leibniz zustimmen? Natürlich ist diese Welt die SCHLECHTESTE aller Möglichen, denn wäre sie noch schlechter, wäre sie nicht mehr da. DAS ist Logik! Und Leibniz - das ist Philosophie! Demagogie!

Montag, 19.10.2009. Auf dieser Welt kann uns nur noch die Liebe retten. Und wer aus so reinem Herzen so ehrlich liebt wie ich, üssiert in jeder Welt re!

Dienstag, 20.10.2009. Ich kann - was soll ich sagen - nur noch stolz auf mich sein.

Mittwoch, 21.10.2009. Wahrscheinlich Burnout, sonst hätte ich heute an der Ampel nicht halluziniert.

Donnerstag, 22.10.2009. Ihr heult! Ich dagegen weine! Man kann nur stolz sein auf Tränen, die unschuldige Wangen entlang kullern. Liebe ist heilig! Ich bin heilig!

Sonntag, 25.10.2009. Wenn es Gott gibt, wird sie mich morgen ansprechen.

Montag, 26.10.2009. Was für ein Idiot bin ich doch! Gott eine Pistole vor die Brust setzen! Ich darf doch Gott keine Fristen vorschreiben. Aber das wäre schon ein Gottesbeweis, wenn...

Mittwoch, 28.10.2009. Gott weiß, was er tut. Etwas zu einem bestimmten Termin von Gott zu erwarten, ist lächerlich, aber NICHTS wäre doch ein Beweis seiner Nichtexistenz!

Samstag, 31.10.2009. Nicht umsonst hat Luther reformiert. Vielleicht hat er aber nicht weit genug gedacht. Eine interessante Doku gesehen, die auch mal die andere Seite beleuchtet! Wie war denn Hitlers Kindheit so? Das steht komischerweise in keinem Geschichtsbuch. Man leugnet die Wahrheit, tut so, als sei nichts gewesen, und gibt ihm für alles die Schuld!


Montag, 2.11.2009. Warum verdrängt sie so, dass sie mich liebt? Wird sie von ihrem Vater sexuell missbraucht? Ist das der Grund? Ich warte noch eine Woche, vielleicht zwei, dann schicke ich ihrer Mutter einen Brief!

Dienstag, 3.11.2009. Jaja, der böse Jan. Was hab ich denn gesagt? Dass Anne Frank nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war - ist das etwa nicht wahr? Ich habe sie sehr bewundert, aber es gibt Grenzen.

Mittwoch, 4.11.2009. Wie kann man überhaupt nach einem KIND, das gar nichts geleistet hat, eine Schule benennen!!?

Freitag, 6.11.2009. Nicht, dass ich glauben würde, die Mondlandung sei gefälscht, aber das hat was. Wenn man tiefer nachdenkt, und nicht nur oberflächlich bleibt, wie alle Menschen und gewisse Mädchen, kann man sogar deutlich sehen, dass eine Fälschung wahrscheinlicher ist - zum Beispiel SIE, sie verhält sich mir gegenüber IMMER falsch. Verallgemeinern wir das: sollte die Mondlandung echt gewesen sein, dann wäre es eine AUSNAHME! Und ausgerechnet in diesem heiklen Fall soll eine Ausnahme die Wahrheit sein? Tut mir leid, Freunde, aber die Welt ist Mathematik! Solange es keine Beweise gibt, halte ich mich an das Wahrscheinlichere.

Montag, 9.11.2009. Ein Schicksalstag, auch für mich. Wird das meine persönliche Pogromnacht?

Dienstag, 10.11.2009. Was kommt als Nächstes? Elterngespräch: die Parallelen sind erstaunlich! Als wäre das so eine Art Wannseekonferenz. Jan ist böse! Jan ist der Quell allen Übels in der Schule, in der Familie, warum nicht gleich auf der ganzen Welt!? Jan muss vernichtet werden!

Mittwoch, 11.11.2009. Zum Kotzen!

Donnerstag, 12.11.2009. Es gibt einen Schwanz, der sehr bald sehr tief gelutscht wird, das verspreche ich euch!

Sonntag, 15.11.2009. Habe meine Tränen Gott anvertraut. Es war wirklich meine Schuld, ich war Egoist. Ich habe meine Fehler eingesehen und bereut. Ich danke Gott, dass er mir vergibt und mich nicht im Stich lässt!

Mittwoch, 18.11.2009. Ich dachte, Gott würde mich nicht im Stich lassen. Als hätte ich am Sonntag zu der Wand gesprochen!

Freitag, 20.11.2009. Klappt die Tafel auf, kritisiert mein Gedicht. Es war an SIE, du Depp! Steck dir deine Literaturkritik in deinen faulen Lehrerarsch! Die ganze Romantik versaut! Eichmann!

Samstag, 21.11.2009. Ich werde der Linken auf ewig meine Stimme geben. Das ist keine Politik mehr, das ist WAHRHEIT. Lafontaine ist ein Heiliger. MIT SEKUNDÄRTUGENDEN KANN MAN AUCH EIN KONZENTRATIONSLAGER LEITEN!!! Ich glaube, ich bin in einem.

Montag, 23.11.2009. Die freuen sich schon auf Weihnachten. Ich hoffe, es gibt bis dahin noch einen Atomkrieg.

Donnerstag, 26.11.2009. Hoffentlich greifen die bald den Iran an. Hoffentlich fliegt gleich hier alles bald um die Ohren! 

Freitag, 27.11.2009. Objektiv Einsplus. Subjektiv Vierminus. Hure! Nicht mal das arithmetische Mittel zwischen der objektiven Wertung meiner Arbeit und ihrer subjektiven nuttigen Meinung! Nein, das Allerschlechtestmöglichste! Jan muss ja bestraft werden!

Samstag, 28.11.2009. Celan ist ein Hochstapler. ICH bin der UNGLÜCKLICHSTE Mensch der Welt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Montag, 30.11.2009. Ich bringe mich um, wenn Weihnachten NICHTS passiert!


Mittwoch, 2.12.2009. Gott und die Welt haben noch Zeit bis Heiligabend. Dann kann ich nichts mehr versprechen.

Donnerstag, 3.12.2009. Anne Frank ist eine Phantasiefigur so wie Shakespeare oder Gott.

Montag, 7.12.2009. Die Welt ist einfach nur eine Wüste, nein, eine Wüste stinkt ja nicht, die Welt ist einfach nur eine Kugel SCHEIßE!

Dienstag, 8.12.2009. Ich verachte alle Menschen gleich tief. Wie konnte dieser Hurensohn meinen, ich würde die RAF verteidigen? Genauso Schwanzlutscher, wie alle.

Mittwoch, 9.12.2009. Ich würde das nicht Schwänzen nennen. Jeder hat das angeborene Recht, Übel von sich fernzuhalten.

Donnerstag, 10.12.2009. Eine Entschuldigung soll ich schreiben? Und wer entschuldigt sich bei mir? Ihm ist egal, dass auf dieser schönen Welt Kinder gefickt werden, aber dass der böse Jan gestern die Schule geschwänzt hat, ist schlimmer als der Holocaust! Ich wundere mich nur noch, warum mich Gott nicht gleich in der Hölle "erschaffen" hat.

Sonntag, 13.12.2009. Morgen die letzte Chance!

Montag, 14.12.2009. Morgen die LETZTE Chance!

Dienstag, 15.12.2009. Von den Menschen erwarte ich nichts mehr. Aber ich FREUE mich auf Weihnachten! Gott ist HEILIG und nicht korrupt und verlogen!

Mittwoch, 16.12.2009. Ich weiß nicht, was ich von dieser Eins halten soll. Zynismus pur. So, als hätte ein Aufseher im KZ einen ausgehungerten Schriftsteller in seinem Drecksloch aufgesucht und gesagt, ihm hätte sein (längst verbranntes) Buch gefallen!

Donnerstag, 17.12.2009. Ich werde keine Biographie schreiben. Mein Leben ist in menschlier Sprache nicht zu erfassen.

Dienstag, 22.12.2009. Das an der Ampel - das war sie, jedesmal. Mein Herz ist mehr als nur gebrochen. Wer leugnet, was ich gerade erleide, sollte mit dem Tode bestraft werden.

Donnerstag, 24.12.2009. 21:53. Noch zwei Stunden. 22:58: Nur noch eine. 23:50. Zehn Minuten. 23:51. Neun. 23:52. Acht. 23:59: eine Minute noch. Bin gespannt, was jetzt passiert. 0:01. Vielleicht geht meine Uhr vor. 0:10. NICHTS!!!??? Vielen Dank auch. Um Zwei springe ich vom Balkon. 2:10. Ich wusste ja, dass ich euch allen egal bin, aber dass ich euch SO egal bin, selbst dem ach so lieben Gott!!! 2:30. Ich danke meinen Eltern für alles und gehe erhobenen Hauptes in den Tod.



 2011

Sonntag, 17. März 2013

Psychiel




"Psychiel?" "So heißt er, ja. Wahrscheinlich auch so ein biblischer Name. Rein mit dir". Aad schmiss sich aufs Bett. "Sind Sie der glücklichste Mensch der Welt?" Aad lächelte zynisch: "Ja". ...

"Was ist los?" kam Aad zu sich. "Er hat Sie bewusstlos geschlagen, fast getötet. Sie bekommen vorerst ein Einzelzimmer". Tolle Klapse, dachte Aad. Um keinen Selbstmord zu begehen, freiwillig hierhier gefunden, und gleich am ersten Tag fast getötet.

"Wo ist mein Kind?" schrie jemand die halbe Nacht. Wahrscheinlich eine Frau, nur es gab keine Frauen auf dieser Station. Ein Mann Ende 30, der normalerweise mit einer sehr tiefen Stimme sprach, der war das. Aad lernte auf der Toilette einen kennen, der sich beim Ablecken der Kloschüssel einen runterholte. Interessanter Mann, dachte Aad.  "Warum bist du hier?" fragte ihn ein alter Penner. "Ficken, schätze ich", sagte Aad.

Am zweiten Tag Gruppensitzung, da versuchte der Arzt dem Mann mit dem verlorenen Kind schonend beizubringen, dass dieser keine Frau war - vergebens. Welches Kind, wusste auch keiner so Recht, der Mann hatte gar kein Kind. Aad versuchte in der zweiten Nacht, sich umzubringen.

"Wo bin ich?" schrie er, als er merkte, dass er nicht in der Klinik war. "Ruhig", flüsterte Psychiel, "ich habe dich eine Woche lang versucht zum Singen zu bewegen, du hast mir nichts gesagt". Aad erinnerte sich nicht. Psychiel - wer war das? Jurastudent, vorbildlicher Sohn seiner in Frieden ruhenden Eltern, hilfsbereit, zuvorkommend, alleinstehend. Er war normal, als er das erste Mal in einen Laden einbrach, um erwischt zu werden. Er war noch normal, als er sein ganzes Geld für teuren Cognac ausgab, den er dann in die Kloschüssel hinausgoss, um sich mit billigsten Branntweinen zu besaufen. War er noch normal, als er als Tagelöhner zehn Stunden am Tag schuftete, seinen Lohn verbrannte und um Kleingeld bettelte? War er normal, als er sich in den Bars völlig nüchtern vor allen Leuten auszog, sich einen Hurensohn nannte, und jede erdenkliche Erniedrigung über sich ergehen ließ? Er bekam sogar Honorar fürs Stiefellecken, nur verbrannte er diesen sofort, er verbrannte immer sein Geld, um anschließend um Kleingeld zu betteln. Ein Penner wollte in eine Weinhandlung einbrechen, und Psychiel erwies sich wieder einmal als hilfsbereit und zuvorkommend. Er brach für den Penner ein, nahm den teuersten Wein mit, ergoss alles auf den Boden und gab dem Penner die zweitbeste Weinflasche - der Penner trank den Wein genüsslich aus, wonach Psychiel ihn zusammenschlug und sonach in die Klapse kam. 

"Ich bin der glücklichste Mensch der Welt!" hörte sich Aad aus einer alten Videoaufzeichnung sagen. Aad war Feuerwehrmann, er rettete an dem Tag ein Kind, riskierte dabei sein Leben, und gewann das des Kindes. Psychiel fasste es an dem Abend anders auf - er merkte nicht, wie er den Sender umschaltete, als eine Sendung über einen gefassten Kinderschänder lief, der ein bildschönes elfjähiges Mädchen wochenlang gequält hatte; auf einmal stand Aad da und sprach stolz davon, wie glücklich er wegen des Kindes war. Psychiel hatte danach noch ein ganzes Jahr funktioniert. Irreversibel, drehte sich in seinem Kopf herum, verurteilt aber glücklich, da ihm seinen Genuss keiner mehr nehmen kann. Ein Buch wird er darüber schreiben, wird vor Gericht monatelang lang und breit erzählen, wie er das Kind quälte. Selbsttherapie, Therapie auf Staatskosten, irgendwann ein neues Leben. Psychiel kannte das System gut. Er versuchte es mit Theologie, aber eine Garantie dafür, dass es eine Hölle gab, fand er auch dort nicht. Friedlich wird er einschlafen, dachte Psychiel. Er rannte nächtelang umher und schrie, er sei ein Kinderschänder. Er begann, sich selbst zu bestrafen, doch er sah den Unsinn seiner Handlungen ein. Sinn war es, wovor er nicht fliehen konnte. Er wollte keinen Sinn mehr. Er schiss auf die Tische in den Seminarräumen und summte umher, als wäre er eine Fliege, aber auch das war ihm viel zu sinnvoll. Er bewarb sich für die dreckigsten Jobs, und bestand darauf, einen halben Cent als Lohn zu bekommen, wobei er Hammer und Meißel zum Zerteilen der Münze mitbrachte. Es war zu sinnvoll. Aus A folgte B. Es war unerträglich.

"Es war ein Irrtum", sagte er sich nun. Aad versuchte, sich zu bewegen. Er konnte nicht. Er war fast tot. "Ein Irrtum!" lachte Psychiel und rannte fröhlich auf die Straße. "Ein Irrtum!" schrie er, nahm irgendwo ein Brecheisen her, brach in einen Spirituosenladen ein, schnappte sich die teuerste Flasche und trank aus ihr, tanzend. Aad, zum Fenster gekrochen, beobachtete dies. Er kroch nun weiter, so dass er aus dem Fenster hinaus kroch, aus dem fünften Stock auf den Bürgersteig fiel und von seinen milden Qualen erlöst wurde.



 2010

Mittwoch, 13. März 2013

Trilobit



1


Man kann es monologisch nicht äussern.

- Hallo?
- Hallo. Kommst ungelegen. Löcher.
- Du weisst, das das verboten ist.
- Darum solltest du es nicht sehen.
- Mach es wieder weg.
- Nein. Ich mache die Restlichen zu.
- Du weisst, dass das verboten ist.

Wir fuhren nach Irgendwasfelde, eine Kleinstadt, im Rathaus feierlich ein Terrarium, herum gut gekleidete Leute.

- Einen Scotch?
- Gern.
- Coldman? Junge, lange nicht gesehen, komm in die Hall, da sind...
- Wenn du wüsstest wie weg ich muss.
- Was starrst du die Wände an?
- Du weisst, dass das keine Wände sind.
- Wenn schon. Komm.

Möge mein Name mein Schicksal werden. Ich stand neben mir, wie immer, grüsste die wichtigen Leute nicht, die an mir vorbei. Mein Reisepartner, Steinman, war nervös, er sah es auf uns zu kriechen, es war chitingepanzert und hatte einen Rüssel. Ich liess es an uns vorbeikriechen, er verpasste dem Ding unbeholfene Schläge, bis es stehen blieb und seinen Rüssel einzog. Ruhig, sagte ich, es genügt nur einer, es kommt darauf an, wohin. Es war hellbraun, zwei Meter in der Länge, einen Kopf breit, eine Art Hundertfüssler. Ich machte es kaputt. Der Vorhang hebte sich, ein Ganzwandterrarium, dort verästelte Kunstbäume, auf denen sein Nachwuchs, weiss, seidig, acht bis zehn Zentimeter lang, in tausendfacher Ausführung, als ob das Trennglas gar nicht da wäre. Ich warnte Steinman, so dass er sein Gesicht abwenden konnte, ich sah halb hin, mir war halb schlecht, aber ich war noch bei mir, und in meiner Wohnung, dieser gebigbrotherten Zelle, waren, soweit ich mich erinnern konnte, alle Tuben - so hiessen hunderte Löcher in der Wand, durch die Wand, ins Nirgendwo, ins Irgendwo, wo ich nicht sein wollte - waren vorschriftsungemäss verstopft.

- Steinman, musst du brechen?
- Es geht.
- Wir müssen bei Lichte bleiben.
- Es gibt nicht viele Plätze an diesem Ort, wo Licht.
- Werbung, guck.

Ich sah sie alle so freundlich, überall Gesichter, solch herzliches, gewinnendes Lächeln, man konnte sich dem nicht entziehen, es gab keine schlecht gelaunten Menschen, es gab gar nichts, was diese Kirmesatmosphäre trüben konnte, vielleicht nur mich und Steinman. Den Leuten versuchten wir, soweit es bei Lichte ging, aus dem Weg zu gehen, ihre Freundlichkeit war so ansteckend, ihre Augen so verschlingend, kommt, seid unsere Freunde. Steinman fand eine Absteige am Rande der Stadt, da war niemand, ausser Pennern vielleicht, Penner, Alkoholiker, extreme Alkoholiker, wenn nicht, dann mussten wir sofort wieder weg. Aber unser Glück: regelrechte Alkoholjunkies. Wir setzten uns in ihre Mitte, gaben ihnen Geld, so dass sie um uns blieben, und schliefen gute fünf Stunden.



2




Der Traum war warm wie die Luft, der Wärme konnte man nicht entkommen, sie war in allen Löchern, in allen Gliedern, in Gesichtern und in der Luft.

- Fertig?
- Fahren wir.
- Wer ist unser Freund?
- Xilincia.
- Ihr Vorname?
- Ja.
- Ich will keine Vornamen wissen. Sind ihre Hände kalt?
- Weiss nicht.

Sie neigte sich zu mir, von Hinten auf den Beifahrersitz. Nein, nicht die Handschuhe ausziehen, einfach sagen, ob ihre Hände den Umständen entsprechen kalt sind. Sie bejahte dies. Gut. Wann mich zum letzten Mal eine Wurst von Mitmensch anfasste, wann war das, das war lange her, das war als damals dieses Mädchen am Strand, vielleicht Ende 15, sich zu mir setzte, und ich mich wunderte, warum sie mich so freundlich angrinste, da gab ich ihr die Hand, und es war wie fester Brei, nicht fest, nicht flüssig, sah dabei normal aus, keine anatomischen Auffälligkeiten, beim Allsehenden war das Mädchen schön, beim Allahnenden musste ich die ganze Nacht brechen. Genug davon, das war nun Vergangenheit.

Wir fuhren - eigentlich, soweit uns die verbotenen Götter beistehen konnten, die kalten, die unfreundlichen, Götter eben - nach Inii, nördlicher war nur der Pol. Der Morgen war staubtrocken, das gefiel mir gut, aber die Hitze, schon um acht Uhr morgens war die Luft heisser als die Leber, gut das wir Klimaanlage hatten, gut, dass Xilincia nie Schockbäder nahm, und es wert war, mit uns zu reisen. Sie war ganz verhüllt, ein beiges Kopftuch, eine Taucherbrille. Handschuhe, - so erkannten wir uns. So lernte ich Steinman kennen. Wir waren die einzigen, die auf der Party in Hann- oder Gameover, oder wo das war, nicht einmal die Handschuhe auszogen. Steinman entrann dem Tode nur knapp, als ich ihn in der Badewanne unterkühlt fand, im Eisbad, in der Szene Schockbad genannt - eine Firewall für Körper und Geist, so sprachen die Iceball-Earth-Jünger, die uns die Vorsichtsmassnahmen lehrten. Die verstopften Tuben, und die Luft muss zirkulieren, wird der Automat an der Wand spätestens in 16 Stunden melden, wie weit sind wir schon weg, wo werden sie uns suchen? Achtung, Smile Police, direkt auf uns zu, konnte ich noch, bevor.

Nein, verliere niemals das Bewusstsein. Wir wachten nicht irgendwo im Nirgendwo auf, wir fuhren weiter. Steinman, der beste Autofahrer meines Wissens überhaupt, nahm eine Abkürzung. Er wechselte die Spur so schnell, und dabei so elegant, dass unser Wagen sie glauben liess, dass wir ebendiese Ausfahrt nehmen wollten. Weiter, weiter nach Osten.

- Steinman, kannst du noch fahren?
- Fahr du.



3




Bald sind wir in Djed. Wie ein Mantra. Bald, bald sind wir in Djed.

- Das war Perm!
- Was?
- Das war Perm... das war mal Perm.
- Wo sind die Flüchtlingslager?
- Hundert Kilometer nördlich, aber da ist alles verstopft.
- Weiter nach Osten?
- Ja.
- Schläft Xilincia?
- Ja.

Perm, Permafrost, dieser Dung war nur die Kornkammer der Welt. Irgendwo nördlich davon, wo eine halbwegs gemässigte Klimazone begann, warteten - ich lüge nicht - vier bis acht Milliarden Flüchtlinge auf die Einreise in das einzige Land, in dem es noch Schnee gab. Im Winter. Kraftlos, hungernd schliefen wir ein. Es war an einer rund um die Uhr beleuchteten Landebahn für Hubschrauber, wir wussten nicht, wie hoch frequentiert. Der Punkt war erreicht, an dem alles, auch der Tod, endlich egal war, weil der Körper nur noch schlafen wollte; auch der Hunger bliebt nur abstrakter Gedanke, der Magen spürte nichts.

- Wach?
- Ja, Steinman. Ich bin wach.
- Noch vier Tausend.
- Das ist gut.
- Das sind fünfzig Stunden, wenns gut geht.
- Xilincia schläft.
- Ja.
- Bis du sicher...
- Nein, sie ist nicht tot.

Ich setzte mich zu ihr, als sie aufwachte. Unsere Jacken berührten einander, ich legte meinen Regenmantel um sie. Falls wir Djed nicht erreichen, und ich weiss dass du und Steinman sauber seid, gehe ich los und hole irgendeine Maschine, ein Flugzeug, ein Hubschrauber, irgendwas, und ihr müsst euch mit dem Tod abfinden, es ist gar nicht so schwer, aber falls ihr überlebt - dazu besteht immerhin eine dreiprozentige Chance, bleibt nicht dort, ihr müsst sofort nach Inii. Keinen Tag verlieren. Ich werde verseucht sein, das steht fest. Schüttelfrost, bis ich den vierzigsten Breitengrad erreiche. Muskelkrämpfe, permanente Übelkeit, Hautausschlag, Blut aus allen Löchern - vielleicht ist es gar nicht so schlecht, ich gehe einfach zu Fuss nach Norden, bis ich vor Schmerzen zusammensinke und quallvoll sterbe.



4




- Du hustest Blut? Seit wann?
- Seit zwei Stunden. Aber ich habe noch Alkohol.
- Gut. Aber du musst in den Kofferraum.
- Vielleicht ist es was Anderes.
- Was denn!?
- Sieh mich nicht so an, Steinman. Es kann doch was Anderes sein, oder?
- Coldman, entweder steig aus oder geh in den Kofferraum.

Der Kofferraum, ein Uterus. Ich fühlte mich wie seit vor der Geburt nicht. Vielleicht lag es nicht an der gemütlichen Enge des Raums, sondern an der enormen Menge Alkohol, die ich durch den Strohhalm in meinen Körper beförderte. Die Strasse war immer noch eben, also trennten uns noch Stunden von Djed. Wie wir da rein gelangen wollten, frag mich was Leichteres. Vier bis acht Milliarden Flüchtlinge. Die Grenzübergänge werden so vollgestopft sein wie meine Tuben. Ich fürchte, wir schaffen es nicht, dachte ich, aber fühlte nicht, durch den Alkohol war es mir angenehm egal.

- Steig aus.
- Warum? Wo sind wir?
- Steig aus. Smile Police.
- Versteck Xilincia. Ich töte sie und hole Benzin. Ihr wendet bei New Awdaghost, da ist ein Flughafen. Der Mann, von dem ich dir erzählte, sein Name ist Bernstein. Er will seine Tochter sehen. Lebend. Und zwar so lebend, wie wir beide es meinen, wenn wir von lebend sprechen.
- Wird er uns glauben, dass Coldman uns geschickt hat?
- In seiner Verzweiflung ja. Aber bleibt nicht in Djed. Fahrt weiter nach Norden.

Ich ging auf die Buddies zu, sie lächelten mich an, so gewinnend, so entwaffnend, doch ich zog eine Waffe und leerte das Magazin. Ich liess Steinman den Wagen herfahren, er tankte das restliche Benzin aus dem Fahrzeug der Smile Police und fuhr mit Xilincia weg. Ich ging in die Überwachungskabine, konnte das Gleichgewicht kaum halten, fiel schliesslich hin. Eine Ratte lief auf mich zu, und ich empfand ein Wohlwollen, eine Zärtlichkeit, welche ich seit Langem für ein Wesen nicht mehr empfand. Bloss kein Hautkontakt, sonst ist die Ratte hin. Aber wenn sie hier bleibt, lebt sie auch nicht mehr lang. Nicht so, wie Steinman und ich leben verstehen.

Ein Strand. Ich lief hin, mein Alkoholbehälter war leer. Jetzt helfen nur Erinnerungen. Ich dachte an das Mädchen. Die Hülle, perfekt fürs Auge, versteckte einen widerlichen Kern, mehr noch eine Entkernungsvorrichtung, in wenigen Monaten wird der Infizierte ohne Wirbelsäule sein, so jedenfalls Professor Doktor Bernstein.



5




Jetzt beginnen die Schmerzen. Gott schütze dich, Steinman. Und Gott schütze Xilincia. Ich bin zwar verrückt, wenn ich daran denke, aber ich denke tatsächlich daran, irgendwann vielleicht ihr Gesicht zu sehen. Das Mädchen mit dem Minirock, mit dem sie dann auch direkt ins Wasser ging. Es war ein Strand wie dieser. Werde ich mich auch so anfühlen wie sie? Werde ich bald auch nur noch lächeln. Hilf mir, Alkohol, aber du bist nicht da, ich habe dich getrunken.

"Sascha, hast du den Regenwurm? Wird ihn jetzt ins Glas. Was passiert, Kinder? Richtig, im Alkohol stirbt er. Alkohol ist ein tödliches Gift, für alle Lebewesen". Als ich noch zur Schule ging, repräsentierte der Regenwurm unsere menschliche Existenz, wir alle Lebewesen waren in unserer Biosphäre vereint. Und Sascha lebte in Perm. Er starb später an einer Alkoholvergiftung.

Ein Meer war hier früher nicht, hier war Tundra, hier war Permafrost. Ihr kalten Götter, ich verende hier, dabei hatte ich noch so viel Nördliches vor. Ich werde den Schnee von der Strasse lecken, falls ich in Inii ankomme. Ein Bus. Aber ich kann nicht aufstehen. Und da, im Wasser, es schwimmt auf den Strand, direkt auf mich zu - ein Trilobit. Aus dem Bus steigen Terroristen, Touristen aus, ich rufe ihnen etwas zu, sie hören mich nicht, der Strand ist schier endlos, sie gehen ins Wasser. Die Erstgenannten nicht, sie eröffnen einfach das Feuer. Der Trilobit kehrt um, schwimmt auf die blutigen Gliedmassen zu, bald sind viele da. Zehn Tausend, eine vorsichtige Schätzung. Ich kann immer noch nicht aufstehen. Es ist etwas mit meinem Körper los, und die Alkoholvergiftung ist tertiär, wenn nicht quartär. Sekundär ist der Hunger. Ich verhungere...

Gierig bissen meine Zähne ins rohe Fleisch der Zerfetzten, Erschossenen, die Trilobiten um mich herum, zwanzig Zentimeter bis so gross wie ein Wagen der A-Klasse, liessen mich in Ruhe. Ich war kein Fremdkörper für sie. Diese Trilobiten, wie aus dem Lehrbuch, genau so, exact so sahen sie aus.  Ich hatte vorher nie rohes Fleisch gegessen. Aber nun, nun werden andere Zeiten kommen. Ich werde Schlimmeres tun. Das ist mir bewusst.



6




Von hier bis zur früheren Mongolei, das ist die Thedée. Ein Bundesstaat mit nur elf Milliarden Einwohnern, der flächengrösste Bundesstaat der Globalen Föderation. Noch ein Bus. Ich steige ein, man stellt mir keine Fragen. Es sind die Jünger des Tempels des Ewigen Winters, eine grausame Sekte. Es waren ihre Freunde, die den ersten Bus entführt und die Touristen erschossen haben. Warum tun sie mir nichts? Warum fragen sie mich nichts? Ich lehne mich zurück, bald schlafe ich ein. Die wichtigste Regel gebrochen - in der Gegenwart von Mitmenschen das Bewusstsein verloren.

Ich fragte mich, warum es so dunkel war, und warum ich nicht angekettet war, bis ich verstand, dass dieser Raum hermetisch abgeriegelt. Ein nachter Mann brachte mir Essen. Ein grosser Teller unter einer Keramikkuppel. Was werde ich dort vorfinden? Das, worauf ich Heisshunger habe? Werde ich das Gegessene sofort wieder auskotzen oder Augen schliessen und schmecken? Du bist so elitär, sagte mir Damman vor zwei Wochen, so elitär. Du willst nur aus dem Grund nicht, dass eine Trillion Menschen auf der Erde leben, weil du dich vor dem Essen ekelst. Vor dem einzig möglichen, einzig vernünftigen Essen, das auf einem kleinen Planeten für eine grosse Anzahl von Menschen in kurzer Zeit produzierbar ist. Ich hob die Keramikkuppel. Nein, da waren bloss Kekse. Sie schmeckten mir nun wie Holz, ich musste sie runterwürden. Dann kam ein bekleideter Mann zu mir. Er führte mich in einen anderen Raum und setzte mich auf einen Stuhl. Ein Team fesselte mich und brachte mir Elektroden an.

- Wo sind sie?
- Wer?
Elektroschock. Füsse. Schmerz.
- Wo ist Steinman? Wo ist Bing?
- Ich weiss es nicht.
Elektroschock. Bauch. Nochmal Schmerz.
- Ich schneide dir die Arme ab. Willst du ein Fisch sein, hähä!
- Vall, ich will kein Blut sehen.
Elektroschock. Hoden. Hoden. Hoden.
- Erschiessen wir ihn, er wird uns nichts sagen.
- Wirf ihn auf die Strasse, aber zuerst Hirnmassage.
- Wartet. Sie sind in Inii.
- Inii? Du lügst. Niemand schafft es bis nach Inii.
Elektroschock. Hirnmassage.



7




Die Gxorée, in deren Hauptstadt Ghittox 2,5 Milliarden Menschen leben, eine mittlere Grosstadt, dort wurde ich hingebracht. Die Kleinstadt, ich weiss nicht wie sie hiess, zehn Kilometer von Ghittox entfernt, dort bekam ich eine verriegelte Zelle, vier Quadratmeter, zwei Meter hoch. Dort sollte ich bis zu meinem Lebensende bleiben. Doch die nordischen Götter erhörten meine sterbenden Hoffungen, und am siebten Tag befreiten mich die Jünger des Tempels des Ewigen Winters, die mich zuvor gegen einen Terroristen ausgetauscht hatten. Sie flogen mich nach Xhigget, die grösste Stadt der Welt mit 600 Milliarden Einwohnern. Früher war dort so etwas wie Tibet.

- Ich bin Bing. Du hast mich vor exakt vier Monaten nicht verraten. Deine Freiheit ist mein Dank.
- Warum bist du nicht in Djed?
- Ich bin Bing. Vielleicht darum. Und du, kalter Mann, hast du nicht dein Leben für zwei andere Menschen geopfert?
- Freunde.
- Steinman war dein Freund. Du hattest ausser ihm keine Freunde.
- Weisst du wo sie sind?
- Genausowenig wie du, und das ist verdammt gut für uns wie für sie.
- Wo gehen wir hin?
- 760-ster Stock, der Dritte Kambrische Turm. Dort ist ein Café, in dem es Essen gibt für Parasiten wie dich. Corn flakes, all das Kaninchenfutter, das du so gern frisst... Wir sind da.
- Bing, hast du ein Implantat?
- Ich habe neun Implantate, eine Titanlegierung. Ich habe keine natürlichen Knochen mehr. Leg deine Hand auf den Tisch. Hat es Weh getan?
- Ja.
- Du bist gesund. In den ersten Wochen müsstest du gar nichts spüren.
- So wie die Zombies?
- Genau.

Ich rätselte lange, was es mit diesen Sonderlingen auf sich hatte, die scheinbar keinen Schmerz spürten und die verrücktesten Sachen anstellten; sie brachen sich Arme und Beine, lagen auf dem Beton und lachten herzlich. Sie waren in der Transformationsphase. Nach fünf bis acht Wochen spürten sie wieder Schmerz. Und lächelten gewinnend.



8




Das Kaninchenfutter hatte mir durchaus geschmeckt. Die Folter hat mir wohl gut getan. Die Elektronenschwärme, die durch mein Nervensystem gepeitscht wurden, sie haben eine Hirndrüse kaputt gemacht. Besser gehts nicht. Ich bin ein Mensch, - ich bin das, was Steinman und ich meinen, wenn wir Mensch sagen.

- Taxi!
- Steig ein, Bruder.
- Bruder?
- Bist du kein Kreuzritter des Nordpols?
- Tut mir leid..?
- Schon gut. Du bist grimmig, darum dachte ich, du wärst einer von uns.
- Fahr mich aus dieser Hölle, egal wohin.

Er fuhr mich nach Xhursin, mit etwas weinger denn 10 Milliarden eine angenehm kleine Stadt. Er hatte ein Steinhaus am Meer. In einem weit verzweigten Bunkersystem pflanzte er Kartoffeln an; er hielt sich Hühner, Enten, Gänse. Alles geheim, alles unter dem Schutz der Sekte. Im Haus begrüssten uns nur zweihundert Leute, vielleicht sogar weniger. Ein langhaariger natürlich lächelnder Mann meines Alters, also knapp unter dem Alter des Gekreuzigten, geisselte den Hausbesitzer. "Fleisch, fleisch, willst du Menschen.. würdest.. würdest du Menschenfleisch essen?" erging er sich in seiner Wut. "Das einzig effektive Nahrungsmittel, du musst es doch einsehen. Pflanzen sind nicht effektiv. Algen sind nicht effektiv. Aber diese Dinger fressen unsere Leichen, entwickeln sich innerhalb von zehn Stunden von einem mikroskopischen Ei zu einer vollen Mittagsportion, und du willst Kannibale werden, nur weil du dich ekelst!?" "Ich ekele mich nicht" sprach der Taxifahrer ruhig. "Ich will bloss ein Mensch bleiben". "Mein Gott! Iss sie gebraten, du musst sie nicht roh essen wie die Anderen!" - Ich ging in den Keller, dort war es angenehm kühl. So gut wie niemand hatte, und niemand brauchte eine Klimaanlage. Sie waren an die Hitze angepasst. Nur die Terroristen, die sich in gewalttätigen Sekten zusammenfanden, pflegten Extrawürste zu braten. "Auf der Erde sollten maximal 200 Millionen Menschen leben. Das ist meine Meinung" flüsterte der Taxifahrer mir zu und gab mir eine rohe Kartoffel, die ich geniessenden Mundes ass, bevor wir in den kühlen frischen Kellerpool sprangen.

- Du weisst, dass wir dich hier behalten werden?
- Ich nehme es an.
- Du weisst, wieso?
- Weil ich immun bin?
- Wir wissen nicht, ob du immun bist. Wir wissen so gut wie gar nichts über all die Dinge, wie sie wirken, wie sie die menschlichen Gene verändern, was für Drüsen sie im Hirn wachsen lassen. Wir wissen es nicht. Aber du bist infiziert und veränderst dich nicht. Du könnstest uns nützlich sein.
- Ich will nach Inii. Ich werde alles tun, um dorthin zu gelangen.
- Wer war der schlimmste Mörder der Geschichte?
- Der.. der den Fusionsreaktor in der Nigxorée gesprengt hat. Er tötete 75 Milliarden Menschen.
- Du, Coldman. Du wirst es sein. Und du wirst ihn bei Weitem übertreffen.
- Was habt ihr vor?
- Ein Bisschen Platz schaffen. Wir und die Winterkavaliere haben uns auf 30 Milliarden geeinigt. Immer noch zu viel, wie ich finde. Aber jemand muss arbeiten, jemand muss die Trümmer wieder zusammensetzen. Unsere Obergrenze lag bei zehn Milliarden, deren Untergrenze bei 50.
- Ich habe gesehen, wie sie Menschen erschossen haben. Wie Tiere abgeschlachtet.
- Ich nehme an, das werden sie mit den Überschüssigen tun, sobald der Wiederaufbau vollendet ist.

Wann hat sich die Welt so verändert? 2290, da war sie noch in Ordnung. Mein Urgrossvater hatte eine Villa, eine Yacht, zehn Hektar Land,die Umwelt war weitgehend entgiftet. Und jetzt, 400 Jahre später ist unsere Welt eine Kloake, und die Menschheit degeneriert je mehr die Wissenschaft fortschreitet. Ich will kein Mörder sein. Ich will nach Inii.



9




"Die Langlebigkeit war unser grösstes Problem. Im Vier- und Fünfundzwazigsten Jahrundert betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 210 Jahre, aber wir hatten noch keine Bevölkerungsexplosion" - der Taxifahrer hielt einen Vortrag vor der Sekte. Er war die Nummer drei in deren Rangordnung, der Ranghöchste in Xhursin. In der tiefen Nacht gingen wir an den künstlichen Strand in seinem Kellerlabyrinth, sogar der künstliche Vollmond sah echt aus. "Es möcht kein Hund so länger leben" zitierte er Goethe.

- Es ist mir rätselhaft, warum die plötzliche Bevölkerungsexplosion in der Mitte des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts stattfand.
- Genfood.
- Nein, so einfach ist das nicht.
- Alles wurde vertuscht, aber die Getreidearten, die damals entwickelt wurden, führten zu  Veränderungen im menschlichen Erbgut, so dass die schlimmste Mordwaffe aller Zeiten ihr Werk unlimitiert verrichten konnte. Frauen konnten bis zum zweihundertsten Lebensjahr schwanger werden und setzten unzählige Kinder in die Welt. Ganze Völker verloren die Kindheit, das Leben fing gleich mit der Pubertät an. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde, war sie drei.
- Es fällt schwer, das alles zu glauben.
- Das glaube ich dir. Du bist behütet und isoliert in der Thedée aufgewachsen, du grösster Mörder aller Zeiten hähä, in spe hähä.

Bernstein empfing Steinman kühl, aber Xilincia erinnerte ihn an seine verschollene Tochter. So half er ihnen, über die Grenze zu kommen, und in das Land des Winters zu gelangen. Sie hielten sich in Djed nicht lange auf, sie fuhren sogleich nach Norden, nach Djedendjed, erst dort blieben sie für mehrere Tage.

Dort, wo es dunkel war, konnte man jederzeit auf Arthropoden treffen. Sie waren - für Tiere - beängstigend intelligent. Sie waren von der Weltregierung geduldet. Sie frassen Leichen und fütterten die Menschen mit ihrem Nachwuchs. Einige von ihnen waren so gross wie nie zuvor in der Erdgeschichte, doch die grossen waren harmlos. Die von der Grösse eines mittleren Hundes die am meisten Verbreiteten, die von der Grösse einer Ratte - in unseren Zeiten wahrhaft ein edles Tier - die gemeingefährlichsten, denn sie passten durch die offen zu haltenden Tuben hindurch, krochen in die Wohnungen und legten in schlafenden menschlichen Organismen ihre Eier ab. Die Wissenschaftsreligion dieser Zeit besagte, dass sie sich nur die Todgeweihten als Madenkrippen aussuchen würden, doch das war beim Pol nicht der Fall. Sie spritzten wahllos ihre Eier unter die Haut, mit ihnen gleichsam natürliche Analgetika, und die Menschen wurden im Schlaf von Maden zerfressen. Dieselbigen wurden von den Ernteteams abgeholt und später von anderen Menschen verspeist. Das war grausam, aber wann war die Menschheit schon nicht grausam, nein, das für mich Grausame war, wie sehr den Menschen ihr neues essen schmeckte, und so gut wie alle verspeisten sie lebend.

- Steak. Vom Kalb. Das esse ich als Erstes, wenn alles vorbei ist. Hörst du, Coldman?
- Wie kannst du ans Essen denken?
- Meine beiden anderen Grundbedürfnisse sind zufriedenstellend befriedigt. Essen, Coldman. Ein glücklicher Mensch denkt ans Essen. Wer an Sex und ans Überleben denkt, ist ein leidendes Wesen.



10




Ein letztes Mal noch an die schwüle Luft, bat ich meinen Gastgeber. Er gewährte mir eine Stunde, um mich auf meinen Mordanschlag vorzubereiten. Ich ging den - diesmal natürlichen - Strand auf und ab, wagte mich schliesslich in die Dunkelheit und liess mich von einem Trilobiten ins offene Meere tragen. Sein Rückenpanzer war von beachtlicher Grösse, doch das nutzte mir wenig, als er sich entschied, in die Tiefe zu tauchen. Weit ins offene Meer getragen, konnte ich nur noch ertrinken.

Es waren keine Fischer, die mir halfen. Es war ein Trilobit. Er schleppte mich auf eine überschaubare Insel, von der aus die Stadt gut zu sehen war - Gebäude bis zum Horizont, soweit das Auge reicht. Auf der anderen Seite der Indische Ozean. Das Schicksal meinte es gut mit mir. Vielleicht aber nur die Trilobiten. Ich fand Kokospalmen, brach Nüsse, pisste in den Dschungel und dacht nach. Ich bin hier, im Süden. Inii ist auf demselben Längengrad, aber im Norden. Der Breitengrad von Inii ist 89. Dort gibt es im Winter Schnee. Auf mich krochen Arthropoden zu: gigantische Tausendfüssler, alle in ihren prächtigen Chitinpanzern, so gefielen sie mir. Ich sah, dass sie hungrig waren, aber sie krochen an mir vorbei. Ein Tausendfüssler, hellbraun, fünf Meter lang, das Kopfglied wie ein Gymnastikball, nach Hinten die Breite etwas bescheidener, stolperte unbeholfen über meine Füsse. Ich klopfte ihm auf den Panzer, er sammelte sich und fand den ursprünglich genommenen Weg sogleich wieder. Ich sah wie am Strande der Stadt eine Schiesserei mit Hunderten von Toten stattfand; Boote steuerten auf mich zu, und ich liess mich festnehmen. Die Terrorzelle von Xhursin wurde an diesem Morgen neutralisiert.

- Wasser?
- Ja, gern.
- Oder Substanzsaft?
- Nein, Wasser.
- Aber Sie sind hungrig.
- Dann bringen Sie mir doch was zu essen.
- Wir haben ausser... nur Menschenfleisch.
- Frisch?
- Ja. Gerade geschlachtet.
- Wenn er schon tot ist, was solls, bringen Sie´s mir.
- Es.
- Was!?
- Es. Ein Kind. Ein Kleinkind.
- Warum sehen Sie mich so an? Wer hat es getötet, ich oder Sie?
- Hier, guten Appetit.
- Und da sind wirklich...
- Nein, keine Maden drin.



11




Die Laugh Police, der globale Geheimdienst, verhörte mich.

- Hat ihnen der Junge geschmeckt?
- Vortrefflich.
- Wissen Sie etwas, was wir auch wissen sollten?
- Die Sekten arbeiten zusammen.
- Das hilft uns nicht weiter.
- Über mehr Informationen verfüge ich nicht.
- Nein? Sehen Sie ins Terrarium dort drüben!
- Warten Sie... Lassen Sie mich überlegen... Es ist ein Anschlag geplant, in Xhigget.
- Wann? Und wo in Xhigget?
- Dort wo die... Kraftwerke sind.
- Sie lügen. Sehen sie nochmal ins Terrarium. Sind die nicht hellgrün? Ich wette die sind länger als Ihr Schwanz.
- Ich weiss nicht mehr, als ich Ihnen bereits gesagt habe, aber warten Sie, finden Sie das nicht komisch, die Trilobiten...
- Macht ihn los, gleich wird gefressen.
- Die Arthropoden, sie haben mich nicht angerührt! Hören Sie mir zu? Sie haben aufeinander Jagd gemacht, mich aber nicht angerührt!
- Das... Das glaube ich jetzt nicht. Verbrennt die Raupen und bringt den Mann ins Hauptquartier. Ja, nach Chichya, ihr habt richtig gehört.


Chichya, vormals nördliches Kanada, am Nordkap der Baffin-Insel. Eine mit vier Millionen Einwohnern sehr menschenleere Stadt. Und dort herrschen Temperaturen unter 30 Grad vor. Und ich bin wichtig, ich kann denen Bedingungen stellen. Ich will ein ungetubtes Zimmer mit einem frischen Bett, ich will bei der Postproduktion des Bettes, der Laken, der Decken, der Kissen dabei sein. Dass alles steril ist. "Die Maden sind steril, und das müssen sie sein, sonst würden sie im Kadaver von Bakterien zerfressen werden" sprach einst mein Lehrer.

- Wir sind da.
- Wo bringen Sie mich hin?
- Zu Doktor Bernstein.

- Überrascht?
- Allerdings. Sie Arbeiten für die Laugh Police? Wieso?
- Meine Tochter. Sie lebt. Und zwar in einer Unterwasserstadt in der Antarktis. Gehen Sie, ruhen Sie sich aus. Ich werde Sie morgen untersuchen.
- Wo ist mein Zimmer?
- Antarktis, mein Freund.

Antarktis. Wann ist die Antarktis geschmolzen... 2496. Mein Zimmer ist auf der anderen Seite des Korridors, neunzehn Stockwerke tiefer. Ich gehe jetzt schlafen.



12



Mich weckte ein Zischen, ein Arthropode war in meinem Zimmer. So gross wie ich, vielleicht noch grösser. Wie gelangte er rein? Was tat er da? Er hatte gerade Eier abgelegt, wohl in mir drin. Ich setzte mich vor dem Käfer hin und starrte ihn an. Dann riss ich ihm alle abreissbaren Teile aus dem Kopf, griff durch die Löcher tief in die Innereien hinein und machte ihn tot. Ein Ärzteteam begleitete mich in die Duschkabine - eine Dusche so gross wie eine Sporthalle, doch mir war nicht danach zu fragen. Ich stand nackt da und liess das warme Wasser über meinen Körper fliessen, während die Maden, dadurch wohl angeregt, unter meiner Haut schlüpften. Sie zerfrrassen mich nicht, mein Körper schied sie durch die Haut aus.

- Ein Experiment. Tut mir Leid, wenn es unangenehm für Sie war.
- Ich werde Sie töten, Bernstein.
- Ich habe gelogen. Ich bin nicht Bernstein. Ich bin sein Klon. Mein Name ist Kinner.
- Ich werde Sie töten, Kinner.
- Wollen Sie denn nicht wissen, was mit ihrem Körper passiert ist? Der Arthropode hat unter Ihrer Haut Eier abgelegt, aber Sie wurden nicht gefressen. Warum?
- Was weiss ich, ich bin jedenfalls infiziert.
- Das sind Sie. Aber Ihre Knochen lösen sich nicht auf. Ihr Körper ist menschlich geblieben.
- Wäre mein Körper menschlich, wäre ich nicht mehr am Leben. Wissen Sie denn etwas?
- Nein, aber ich schlage vor, wir führen weitere Experimente durch.
- Warum sind die Duschkabinen so gross?
- Das sind keine Duschkabinen.

Kinner begleitete mich auf ein anderes Zimmer. Ich bekam Protein- und Glukoseriegel und eine Kiste Mineralwasser. Unterhaltungselektronik war nicht im Zimmer, nur ein altes Buch. Ich vertiefte mich in die Geschichte so sehr, dass ich nicht merkte, wie aus den Lichtlöchern in der Decke faustgrosse Käfer auf den Boden sprangen. Erst ein Biss in den Arm schreckte mich auf.

- Sie sind hochgiftig. Aber Ihnen ist nicht passiert.
- Die Trilobiten sind vor 250 Millionen Jahren ausgestorben. Wo kommen sie auf einmal wieder her?
- Aus Laboratorien. Was für ein Buch haben Sie da?
- Erdgeschichte.
- Das Werk ist von 2240, es ist überholt.
- Also nicht aus Laboratorien?
- Nein, sie haben sich immer weiter entwickelt.
- Zu was?
- Zu den Trilobiten, die heute in den Meeren schwimmen. Noch ein Experiment?
- Injizieren Sie mir das was Sie mir injizieren wollen, aber hier und mit einer Spritze.
- Gern. Hormone von Neumenschen. Aber ich ahne bereits, dass Ihr Körper sie wie Alkohol ausscheidet. Ihr Immunsystem ist nicht menschlich...



Resultat



Für einen Moment zweifelte ich, ob es Inii überhaupt gab, aber es gab Inii. Steinman wartete dort auf mich. Mein Rücken war auf einmal so steif, die Rippen schienen dicker geworden zu sein. Ich konnte noch nicht ahnen, was mit meiner Haut passieren wird. Kinner setzte mich in ein Flugzeug nach Djed, gegen die Vorschriften, aber mit Überzeugung, oder, besser beobachtet, wie ein Automat, wie ein Roboter, denn ich durfte unter keinen Umständen entkommen, schon gar nicht in das einzige freie Land der Welt. Kinner wurde zu Tode gefoltert; er wunderte sich selbst, wie er tat, er konnte es schon nach zwanzig Minuten nicht mehr nachvollziehen. Im Flugzeug neben mir sass ein Mann, der mich genau beobachtete, bis er das Wort ergriff.

- Sie sind nicht einzigartig, mein Freund.
- Nicht? Wie viele gibt es von mir?
- Milliarden. Billionen. Schwer zu sagen.
- Wo werden Menschen zu sowas wie ich umgewandelt? Wozu? Was soll aus mir werden?
- Sie wissen es, bleiben Sie ruhig. Die Maschine wird übrigens abstürzen. Sie werden den Fall ins offene Meer überleben.

Und so geschah es. Ich schwamm an einen Strand, legte mich in eine Höhle, überall Stein und Fels. Und die, die wie ich waren. Sie lagen dort und warteten auf ihre Umwandlung. Ich war hingegen infiziert, darum konnte ich wohl die ganze Zeit laufen. Jetzt nicht mehr. Wird mich Steinman erkennen? Werde ich Xilincias Gesicht sehen? In meinem schweren Chitinpanzer schwamm ich wieder ins Meer. Ich kann nicht sagen, wie ich aussah. Aber Steinman erkannte mich, als ich vier Jahre später an den Strand von Inii angeschwemmt wurde. Er setzte sich auf mein Rückenpanzer und sprach: "Das Land der Freiheit, dachtest du. Ich dachte es auch. Es ist euer Bauernhof, mein Freund. Ihr haltet hier Menschen, um sie zu essen. Und ihr seid weiter entwickelt als wir. Ihr könnt Gedanken manipulieren. Und willst du wissen, der du einmal Coldman warst, mein einziger Freund, warum es diese Bevölkerungsexplosion in der Mitte des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts wirklich gab? Ihr habt uns genetisch verändert. Frag nicht wie, wir Menschen haben keine Ahnung von eurer Technologie. Aber ich weiss, wieso. Weil wir so gut schmecken. Weil wir so schreien, wenn wir lebend verspeist werden. Arthropoden schreien nicht... Weisst du, ich dachte, die Menschheit würde aus dem Weltraum erobert werden. Aber ihr wart die ganze Zeit da, habt nur gewartet. Und nun haltet ihr uns wie Vieh, und wir denken, all die Entbehrungen, die Enge, die Hitze, der Ekel wären Folgen unseres menschlichen Handelns. Die Überbevölkerung. Es hätte nie auf natürliche Art mehr als 25 Milliarden Menschen auf der Welt geben können. Es hätte Kriege gegeben. Wir hätten aufgehört, Kinder zu kriegen...". Ich schwamm davon, wollte ihm nicht mehr zuhören. Aus der Ferne sah ich Xilincia, sie war schön. Sie zog sich bis auf Minirock und Bikini aus und schwamm ins Meer. Ich schwamm zurück und holte sie mir, bevor andere Trilobiten mir zuvorkommen konnten. Sie litt sehr lange und schmeckte sehr gut, vielleicht deshalb.



12.2009

Dienstag, 12. März 2013

Die Qwelle



Lehrer: Guten Tag, ich bin Herr Dweller, euer neuer Geschichte-darf-sich-nicht-wiederholen-Lehrer.

Klassenbitch: Guten Tag, Mr. Dweller.

Klugscheißer: Herr Dweller, nicht Mr. Dweller, wird sind hier in Deutschland.

Anarchozicke: Ist voll fascho von dir!

Klassenstecher: Wieso, er hat sich doch selbst mit Herr Dweller vorgestellt.

Lehrer: Den Witz habt ihr natürlich nicht kapiert.

Vorlauter Normalo: Doch, Geschichte darf sich nicht wiederholen.

Lehrer: Und was bedeutet das? Sag du.

Stiller Normalo: Dass sich Geschichte in Deutschland nicht wiederholen darf.

Lehrer: Und konkret für euch?

Klassenbitch: Können wir endlich mit dem Unterricht beginnen?

Lehrer: Ach, du bestimmst hier, wo es lang geht? Komisch, ich hätte auf die da drüben getippt.

Klassenschönste: Danke fürs Kompliment.

Klassenstecher: Warum sind Sie so gemein zu meiner Freundin?

Der Arsch: Eure Bettgeschichten könnt ihr im Bett ausdiskutieren. Oder braucht ihr dafür Publikum?

Lehrer: Ruhe jetzt! Sorry, muss mich erstmal an das deutsche Gymnasium gewöhnen. Bei uns in Kentucky ist es nicht so anarchisch zugegangen.

Der Kiffer: Kentucky... war da nicht was mit Ficken?

Klugscheißer: Chicken, du Huhn.

Anarchozicke: Ey, das ist voll frauenfeindlich von dir, ihn Huhn zu nennen!

Lehrer: Wieso denn? Sind Frauen etwa Hühner?

Vorlauter Normalo: Was hat es denn damit zu tun?

Lehrer: Das ist nur Logik. Damit "du Huhn" frauenfeindlich ist, müssen Frauen Hühner sein.

Klugscheißer: Oder Hühner Frauen.

Klassenfascho: Hauptsache sie können kochen und bügeln.

Anarchozicke: Ich boykottiere den Unterricht, bis sich dieser Schwanz entschuldigt hat!

Vorlauter Normalo: Bei wem denn? Siehst du hier Hühner?

Der Arsch: Oder Frauen?

Lehrer: Zunächst will ich euch beibringen, was ein Syllogismus ist. Du, Macho, bilde einen Satz mit Hitler.

Klassenstecher: Wieso mit Hitler?

Lehrer: Ist mir spontan eingefallen, wir haben doch schließlich Geschichtsunterricht.

Klassenfascho: Hitler war...

Lehrer: Warum guckst du nach hinten? Fühlst du dich beobachtet? Komm schon, kann doch nicht so schwer sein. Was Banales...

Klassenfascho: Hitler war der größte Verbrecher in der Geschichte der Menschheit.

Lehrer: Muss nicht so melodramatisch sein. Etwas einfacher bitte. Und nicht so ängstlich herumschauen, dir tut keiner was.

Klassenfascho: Hitler... war böse.

Lehrer: Geht doch... aber sag mal, warum eigentlich?

Klassenbitch: Das ist doch wohl ein Scherz!?

Lehrer: Überhaupt nicht. Kann mir jemand sagen, warum Hitler böse war. Kommt schon, es ist doch einfacher, als einen banalen Satz zu bilden! Du vielleicht?

Vorlauter Normalo: Ähm.. äh...

Lehrer: Fällt dir nichts ein? Komisch. Gut, machen wir weiter mit dem Syllogismus. Jetzt brauchen wir einen zweiten Satz.

Der Arsch: Nö, ich will jetzt wissen, warum Hitler böse war.

Anarchozicke: Spinnst du total!!?

Der Arsch: Nö, ich bin halt nicht so klug wie du. Ganz ehrlich: ich weiß es nicht.

Klassenbitch: Mr. Dweller, dafür muss er zum Rektor!

Lehrer: Und wenn er es wirklich nicht weiß? Die Anderen wissen es ja. Los, erklärt es ihm! Wenn du der Rektor wärst, was würdest du ihm sagen?

Klassenbitch: Ähm... hm... ähm...

Lehrer: Gut, weiter mit dem Syllogismus. Der zweite Satz lautet meinetwegen: Alle Bösen sind Psychopathen. Wie lautet die Schlussfolgerung aus den beiden Sätzen?

Streber: Dass sich Geschichte in Deutschland nicht wiederholen darf!

Lehrer: Habt ihr alle einen Stock im Arsch? Entschuldigung. Sagt man das in Deutschland so? Aha, danke. Wir müssen wohl zunächst den ersten Satz begründen. Wer will? Wer traut sich?

Der Kiffer: Hehe. Soll doch der ihn begründen, der ihn uns eingebrockt hat!

Klassenfascho: Hitler war... böse! Da gibts doch gar nichts zu begründen! Hitler war böse und Punkt.

Lehrer: Und Punkt? Das nennt man, Freunde, Faschismus. Eine Meinung muss hinterfragbar und begründbar sein, ansonsten ist es ein Dogma. Also, willst du es nochmal versuchen?

Klassenfascho: Hitler war böse, weil...

Der Arsch: Weil Heil.

Klassenbitch: Sehr witzig! Gehen wir.

Lehrer: Sag mal... Fräulein, es ist Unterricht! Sagt man in Deutschlein Fräulein? Nein? Wie sagt man denn? Was? Mädel. Nie gehört. Na gut. Ist es hier Brauch, nach Lust und Laune den Unterricht zu verlassen? Nein? So, zum letzten Mal: Hitler war böse, weil...

Klassenfascho: Weil äh... äh... ganz ehrlich, Herr Dweller: ich weiß es nicht!

Lehrer: Hey, hey, was soll dieses Raunen? Was soll diese Welle der Entrüstung bedeuten? Ganz ruhig. Junge, hast du nie im Geschichtsunterricht gelernt, warum Hitler böse war?

Vorlauter Normalo: Nein, keiner hat es gelernt!

Lehrer: Was habt ihr denn gelernt? Du in der Ecke, nicht so schweigsam! Das ist ja wie bei der Inquisition.

Streber: Sie meinen wohl, als hätten wir alle Angst vor der Inquisition.

Stiller Normalo: Wir haben gelernt, dass wer das leugnet, mit Gefängnis bestraft wird. 


Lehrer: Wer was leugnet?

Klassenstecher: Na dass Hitler böse war, Sie Cowboy!

Nerviger Normalo: Hä? Warum Cowboy?

Klassenstecher: Na weil er so langsam schaltet!

Lehrer: Dann schalte du mal. Ihr sagt, ihr dürft nicht leugnen, dass Hitler böse war, aber wisst nicht, warum er böse war?

Klassenfascho: Das dürfen wir auch nicht sagen.

Lehrer: Was?

Klassenfascho: Dass wir es nicht wissen.

Lehrer: Aber wie könnt ihr es wissen, wenn ihr es nie gelernt habt?

Klassenbitch: Können wir jetzt mal das Thema wechseln?

Lehrer: Gern. Sogar sehr gern. Aber ich geb euch was mit auf den Weg: wenn euer moralisches Urteil durch Strafandrohung erzwungen ist, dann seid ihr nicht wirklich der Meinung, dass...

Streber: Also sind wir alle Nazis!

Lehrer: Nein, das wollte ich nicht sagen. Aber wenn ihr nicht versteht, warum ihr meint, dass jemand böse war, dann...

Vorlauter Normalo: Dann wissen wir nicht, ob der böse war?

Anarchozicke: Hallo!? Aber er war doch böse!

Der Kiffer: Ich sag mal ganz gechillt: Hitler war böse, alle Bösen sind Psychopathen, also war Hitler ein Psychopath.

Klassenstecher: Sie Ami dachten, wir wären blöd? Wieder so ein Vorurteil. Aber selbst dieses Opfer da weiß: Hitler war böse, weil er ein Psychopath war. Unfassbar, dass wir solche Banalitäten im Geschichtsunterricht ausdiskutieren müssen.

Klassenbitch: Ja, wirklich unfassbar. Komm, wir gehen.

Anarchozicke: Sagen Sie mal, Mr. Dweller, euer Bush ist doch auch nicht ganz dicht?

Vorlauter Normalo: Ist doch voll Nazi, Bush auf eine Stufe mit Hitler zu stellen!

Klugscheißer: Nä, nicht Nazi, sondern Logik.

Lehrer: Da klingelt es schon. Hausaufgabe: denkt über die folgende Frage nach: Kann es eventuell sein, dass jemand vielleicht darum böse sein könnte, weil er womöglich etwas Böses getan hat?


 1.2012