Du kannst die Tiefe der Verachtung nicht begreifen, mit welcher sich
dieser schlanke 19-jährige Mann für den Tod entschied. Kurz vor den
Schulabschlussprüfungen als Klassenbester ging er im Regen auf eine hohe
Brücke und stürzte sich in den Tod. Er tat es mit einer
schauererregenden Selbstverständlichkeit und Lebensverachtung.
Er wachte auf, es roch nach Schwefel. "Wie ist dein Name?" fragte eine
etwas dickliche, ältliche kahle Gestalt. Der schwarzhaarige Mann mit dem
ästhetischstmöglichen Kurzhaarschnitt sagte verachtungsvoll: "Nenn mich
wie du willst". "Steh auf, Erich", sagte der kahle Bastard, "deine Hose
brennt". Der junge Mann rührte sich nicht. Sein Fuß fing an zu brennen,
das war ihm egal. Zwei dürre Neuankömmlinge mittleren Alters gehorchten
ängstlich einem Befehl und zogen den Mann weg vom brennenden Bach. Eine
zenobitenartige Gestalt löschte mit einem feuchten Handtuch das Feuer.
Der Kahle ärgerte sich: "Feuchtigkeit? Du verschwendest Feuchtigkeit!?"
"Tut dein Bein weh?" fragte der Zenobit. "Mich schmerzt die Tatsache,
dass ich offenbar immer noch am Leben bin", schüttelte der junge
Selbstmörder verächtlich mit dem Kopf. "Und jetzt bin ich vermutlich in
der Hölle", murmelte er sarkastisch. "So ist es!" rief ein Priester in
Schwarz. "Welche Sünde habe ich begangen?" schaute der schaurige
Schönling dem etwa zehn Jahre älteren Geistlichen direkt ins Auge.
"Einen Selbstmord". "Und vorher?" Der Priester schwieg. "Du hast ein
moralisch perfektes Leben gelebt, und jetzt bist du hier", sprach der
Zenobit verbittert, "Gott ist ein Wichser". Der junge Mann drehte sich
zum Bach aus Lava und dachte laut nach: "Werde ich dort drin verbrennen?
Werde ich sterben, wenn ich..." Da er das Schweigen als Antwort bereits
witterte, stand er auf und bewegte sich humpelnd zum Bach. Bis der
Priester ihm nachlief und ihn am Arm festhielt: "Du willst eine weitere
Sünde begehen?" "Nein, nur diese eine, aber so lange, bis ich eure
Fressen nicht mehr sehen muss". "Die Seele ist unsterblich, gib auf",
sprach die Zenobit gewordene Bitterkeit.
Wenigstens konnte man hier schlafen. Doch nach fünfzehn Stunden Schlaf
war diese Möglichkeit erschöpft, und hier gab es weder Tag noch Nacht
noch die Gewissheit, dass das Leben endet. Der junge Mann schritt
geistesabwesend durch die hohen Höhlengewölbe, unter den Decken hatten
sich Nebelwolken gesammelt, sodass hin und wieder der Eindruck entstand,
dass man sich unter bewölktem freiem Himmel befand. Er stolperte über
einen liegenden Penner. "Arschloch", schimpfte dieser. Der Jüngling
blieb stehen und fragte: "Und warum bist du hier?" "Ich habe mich
umgebracht", sagte der Obdachlose mit einer verrauchten Stimme. "Warte",
wurde der Arrogante zynisch, "du hast wahrscheinlich dein ganzes Leben
versoffen, deine Familie ruiniert, mit Drogen gedealt und Geld
gestohlen, aber hier bist du nur gelandet, weil du von diesem ganzen
Elend genug hattest?" "Ja!" rief der Alte, als wäre er zum ersten Mal im
Leben verstanden worden, "Ja, so war das!" Der junge Mann schüttelte
mit dem Kopf und ging weiter.
Er setzte sich zu einer Gruppe von Dominospielern und spielte mit. Sie
fragten ihn nichts, ließen ihn mit einer an Gleichgültigkeit grenzenden
Selbstverständlichkeit mitspielen. Bis er fragte: "Was ist an diesem Ort
das Beschissenste?" Ein Raunen ging durch den Raum, und einer jammerte:
"Der Durst. Jeden Tag hast du Durst, aber du verdurstest einfach
nicht". "Damit verglichen, kannst du jeden Schmerz vergessen!" rief ein
anderer, und ein Dritter giftete: "Die Hölle ist ökonomisch
eingerichtet, das muss man dem Teufel lassen". Der junge Mann stand auf
und ging weiter, suchte einen Ort zum Schlafen, und knallte sich wieder
für ein paar Stunden hin. "Die glücklichen Frischgestorbenen!" weinte
ein Mann, der den Jüngeren aus den Lebzeiten kannte. "Weck ihn doch!"
lachte der Kahle. "Lass ihn", schaute der Zenobit grimmig.
Irgendwann musste er wieder aufwachen. "Du weißt schon, dass du mit dem
Schlaf sparsam umgehen musst?" fragte der Zenobit, der ihm anscheinend
schon die ganze Zeit folgte. "Nein, das wusste ich nicht", sagte der
junge Mann zum ersten Mal in einem nicht arroganten Tonfall. "Erst
schläfst du so viel du kannst, dann kommt die Schlaflosigkeit. Rein
physiologisch brauchst du den Schlaf hier nicht, du bist ja schon tot.
Egal wie erschöpft du bist, du wirst nicht schlafen können". "Und der
Durst?" "Spürst du ihn schon?" "Als hätte ich zwei Tage nichts
getrunken. Nichts Besonderes, habe ich schon oft erlebt. Einfach keine
Lust gehabt, vom Bett aufzustehen. Aber langsam kriege ich Lust, etwas
zu trinken". "Und? Siehst du hier Getränkeautomaten?" Der Scherz ging
ins Leere, weil direkt hinter ihnen der Mann, der den Jüngeren schon
länger kannte, weinend zusammenbrach. Dieser drehte sich um und erkannte
seinen ehemaligen Lehrer, der eine Schülerin missbraucht hatte, was ihm
aber nicht nachgewiesen werden konnte. "Hat er sich auch umgebracht?"
fragte er den Zenobiten. "Nein, das war Krebs". Der junge Mann lächelte.
"Die meisten sind auch nach deinen Moralvorstellungen zurecht hier",
klopfte ihm der Zenobit auf die Schulter und ging durch eine dunkle Tür.
In den Minihöhlen an den Rändern hausten die Bewohner. Einige
schliefen, die, die es noch konnten. Der junge Mann suchte einen Platz
und fand keinen. Als der Kahle sich wieder näherte, sagte er: "Dieser
Nebel muss doch irgendwo kondensieren". "Ja, bei den Zenobiten!" Der
Priester eilte herbei und riet, schnell zu einem geheimen Marktplatz
mitzukommen. Dieser war nur wenige Schritte entfernt. "Hast du dir die
Hölle größer vorgestellt, wie heißt du eigentlich?" fragte der Priester.
"Nenn mich wie du willst".
"Diese drei gehen jetzt aus. Wenn sie hier etwas zurücklassen, wird es
gestohlen. Also verkaufen sie gleich ihre Sachen", erklärte der Kahle.
"In der Hölle gibt es Geld? Was ist die Währung?" "Information. Sie
werden dich etwas über dein Leben fragen, über die Menschen, die du
zurückgelassen hast". "Und wozu?" "Wenn sie dich erwähnen, wird ihnen
zugehört. Dann kann ein Toter wieder mit Lebenden reden. Normalerweise
haben die ja Angst vor uns". Einer dieser Schnellverkäufer schaute den
Neuankömmling düster an und fragte: "Brauchst du etwas?" Dieser
schüttelte mit dem Kopf. "Wasser?" fragte dieser weiter mit einem
ungläubigen Blick. "Ich habe keinen Durst", sagte der junge Mann und
ging davon.
Der Kahle fand ihn schnell wieder: "Zwei frische Damen!" pries er seine
neu erworbenen Spielkarten. "Warum kein Foto von einer echten Frau?" Da
lachte der Alteingesessene: "Das ist die Hölle, vergiss das nicht". Der
junge Mann sah, wie in einer kleinen Wohnhöhle jemand im Schneidersitz
saß und anscheinend seit Stunden einer Spielkarten-Dame in die Augen
schaute. Die Ausgänger schlenderten vorbei: "Brauchst du wirklich
nichts?" "Ich war selbst des Lebens überdrüssig. Was denkst du, was ich
brauche". "Stimmt, du brauchst nicht einmal einen Namen, wie ich
herausgehört habe. Arschloch!"
"Wolf?" rief ihn der Kahle. Er drehte sich um, um dieser zeigte auf
einen Zenobiten. Der junge Mann ging erst schweigend mit, dann stellte
er eine Frage: "Machen die wirklich einen Ausflug in die Welt der
Lebenden?" "So ist es", bestätigte der Zenobit, der einfach nur aussah
wie ein gewöhnlicher Mensch, vielleicht mit einer etwas priesterlichen
Aura. "Wo bringst du mich hin?" "Zu einem Test. Deine Arroganz wird hier
so langsam bemängelt. Arroganz kommt meistens von Angst". Er zeigte auf
eine sehr schmale Steinbrücke über dem Lavabach: "Keiner hat sich
bisher getraut, den Bach an dieser Stelle zu überqueren". Der junge Mann
ging ohne Zögern auf die Brücke, balancierte auf ihr elegant und kam
auf die andere Seite, wohin sich der Zenobit über den Lavabach
hinüberschwebte. "Angeber", sprach er ängstlich, wobei es humorvoll
klingen sollte. "Selber", antwortete der junge Mann lakonisch. "Ach,
diese Fähigkeiten. Das ist nichts Besonderes. Sieht zwar beeindruckend
aus, aber bringt uns leider nichts. Wir sind ja immer noch in der Hölle
gefangen, egal, was wir können. Aber du: was stimmt nicht mit dir?" "Wo
gehen wir jetzt hin?" "Zum Teufel".
"Da sind wir, Albert". "Dieser Mann ist der Teufel?" "Nicht der, ein
Teufel", sagte der Gemeinte und schickte mit einer Blickgeste den
Zenobiten weg. "Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?" Der Jüngling
schwieg. "Hast du immer noch keinen Durst? Wie lange bist du hier, eine
Woche!?" "Macht dich das nervös?" "Hehe, nein, ich weiß ja, du hast
Durst. Entweder du bestrafst dich selbst oder du willst etwas beweisen".
"Was ist an egal so schwer zu verstehen? Mir ist einfach egal,
ob ich Durst habe. Außerdem weiß ich, ihr könnt mich hier quälen, wie
ihr wollt. Ihr könnt mich in jede beliebige Form stecken und... etwa
nicht?" "Weißt du, woher die Angst kommt? Daher, dass keiner sich traut,
zu fragen. Zu probieren. Zu prüfen, ob etwas wirklich stimmt.
Stattdessen nehmen alle gleich das Schrecklichste an, und fangen an,
daran zu glauben. Aber du bist anders. Hattest du eine Erleuchtung?"
"Nein, nur Lebensüberdruss", gähnte der junge Mann und schenkte sich
Wasser aus der Karaffe auf dem Steintisch in das größte der sauberen von
den leeren Gläsern.
Einer stürmte herein, etwas älter, aber immer noch jung, keine 30. "Er
entwischt uns immer wieder! Auch Ghost hat ihn nicht gekriegt!" "Und wo
ist Ghost jetzt?" fragte der Teufel. "Verschollen. Einfach verschwunden.
Als hätte er sich aufgelöst..." Der Hereingestürmte fühlte sich beim
Blick auf ein Gemälde von Sisyphos leicht ertappt und schaute sofort
wieder weg. "Geh nochmal hoch und gib diesmal dein Bestes. Du bist unser
bester Schattenjäger, wen sollen wir sonst schicken?" Der Mann
beruhigte sich, trank etwas, und sah dem Jüngeren direkt in die Augen:
"Soll ich jemandem da oben eine Nachricht von dir überbringen?" "Sag
Ellie, sie soll sich von diesem Abschaum fernhalten". Der Mann nickte
und ging, und der Jüngere fragte den Teufel sarkastisch: "Und er weiß
jetzt natürlich auch, wer das ist". "Du hast es ihm doch eben
telepathisch übermittelt". Der junge Mann schenkte sich ein weiteres
Glas ein und ignorierte die erzürnten Blicke des Teufels. Dieser setzte
sich und murmelte: "Du rechnest bereits damit, dass er mit leeren Händen
zurück kommt". "Er hat einfach zu viel Angst", sagte der arrogante
Jüngling und trank aus.
"Да. Хорошо. Вот." Jake streckte sich auf seinem großen schwarzen
Chefsessel und nahm einen zweiten Hörer in die Hand: "Die Russen sind im
Geschäft". Er, schlank, schwarzhaarig und mittelgroß, Ende 30, grinste
zufrieden und schaute auf das Bild seiner Frau mit den zwei kleinen
Kindern auf dem Tisch. Dann drehte er sich zur Glaswand und sah runter
auf die Stadt. Der einsame Wolkenkratzer überragte das Stadtpanorama.
Ein Lakaie stürmte ins Büro: "Boss, wirklich, diese Summe? Was kaufen
wir denn, eine Atombombe?" Jake grinste noch breiter, aber sagte nichts,
sondern schickte den Lakaien mit einer lockeren Geste weg. Ein Anruf.
Nun war Jake angespannt. "Jake, die Japaner sind raus". "Aber warum?"
"Inamoto sagt, er kann das als Buddhist nicht machen". "Was kann er
nicht machen?" zürnte Jake, "liegt es an mir, will er mit mir keine
Geschäfte machen!?" "Ich fürchte, genau das hat er durch die Blume sagen
wollen", bestätigte die diplomatische männliche Stimme am anderen Ende
der Leitung. Jake legte auf und stand auf, schaute sich paranoid um,
ging dann ins Bad und zog eine Line Koks.
Es war später Abend, die Kinder waren schon im Bett. Lily, eine sehr
weibliche und zarte Frau Ende 20, brünett, zierlich mit Kurven, sah
ihren Ehemann mit großen Augen an. Er nahm sie in den Arm und flüsterte:
"Wir ziehen nächste Woche weit weg von hier". Sie riss sich los: "So
schnell? Was eilt denn so? Lass die Kinder doch..." "Die Kinder finden
dort neue Freunde. Sie werden zur Schule gehen. Nein, wir besorgen uns
Privatlehrer. Ich habe die größte Villa gekauft, nicht eins der
bescheidenen Millionärshäuschen, die wir uns gestern angesehen haben. An
deinem Lieblingsort". "Ich freue mich, aber... wovor läufst du weg?" Er
tat so, als würde er sich in sein Schlafzimmer zurückziehen, verließ
aber das Haus durch die Hintertür und ging lauernd um den Block. Er
fühlte sich verfolgt und wollte seine Verfolger fassen. Er hatte sogar
eine Pistole dabei, unter dem Trenchcoat versteckt. "Jacob", hörte er
jemanden mit fester Stimme flüstern und drehte sich schnell um. Doch da
war nichts. Er ging schnellen Schrittes ins Haus, steckte eine
Spielkarte ins Portemonnaie und fuhr mit einem Taxi in sein Büro.
Mit dem Fahrstuhl oben angekommen, setzte er sich auf die
Panoramaterrasse und betrachtete die Stadt. "Inamoto ist da", kam sein
Lakaie, und Jake spazierte mit aufgesetzter Lockerheit ins Büro. Doch
nicht nur der kurzhaarige weißhaarige Japaner Ende 50 war da, sondern
auch vier Yakuza-Männer, von denen einer einen Koffer mit
Folterinstrumenten öffnete. "Wie machst du das, Jake?" schüttelte
Inamoto mit dem Kopf. Dieser lachte ängstlich: "Investment ist pures
Glücksspiel, das hast du mir doch beigebracht! Immer cool bleiben, und
du gewinnst am Ende mehr als du verlierst, weil die Anderen zu viel
Angst haben". "Aber du gewinnst nicht nur, du weißt schon vorher, auf
welches Pferd du setzen musst. Das ist kein Glücksspiel mehr, das ist
Magie". Jake schenkte sich einen Whisky ein, Inamoto verzichtete. "Ich
habe vor wenigen Dingen Angst", sagte er, am offenen Koffer
vorbeigehend, "aber Magie war mir schon immer unheimlich. Was
verheimlichst du uns wirklich?"
Jake wurde durchsucht: "Eine Knarre". "Ja, natürlich", lächelte
Inamoto. "Sonst keine Waffen". Das Portemonnaie wurde durchsucht,
Inamoto wunderte sich über eine Pik 9 zwischen den großen Scheinen: "Was
ist das? Ein Kult? Bist du in einer Sekte? Was bedeutet diese Karte?"
Jake versank in seinem Chefsessel und trank den Whisky aus. "Sie ist für
Ghost. Damit er mich erkennt". "Wer ist Ghost? ...und... wo ist Ghost?"
wanderte Inamoto nachdenklich durch den weiten Büroraum. Er schloss den
Koffer und entließ die Yakuza-Männer. "Im Ernst, alter Freund?" fragte
nun Jake, "du lädst das organisierte Verbrechen in mein Haus ein? In
unser Haus? Haben wir beide das nicht aufgebaut, mit meinem Mut, mit
deinen Prinzipien? Wir hatten nie Geheimnisse voreinander..." Inamoto
schüttelte mitleidig mit dem Kopf: "Warum willst du mich manipulieren?
Du bist es doch, der Geheimnisse hat. Ich weiß, das hat nichts mit dem
Geschäft zu tun. Mit gar keinem Geschäft. Bei einem Geschäft hättest du
mich nie reingelegt, das weiß ich doch..." "Dann teilen wir das Geld und
ich bin raus! Ich verschwinde mit meiner Familie und du siehst mich nie
wieder. Ich überlasse dir meine Firma". "Aber warum, wenn es doch so
gut für dich läuft?"
Der Morgen dämmerte. Zwei Männer gingen in den Wolkenkratzer an den
Wachen vorbei, alle Türen öffneten sich für sie von selbst. Sie trugen
lange schwarze Trenchcoats. Sie stiegen in den Fahrstuhl und fuhren in
den obersten Stock. Inamoto meditierte auf einer Matte, doch zog die
Waffe sofort, als die Männer in Jakes Büro kamen. Sie gingen einfach
weiter und er schoss. Die Kugeln durchlöcherten sie, aber sie bluteten
nicht und gingen einfach weiter. Inamoto kauerte sich hin in eine Ecke
vor der Eingangstür, während Jake die Pik 9 auf den Tisch warf.
"Millionen! Viele Millionen! Gold, Aktien, ihr könnt alles nehmen! Lasst
mich einfach mit meiner Familie wegziehen. Ich besorge auch euch ein
Versteck. Die Schattenjäger finden uns nicht... Wie lange bin ich hier,
sieben Wochen? Und was haben sie getan? Ich bin immer noch hier. Langsam
verliere ich die Furcht vor der Hölle, sie ist anscheinend ein ziemlich
ineffizientes Geschäftsmodell..." "Jacob, du kommst jetzt mit", sprach
der Eine grimmig. "Oder du sagst uns, wo Ghost ist", erklärte ihm der
Andere seine Optionen.
"Lily, haben sie dir etwas getan? Wo sind die Kinder?" war Jake in
Panik. Seine Frau war verängstigt, sie zeigte auf die Männer, die wenige
Minuten vor Jake in seinem Haus angekommen waren und nun alles
verfügbare Fleisch aus Kühlschrank und Tiefkühler in der Küche roh
aufzehrten. "Damit ihre Wunden heilen", erklärte Jake. "Aber Jake, sie
bluten nicht!" Jake nahm seine Frau fest in den Arm und ging dann zur
Küche: "Ich habe Inamoto zum Flughafen gebracht, er hat nichts
verstanden". "Das wollen wir hoffen", drohte der beste Schattenjäger,
"denn lebende Zeugen haben uns gerade noch gefehlt". Jake ging in sein
Arbeitszimmer und brachte etwas aus seinem Safe: "Hier, das da auf
diesen Fotos, das ist wahrscheinlich Ghost". "Was? Ein Kugelblitz?"
"Eher eine Glaskugel", korrigierte der Schattenjäger den Ausflügler.
"Und was zum Teufel veranlasst dich dazu, uns zu erzählen, diese Kugel
wäre Ghost?" wandte er sich an den Flüchtigen. "Die Kugel kam letzte
Woche zu mir durch das offene Fenster. Sie wartete, bis Frau und Kinder
im Bett waren, und führte mich dann ins Wohnzimmer an das Wandalphabet
meines Sohnes. Und dann bewegte sie sich von einem Buchstaben zum
anderen, bis ich anfing, ihre Botschaft aufzuschreiben... Bring me back
to hell". "Moment... wenn sein Bewusstsein in dieser Kugel steckt, und
er rumfliegt wie er lustig ist, warum kann er nicht selber zur Hölle
zurückkehren?" "Weil er von jemandem, der sehr mächtig ist, kontrolliert
wird", vermutete Jake. "Ghost war ein Sucher, kein Jäger", erinnerte
sich der Schattenjäger, "dann ist er wohl jemandes Auge".
"Heilen die Wunden?" interessierte sich Jake. "Wird schon", zog der
Ausflügler ein Hemd von Jake an, während der Schattenjäger an Löchern in
seinem Torso noch rumdokterte. "Habt ihr eigentlich Sex?" fragte der
Tote mit nacktem Oberkörper. Jake guckte verdutzt und stammelte: "Ich
weiß ja nicht, was da so in meinem Körper... und dann spritze ich das in
eine lebende Frau..." "Probier es erstmal mit einer Hure", empfahl der
Ausflügler. "Dafür... hatte ich noch keine Zeit", antwortete Jake und
sah nach Lily. Sie schloss das Kinderzimmer mit einem Schlüssel ab und
kam zur Küche. "Kaffee?" fragte sie die Gäste. "Gern", nickte der
Schattenjäger.
Der Kahle wieder. "Was!?" fragte der Jüngling, sich am Lavabach
wärmend. "Die Zenobiten suchen dich". "Wenn sie mich schon in der Hölle
nicht finden, wie können sie dann erwarten, dass ihre Suchhunde
Höllenflüchtige aufspüren!?" wunderte er sich im gewohnt arrogantem Ton.
Er stand auf und ging auf die Gruppe der Zenobiten zu. Der Älteste
erklärte: "Der Teufel braucht deine Hilfe".
"Wohin gehst du?" störte wieder der Kahle. "Komm doch mit", zog der
junge Mann einen dunkelgrauen Kapuzenpullover an und war bereit zum
Aufstieg. "Nein, ich bleibe lieber in der Hölle", winkte der Kahle
ängstlich ab. Der Jüngling erbarmte sich zu einer Samalltalkfrage: "Du,
wo sind eigentlich die Frauen?" Der Kahle schaute verdutzt. "Kommen etwa
nur Männer in die Hölle?" "Wir müssen gehen", eilte der älteste der
Zenobiten und zog den jungen Selbstmörder am Arm.
Der Lift war einfach eine geländelose gusseiserne Plattform. "Setz
dich, das wird dauern", sagte ein braun-langhaariger Zenobit Anfang 30,
der dem Jüngling der Weg aus der Hölle zeigte. Sie saßen und schwiegen,
lange, dann fing der Zenobit an zu klagen: "Die schicken schon
Ausflügler zum Suchen. Die haben keine Schattenjäger mehr. Willst du
einer werden?" "Egal. Oder habe ich hier Besseres zu tun?" "Hast du
keine Angst?" "Was passiert denn mit den Schattenjägern, wenn sie
scheitern?" "Aha. Angst hast du doch, und zwar vor dem Scheitern". "Du
solltest Psychologe werden... ach, was, du warst Psychologe?" "Das war
ich". "Und nun hier?" "Hab keinen Sinn mehr im Leben gesehen".
Die Toten tranken und lobten die Einrichtung der Küche. Jake sah nach
den Kindern und machte den Männern dann klar, dass er ihren Abschied in
aller Bälde erwartete. Doch Lily sagte: "Geh doch schonmal ins Büro, die
werden uns nichts tun". "Bist du sicher?" erschrak Jake über die
allmähliche aber doch ziemlich schnelle Veränderung seiner Frau, die
schon immer eine ängstliche Maus war. "Zwei Tote sind in unserem Haus.
Sie haben unser ganzes Fleisch gegessen und trinken unseren Kaffee. Wenn
du mich und die Kinder nicht davor beschützen konntest, dass sie hier
sind, was wirst du schon ausrichten können, wenn sie Gewalt anwenden?"
Jake ging gesenkten Hauptes aus dem Haus und fing ein vorbeifahrendes
Taxi.
Lily setzte sich in den Sessel gegenüber der Couch, auf der die Gäste
saßen. "Hat er deshalb unsere Katze weggegeben?" fragte sie. Sie sahen
sie fragend an. "Weil er tot ist!?" "Ach". "Achso". "Ja, Tiere spüren
sowas". "Genau". "Und?" unterbrach die zierliche Frau das Gestammel,
"...ist Jake also tot? So wie ihr?" "Ja", bestätigte der Schattenjäger.
Jake rannte die Treppen hoch, die Fahrstühle im Wolkenkratzer waren auf
einmal alle defekt. Als er in seinem Büro ankam, saß Inamoto auf dem
Chefsessel und sprach: "Mach die Tür zu", und als die Tür zu war: "Was
auch immer da läuft, ich will dabei sein".
"Hast du alles verstanden?" fragte der langhaarige Zenobit. Die
Plattform war auf einer Fläche unter einem Höhlengewölbe angekommen, aus
dem es einen Ausgang zu einem Meeresstrand gab. "Wenn ich etwas
vergessen habe, dann werde ich halt improvisieren", lächelte der
Jüngling und sah, wie der Zenobit auf der Plattform unter dem Steinboden
verschwand.
"Setz dich", befahl Inamoto, "meine Männer sind weg. Vorerst". Jake
schenkte sich und dem Japaner Whisky ein und setzte sich auf den Hocker
neben seinem Chefsessel, auf dem sein Geschäftspartner und Mentor jetzt
thonte. "Schmeckt dir der Whisky? Ich meine, so wie früher?" "Aber
sicher", versicherte Jake, kippte das Getränk in den Rachen und schenkte
sich einen zweiten ein, "und das Beste: ich werde davon nicht mehr so
schnell besoffen". "Hast du es ausprobiert?" "Natürlich. Nach zehn
Flaschen war ich immer noch nüchtern. Erst nach zwanzig kippte ich weg".
Der ansonsten immer grimmige Japaner lachte und scherzte: "Tot zu sein,
ist wohl gar nicht so schlecht". Jake hörte ein Quietschen und drehte
sich schnell um, stand dann auf und schaute paranoid um sich,
einschließlich aus dem Fenster. "Solange sie dich nicht finden", sagte
er finster und machte eine weitere Flasche Whisky auf.
Lily packte die Kinder in den Van ihrer Mutter und ließ die nichts
ahnende Frau mit den Enkeln zum Landhaus fahren. "Wenn Jake anruft, geh
nicht ran", trug sie ihrer Mutter auf, küsste den sechsjährigen Jungen
und das vierjährige Mädchen und sah, wie der Wagen losfuhr. Sie ging
zurück ins Haus und setzte sich zu den Gästen, die nun im Keller
weilten. "Der Tag, er bringt uns um", jammerte der Ausflügler. "Aber ihr
seid doch tot?" war die junge Frau erheitert. "Schón", bestätigte der
Schattenjäger, "aber es sind bei Tageslicht entsetzliche Qualen, die
jetzt nicht unbedingt sein müssen. Falls sie uns fangen, werden wir noch
genug Schmerzen erleiden". "Apropos Schmerzen... tut es weh?" Der
Schattenjäger hob das T-Shirt. "Oh, die Schusswunden sind fast
verheilt", freute sich Lily. Sie starrte den respekteinflößenderen Gast
an und fragte: "Und was ist nun mit Jake? Liefert ihr ihn aus?" Der
Schattenjäger schwieg fragend: wollte die Frau etwa dabei helfen, ihren
Mann zu fangen? "Wenn er aus der Hölle kommt, dann war er wohl kein
guter Mensch", ließ Lily an ihren Gedankengängen teilhaben, "deshalb
habe ich die Kinder weggeschickt. Was hat er denn angerichtet?" "Genug
dafür, dass ihn betrogene Anleger von einer Brücke geworfen haben",
berichtete der Ausflügler. "Er sagte mir, Verbrecher hätten ihn
überfallen und in den Fluss geschmissen". "So war es, aber überlebte
nicht", erzählte der Schattenjäger. Lily brachte eine Flasche Portwein
und drei Gläser. "Der Lügner", sagte sie, "Endlich erlebt dieser
Langweiler etwas Interessantes: stirbt, entkommt der Hölle, und sagt mir
einfach gar nichts. Impotenter Hurensohn".
Der Jüngling spürte ein Brennen auf der Haut und zog die Ärmel des
dunkelgrauen Kapuzenpullovers über die Hände. Sein Gesicht war tief in
der Kapuze versteckt und nicht zu erkennen. Er spazierte durch die
mittelgroße Stadt mit einem Wolkenkratzer, der hervorragte, ging in eine
Bar und bestellte etwas zu trinken. Er starrte ausgestopfte Tierköpfe
an der Wand an und bemerkte nicht, wie ihn jemand erst ansprach und ihm
dann auf die Schulter klopfte. Der Typ meinte, der Platz würde ihm
gehören. "Was stimmt mit diesem Platz nicht, mir gefällt dieser Platz",
bemerkte der arrogante Mann, dessen jugendliches Aussehen ohne Kapuze
ihn als leichte Beute aussehen ließ. Und schon prügelten zwei große
Männer auf ihn ein und warfen ihn aus der Bar. Langsam stand er auf und
ging wieder hinein. Er ging auf die Männer zu und sprach: "Zu Lebzeiten
habe ich nie auf die Fresse bekommen. Jetzt, wo ich tot bin, greifen
mich ein paar Arschlöcher an. Zu spät, würde ich sagen". Sie lachten und
schauten ihn dann bedrohlich an. Er schaute genauso zurück, dann lachte
er mit: "War nur ein Scherz. Es ist nur so: ich bin vorher noch nie in
einer Bar gewesen. Verzeiht, wenn ich unhöflich war". Er setzte seine
Kapuze auf und verließ die Bar.
Inamoto konnte kaum noch sitzen, er rutsche aus dem Sessel, wollte aber
beim Trinken mithalten. "Was ich nicht verstehe: warum tut ihr euch
nicht zusammen und haut einfach ab? Warum jagt ihr euch gegenseitig?"
Jake schwieg nachdenklich, dann ging ihm ein Licht auf: "Fuck! Die sind
bei meiner Frau". Er sprang auf und ging zur Tür, wobei er sagte: "Der
Klügere von ihnen, er wird mich und den Urlauber ausliefern und mit
meiner Familie als Geiseln abhauen!" "Ich ziehe ein paar Lines und komme
dir nach!" rief ihm der Betrunkene hinterher.
"Mit wem hatte Jacob noch Kontakt?" fragte der Schattenjäger Lily.
"Keine Toten, die ich kenne", scherzte sie und machte eine zweite
Flasche Portwein auf. Jake hetzte derweil den Taxifahrer zu
schnellstmöglicher Fahrt zu seinem Haus, steckte ihm ein paar
Geldscheine zu, sodass die roten Ampeln für ihn nicht mehr existierten.
Inamoto stolperte im Foyer, stand wieder auf, ging aus dem Haupteingang
des Wolkenkratzers und setzte sich auf sein Yamaha-Motorrad. Er fuhr
schnurgerade über die Grünflächen und unter der Wasserfontäne hindurch.
Er fuhr durch Seitengassen, schnell, verursachte das action-übliche
Umfallen von ein paar Straßenmarkt-Obstkörben. Er verurachte durch
rücksichtsloses Überqueren Chaos an einer großen Kreuzung, fuhr durch
eine offene Haustür, durchs Wohnhaus, durch die Hintertür in den
Kleingarten, machte einen Motorradsprung über den Zaun und landete auf
einem Fahrradweg den Hügel hinauf, an dessen Hang sich das Haus von Jake
befand. In einer scharfen Kurve stürzte er nach einem plötzlichen
Schlag vom Motorrad, ein schlanker und nicht sehr großer Kapuzenmann
warf die Eisenstange weg, sie knallte auf den Asphalt. Inamoto lag auf
dem Radweg und krümmte sich vor Schmerz. Der Kapuzenmann neigte sich zu
ihm und sagte: "Steigen Sie in das nächste Flugzeug nach Niigata, noch
heute. Fahren Sie mit dem Jeep dort", warf ihm die Schlüssel zu und
stieg auf den bewaldeten Hügel.
Es roch nach Schwefel. Wieder war der Kahle da; er gähnte, hatte sehr
müde Augen, aber konnte nicht schlafen. Auf ein Mann Mitte 20 vom
Aussehen und doppelt so alt von der Ausstrahlung wurde der Jüngling
aufmerksam, und folgte ihm bis in die entlegenste Ecke der großen
Höllenhöhle. "Ghost?" fragte er lakonisch. "Ich heiße John", antwortete
Ghost und drehte sich zum Verfolger um. "Aber sie nennen dich Ghost.
Furchtgebietend. Geheimnisvoll". "Weißt du, wer das ist?" zeigte er die
Tätowierung mit dem Sisyphos mit dem Stein auf seiner rechten Schulter.
Der Jüngling nickte. "Der Legende nach ist er dem Reich der Toten
entkommen und weilte eine Weile unbehelligt unter den Lebenden. Sie
mussten nach ihm suchen. Schließlich holten sie ihn zurück". "Und du?"
"Ich hatte mich aufgelöst, wie ein Geist. Die konnten mich länger nicht
finden als ich vorher gelebt hatte. Dann kam der Teufel persönlich.
Nicht der Teufel, nur der Teufel unserer Welt, aber immerhin".
"Hätte er nicht die Zenobiten schicken können?" "Sie haben zwar magische
Kräfte, aber sie können die Hölle nicht verlassen. Sie bilden
Verstorbene wie uns zu Schattenjägern aus. Die der Hölle entkommen,
nennen sie Schatten. Wir leben ja auch wie die Schatten in der
Dunkelheit, sind Geister der Nacht. Ich kehrte nach 27 Jahren zurück, um
ein Schattenjäger zu sein. Ich war es leid, auf der Flucht zu leben.
Ich wollte selbst der Jäger sein. Dabei hatte ich die Möglichkeit,
Kräfte zu entwickeln..." Der Kapuzenmann wachte auf, er lag unter einem
Baum auf dem Hügel, die Sonne ging bereits wieder unter. Er sah, wie er
sich in der ballgroßen Glaskugel spiegelte, die auf Kopfhöhe vor ihm
schwebte. "Telepathische Übermittlung von Information, nicht schlecht.
Ich denke, ich weiß, wo sich das Haus befindet. Danke, dass du mir den
Japaner gefunden hast. Der dich in diese Kugel gesteckt hast, spionierst
du für ihn? Bist du sein Auge?" Die Kugel stand so still in der Luft,
als hätte sie mit einer Zustimmungsgeste geantwortet. Dann flog sie
langsam weg.
Jake trank Whisky in der Küche und sah verzweifelt aus dem Fenster,
während es dunkelte. Im Wohnzimmer saßen seine toten Verfolger und
mitten unter ihnen seine Frau. Das Gespräch war heiter. "Dann gibt es
also auch den Teufel?" "Natürlich gibt es den Teufel. Was wäre die Hölle
ohne den Teufel?" lachte der Ausflügler. "Ich wollte schon immer mit
dem Teufel ficken!" freute sich Lily, während Jake mit einem Ausdruck
des Entsetzens das Wohnzimmer betrat. "Lily, sag mir endlich, wo unsere
Kinder sind!" Sie lachte verachtungsvoll. Dann fragte sie: "Sind das
unsere Kinder? Ich meine, meine und deine? Beide sehen mir durchaus
ähnlich, aber nicht dir, Jacob. Ist dir das noch nie aufgefallen?" Jake
heulte auf: "Du kranke Bitch! Miese Schlampe!" Dann trank er die fast
noch volle Flasche Whisky aus der Flasche aus und sagte: "Wie du willst,
Lily. Ich habe doch alles für dich getan. Ich habe den Mund gehalten.
Du hast ja unter Hypnose alles vergessen. Wie dein Vater dich filmte,
als die Hunde dich verfolgten. Da warst du drei. Wie deine Tante dich
nackt auf dem Tisch fesselte. Hot wax torture mit 9. Und deine Mutter
saß im Sessel daneben und stöhnte vor Geilheit. Kommt langsam was hoch,
Lily?" Sie fing an zu zittern. Er packte sie am Hals und fragte: "Nun
sag schon, wer ist der Vater meiner Kinder?" Sie wollte etwas sagen,
aber konnte nicht, weil er sie am Hals festhielt. Der Schattenjäger wies
ihn mit einer Geste darauf hin, er ließ sie los. Sie holte zweimal tief
Luft und sagte: "Der, den sie Ghost nennen".
Es klingelte an der Tür. Da keiner der toten Männer aufmachen wollte,
öffnete die lebende Frau. Der Kapuzenmann spazierte schweigend an ihr
vorbei, zog die Kapuze zurück und sagte zu Jake: "Gehen wir, Jacob". Der
Schattenjäger erkannte ihn und rief: "Ich habe ihn schon gefunden!
Deine Hilfe ist nicht länger nötig!" "Warum ist der dann hier?" war der
Jüngling unbeeindruckt, "Und du, der Urlaub ist vorbei. Sich ohne Grund
oben Zeit zu lassen, ist verboten. Lebt die Frau?" Sie streckte die Hand
aus und sagte: "Ich bin Lily". Er ignorierte sie und sprach zum
Schattenjäger: "Was machen wir mit lebenden Zeugen?" Jake heulte auf:
"Was hast du mit Inamoto gemacht? Hast du ihn getötet?" "Ihm eine zweite
Chance gegeben. Und es gibt keine dritte, wie das Gesetz uns
vorschreibt". "Das Gesetz der Hölle", holte der Schattenjäger aus. "Was
stimmt nicht mit der Hölle?" herrschte der junge Mann ihn an. Der
Schattenjäger ging zum Fenster und schaute in den Garten: "Es ist doch
schön hier. Geh wieder zurück, dahin, wo es dir besser gefällt. Du magst
das Leben nicht, dann sei so tot, wie du nur kannst. Tot sein und leben
lassen, das rate ich dir". Der Jüngling eskalierte: "Wir müssen nicht
immer den Lift nehmen. Außerdem dauert es so ewig lange. Wenn ich dich
hier töte, tauchst du dort wieder auf. Oder etwa nicht?" "Etwas wird
aber zurückbleiben", bemerkte der Ausflügler. "Ja, etwas Asche, feuchter
Dreck, der nicht identifizierbar ist", jammerte Jake, "...woraus
bestehen wir jetzt noch? Was ist das für eine Magie, die unsere
Körper..." "Testen wir es doch", sagte der Jüngling und erschoss den
Ausflügler mit Jakes Pistole, die er ihm soeben entwendete. Der Körper
sank erst zu Boden wie eine gewöhnliche Leiche, dann bildete sich Rauch,
dann eine schwarze Pfütze. "Er ist wieder zu Hause", zuckte der
Schattenjäger mit den Schultern und sah dem Schützen in die Augen: "Und
du? ... Portwein? Whisky?" "Wasser... Danke, Jake".
"Inamotos Kugeln haben euch nichts getan, aber er hat den Typen mit
einer Kugel umgelegt", fürchtete sich Jake. "Es ist der Geist, der
tötet. Der Wille", erklärte der Schattenjäger und schaute zum jungen
Mann, der nun am Gartenfenster stand und einen Strick flocht. "Lass uns
gehen! Jeder seinen Weg!" schlug der Schattenjäger vor. "Nein",
erwiderte der Angesprochene. ""Du bist ein Jäger, wie lange? Töte ihn!"
heulte Jake auf, doch dieser winkte ab: "Er wird mich erledigen. Spürst
du nicht dieses verzehrende Nichts in ihm, diesen Abgrund? Ihm ist alles
egal". Jake dachte nach, schüttelte heftig mit dem Kopf, und sagte:
"Hey, hör zu. Andere werden kommen, sie werden rausfinden, wer du bist,
wo du herkommst. Sie werden deine Mutter finden". "Mu-was?" fragte der
Jüngling nach. Jake blieb der Whisky im Hals stecken. "Jeder hat eine
Mutter", bemerkte Lily im moralisierenden Ton. "Die Frau, die dich
geboren hat, du Arschloch!" pöbelte der Schattenjäger. "Ich weiß, rein
mechanisch betrachtet, wen du meinst", murmelte der junge Mann, "aber
diese Frau bedeutet mir nichts". Er flocht weiter am Strick, der ganz
offensichtlich für einen der im Raum Anwesenden gedacht war. "Ich habe
Ellie gefunden!" rief der Schattenjäger verzweifelt. "Ja, ich habe
intuitiv erfasst, wen du gemeint hast. Und... und sie hat auf deinen Rat
gehört! Sie zieht um in eine kleinere Stadt! Sie ist ein feines
16-jähriges Mädchen. Geh und werde glücklich mit ihr, ich werde dich
nicht aufhalten!" "Das könntest du gar nicht", murmelte der Jüngling
sarkastisch und beendete den Strick.
"Du wirst dich jetzt damit erhängen", sah er zu Lily und gab ihr den
Strick, den sie mit zitternden Händen empfing. Die beiden Männer wollten
eingreifen, aber waren starr vor Angst und blieben sitzen. Lily holte
einen Stuhl. "Weißt du, wer Ellie ist?" fragte der Jüngling der
Schattenjäger rhetorisch, "Wir haben in der Schule dieses Kartenspiel
gespielt. Die Pik 7 nimmt alle. Noch mächtiger ist die Pik 8. Und ich
hatte sie immer, bei jedem Spiel. Doch die Pik 9 nimmt als einzige Karte
die Pik 8. Ellie hatte die Pik 9. Das war das einzige Mal, das ich
nicht gewonnen hatte". Lily stand auf dem Stuhl und machte die letzten
Vorbereitungen zum Erhängnis. "Ich kann das nicht mit ansehen",
flüsterte Jake und wollte den Raum verlassen, doch der Jüngling hielt
ihn mit einem finsteren Blick auf. Lily hängte sich auf und kickte den
Stuhl weg.
Der junge Mann schoss auf den Strick und Lily fiel auf den Boden. Jake
verstand intuitiv, was in der Luft lag, und murmelte hastig: "Geh zu
deinem Therapeuten, du musst wieder alles vergessen. Alles, was vorher
war, alles, was hier passiert ist. Kannst du das nicht, dann halt
wenigstens den Mund. Verschwinde, solange..." Und da war sie schon weg.
Der Jüngling schenkte sich einen Whisky ein und sagte: "Ich konnte das
einfach tun. Ich konnte sie zwingen, sie zu erhängen. Wenn es eine Hölle
gibt, gibt es bestimmt noch etwas anderes". Er sah nach oben. "Wie
konnte er das zulassen? Ist er nicht allmächtig? Oder sind wir jetzt
allmächtig, die Toten?"
"Jetzt, wo ich tot bin, schmecke ich den Whisky", schmunzelte der
Jüngling. "Als ich noch lebte, da hat er nur gebrannt". "Warum hast du
dich so jung umgebracht?" fragte der Schattenjäger. "Nicht der Tod, das
Leben bedarf der Rechtfertigung", philosophierte der Jüngling. Der
Morgen dämmerte. Die drei Männer verließen das Haus und gingen
schweigend zum Strand. Beim Eingang in die versteckte obere Höhle sagte
der Schattenjäger: "Gott ließ diese Welt von einem Demiurg erschaffen.
Er war ein Meister, hatte an alles gedacht. Aber nicht an die Toten.
Gott forderte ihn auf, eine Welt für die Toten zu bauen, aber da war der
Meister schon betrunken. Er hat es mit der Hölle wohl nicht so richtig
hinbekommen. Vielleicht wr das Gottes Plan: so konnte er eine Aufgabe
für den Teufel finden". Sie stellten sich auf die Plattform und fuhren
langsam herunter.
Es roch nach Schwefel; drei Männer, der Jüngling voran, gingen zum
Teufel. "Hier ist Jacob. Dein Schattenjäger hat versagt", sprach der
junge Mann und drehte sich fast schon um, als der Teufel fragte: "Warum
bist du nicht einfach dort geblieben? Niemand hätte dich zurückhalten
können. Wer hätte schon nach dir suchen sollen? Du hast ja selbst
gesehen, wie erbärmlich wir sind. Warum nur?" Der Jüngling setzte die
Kapuze auf und ging. Aus demselben Grund, aus dem er von der Brücke
gesprungen war, hätte wohl seine Antwort gelautet.