Samstag, 11. Mai 2013

Julius und Erich




1. Julius (28)

Es war Klassenfahrt, und am Lagerfeuer saßen sie alle, und da kam das schönste Mädchen vorbei. Das reiche Söhnchen prahlte mit teurem Spielzeug, der Leichtathlet mit dem Oberkörper, der Dealer mit Lockerheit und etwas Gras. Julius guckte nach Unten und war sehr nervös. Das schönste Mädchen konnte sich aussuchen, also dachte es: wer ist denn hier der Schüchternste, Sensibelste und so weiter, und setzte sich zu Julius und sie wurden ein Paar. Nein, natürlich nicht. Sie hat das reiche Söhnchen mit dem genetischen Defekt geheiratet, hat nun zwei Bälger: eins mit Mukoviszidose und eins ohne Großhirn geboren. Was kann Julius dafür?


2. Weiße Maus

Schon in der Grundschule wollten die Mädchen neben Julius sitzen, denn sie dachten sich: wer ist denn der Schönste hier - und das war natürlich Julius. Julius benahm sich ja wie ein gut erzogenes Mädchen - hatte Angst, ekelte sich, passte gut auf sein Körperchen auf, ebenso auf sein Seelchen. Er wollte des schönen Mädchens würdig sein, das ihm irgendwann über den Weg laufen sollte und wie die anderen Mädchen dachte: welcher Junge ist denn der Romantischste, Zärtlichste und Geistreichste, ach, natürlich Julius, und schon damals wurde der Kleine schnell rot und lief weg. Keins der Mädchen hatte von ihren Jungs nur 5% von dem rausgeholt, was die eigene Schönheit wert war, sprich, keine war die ihr geschenkte Schönheit wert.


3. Schabenfutter

Kein Kind will, dass die Tante es küsst, auch der Onkel nicht. Der Opa ist lieb, aber seine Haut... warum wird das Kind nicht stattdessen von dieser jungen frischen älteren Cousine am Arm und an der Wang berührt? Die Oma ist nett aber so fett... Die Türklinken fasste Julius nie mit der Hand an, er wollte schließlich mit einem Mädchen händchenhalten, wobei er nur Pfötchen sah und nie Händchen. Das neue langhaarige feingliedrige Mädchen mit schimmernd weißer Haut kam in den Klassenraum und dachte natürlich: so, welcher von den Jungs fühlt sich am Angenehmsten an, wenn er mich fängt und kitzelt? Dachte Julius. Das Mädchen ließ sich vom Dicken dort begrabschen, der sich nach dem Pausenbrot nie die Hände wusch. Das Mädchen ist Hure geworden, steht jeden Abend am Hackeschen Markt, und der Dicke - hat abgenommen - ist Bankkaufmann und ihr Stammkunde.


4. Julius und Innere Werte

Du fragst, warum sich Julius immer in die schönsten Mädchen verknallte? Moment, war Schönheit bei dir nicht relativ, war sie nicht Geschmackssache, lag sie nicht im Auge des Betrachters? Wenn es so ist - welchen Sinn hat also deine Frage? Julius verknallte sich in die Mädchen, in die er sich eben verknallte. Seltsamerweise verknallten sich alle Jungs in dieselben Mädchen, in die sich Julius verknallte. Und diese Mädchen dachten immer: so, wer von den Jungs hat die geilsten inneren Werte? Wenn es so war, dann hängt der Wert der inneren Werte davon ab, wessen Sohn man ist. Nicht wie versaut oder wie blöd oder gewaltbereit, denn Julius ging ja aufs Gymnasium, wo die guten Mädchen waren. Sagte ich Waren? Nein, waren sagte ich.


5. Grausamkeitskitzeln

In der Grundschule da war ein Mädchen verrückt nach der jungen hübschen Lehrerin, welche eines Tages einen rohen garstigen Mann verführte. Das Mädchen bekam es mit und weinte selbstverständlich und sprach was hast du getan und ging nie wieder zu der Lehrerin nach Hause zum Spielen wie früher. Wirklich? Nein, das Mädchen hatte nur ein komisches Kitzeln im Bauch und spielte weiter mit der Lehrerin. Julius ging zum Schuldirektor und erzählte ihm, dass die junge Lehrerin kleine Mädchen verführte, und die Lehrerin flog von der Schule. Dieses sonderbare Gefühl, das du hattest, was war das, fragte Julius das Mädchen zehn Jahre später. Es kam davon, dass ich wusste, dass du mich magst, und leiden würdest, wenn ich weiter mit ihr spiele, sagte das Mädchen.


6. Selbstmordvermeidungsherzkühlung

Julius war in der zehnten Klasse, als eine große Party war, und er wieder mal in der Ecke stand. Da kam ein Mädchen herein, so niedlich und süß wie zehn Kätzchen, und fragte sich: so, welcher von den Jungs ist noch Jungfrau und hat den größten Respekt und die tiefste Ehrfurcht vor einem Mädchen? Nein, das konnte es nicht sein, denn um danach zu urteilen, welchen Jungen das Mädchen auswählte, konnte es nur gedacht haben: so, wer ist hier der frauenverachtendste respektloseste und widerlichste Eber, dem muss ich unbedingt einen blasen! Julius wurde später oft Kaltherzigkeit vorgeworfen, worauf er erwiderte: hätte ich mein Herz nur ein wenig wärmer gehalten, wäre ich längst von einer Brücke gesprungen.


7. Das egoistische Gähnen

Die Evolution meinte es eigentlich gut mit Julius, und so malte er die schönen Mädchen im Kopf noch schöner und beachtete die anderen nicht. Diese aber dachten: so, welcher von den Jungs ist denn an inneren Werten interessiert... Tatsächlich? Immer, wenn es einem nicht so schönen Mädchen gelang, so ein richtiges Arschloch noch mit Scheißklümpchen auf den Arschhaaren ans Land zu ziehen, kündigte es die Beziehung zu seinem Frauenversteherchen (per SMS oder ähnlich) und freute sich die Titten aus der Brust. Nächstes Versuch. Die nicht so schönen Mädchen dachten: wer ist denn den inneren Werten nach der Allerbestensbesteste Junge, am Wenigsten an Äußerlichkeiten interessiert? Und sie dachten sich ein Loch - nein nicht in Julius - in den leeren Stuhl, auf dem dieser Niemand saß, der überhaupt nicht an Äußerlichkeiten interessiert war.


8. Erich (30)

Erich liegt auf dem Sofa und träumt vor sich her, während die Sonne zu einem für andere romantischen Sonnenuntergang langsam dahinsinkt. Seine Gedanken sind schwer: nie, nicht nur ein einziges Mal. Dann springt er auf: aber Erich, wie viele Männer, ja wie viele Menschen denn überhaupt waren in ihrem ganzen Leben mal mit einer schönen Frau zusammen? Für die Frauen ist es sicherlich leichter: die Mädchen halten miteinander in der Schule Händchen, ohne sich für die Jungs damit unattraktiv zu machen (umgekehrt scheint es verdammt unattraktiv zu sein, dem Erich übrigens genauso wie den Mädchen), - und nach der Schule wer weiß? Aber komm schon, Erich, wie viele Männer? 3%? Zu hoch geschätzt? Aber nur ein einziger Kuss! Hm, dann wohl noch weniger. Es gibt mehr Ungeküsste als Ungeleckte. Fürs Lecken kann man eine bezahlen, aber wo kann man Küsse kaufen? Bei denen, die Sex verkaufen, will man ja nicht: die halten einen solchen Wunsch - einfach schön zärtlich küssen, alles bleibt an - für genauso pervers wie Anpissen oder was weiß Erich. Er zieht sich eine warme Jacke an und geht hinaus. Bald 30, denkt Erich leise vor sich hin. Bald 30, und immer noch nichts, kein einziges Mal.


9.  Gute Idee

Erich steht ja auf schöne Frauen. Sei doch nicht so engstirnig, sagt Jürgen. Erich lässt sich überreden, geht mal wieder aus. Guck doch, sagt Jürgen. Warum lächelt er, denkt Erich, und wo soll ich hingucken? Erich langweilt sich. Willst du wieder gehen, fragt Jürgen, und fügt vorwurfsvoll hinzu: du machst dir alles selbst kaputt! Erich geht ein Licht auf: du hast Recht, Jürgen. Jürgen lächelt und guckt zu den mäßigen Damen hinüber. Erich folgt aber überhaupt nicht seinem Blick, weshalb Jürgen ihn irritiert anstarrt. Es muss doch nicht gleich Sex sein, feiert Erich seine Horizonterweiterung, und es muss auch nicht Liebe sein, - es wäre zum Beispiel schön, mit einer schönen Frau befreundet zu sein, am Besten mit einer Lesbe, da muss man sich den Brechreiz nicht verkneifen, wenn man ihr auf die Lippen guckt. Jürgen schüttelt mit dem Kopf: Erich, ist es denn dein Ernst? Erich weiß, wie Jürgen es meinte, schweigt ein Bisschen, guckt dann zu den Damen rüber, seufzt und sagt: gut, vielleicht nicht befreundet sein, aber eine zu kennen, so als lockere Bekanntschaft, das wäre auch schön.


10. Erich muss etwas beichten

Jürgen erzählt von einem knackigen Po. Ärsche, das mag Jürgen. Und Bernd, der mag Brüste. Je voller umso besser. Genüßlich erzählt er von den Brüsten seiner Neuen. Erich will auch etwas sagen, weiß aber nicht, wie er anfangen soll. Vielleicht: Ein Freund von mir... Aber wer? Wen soll ich auf Nachfrage nennen? Vielleicht: Ich kenne jemanden... Ja, und? Warum muss ich ausgerechnet von ihm erzählen? Oder: Neulich war ich amüsiert, als ich gelesen habe, dass es einen sehr interessanten Fetisch gibt... Hört sich komisch an. Warum nicht: Im Bus hörte ich gestern Abend, wie jemand sagte, er sei ganz verrückt nach... Warum bist du so rot geworden, fragt Jürgen. Stimmt etwas nicht, fragt Bernd. Es gibt Fetische, die sind so richtig durchgeknallt, aber komischerweise nicht peinlich. Erich hat es andersrum erwischt. Alles muss stimmen, sagt Erich, alles bis ins kleinste aber auch klitzekleinste Detail.


11. XS

Erich mag kleine, zierliche Frauen. So dünn wie möglich, aber nicht magersüchtig. Keira Knightley findet er hässlich - sie hat, sagt er, zu breite Knochen. Erich, sagt Bernd immer, so eine kannst du doch gar nicht... Ich will sie auch gar nicht ..., sagt Erich immer, ich will sie verwöhnen, auf Händen tragen, auch wörtlich. Ich kann mit keiner Frau was anfangen, die nicht kochen und putzen kann, lacht Bernd. Erich findet sowas frauenfeindlich. Letzte Nacht hatte Erich einen Traum: er sah im Vorhof zu seiner Studierhölle eine zierliche süße Frau, sprach sie an, nahm sie mit nach Hause. Dann wusste er aber nicht mehr, was er tun oder sagen sollte, bedrohte sie subtil, ja fast schon zärtlich, fesselte ihre Hände und Füße, trug sie auf sein großes weiches Bett. Er setzte sein diabolisches Grinsen auf, machte Andeutungen, dass er sie gleich küssen würde, dann ihren BH ausziehen und ihre hübschen kleinen Brüste berühren, hatte für alle Fälle noch ein S/M-Peitschchen dabei. Zärtlich, fast schon liebend, flüsterte er ihr zu, er könnte ihr vielleicht weh tun, aber sie guckte ihn nur an wie eine Kuh auf der Wiese und donnerte ihm schließlich ins Gesicht: "Fick mich endlich und lass mich gehen, ich muss heute Abend noch die Küche sauber machen!" Da wachte er auf und hatte so ein Gefühl, das er immer hatte, wenn ihn im Traum diese schrecklichen großen haarigen (oder auch nackten schwarz glänzenden) Monster verfolgten. 


12. Deckel drauf

Der Spruch, dass jeder Topf seinen Deckel finde, passt rein physiologisch eher zu Frauen, meint Jürgen. Es ist Hohn, weiß Erich. So ist es, Leute, kommt Bernd mit dem Bier an den Tisch, wer in der Schule keine gekriegt hat, bekommt nie wieder eine Chance. So schlimm ist es doch nicht, wiegelt Jürgen ab. Erich nickt und schüttelt mit dem Kopf. Wen kennst du denn, der in der Schule keine hatte und später eine gekriegt hat? Jürgen denkt nach, er hat viele Freunde: der hat eine Flüchtlingsbraut gekauft, der da geht regelmäßig ins Bordell, der bekommt reihenweise Körbe in der Disco, dieser hat es mit alleinerziehenden Müttern versucht, was immer am Ex gescheitert ist. Siehst du, freut sich Bernd. Was soll ich jetzt machen, verzweifelt Erich nach dem vierten Weizen. Trink ein fünftes und bagger die da an, lacht Bernd. Erich zieht die Augenbrauen hoch, behält sie drei Sekunden in der Luft und sagt dann nichts. Warum kann ich mir die Frauen nicht schöntrinken, denkt Erich und bestellt sich das fünfte Weizen.


13. Jürgen auf der Couch

Sex, sagt Erich, beziehe seinen eigentlichen Reiz aus der Entjungferung. Quatsch, lacht Jürgen. Du guckst doch Pornos, so Erich. Ja, ich bin doch nicht krank, so Jürgen. Dann sag mir, warum die Typen am Ende den Frauen ins Gesicht spritzen. Jürgen weiß keine Antwort. Erich weiß: bei diesen Stuten setzt keiner mehr voraus, dass sie jungfräulich sind. Logisch, meint Jürgen, wenn sie in einem Porno mitspielen. Aber ihr Gesicht, meint Erich, dieses geschminkte geputzte Gesicht vermittelt immer eine Illusion der Unschuld, - und du, mit dem Willi in der einen und mit dem Taschentuch in der anderen Hand, identifizierst dich mit dem Typen. Ja, sicher, sonst würde ich nicht gucken, versichert Jürgen. Und als er ihn am Ende rauszieht und ihr ins Gesicht spritzt, rufst du da nicht innerlich: Erster! Jürgen findet es erstmal plausibel, sagt aber: am Anfang kommt immer der BJ - nix Gesicht. Gut, sagt Erich, was denkst du dir denn am Schluss? Na ja, gut, also, - gibt Jürgen zu - ich denke da immer, dass die andere, größere Frau ihr die Augen aufhält und lüstern flüstert: ja, komm, spritz in ihre süßen lieblichen Augen! Auch wenn keine zweite Frau im Film dabei ist, fragt Erich nach. Dann denke ich mir eine dazu, sagt Jürgen.


14. Orgien statt Sorgen

Mit nicht so schönen Frauen hat Erich nie Probleme gehabt, wenn es darum ging, sie anzusprechen, oder sich mit ihnen ganz normal über etwas Bestimmtes zu unterhalten. Smalltalk kann Erich recht gut, besonders nach zwei Bier (der mit dem Asperger-Syndrom, das war der elitär-arrogante Julius; Erich ist bloß ein Wenig schüchtern). Nun spricht er mit einer Studierkollegin (er kann, wie der Autor, das schwül-inzestuöse Wort Kommilitone nicht ausstehen) in der S-Bahn auf dem Weg zur Uni: ich schaffe es einfach nicht, sie anzusprechen, denke immer zu viel darüber nach, trau mich am Ende nicht, und wenn doch, kommt kein Wort aus mir raus. Deine Sorgen möcht ich haben, erwidert sie höhnisch. Sie lebt mit einem Doktoranden zusammen, hat einen zweijährigen Sohn. Das war ironisch gemeint, sagt Erich. Klar, sagt sie, oder bist du doof? Und wenn ich dir sage, dass ich deine Sorgen haben möchte, dann meine ich es nicht ironisch - verstehst du jetzt? Sie schweigt, dann sagt sie: naja, so ironisch wie es in deinen Ohren klingt, meinte ich es auch nicht: du kommst um vier Uhr morgens nach Hause, musst keine Windeln wechseln, dich um das Chaos nicht kümmern, nicht an die Einkäufe denken, die Krippe, der Kinderarzt, meine Eltern, seine Eltern, die Geburtstage nicht vergessen, sonst weiß du nicht wohin mit dem Balg falls du zwei Tage für dich allein sein willst, - Single sein ist doch schön; man lernt es erst zu schätzen, wenn man keiner mehr ist. Erich freut sich den Arsch ab, den ganzen Tag lang: Single sein ist also doch besser - und das hat nicht ein Mann wie er gesagt, der sich etwas schönreden wollte, das er nicht ändern konnte, nein, eine Frau hat das zu ihm gesagt. Geil, denkt Erich, und weiter: welche Verpflichtungen habe ich heute eigentlich? Oops, gar keine. Schön, ich fahr mal ans Meer, will zwei Tage für mich allein sein.


15. Wegen dem Neger

Voll in der Kneipe, aber Bernd hat vor Stunden das alte niedrige Sofa in der hellgrünen Ecke reserviert. Jürgen freut sich und sagt: Erich, komm schon, freu dich, wir haben einen saugeilen Platz erwischt! Als sie sich setzen und drei Jim Beam mit Cola bestellen, setzt sich ein langhaariger zotteliger Typ im selbstgestrickten grünen Pulli dazu: Oh, ist das die grüne Ecke? Habt ihr gelesen, 28%! Jim Beam mit Cola ist was für Schwuchtel, lacht der Kellner, ein Türke. Wer eine Schwuchtel bedient, fängt Bernd an, aber der ungebetene grüne Gast unterbricht ihn und bestellt eine Bionade.

Als Nächstes bestellen die Drei Jim Beam ohne Cola - da weiß der Kellner, was die erste Bestellung sollte: eine Limo, ein Durstlöscher. Guck, der Neger da trinkt diesen französischen Apfelwein, wie heißt er... Cidre, sagt der Kellner, wollt ihr auch? Der ungebetene grüne Gast  unterbricht ihn: was fällt euch frauenfeindlichen Rassisten ein? Geht sofort zu ihm und entschudigt euch! Der Türke darauf in Türkdeutsch: Hast du ein Problem, du Schwuchtel? Der eben noch Empörte entschuldigt sich höflich, - er hält den Türken offenbar für einen Japaner, macht diese alberne Verneigung.

Guck, sagt Jürgen, der Neger bestellt sich jetzt einen Negerkuss - den kann er doch auch zu Hause haben. Es ist ein Eis, weiß Erich. Der grüne Freund, verzweifelt (und nun auch jimstens gebeamt): Was seid ihr für Menschen? Eine Dicke kommt vorbei, gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. Deine Frau, fragt Bernd. Er nickt, Bernd lacht, steckt auch Jürgen an. Erich - noch nicht betrunken genug - ist geistig abwesend. Ihr sitzt jeden Abend irgendwo rum, ihr Säufer, fängt der Beleidigte an. Hast du ein Problem mit den Jungs, kommt der Kellner zurück und bringt nun vier Weizen. Ich betreue ehrenamtlich Flüchtlinge, gehe jeden Sonntag gegen Atomkraft demonstrieren, setze mich für den Bau einer Moschee ein, engagiere mich für eine Quote von horinzontal gechallengten Frauen in Film und Werbung, - und ihr!? Und wir sitzen hier und saufen, sagt Bernd, absichtlich mit türkischer Aussprache - schallendes Gelächter.

Als der grüne Freund fast schon heult, fragt ihn Jürgen: man gönnt sich ja sonst nichts, was gönnst du dir denn, wenn du dir mal was gönnst? Völlig betrunken erzählt der ungebetene grüne Gast, wie er vor drei Monaten nach Bangkok reiste und für EUR 23000 ein vierzehnjähriges Mädchen zu Tode folterte: kennt ihr diesen Film, Hotel oder so, und diese Thai-Mädchen sehen ja viel jünger aus als sie sind, - ich hab mir so vorgestellt, es wäre die Leonie aus der 4. Klasse, die mich damals hänselte... hey, wo geht ihr denn alle hin, bleibt hier, hey...!


16. Die Begegnung

Erich schlich oft durch Passagen, Arkaden, stellte sich in die offenen Zeitschriftenläden gleich neben den Kosmetikstudios, um Blicke auf weiß nur Erich was zu erhaschen. Er wurde schnell rot dabei, weshalb er immer Pausen einlegte, in denen er sich den Zeitschriften widmete. Nun aber sah er einen Mann in seinem Alter in eine schicke Boutique hineingehen, ein kleiner Schlanker mit vollem schwarzen Haar, der sich von einer hübschen Frau über ein Kosmetikprodukt ausführlich beraten ließ. Schamrot schlich Erich hinzu - da war dieser Blick der Frau, als er wusste nur er wo hinguckte, und Erich wollte am Liebsten im Erdboden versinken, - der androgyne Teufel grinste breit und ließ sich das teuer Eingekaufte einpacken.

Komm, Sebastian, rief er Erich zu sich, wandte sich dann zu der Verkäuferin: diesen Kretins macht man einen großen Gefallen, wenn man sie abtreibt, aber seine arme Mutter hatte wohl zu viele Schnulzen geguckt. Komm, du Hund! Erich folgte Julius mit gesenktem Kopf in eine gehobene Bar. Auch dort behielt Julius seine eleganten schwarzen Handschuhe an, die wunderbar zu seinen Schuhen und zu seiner Haarfarbe passten. Was ist dein Problem, fragte er Erich, warum treibst du dich rundherum rum und gehst nicht rein? Draußen wunderten sich Bernd und Jürgen - was machte Erich in dieser Schickimickibar? Wer sind die Deppen, fragte Julius.

Erich hat nun seine Nummer. Soll er ihn anrufen, diesen Zwangsneurotiker, der sich offenbar vor Türklinken ekelt? Erich fühlt sich von Julius ertappt, vielleicht hat er denselben Fetisch. Er greift zum Hörer und seine Hände zittern, so als ob er eine hübsche Frau anrufen würde. Macht er´s? Macht er´s nicht? Bernd schmeißt heute Nacht eine Party - soll Erich hingehen? Warum, denkt er, gebe ich mich seit Jahren mit Leuten ab, die so viel dümmer und plumper sind als ich? Dieser schwarze Schwan ist verlockend. Durch das Androgyne wirkt dieser Bastard nur noch düsterer, gefährlicher, - es ist eine elegante Männlichkeit, die Erich als Kind gern zum Vorbild gehabt hätte. Leider wuchs er unter Leuten wie Bernd und Jürgen auf, - wird der Sog der Gosse obsiegen?



2011