Mittwoch, 28. Juni 2017

Kürzstgeschichtchen 5





Wie damals im Krieg


Park. Abend, dunkel. Es riecht nach Bier. Ein alter Mann geht durch den Park nach Hause. Er glaubt, er hört nicht richtig, als er die verzweifelten Schreie eines Mädchens hört, aber er hört richtig - sie schreit nach Vergewaltigung, besser: nach der Verhinderung ihrer Vergewaltigung durch zivilcouragierte Hilfe. Der alte Mann geht hin. Eine Gruppe junger Männer und Frauen. Er fragt nach. Die Jüngste, noch Schülerin, lacht, und fordert: "Geld her, alter Mann!" Der alte Mann entschuldigt sich, wer weiß, vielleicht zu viele Filme gesehen, vielleicht waren das die Erinnerungen an den Krieg. Er dreht sich um, die Gruppe umstellt ihn. "Geld her", wiederholt der Alpharüde. "Jemand rief Vergewaltigung, ein junges Mädchen... sie war es, oder? Das ist ein schlechter Scherz, Kinder, was, wenn wirklich etwas passiert? Geht mir jetzt aus dem Weg". Gelächter. "Opa, hast du sie noch alle? Gib uns deine Kohle, oder stirb", torkelt ein furchtbar angezogener Lümmel und wirft seine leere Bierflasche dem alten Mann an den Kopf. Der Alte fällt vor Überraschung auf den Boden, richtet sich wieder auf und will gehen: "Nun ist genug, Kinder. Ich hoffe euch Mädchen passiert so etwas nicht wirklich, denn die einen werden an einen Scherz denken, die anderen werden es einfach überhören". Die Scheinvergewaltigte zückt ein Messer: "Ich kann auf mich selbst aufpassen, du alter Sack!" Kopfschütteln, der alte Mann dreht sich um und will gehen. Eine weitere Bierflasche trifft ihn am Kopf. Ein harter Treffer. Der Alte fällt auf den Rasen. Zwei-drei Typen durchsuchen seine Taschen nach Geld und Wertsachen. "Es ist nicht so wie ihr denkt", murmelt der Alte, "ich bin kein guter Mensch, oder, wie nennt ihr das, ach ja, Opfer, - ich bin kein Opfer, das hier ist etwas Persönliches, meine Nichte ist vor vielen Jahren..." Ein Schlag ins Gesicht unterbricht ihn. Die Frau, die ihn schlug, schlägt nun vor: "Ich setz mich gleich auf seine Fresse und piss ihm ins Maul, los, macht Kino!" Jeder hat ein Mobiltelefon mit Kamera dabei. Die Frau entblößt ihre Scham. Ihr nackter Hintern sinkt langsam zum Gesicht des Alten. Auf einmal schreit sie wie gestochen - sie wurde eben genital verstümmelt. Dem Alten wurde es zu viel und er riss einem der Jungen das Messer weg und beginnt sich nun zu wehren: er springt auf, platziert fünf Messerstiche. Aus fünf Hälsen strömt junges Blut. Zwei wollen den Alten mit Fäusten niederstrecken, aber der Alte ist flinker und schneller. Beide liegen. Die Scheinvergewaltigte zieht eine Schusswaffe, aber der Alte schlägt ihr mit dem Messer wie mit einem Samuraischwert die Hand ab. Er nimmt die Kanone und sieht sich um - drei Männer und eine Frau stehen verängstigt zwischen den Liegenden am Boden. Der Alte wirft das Messer, die Frau fängt. "Suche dir einen aus, und schneide seinen Penis ab, du hast eine Minute". Jemand will sich aufrichten und den Alten von Hinten angreifen, der Alte zieht den langhaarigen Mann an den Haaren zur Parkbank, hämmert seinen Kopf gegen die Bank bis sich der Mann nicht mehr bewegt. Als die noch Stehenden wegrennen wollen, schießt der Alte einem ins Bein. Er schaut auf seine Uhr: "Noch 15 Sekunden", und hört erbärmliches Gejammer: "Schneid seinen Schwanz ab!" "Nein, seinen, er ist eine Schwuchtel!" "Er hat eine Andere gefickt, mach ihn Messer!" Der Alte murmelt: "Die Hosen nun runter, alle". Die Frau schneidet den Schwanz ab, von dem sie geglaubt hatte, er würde nur ihr gehören. "Gut", murmelt der Alte und schießt ihr in die Brust. Die verschonten Eier schießt er ab. Er geht für einige Minuten weg und kommt mit einer Eisenstange zurück. Er scheucht die Fortgekrochenen zurück und donnert mit der Eisenstange gegen die Köpfe, bis alle geplatzt sind. Er schmeißt die Schusswaffe in den See und geht nach Hause.




Schnee und Tee


Der Tee. Aus dem Fenster war nur Schnee zu sehen, eine Mondlandschaft aus Schnee. "Der absolute Idealismus macht den Tod zum Herrn des Einzelnen" fing der Fremde an. Der Andere senkte den Blick. Er sah sich die Kerzen an, kirchlichen Ursprungs. "Auch der alte Schelling zielt auf das Allgemeine", murmelte der Andere, "entweder oder Tod". "Entweder". Der Andere nahm eine Orange. "Wie gleich wir doch alle sind für diesen Jesus. Gott, ist das langweilig". "Mag sein. Ich war mein ganzes Leben lang Nihilist. Dann las ich Descartes, Locke, Hume und wurde skeptischer Nihilist. Durch Kant wurde ich agnostischer Nihilist. Als ich den alten Stuttgarter Fiesling las, da keimte Hoffnung auf, alles ergab auf einmal einen Sinn. Aber als ich mit dem letzten Satz der Logik fertig war, was wurde ich dann? Nihilist. Der Nihilismus schien von da an klar wie die Sonne, und ich konnte mich vor ihm in keinem Nichtwissen mehr verstecken". "Das ist alles sinnlos", meinte der Unbekannte, "allein das Schöne kann alle Sinnfragen beantworten". Der Fremde legte sich auf ein altes Sofa hin, der Unbekannte erzählte: "Ich kannte ein Mädchen, unfassbar schön, unerreichbar. Sie wurde von allem Übel auf der Welt abgeschirmt, auch von Verehrern wie mir. Sie war verwöhnt, aber nicht verdorben. Als sie erwachsen wurde, nur noch mäßig schön, da begann sie mit Wohltätigkeit, und sie half in den folgenden 30 Jahren vielen Menschen, gründete Stiftungen, eröffnete zwei Kliniken für würdevolles Sterben. Ich bewundere sie". "Warum fing sie so spät damit an?" "Gerade dafür bewundere ich sie. Alles andere wäre Hurerei gewesen". Der Andere sah aus dem Fenster: zwei Jäger schleppten etwas Erschossenes durch den Schnee. Es war ein Mensch. "Als ich fünf war, tötete ich genussvoll Fliegen, mit der Fliegenklatsche, jeden Abend. Dabei stellte ich mir jedesmal vor, dass die Fliege zu sich Ich sagt, und ihr Tod somit eigentlich unmöglich ist". "Eigentlich unmöglich", bestätigte der Unbekannte.




Nathalie und/oder die Peitsche


So nah, Thalie! - Rolf-Klaus, ein Pianist, wohnte in einer ruhigen Zehlendorfer Gegend, spielte an den Abenden meist Klavier, oder eben Piano. Ohne Kind und Hund ging er an den frühen verregneten Morgen den Wannsee entlang und dachte sich eine Melodie aus. Einen Tages traf er die schöne Nathalie, eher 17 als 18, und oh wie zärtlich sie die Tastaturen und Instrumente berührte - nein, Rolf-Klaus wusste noch nicht, was zärtlich war. Sie verabredeten sich bei Rolf-Klaus, der ein großer Kunstkenner war - seine bescheidene Wohnung war ein kleines Museum. Im Schalfzimmer an der Wand hingen Werke wenig bekannter impressionistischer Maler. Nathalie streifte mit den Handrücken hin und wieder die an der Fensterwand aufgehängten Peitschen. Eine Kinderei, bemerkte Rolf-Klaus, eine Sammlung einer früher vergötterten Horrorfilmfigur zuliebe. Der junge Mann setzte sich an seinen Flügel und spielte los, und die Musik war wunderbar, doch Nathalies Blicke gingen immer wieder zu den verschiedenartigen Peitschen. Rolf-Klaus fand nun, dass es Zeit war, sich zu verabschieden, und lud Nathalie auf ein baldiges sündhaft teures Streichkonzert ein. Nathalies enttäuschter Blick umrundete - was der Natur des Lichts nach eigentlich unmöglich ist - die Schlafzimmertür und gab ein eigenes Streichkonzert; Nathalies kleine Hände umschlossen lieblichst einen mittelalterlichen Streitkolben hinter der Eingangstür. Mit einem lustvollen Au zog sie ihre Hand von der Eisenkugel zurück und drehte sich zur Tür, wobei sie lustvoll am angeblich gepieksten Zeigefinger lutschte. Gut, sagte Rolf-Dieter, fesselte sie an den Händen, befestigte die Fesseln an einem Haken an der Wohnzimmerdecke und brachte die Peitschen aus dem Schlafzimmer. Bitte nicht, was machst du, stöhnte Nathalie lustvoll und versicherte verbal, die nun folgende Perversion aus tiefstem Herzen zu verabscheuen und unfassbar zu finden, was er ihr nun antat.




Charlotte vielleicht ein Hauch


Ein alter Mann war der Gruppenführer. Als er gerade erzählte, wie in seiner Studienzeit zwei Professoren über einen Holocaust-Überlebenden lachten - er sei nie in Auschwitz gewesen, nur in einem nicht so bekannten Konzentrationslager - , unterhielt sich der hintere Teil der Touristengruppe ziemlich kontrovers über den Satz, in jedem stecke ein Nazi. Da drehte sich der Alte zu ihnen um und sagte: als ich so alt war wie ihr, war das keine Gedenkstätte für mich, sondern ein Ort der Hoffnung. Eines Tages wollte ich alle meine Peiniger hier vergasen: Lehrer, Mitschüler, alle, die mich als den Sohn eines Holocaust-Überlebenden schief anguckten, ausgrenzten und die hinter meinem Rücken Holocaust-Witze erzählten. Als alles vorbereitet war - auf die Erlaubnis unseres ein Wenig perversen Geschichtslehrers hin wollten wir eine Massentötungsszene hier nachspielen - , musste ich nur noch das Spielgas gegen mein mitgebrachtes echtes Gas austauschen, was ein Kinderspiel war, da natürlich ich den Nazi spielen musste. Doch da war sie, dieses französische Mädchen aus einer anderen Touristengruppe. Ich kann heute noch versichern - das war nur ihr Blick, der mich davon abgehalten hat, meine Klasse und den Lehrer vor 54 Jahren hier zu vergasen. - Was war es, dachten sie noch lange, was den Alten damals vor dieser Tat bewahrt hatte? Es war der Einbruch des Lichts in eine dunkle Kammer, es war ein schüchterner Strahl der Hoffnung inmitten der Verzweiflung, wusste der Alte. Und die Professoren, fragte am Tag darauf ein anderer Neugieriger. Der Alte schwieg, denn er war seit einer Woche in die kleine Enkelin eines der Professoren heimlich verknallt. Zwei charakterliche Totalausfälle, die er gern mit seiner unterm Kissen gehorteten deutschen Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg erschossen hätte. Aber er ging stattdessen mit einem wunderschönen elfjährigen Mädchen und ihrem lieben kleinen Hund im Wald spazieren.




Sinnesverachtung


Ein Philosoph saß am Strand und wirkte nachdenklich. Um zu stören, kam ein Klugwicht hinzu und sprach: "Es ist Dirnenzeit, und hier sind meine Spielschulden - das Gold reicht für vier Dirnen!" Der Philosoph murmelte etwas von der geometrischen Schönheit der Gestirne, aber auch von der ästhetischen Schönheit der Göttin, von ihrem makellosen immerjungen Körper, - da setzte sich eine der Dirnen hinzu und warb mit ihren Reizen. Der Philosoph - immer noch entrückt - erzählte auch ihr von der ewigen und perfekten Schönheit seiner Göttin. "Aber sie ist real", sprachen seine fünf Sinne, als die Dirne nach seinem Gliede griff. Seitdem verachten schlechte Philosophen die Sinne - gute Philosophen haben die Sinne schon immer verachtet.




Behinderter Diskriminierer


In einer Talkshow sprach ein Rollstuhlfahrer: "Ich fühle mich durch meine Situation extrem eingeschränkt. Ich würde lieber Rad fahren, als diesen verdammten Rollstuhl. Es ist nicht das Glück auf Erden, eine barrierefreie Wohnung zu finden. Ich will normal sein, anstatt ständig das dumme Gerede zu hören, wie normal ich als Behinderter doch bin!" Er wurde wegen Behindertendiskriminierung verurteilt. Als jemand, der diese Sendung und das Darauffolgende sah, traute sich ein vermeintliches Opfer lookistischer Ideologie nicht mehr vor dem Spiegel zu sagen: "Mann, ich sehe so beschissen aus!", und verabschiedete sich stattdessen von seinem Spiegel. Er studierte Flirtratgeber und legte bald ein perfektes Balzverhalten an den Tag. Den Misserfolg zuzugeben konnte er nicht, denn damit hätte er der Gesellschaft vorgeworfen, ihn in eine Situation der Chancenlosigkeit zu befördern. So zählte er die erhaltenen Körbe und verwertete sie für eine Liste mit dem Namen "Die schlechtesten Flirtratgeber".




Grenzlinien


Auf einer Klassenfahrt lernte Xander sie kennen. Er bemühte sich sofort um sie nach allen Regeln der Kunst, und hatte Erfolg. Sie war schüchtern und schön, eine Seltenheit, kaum 1,60, schlank und zierlich, dunkles Haar, braune Augen, Borderline. Xander fickte sie und wollte am nächsten Tag nichts mehr von ihr wissen. Er verstand nicht, weshalb sie ihm noch Briefe schrieb und ihn ständig anrief. Xander musste sich auf seine Abiturprüfungen vorbereiten, hatte zu tun.

Xander, der große schlanke hellblonde Recke verstand nicht, was sein alter kleinwüchsiger dicklicher Freund Manu an seinem Verhalten nicht in Ordnung fand: "Manu, du hast mich doch beraten, was ich so machen muss, um romantisch zu sein, usw. Sie ist kein Kind mehr, sie wusste doch, was ich von ihr wollte. Sei ehrlich: du hast doch selbst gesehen, wie sie es genossen hat. Ich habe mich für sie zum Affen gemacht und sie gefickt, womit die Geschichte zu Ende war. So endet es doch, oder?"

Xander lernte für den Physik-Leistungskurs, als sie ihn wieder einmal anrief. Er nannte sie eine Nutte und bereute mündlich, sie gefickt zu haben. Sie drohte mit Selbstmord. Xander ging einkaufen. "Metaxa oder Bacardi?" fragte sich Xander, da Metaxa um 15% im Preis gesenkt war. "Du hast mich also nie geliebt?" rief sie wieder an und beschimpfte ihn wüst. Xander erinnerte sich, wie freizügig sie auf der Freizeit war, besonders nachdem er anfing, sich um sie zu bemühen. Es lief doch alles einvernehmlich, keiner wurde betrogen, niemand verarscht. "Natürlich hab ich das", blieb Xander ruhig, "du hast es doch am eigenen Leib gespürt".

Klare Grenzen konnte Xander immer ziehen. Trotz gelegentlichen Dorgenkonsums konnte er, wenn es sein musste, in der Schule und beim Wasserball stets gute Leistungen abrufen. Mit seinem Stiefvater verstand er sich gut, dessen Exfrau ignorierte er wie die Silberfischchen auf dem Klo. "Teefilter", dachte Xander nach, "Großpackung für 3,49 oder drei kleine Packungen für... 4,57? Dann lieber die Große, da sind 250 drin, in einer kleinen nur 100". Sie rief wieder an: "Ich dachte, das war ernst gemeint, was du zu mir sagtest". "Warte, ich muss was nachrechnen... so, was meintest du? Ob es ernst war? Ich habe doch bekommen, was ich wollte. Ich mache immer Ernst, wenn ich was erreichen will, und jetzt muss ich mich auf mein Abi konzentrieren. Ich glaube, ich werde Kardiologe".




Nelkendecke


Er freute sich bis zu den Ohren, der Torben-Thorsten. Währenddessen sah sich sein Kollege mit der Frage konfrontiert: "So du heißt also Michael, das heißt für dich Michael, und für mich dann Dichael?" Der Peroxidblonde lächelte ihre perfekten Zähne an und sagte: "Sicher, denn objektiv heiße ich ja Sichael". Sie lachten so bescheuert, wie der Witz platt war. Der besoffene Torben-Thorsten knallte eine neue Runde Bier auf den Tisch und sprach: "Was Geiles im Internet gehört. Hör ma, die Frauen, die heute wie wir 30 sind, die behandeln uns wie Dreck, aber wenn wir beide 50 sind, sind wir geiler als je zuvor, mehr Status und so, und die armen Weiber sehen dann Scheiße aus..." Michael lachte, seine Freundin nicht so sehr. Er lächelte sie so an, dass sie dann doch lachte, und sah in die besoffene Visage seines Kollegen: "Hör mal, Junge, verwechselst du da nicht Schadenfreude mit Sex? Ich meine, hast du jemanden je Schadenfreude vögeln sehen? Schadenfreude kann einen ficken, aber du sie wohl kaum". Sein Kollege verstand kein Wort: "Hehe, aber sie sind dann alt und hässlich, und wir fangen erst an zu leben". Michael nahm Torben-Thorsten das Bierglas ab und gab es dem Wirt. Er schickte seine Freundin nach Hause und sprach: "Mit wem denn, Junge? Mit wem willst du zu leben anfangen, wenn du 50 bist, und sagen wir mal Kohle hast?" Da keine Antwort folgte, sprach Michael weiter: "Ich nehme an, nicht mit denen, die dich mit 30 zum Teufel geschickt haben?" Sein Kollege nickte. "Ich nehme an, mit denen, die dann selbst höchstens 30 sind. Und, was erhoffst du dir von denen? Wer wird denn was dazugelernt haben, die 30-Jährigen, die 50 geworden sind, oder die 30-Jährigen, die noch 30 sind?" Der Kopf von Torben-Thorsten sank. "Michael?" fragte er durch die Tränen hindurch. "Was?" "Wie machst du das? Warum kommen sie zu dir, und nicht zu mir?" Michael sah ihn erbarmungsvoll an und sagte: "Ich weiß es nicht, alter Schwede. Ich weiß es wirklich nicht". Er gab dem Wirt 100 Euro Trinkgeld und fuhr mit seinem roten Ferrari zu seinem Penthaus in der City.


 
 

Samstag, 24. Juni 2017

Der Hochhausdachselbstmörder




Hochhausdach. Ein Typ, Anfang 30, will springen. Ein Cop, Ende 40, eilt herbei, bleibt nicht näher als fünf Schritte vor dem sonst zu springen gedroht Habenden stehen.

Cop: Springen Sie nicht, denken Sie an Ihre Familie!

Typ: Zum Glück sind meine Eltern bereits tot.

Cop: Haben Sie sonst niemanden?

Typ: Nein. Aber (schluchzt) ich hätte gern jemanden.

Cop: Ist dieser jemand der Grund dafür, dass Sie springen wollen?

Typ: Ja. Ich werde aus Liebe springen.

Cop: Ist sie verheiratet? Mit einem anderen Mann zusammen?

Typ: Sie ist vier.

Cop: Vier was? Vier Jahre alt? Gehören Sie zu diesen kranken Perversen?

Typ (schreit aufgebracht): Ich gehöre nicht zu diesem dreckigen vergasenswerten Abschaum!

Cop: Aber Sie wollen was von einem Kind!

Typ (heult): Ich will nichts von ihr, ich liebe sie von ganzem Herzen, und ich bin keiner dieser unlebenswerten Leben, die Kinder missbrauchen.

Cop (kratzt sich am Kopf): Woher kennen Sie sie?

Typ: Aus einem Fotostudio. Ich wollte Passfotos schießen lassen, und da war sie, so wunderschön, helles langes Haar, große Augen...

Cop (verschämt): Schluss damit. Oder wollen Sie, dass ich mit Ihnen springe?

Typ (erleichtert ob des Verstandenwordenseins): Hauptsache, Sie hindern mich nicht daran.

Cop: Wollen Sie immer noch springen? Das ist doch sinnlos!

Typ: Ein Leben ohne sie ist sinnlos!

Cop: Nehmen wir mal an, das Mädchen mag Sie. Was machen Sie mit dem Mädchen? Auf den Spielplatz gehen? Das alles ist doch absurd.

Typ: Ja, das ist absurd. Aber ich will doch nur... sie ganz fest ans Herz drücken...

Cop: Und dann?

Typ: Was dann? Dann ist nichts.

Cop: Sie meinen, das soll das letzte sein, was Sie bewusst erleben wollen?

Typ: Sie sind ein Genie! Genau! Nur das will ich, und dann am liebsten sofort sterben, um diesen Moment in die Ewigkeit mitzunehmen!

Cop (sieht, wie der Typ zum Sprunge ausholt): Was machen Sie da?

Typ: Ich denke ganz fest an sie und... (springt).

Cop: Was für ein glücklicher Mensch.


2011

Mittwoch, 7. Juni 2017

Eine Schule in Saarburg





Schulwoche 1.

Tag 1.


Jörg ist der Neue. Er steht auf dem Schulhof und starrt in die Ferne. Franz (Stärke: 85%) begrüßt ihn. Jörg klopft einen coolen Spruch. Er geht weiter, sieht den allerdurchschnittlichsten Jungen überhaupt. Dieser heißt Max (Stärke: komm, du bist doch nicht blöd, wieviel Prozent). Er fragt ihn: "Wer ist in deiner Klasse der Stärkste". "Klaus", sagt Max. Es klingelt. Alle gehen ins Schulgebäude, Jörg bleibt stehen. "In welcher Klasse bist du?" geht Max zu ihm zurück. "7a". "Ich auch. Lass uns gehen".



Tag 2.


Jörg: Es waren gestern nicht alle da?

Max: Korrekt. Aber woher weißt du das?

Jörg: Ich habe Augen.



Tag 3.

Jörg: Wieder nicht alle da.

Max: Du bist ein Hellseher.

Dieter (Stärke: 120%): Das ist Quatsch.

Jörg: Wer ist die Schönste in eurer Klasse?

Dieter: Monika.

Jörg: Wen muss ich besiegen?

Max: Ihn.

Jörg: Und Klaus?

Max: Klaus ist in Annett verknallt.

Jörg: Und Annett?

Max: In Klaus.

Jörg: Und der da?

Max: Dieter ist ein Wolf.



Tag 4.


Jörg denkt nach: nur er und Dieter in niemanden verknallt, aber es kann nur einen Coolen geben. Wie kann man beweisen, dass Dieter doch etwas für ein Mädchen empfindet? Ein Achtklässler provoziert einen Streit. Jörg knockt ihn aus. Er weiß, dass Monika es gesehen hat. "Es ist mir egal, wer es gesehen hat. Ich bin kein Angeber", denkt er laut nach und geht.



Tag 5.


Max: Nicht schlecht.

Jörg: Ich weiß.

Max: Aber schlägst du auch einen Neuntklässler?

Jörg: Wir werden sehen. Warum muss ich Dieter besiegen, wenn er in niemanden verknallt ist?

Max: Ein Wolf ist die höchste Respektperson in einer Klasse. Er ist in die Schönste nicht verknallt, aber lässt auch keinen Anderen zu ihr.

Jörg: Also eher ein Hund?

Beide lachen.




Schulwoche 2.


Tag 1.


Jörg setzt sich auf einen Tischtennistisch. Eine Gruppe Achtklässler will Tischtennis spielen. Jörg fragt: "Wer ist der Coolste von euch?" Der Coolste (Stärke: 127%) holt zum Schlag aus, Jörg schlägt ihn, steht auf und geht in die Klasse. Peter (Stärke: 115%, hochgewachsen) wird an die Tafel gebeten. "Ein langer Stock", bemerkt Jörg lakonisch. Max lacht. "In wen verknallt?" fragt Jörg. "In Annett". "Und Annett?" "In Klaus". Jörg lacht.



Tag 2.


Jörg schubst zwei Achtklässler beiseite und klopft einen coolen Spruch gegenüber einem Neuntklässler. Als er in den Klassenraum will, versperrt Peter ihm den Eingang. Klaus, der ihn am Ende des letzten Schuljahrs vor Mädchen besiegte, lächelt: Peter braucht einen Sieg vor Mädchen gegen den Neuen. Er holt aus, aber Jörg geht zur Seite. Peter fällt hin, Jörg spaziert in den Klassenraum. "Cool", kommentiert Franz, Peters bester Freund. "Was war denn?" fragt Jörg. Max stolziert durch den Klassenraum: da Peter sich lächerlich gemacht hat, übernimmt er dessen Platz in der Hackordnung. Erster: Klaus. Zweiter: Dieter. Dritter: Max. Und das für eine längere Zeit: Jörg genießt bis zum Ende der Herbstferien den noblen Status eines Edelaußenseiters.



Tag 3.


Dieter hat Sport getrieben. Neue Stärke: 124%. Klaus hat etwas nachgelassen, ist von 130% auf 125% gefallen. Sollte es zum Streit zwischen Klaus und Dieter kommen, stünde der Sieger nicht sicher fest. Jörg erhält einen anonymen Brief: "Wir sehen uns".



Tag 4.


Jörg: In wen bist du verknallt?

Max: In Erika.

Jörg: Und Erika?

Max: In mich.

Jörg: Wen hast du für Erika besiegt?

Max: Keinen.

Jörg: Das ist schlecht.

Max: Sonst ist in unserer Klasse keiner in sie verknallt.

Jörg: Wer ist denn alles in Monika verknallt?

Max: Franz und Bernd.

Jörg: Die beiden Schwächsten? Etwas stimmt da nicht.

Max: Du und Dieter seid ja Wölfe.

Jörg: Es kann nur einen Wolf in einer Klasse geben. Dieter ist verknallt, will es nur nicht zugeben.



Tag 5.


Jörg erhält einen weiteren anonymen Brief: "Wir sehen uns an der Haltestelle Nr.19". Klaus und Max gründen mit Jörg eine coole Clique. Peter und Franz sind gezwungen, eine uncoole Clique zu gründen. Beide Cliquen werben um Bernd und schieben einander verbal Dieter zu. Am WE zeigen Max und Klaus Jörg die Stadt. Die Haltestelle Nr.19 sei der gefährlichste Ort in der Stadt, sagen sie.




Schulwoche 3.


Tag 1.


Max (nachdenklich): Dunkle Wolken ziehen auf. Sie könnten sich zwischen Klaus und Dieter entladen.

Jörg: Was denkst du mich so an?

Max: Du hast Peter vernichtet.

Jörg: Er war im Weg.

Max: Schade für Klaus.

Jörg: Wieso für Klaus? Ich bin immer noch der Neue. Klaus ist der Platzhirsch und muss niemandem etwas beweisen. Deine dunklen Wolken ziehen auf, weil du weißt wer bald gegen Dieter kämpfen muss.



Tag 2.


Klaus erscheint nicht in der Schule. Max und Jörg besuchen ihn. Kein Bock auf Schule, meint Klaus. Anstatt mit Jörg und Max die Mädchen im Park zu treffen, bleibt Klaus lustlos zu Hause. Am Abend zeigt Max Jörg den großen Park. Dieter läuft einsam seine Kreise um den See, spricht kein Wort mit den Mädchen, während Peter und Franz ebenfalls um den See laufen und jedesmal den Mädchen berichten, welche Runde das gerade war.



Tag 3.


In der großen Pause gibt es Streit zwischen Bernd und einem Achtklässler. Klaus schlägt den Achtklässler. Bernd berichtet es den Mädchen. Annett ist eifersüchtig: sie denkt, Klaus hätte den Achtklässler für eine Achtklässlerin besiegt. Nach der Schule geht Annett mit Jörg zu Jörg und hilft ihm, sein Zimmer einzurichten. Hin und wieder sprechen sie über Monika - immer wenn Jörg nichts mehr sagt und Annett die Pausen überwinden möchte.



Tag 4.


Annett ist enttäuscht, dass Klaus nicht eifersüchtig ist, dass sie gestern bei Jörg war. Jörg bekommt indessen einen weiteren Drohbrief: "Komm heute um 22:00 an die Haltestelle Nr.19, wenn du kein Feigling bist". Jörg ist kein Feigling. Er geht hin. Max kommt nach zehn Minuten hinterher, als er merkt, dass der Gegner gekniffen hat. "Ein Scherz, wahrscheinlich von Peter", urteilt Jörg. Max stimmt ihm zu. Jörg ändert daraufhin seine Meinung: "Irgendwas gefällt mir hier nicht".



Tag 5.


Klaus: Du stehst hier rum und wunderst dich. Worüber?

Jörg: Meine fünfzehnte große Pause hier. Immer noch kein Mädchen kennengelernt.

Klaus: Und Annett? War sie nicht neulich bei dir?

Jörg: Das war nur so. Ich meinte etwas Anderes. Es ist noch nichts passiert.

Klaus: Aber du stehst ja nur rum.

Jörg: Was soll ich denn tun? Keiner greift mich mehr an.

Klaus: Da kommt Monika.

Jörg (bleibt stehen, nimmt eine wartende Haltung ein, bis die Mädchen vorbeigegangen sind): Komisch. Wieder nicht passiert.

Klaus: Monika ist eben schüchtern.

 2011