Heute, im
verschneiten Tierpark irgendwo im Norden Europas, trifft der alte Grieche
Hypothenus drei philosophisch unbegabte, aber gesinnungstechnisch
hochgerüstete Perversönlichkeiten: einen radikalen Optimisten, einen
radikalen Pessimisten und einen katholischen Priester.
Hypothenus: Wenn ich guten Tag sage, trage ich wahrscheinlich Eulen nach Athen...
Pessimist: Nein, Sie begehen mit dieser haarsträubenden Lüge ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!
Priester: Mäßigen Sie sich, Junger Mann! Der liebe Gott...
Hypothenus: Der Gott der Liebe bei euch Christen, ja...
Pessimist: Wenn es ihn gibt, ist er der Teufel persönlich.
Hypothenus: Sie schweigen, o Optimist?
Optimist: Das Leben ist schön. Man muss es nur richtig leben.
Pessimist: Alle töten, das wäre richtig.
Priester: Eine schwere Sünde!
Optimist: Nein, einfach eine traurige Lebenseinstellung. Sehen Sie, ich
sitze im Rollstuhl, und früher war ich ein Leichtathlet, habe Preise
gewonnen. Und bringe ich mich jetzt um? Nein. Finde ich jetzt alles
beschissen? Überhaupt nicht. Ich genieße das Leben.
Priester: Was für ein Unglück. Wie kam es denn dazu?
Optimist: Dass ich das Leben genieße?
Priester: Dass Sie im Rollstuhl sitzen.
Optimist: Zivilcourage. Ich hatte immer felsenfeste moralische Prinzipien. Nun ja, ich habe Kinder beschützt...
Pessimist: Und die Kinder haben sich so bedankt?
Optimist: Die Kinder haben sich später bedankt. Der Mob wars, nachdem
die Schurken von den Kindern abließen und rumschrien, ich würde sie
sexuell belästigen. Sie stürzten sich auf mich und schlugen mich
bewusstlos. Danach wurde ich der Belästigung angeklagt und verurteilt.
Nachdem ich aus dem Knast raus war, wurde ich oft auf dem Rollstuhl von
Kindern angegriffen und gedemütigt. Aber ich genieße das Leben.
Hypothenus: Haben Sie ein Geheimnis, das Sie keinem verraten?
Optimist: Nein. Das Leben ist doch schön. Das Leben, die Menschen, alles.
Pessimist: Ich muss kotzen! Die Menschen sind ein Haufen Dreck! Das
Leben!? Ein Geschenk Gottes, nicht wahr? Soll er sich sein Geschenk in
den Hintern schieben!
Priester: Sie kommen in die Hölle, wenn Sie so reden.
Pessimist: Ich bin bereits in der Hölle. Das Leben an sich ist die Hölle.
Hypothenus: Sie sind, o Pessimist, ein priviligierter Mann. Sie sind
Beamter, unkündbar, und leben ganz schön epikureisch für mein Befinden.
Pessimist: Soll ich mich auch noch dafür bestrafen, dass alles Scheiße
ist? Ja, ich fahre zweimal im Jahr in den Urlaub! Ja, ich gehe in die
teuren Puffs! Ja, ich saufe die feinsten Brände, aber nur damit ich die
Qual hier überhaupt aushalte und mich nicht erhänge.
Priester: Selbstmord ist eine Todsünde.
Optimist: Ich habe auch schon an Selbstmord gedacht, als die Frau meines
Lebens mich verlassen hat. Sie hat sich in einen Anderen verliebt,
traurige Geschichte. Aber nicht so tragisch.
Pessimist: Vielmehr komisch. Wann hat sie Sie denn verlassen?
Optimist: Ich war in Untersuchungshaft. Einen Tag nachdem die Ärzte feststellten, dass ich nie mehr werde gehen können...
Pessimist: Und nie mehr laufen, springen, Preise gewinnen, Kohle scheffeln. Liebe ist eine Lüge. Wer Liebe sagt will betrügen.
Hypothenus: Ich bewundere Sie, o Optimist. Aber eine Frage noch: womit verdienen Sie jetzt Ihren Lebensunterhalt?
Optimist: Ich drehe Filme.
Pessimist: Was denn für Filme? Behindertenfilme?
Priester: Sie ignorantes arrogantes diskriminierendes Arschloch!
Optimist: Folterpornos.
Priester (verdutzt): Wie bitte!?
Pessimist (leise): Jetzt verstehe ich ihn. Er ist einer von ihnen geworden. Genauso ein Teufel wie alle Anderen.
Hypothenus: Verdienen Sie jetzt mehr oder weniger?
Optimist: Deutlich mehr.
Hypothenus: Und was ist mit Ihren moralischen Prinzipien?
Optimist: Sie jucken mich jetzt die Hypothenuse. Ich habe verstanden,
wie der Hase läuft. Das Leben ist schön, man muss es nur leben.
Verweigerung bringt nichts. Kein Wunder dass das depressive Arschloch
hier, das im Gegensatz zu mir auf zwei Beinen steht und alles in den
Arsch geschoben kriegt, das Leben so unerträglich findet. Werde
erwachsen, Junge!
Priester: Mit Empörung verlasse ich dieses Gespräch!
Pessimist: Eine typisch pfäffische Haltung. Wenn was nicht rosa ist - ignorieren, flüchten, Augen schließen.
Hypothenus: Und jetzt mal ohne den Priester. Finden Sie, o Optimist, das Leben wirklich schön?
Optimist: Ohne den Priester? Ich bin hier eigentlich der Priester. Ich
zeige am eigenen Beispiel, wie man mit schweren Schicksalsschlägen lebt,
sich nicht brechen lässt, verzeiht, auf Rache verzichtet und die
Menschen so liebt wie sie sind...
Pessimist: Und genausoein Schwein wird. Ich geh was saufen sonst werfe ich mich noch vors Auto.
Hypothenus: Urteilt selber, o Gaffer, wer Recht hatte und wer Pflicht - die Pflicht, dem Anderen zuzustimmen.
1.2010
1. Wer ist Deutschland
"Sozialer Aufstieg", murmelte Peter, "das bedeutet, dass es mindestens
zwei Klassen von Menschen gibt. Eine höhere Klasse muss es geben, sonst
könnte man nicht aufsteigen". Des Lachens konnte ich mich aber erst
nicht enthalten, als Jürgen meine: "Klassengesellschaft, auch bekannt
als Faschismus". Wir fuhren zu einer Veranstaltung nach Hamburg, Zug,
zweite Klasse. Ein Linksextremist lud alle progressiven Kräfte des
Landes ein, um den achten Mai auf seine besondere Art zu begehen; es
gierte mich neu, denn so vertraut mir der Sowjetkommunismus auch war,
war mir der westliche Linksextremismus immer ein Stück befremdlich.
"Ich war heute in einem Chat", berichtete Rolf, "Cocaine war mein
Nickname. Eine junge Chatterin sagte: Hitler ist eine fette Sau. Ich
berichtigte sie: Adolf Hitler (20.4.1889 – 30.4.1945) war ein eher
schlanker, mittelgroßer Mann. Sofort wurde die Verbindung unterbrochen;
ich wurde des Chatrooms verwiesen, weil ich Hitler sein Menschsein
zugestand. Hitler darf nicht ein Mensch genannt werden; in Deutschland
ist es strafbar, zu sagen, Adolf Hitler gehörte zur Spezies homo sapiens
sapiens". "Nur ein Beispiel unter unzählig vielen", meinte Jürgen, "Und
was denkt das junge Mädchen? Wahrscheinlich, dass der Chatter Cocaine
ein Nazi ist. So bildet man sich in Deutschland seine Meinung",
schleuderte Peter entgegen. "Apropos Meinungsbildung", wachte der fünfte
im Bunde auf, "die Bild-Zeitung, die ich wenn kaufen würde, dann um sie
im Zug auf dem gegenüberliegenden Sitz zu platzieren, damit ich meine
Füße auf den Sitz legen kann, ohne diesen zu verschmutzen". "Wo in
Deutschland gibt es so schöne Pfützen, dass die Schuhe dreckig werden?"
war mir neu. "Verschmutzen - das ist die Funktion der Bild-Zeitung",
unterbrach mich Jürgen, "sie ist ein Triumph der Dummheit im Lande der
Dichter und Denker". "Viereinhalb Millionen Vollidioten „lesen“ jeden
Tag die Bild-Zeitung, die zweitpopulärste Tageszeitung in Deutschland
erreicht keine Million von Lesern", war Peter aus der Statistik klug.
"Nun, wenn die Deutschen so blöd sind, wie sie nun mal sind, dann
wundert es keinen vernunftbegabten Menschen, dass diese Nation den
Holocaust verbrochen hat, dass Millionen Deutsche immer noch vom Dritten
Reich schwärmen und es sich zurück wünschen", wurde der Fünfte etwas
konkreter, vielleicht um zu erinnern, wo wir hinfuhren. Peter nicht
faul: "Blöde kann man leicht manipulieren, und der Psycho aus Braunau
konnte die Massen nun mal begeistern". Jürgen klagte: "Der Krieg ist nun
sechzig Jahre her, und er ist allein schuld. Niemand fühlt sich
schuldig, alle jammern, der Österreicher hätte sie verführt, hätte
Deutschland ins Verderben gestürzt, und hassen ihn mehr dafür, dass er
den Krieg nicht gewonnen hat, als dafür, dass er ihn, wie sie alle auch,
gewollt hat".
Wir stiegen in Uelzen um, ein für meine Begriffe dekadenter Bahnhof,
dörflicher und kümmerlicher, als für gleiches Geld mit deutscher
Technologie machbar gewesen wäre. "Vergiss die Integration", meinte
Jürgen zu mir, "bleib wie du bist, werde bloß nicht wie die Deutschen".
"Wie bin ich denn?" fragte ich in die Runde. "Wie sind denn die Russen
so? Unkompliziert, großherzig, optimistisch, saufsam, etwas prahlerisch,
aber sehr sympathisch", lobte mich Peter. "Ich mag es aber verkopft,
diskret, nüchtern, schüchtern, bescheiden, misanthropisch", stellte ich
unverblümt fest. Peter kochte: "Solche Migranten wie dich zu tolerieren,
ist am Schwersten, ihr wollt die besseren Deutschen sein, als die
verdammten Deutschen!" "Ich bin nicht toleranzbedürftig", bemerkte ich.
"Assimiliert?" sah mich Jürgen angewidert an. "Deutschland hat dich
verdorben. Du hättest in Russland bleiben sollen", meinte Rolf. "Sprecht
ihr ihm das Recht ab, hier zu sein?" lachte der Fünfte gut. "Auf solche
Messerstecher in den Rücken können die Linken in Deutschland
verzichten!" rief Peter. "Aufgrund welcher Lebensleistung spielst du
dich so groß auf?" interessierte mich sehr. Es brachte mir ein
unappetitliches Schimpfwort ein. "Deutschland, in das ich gekommen bin,
das sind nicht die dicken Säue, die in den Wohlstand, für den sie nichts
können, hineingeboren wurden, ihr Leben lang nichts getan haben, außer
ihr Land zu verteufeln, und meinen, immer und überall im Recht zu sein,
nur weil sie links sind", blieb ich ruhig. "Schon klar, du bist in das
Land Goethes und Schillers gekommen", war Rolf beleidigt. "Komisch, dass
dieses Land, das außer Künstlern auch Wissenschaftler hervorbrachte,
die besten der Welt, nie nach diesen benannt wird - oder hört man einen
je sagen: das Land Einsteins und Plancks?" schraubte ich die
Beleidigungsspirale weiter fort. "Nicht unsere Schuld, dass der
Kommunismus bei euch schiefgelaufen ist und ihr deshalb so verbittert
seid!" rief Peter mir zu, und da war schon die Endhaltestelle
Hamburg-Altona.
2. Du bist der Holocaust
Ein Hinterhof irgendwo in Hamburg, wir kamen an. Ausländisches Bier
wurde gereicht, auf die Nachfrage worauf ich die Antwort bekam: "Kann
sein, dass deutsches Bier besser schmeckt, aber es ist deutsch". Auf
einer improvisierten Bühne hielt der Gastgeber bereits seine Rede:
"Immer wieder wollen deutsche Politiker einen Schlussstrich ziehen. Sie
sind Faschisten. Sie gehören allesamt ins Gefängnis. Hitler ist mir gar
sympathisch, wenn ich sehe und höre, wie die Deutschen zu ihrer
Geschichte stehen. Er ist mir sympathischer, als eine
dreiundachtzigjährige Frau, die seinen Holocaust, die ihren Holocaust
still mitgetragen hat, für die NSDAP gestimmt hat, deren Mann an der
Ostfront uns Leben kam. Hitler ist ein Mann, wie es aussieht. Er trägt
die Verantwortung. Alle schütteln ihre Schuld ab, alle wollen nichts
gewusst haben, alle sind Opfer gewesen. Das Bekenntnis zu Hitlers
Alleinschuld am Elend der Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert ist das
höchste Heiligtum des deutschen Volkes". Ich war angesichts einer solch
brennenden Hitlerverherrlichung nicht wirklich überrascht, kannte sie
aber bisher nur von Rechtsextremisten.
"Ich bin stolz, kein Deutscher zu sein!" rief der Redner unter tosendem
Beifall in die Menge. Nun war ich gespannt, zu welcher Nationalität er
sich bekennen würde. "Die Deutschen sind eine Schicksalsgemeinschaft von
scheinheiligen Pseudohumanisten, eine Irrenanstalt in politischer und
moralischer Hinsicht", hörte ich weiter zu. Rolf setzte sich zu mir,
sein Ärger war vergangen. Jürgen und Peter setzten sich demostrativ
dorthin, wo die geographische Entfernung zu mir am Größten war. Der
Redner donnerte indes weiter: "Alles, was je einer über die Deutschen
gesagt hatte, stimmt, solange es nichts Gutes ist. Es hat seinen Grund.
Es gibt Namen, die wie Links im Internet auf den Grund hinweisen, sehr
präzise, sehr einleuchtend. Natürlich nicht für blöde Schwachköpfe, die
die Bild-Zeitung lesen, aber auf deren intellektuelles Niveau würden uns
Hitler und ich niemals begeben. Sepp Herberger. Konrad Adenauer. Die
Stunde Null. Mit der Gründung der BRD wurde die Welt erschaffen, davor
war nichts. Alles schnell verdrängen. Wir sind Fussball-Weltmeister, wir
sind ein Wirtschaftswunderland, wir sind alle 1949 auf die Welt
gekommen, mit dem Davor haben wir nichts zu tun". Rolf sah mich fragend
an, ich nickte. Rolf fragte zur Sicherheit nach: "Hier hat er doch
Recht, oder?" Ich schwieg, der Redner sprach: "Ach, es hat einen Krieg
gegeben? Welchen Krieg? Davon steht in der Bild-Zeitung nichts.
Holocaust? Was für ein dreckiger Jude hat sich dieses perverse Wort
ausgedacht? Was bedeutet es überhaupt? Ich sags dir, du Hurensohn. Es
bedeutet deine Mutter. Es bedeutet: dein Vater, dein Grossvater, deine
Grossmutter, alle deine Onkel, alle deine Tanten, und wenn das schon
alles ist, was es dazu zu sagen gibt, dann kann ich dir nur gratulieren.
Gut weggekommen, noch mal Glück gehabt, du Nazischwein. Für die Meisten
gilt aber: Du bist der Holocaust. Wir sind ja im Jahre 1949. Noch vor 4
Jahren hattest du jüdische Kinder zu Tode getreten, polnische Frauen
erschossen; und nun willst du davon nichts wissen, nun ist der Hund aus
Braunau allein an Allem schuld, nun sind die Russen wieder die Bösen,
und vielleicht hast du der freien Welt sogar etwas Gutes getan, als du
vor 8 Jahren mit deinen Kameraden - die auch am neunten Mai 45 plötzlich
nichts mehr wussten, sich an nichts mehr erinnern konnten, ein
zerstörtes Deutschland vorfanden und Opfer einer weltweiten Verschwörung
gewesen sind, nicht wahr - russische Familien in Ställe eingepfercht
und sie angezündet hast, beim lebendigen Leib verbrannt, die Welt von
den Untermenschen gesäubert". Vielen Zuhörern blieb die Luft weg, der
Redner setzte noch den Deckel drauf: "Jeder wusste was er tat, jeder
wollte es, jeder tat es gern. Dummheit ist keine Entschuldigung,
Feigheit ebenso wenig. Du bist Deutschland. Du bist der Holocaust".
Pause. Die Gemüter kochten, und es war schwer abzulesen, ob vor
Zustimmung oder vor Ablehnung. "Adorno war der Meinung, nach Auschwitz
Gedichte zu schreiben, sei barbarisch", setzte sich der Fünfte zu uns.
Rolf nickte bejahend. "Nach Auschwitz Fussball-Weltmeister zu werden?
Nach Auschwitz mit Schwäbisch Hall Eigenheime bauen? Nach Auschwitz
„Wetten Dass“ gucken?" fragte der Fünfte. "Grausam", meinte Rolf. "Gut,
das Leben geht weiter, und die Kinder können für die Gräueltaten ihrer
Eltern nun mal nichts", wurde der Fünfte rhetorisch, "aber nach
Auschwitz die NPD wählen? Nach Auschwitz in die DVU eintreten? Nach
Auschwitz Nazi sein?" "Unverzeihlich", urteilte Rolf, "alles andere, als
die Betreffenden mit dem Tode zu bestrafen, ist eine bodenlose
Frechheit... eine Unverschämtheit, die das deutsche Volk für immer
moralisch disqualifiziert".
Wir drei gingen auf die Straße, die Pause war etwas länger geraten als
geplant. "Kennst du den Redner?" fragte Rolf den Fünften. "Nein, noch
nie gesehen". "Aber dass einer, den den Krieg nicht erlebt hat, so
redet, ist doch bewundernswert", wollte Rolf bejaht wissen. "Ich kann
mir nicht vorstellen, was jetzt noch kommt", tat ich meine politische
Phantasielosigkeit kund.
3. Die Dichte des Denkens
Die Sitzplätze waren bei unserer Rückkehr neu verteilt, wir setzten und
ganz rechts zu einem sehr hellhäutigen blonden Mädchen. "Kommst du aus
Hamburg?" fragte Rolf. Sie nannte eine kleinere Ortschaft in
Schleswig-Holstein, die von uns drei nur ich, der Migrant,
heimatkundlich erschlossen hatte. Auf die Frage des Fünften, was sie auf
der Veranstaltung zu suchen hatte, gab sie an, als Reporterin für eine
rechtskonservative Schülerzeitung vor Ort zu sein.
Der Redner begann in alter Frische: "Es ist nun eine Straftat in
Deutschland, den Holocaust zu leugnen, seine Zunge so zu bewegen, dass
aus dem Mund rauskommt: „Den Holocaust hat es nicht gegeben“. Sehr klug,
bravo. Wie wäre es damit, ein tätliches Leugnen des Holocaust unter
Strafe zu stellen? Ein Alptraum für jeden Deutschen, denn der Deutsche
tut jeden Tag, wenn er zur Arbeit geht, wenn er die Bild-Zeitung liest,
wenn er Fussball guckt, nichts Anderes, als den Holocaust zu verdrängen,
zu relativieren, zu leugnen, denn darauf kommt es im Endeffekt hinaus.
Schwer vorstellbar, wenn in Deutschland auf einmal jeder Deutsche hinter
Gitter kommt. Inkonsequenz ist daher zu einer Tugend geworden,
Inkompetenz zum Lernziel, sobald es um einen intellektuellen Beruf
geht". "Das Bildungssystem darf natürlich nicht zu kurz kommen",
kommentierte ich, als er sprach: "Der Geschichtsunterricht in
Deutschland - arme Anne Frank! Die Meisten denken wohl, dass sie eine
Deutsche war, und von den Russen ermordet wurde". Der Fünfte brachte
meine Alltagserfahrungen aus fernen sprachunkenntnisbedingten
Hauptschulzeiten zum Ausdruck: "Es ist kein Geheimnis, dass Millionen
erwachsener deutscher Menschen glauben, die Russen hätten sie
überfallen". Mir bleib die Antwort im Halse stecken, als ich vom
Rednerpult hörte: "Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Hitler
und Adenauer?" Es gab eine kurze rhetorische Pause, in der ich
genüsslich zusah, wie die schlake Hand des hellen blonden Mädchens durch
das lange Haar desselben Mädchens fuhr, damit das hübsche Gesicht eine
freie Sicht bekam. "Nur diesen: der eine Verbrecher wird gehasst, der
andere zum Gott gemacht. Die größte deutsche Persönlichkeit der gesamten
Geschichte, des ganzen Jahrtausends der Existenz des Deutschtums, das,
so hat die Mehrheit der Anrufer gestimmt, soll Adenauer sein. Warum
nicht gleich Hitler? Da wäre man wenigstens bei der Wahrheit geblieben,
wenn es schon um die Intelligenz so düster bestellt ist. Max Planck
gehörte nicht einmal zu den 100 besten Deutschen - wen wundert das bei
einem Volk von Bildzeitungslesern?" wurde der Redner nun medienkritisch.
"Der Bildungsstand der Deutschen ist leicht rückläufig, aber immer noch
weit über dem Weltdurchschnitt", provozierte ich Rolf. Der Redner wurde
von einem Zwischenrufer "Nestbeschmutzer" genannt, worauf er diesem,
allerdings nicht vom Pult und ohne Mikro, ausführlich und ausufernd
antwortete. Wieder eine Pause. "Woran denkst du?" fragte mich Rolf, und
erwartete einen klugen politischen Einwurf. "Wie kann man mit einer so
zierlichen Hand so schnell schreiben?" meinte ich das Mädchen. Rolf
wütete: "Du bist so pervers, du verfluchter Privatier! Sich einfach aus
der Politik raushalten, nur an den eigenen Egoismus denken!" "An sich
selbst denken, das ist Egoismus", korrigierte ihn der Fünfte, "an den
Egoismus denken, das ist Psychoanalyse".
"Was wird eigentlich in den deutschen Familien so geredet", kam der
Redner zurück, " - über den Krieg, über den Opa, über den Holocaust? Was
erzählen deutsche Eltern ihren Kindern über die Ausländer? Die Türken
sind doch alle kriminell, nicht wahr? Die Aussiedler aus der ehemaligen
Sowjetunion - alles russische Mafia, die Polen ein Volk von Autodieben,
und die Juden... Schnell die Pfote aufs Maul, bevor man sagt, was man
sagen wollte; bevor man sagt, was man wirklich denkt". Rolf erblasste:
"Das ist selbst mir zu links". "Wetten, es wird gleich rechts?" scherzte
das helle blonde Mädchen, und der Gastgeber sprach: "Wenn nicht die
reiche jüdische Lobby in den USA - hätten die Juden ein besseres
Schicksal als die Türken? Nun, die Juden sind vorne gut bestückt, und
nehmen Deutschland von hinten. Die Weltmacht heißt USA, und die
Interessen der Juden fallen mit den Interessen des zweiten Römischen
Reiches heute zufälligerweise zusammen". Rolf stutzte: "Die Türken? Was
haben die Türken denn für ein nach Vergeltung schreiendes Schicksal?"
"Vielleicht meinte er die Kurden", bemerkte der Fünfte humorlos. "Ein
Glück, das dem geschundenen jüdischen Volk zu gönnen ist. Israel hat
circa 50 Atombomben. Gut so. Zur Selbstverteidigung; wer weiß, ob morgen
Ahmadinedschad oder übermorgen - wie hieß diese Fettsau von der CDU
noch mal – es freut mich, dass Israel in der Lage ist, dafür zu sorgen,
dass jeder, der noch mal versucht, das jüdische Volk auszurotten, einen
Atompilz vor die Haustür gestellt bekommt", täuschte der Redner einen
philosemitischen Orgasmus vor.
4. Unpolitische Macht
"Ich sehe nach, was da los ist", flüsterte Rolf, "Peter hat Jürgen eben
eine reingehauen". Auch vor dem Rednerpult gab es eine moderate
Schlägerei, auch da ging es um dasselbe wie bei Peter und Jürgen, um den
Vorwurf des Antisemitismus, wobei keiner anschließend wusste, wer wen
warum einen Antisemiten genannt hatte oder wer was weshalb als einen
Antisemitismusvorwurf interpretierte, und darum losboxte. "Komischer
Russe: Eine Schlägerei, und du nimmst nicht Teil", scherzte der Fünfte.
Die Gemüter beruhigten sich und der Gastgeber setzte seine Rede fort:
"Willy Brandts Kniefall von Warschau war die einzige gute Tat, die ein
deutscher Politiker im zwanzigsten Jahrhundert vollbracht hatte. Wenn
ich die Partei all der Opfer ergreife, so aus Humanität, aus der jedem
gebildeten Menschen zugänglichen Überlegung, dass es das Normalste auf
der Welt ist, dies zu tun, und ich erweise damit nicht den geschundenen
Völkern, sondern meinem eigenen Selbstverständnis als Mensch eine
Wohltat". "Am Ende die obligatorische Gefühlsduselei", zeigte sich der
Fünfte enttäuscht. "Wo sind Peter und Jürgen?" fragte ich Rolf. "Nach
Hause gefahren", schulterzuckte dieser. "Von den Deutschen erwarte ich
bedingungslose Dankbarkeit dafür, was hier sage", sprach der Redner, als
ein alter Mann links von uns ihn erkannte: "Das ist doch der Urenkel
von diesem Helden von der Ostfront, ...Bahr oder ...Behr". Dieser sprach
indes: "Wem es schwer fällt, mir zu danken, etwa weil ich ein Russe
bin, und man ja bekanntlich den Russen nicht dankt, sondern sie hinter
Stacheldraht verhungern lässt oder in Ställen verbrennt, der suche ein
Holocaust-Mahnmal in seiner Stadt auf, falle auf die Knie und
kapituliere bedingungslos. Falle mit dem Gesicht auf die Erde, in die
dein Grossvater, dein Vater, oder vielleicht du selber Blut vergossen
hast, weil du in deinem Hass auf die Juden, auf die Zigeuner, auf die
Russen Hitler zugejubelt hast, ihn gelobt und mit ihm gefeiert hast.
Verdamme ihn nicht dafür, dass eure von der katholischen und manch
anderen Kirchen geheiligte Mission gescheitert ist, verfluche dich
selbst dafür, dass jedes Wort, das Hitler in seinen Tiraden hinausrief,
aus der Tiefe deines Herzens kam, dass du derjenige warst, der ihn an
die Macht brachte und in seinen Krieg zog, in deinen Krieg, den du
wolltest, du, Deutscher! Schuldspruch, Deutschland, Hitler ist ein
falsches Alibi - das Gericht des Gewissens ist tief geschockt über den
rigorosen Unwillen zur Einsicht, und im Namen der Menschheit ergeht das
moralische Urteil: Du bist Deutschland. Du bist der Holocaust!"
Ich schämte mich fremd. Er war so deutsch, wie dieses blonde Mädchen
schön, gab sich aber für einen Russen aus. "Ich verrate dir gleich, was
hier läuft", revidierte der Fünfte seine Aussage vom Nichtkennen des
Redners. Rolf ging in die Büsche, und der Fünfte verriet mir: "Er ist
Schauspieler und Mitglied in einem rechtsextremistischen Geheimbund".
"Kommt das in deinen Bericht?" fragte ich das Mädchen. Sie sah mich
unpolitisch an, worauf ich den Fünften, der gebürtiger Hamburger war,
nach einer bürgerlicheren Gegend als jener hier fragte. Vorbei an der
graffitographischen Aufschrift "Unpolitisch macht hirntot" spazierte ich
Hand in Hand mit dem hellen blonden Mädchen in ein gutbürgerliches
Café. Sie war so direkt, mir die Eigenschaften solgleich zu benennen,
aufgrund derer ich ihr sympathisch war: ich sei klug, diskret, nüchtern,
schüchtern, bescheiden, misanthropisch. Da an diesem Abend mit
gewaltsamen Ausschreitungen zu rechnen war, begleitete ich sie mit dem
Zug bis nach Hause, fuhr dann auf die Reeperbahn, wo ich Rolf und den
Fünften traf.
"Gemütlich hier", stellte der Fünfte fest. "Zu steril", verneinte Rolf,
"hast du sie flachgelegt?" "Das hat noch niemand, vermute ich, und das
Mädchen ist 19". "Eine von der patriarchalen Sexualmoral unterdrückte
junge Frau", kommentierte Rolf. "Ein Mädchen", korrigierte ihn der
Fünfte. "Was?" "Er sprach von einem Mädchen". Eine Schweigepause, die
nicht allen bekam. Während Rolf mit den Tränen kämpfte, klopfte der
Redner dem Fünften von Hinten auf die Schulter und lachte: "Wie war ich,
du alter Kommunist?" "Ich muss neidlos anerkennen: du warst geil", zog
der Fünfte den Hut. Rolf musste sich übergeben, ich ging mit ihm in eine
Bartoilette. "Politik, scheiß Politik, scheiß auf die Politik!" wischte
er sich das Maul ab. Wir tranken in der Bar einen Apfelsaft und fuhren
heim, ohne den Fünften.
2010
1
Der Whisky roch nach Leder und gerösteten Früchten. Kuzma setzte sich
zu uns, kletterte etwas unbeholfen auf den hohen Stuhl. Ich erzählte
gerade von einem Fall des Fremdschämens, als Stoiber Anfang 2007 bei
einer dreistündigen Rede unbemerkt den Versprecher vom amerikanischen
Präsidenten Breshnew produzierte. "Das ist gar nichts" lachte Kuzma. Er
klopfte auf die Zigarettenschachtel, bis eine auf den Tisch fiel. Erwin
reichte ihm die brennende Kerze vom Nachbartisch. Kuzma bedankte sich
und nahm seinen Doppelten unter die Lupe. Er trank den Whisky schnell,
es hätte auch Vodka sein können.
Ich machte es mir bequem, ließ den Whisky im Glas zirkulieren, roch an
ihm und dachte, ich sei zu betrunken, um dieses Gefühl, das ich bei
Stoibers Versprecher empfand, Kuzmas Erzählung folgend empfinden zu
können. "Er hieß Sebastian. Er heißt immer noch Sebastian, tot ist er ja
nicht. Er hasste seinen Namen, wie vermutlich jeder Stotterer seinen
Namen hasst. Die Wahrscheinlichkeit lag bei 0,8 dass er sich mit
Se-se-sebastian vorstellte. Etwas seltener sagte er S-s-s-sebastian zu
sich, aber es kam auch vor, dass er, hochmütig lächelnd, die erste Silbe
seines Namens ausgesprochen zu haben, dann mitten im Wort stotterte:
Seba-ba-bastian". "S und A sind gemein, aber auch F", so ich. "K, B und D
sind hart, aber nicht so listig. Bei denen weiß man ja, dass man sie
nicht packt, und findet Synonyme, die mit anderen Buchstaben beginnen".
"Also kam der Sebastian zu diesem Klassentreffen, setzte sich still in
die Ecke, knabberte ein Bisschen, trank ein Bisschen, wollte sich schon
verabschieden, da kam dieses Mädchen. Sie hieß wie die Kidman,
Michelle". "Nicole", so Erwin. "Und sie guckte so, wie eine
arrogant-verführerisch guckende Michelle Kidman". "Nicole". "Ach ja,
Nicole". Kuzma rief den Kellner, ließ sich noch einen Doppelten bringen.
"Er war schon sehr lange in sie verknallt. Natürlich hatte er sie
niemals angesprochen. Als er gehen wollte und in der Tür stand, da
packte sie ihn am Arm und stellte ihm eine Small-Talk-Frage.
Aufgefordert zu reden, sprach er fließend. Übermut überkam Sebastian. Er
begab sich auf ein Eis, so dünn, wie die Figur von Michelle. Er
übernahm die Initiative, gab ihr einen Drink aus und fragte sie, ob er
sie nach Hause begleiten dürfe. Sie war überrascht, denn Sebastian war
schüchtern, aber sie war einverstanden. Sie gingen nach Draußen.
Sebastian zitterte, wollte sich aber nichts anmerken lassen, und
zitterte umso mehr. Er versuchte, sein Sprechen zu kontrollieren, aber
das Stottern kam in jedem Satz mehr und mehr in den Wortfluss. Die
Minute, die ihm vergönnt war, bei sich zu Hause sein Fahrrad abzustellen
- er hatte sein Fahrrad dabei, und somit etwas zum Festhalten -, die
nutzte er, um durchzuatmen und etwas Kleines in die Hosentasche zu
stecken."
Erwin hustete. Kuzma zündete eine Zigarette an und fuhr fort: "Nun,
ohne Fahrrad, war er noch nervöser, konnte seine Sätze nicht mehr
beenden. Als er eine Frage mit Ja beantworten wollte, stotterte er beim
Ja und sprach nach dem halben J nicht weiter. Michelle lud ihn ein, bei
ihr zu Hause etwas zu trinken, und nebenbei die Hausaufgaben in
Mathematik und Chemie für sie zu machen. Da war Sebastian wieder
souverän und erledigte alles routiniert in zehn Minuten. Michelle ging
in die Küche. Sie kam ins Wohnzimmer zurück, und da kniete Sebastian
mitten in ihrem Wohnzimmer und hielt etwas Kleines in der ausgestreckten
Hand. Er begann: Ih-i-i-i-i... Michelle sah den Ring, tat so, als sähe
sie ihn nicht. Sie setzte sich an den Tisch und wartete. Er, rot wie
eine Erdbeere, versuchte es diesmal mit Mh-m-m-m-mi-mi... und kroch auf
Knien auf sie zu, er wollte den Ring ja nicht der Luft überreichen. Sie
versuchte ihn zu ignorieren, und er sah nur kurz in ihre Augen, wonach
er aufsprang, sich auf das Sofa warf, die Augen schloss, fünf Sekunden
bewegungslos verharrte, wieder aufsprang und murmelte, er sei
eingeschlafen und wo sie so lange war. Sie sagte nichts. Er äußerte die
Absicht, nach Hause zu gehen, sie begleitete ihn zur Tür. Als sie seine
Hand an der Türklinke berührte, nahm er all seine Verzweiflung zusammen,
schraubte den Kopf durch die Luft zu ihr, machte den Kussmund. Sie
erschrak und driftete von ihm weg, fuchtelte mit den Händen in der Luft,
sich schützend, und er fuchtelte auch mit seinen Händen, wobei er
wirres Zeug murmelte und wie ein Irrer in schnellen Zuckungen mit dem
Kopf schüttelte".
Erwin nahm die Kerze vom Nachbartisch und zündete Kuzma die nächste
Zigarette an. Alle schauten auf Kuzma, aber der betrunkene
Germanistikstudent war fertig mit seiner Rede. "Was ich als Chemiker
nicht verstehe" , fing Erwin an und beendete den Satz mit wirrem Unfug.
Das Fremdschämen hatte vollends Besitz von ihm genommen, und ich
unterbrach ihn, weil er mit den Blicken darum bat. "Woher weißt du denn,
dass es sich genauso zugetragen hat?" fragte ich. "Sein Nebenfach ist
Germanistik. Er sitzt oft neben mir. Verarbeitet, was er erlebt, in
Kurzgeschichten, und gibt sie mir zum Korrekturlesen". "Ist er
Legastheniker?" "Er tut manchmal so, - das ist sein Vorwand, um mir
seine Geschichten zum Lesen zu geben. Er kann es niemandem erzählen,
aber ist furchtbar einsam. Und ich tu so, als wären sie fiktiv,
korrigiere sie, gebe sie ihm, und er bedankt sich für die Korrektur,
wobei ich weiß, wofür er in Wahrheit dankbar ist. Dafür, dass jemand ihn
wahrnimmt".
Ich trank meinen Whisky und wir gingen nach Draußen. Kuzma griff nach
der Schachtel - keine Zigaretten mehr drin. Wir gingen an einem Kiosk
vorbei, dort arbeitete Michelle. "Ein G-g-gruss von Se-se-sebastian",
scherzte Erwin. Michelle wurde rot wie eine Erdbeere und schlug das
Fensterchen zu.
2
Kuzma schlich an Erwin heran und erschreckte ihn. Ich schmunzelte. Als
Kind hatte ich eine Verschwörungstheorie, welche besagte, dass ich zu
stottern begann, nachdem ein Mädchen mir laut ins Ohr geschrieen hatte.
Erwin schlug vor, in ein Lokal zu gehen, in dem man sich zum Flirten
traf. Da die anderen Bars alle zu waren, kam ich mit. Ich setzte mich in
die Ecke, schimpfte über das Nichtvorhandensein schottischer Whiskys
und bestellte mir ein dunkles Weizenbier. Es herrschte Rauchverbot, aber
das betrübte weder Erwin noch Kuzma, da der Kauf einer weiteren
Zigarettenschachtel vor einer halben Stunde von mäßigem Erfolg gekrönt
wurde.
Zwei junge Frauen setzten sich zu uns in die gemütliche Ecke. Erwin
mimte Sebastian, daraufhin wandten sie sich vom gutaussehenden Erwin ab
und Kuzma und mir zu. Kuzma sagte höflich, wir würden auf unsere
Freundinnen warten, nur Erwin wäre Single. Sie gingen. Erwin lachte
zuerst. Sie unterhielten sich mit einer anderen Gruppe, lachten, zeigten
auf unsere Ecke, kamen aber wieder, als sie merkten, dass Erwin sich
einen Scherz erlaubt hatte.
"Ich war also mit Ron und zwei anderen werdenden Lehrern, deren Namen
ich nich mehr weiß, auf dieser Geburtstagsparty" erzählte Kuzma, "Alle
Damen waren sofort um Ron versammelt, er war witzig, geistreich,
charmant, malte Bilder, schrieb Theaterstücke - eins davon führten wir
gestern wieder auf, schade, dass ihr nicht da wart - , aber die Damen
interessierte erwas Anderes. Das sei alles doch nicht die Wahrheit,
meinten sie. Wie ist Ron denn in Wahrheit so? Das erfuhren sie, als er
seinen epileptischen Anfall hatte. Das befriedigte sie zutiefst, und die
Herren noch tiefer, denen sich die Damen wieder zuwandten". "Was ist
mit dir?" fragte eine der jungen Frauen Kuzma. "Du bist doch normal,
oder?" Kuzma lachte, sagte aber nichts. Ich erzählte eine alte
Geschichte, vielleicht aus dem Jahr 1989: "Es war Kasachischunterricht
und ein Junge musste nach Vorn gehen und die Vokabeln aufsagen. Er sah
nervös aus, riss sich aber zusammen, stellte sich gerade, fand den
Tunnelblick und begann die Vokabeln aufzusagen: Nan - Chleb". "Chleb
heißt auf Russisch Brot", bemerkte Kuzma. "Da stand er eine weitere
Sekunde, zwei, drei, wiederholte: Nan - Chleb, und es verging wieder
eine Sekunde, und noch eine, und er war rot wie eine sowjetische Fahne,
hielt die Spannung nicht aus und begann von Vorn: Nan - Chleb. Und
wieder: Nan - Chleb, bis die Kasachischlehrerin ihn erlöste. Er durfte
sich setzen". "Eine Zwei?" fragte Kuzma. "Nein, keine Zwei. Die Lehrerin
meinte, es hätte an seiner Nervosität gelegen".
Aus dem Lokal, in die frische Winterluft. "Die Beiden waren doch nett?"
fragte Kuzma. "Ich fand sie nicht nett" so Edwin, "ich hätte auch
Sebastian sein können". "Ein Wenig bewundere ich Sebastian. Ich hätte
mich nicht getraut, in diesen Schaumbad der Scham zu steigen" begann ich
zu meinen, aber Kuzma sagte mir die Wahrheit: "Du hast zu früh
begriffen, dass es keinen Sinn hat, krampfhaft zu versuchen, normal zu
sein". Ich schwieg. Hätte ich dieses Mädchen damals a-a-angesprochen,
wäre ich wenigstens wahrgenommen worden. So aber weiß sie nicht einmal,
dass es mich gibt, was für uns Beide letzlich auch besser ist.
3
"Es war Biologiestunde, die Lehrerin stellte eine Frage, ich meldete
mich, stand auf und blieb mit offenem Mund stehen. Eine halbe Minute,
vielleicht länger. Ich versuchte zu sprechen, aber es kam nichts. Die
Lehrerin ignorierte mich daraufhin und fragte einen anderen Schüler".
"Ich hätte das gern erlebt. Ich meine, am eigenen Leib" so Erwin.
"Wieso?" fragte Kuzma. "Ich kann es mir nicht vorstellen, wie es ist,
und auch nicht, wie es ist, manisch-depressiv oder schizophren zu sein.
Vor zwei Jahren tippte ich kurz vor der Pfüfung eine SMS, verschickte
sie, ging zur Prüfung. Nach fünf Minuten überkam mich das Gefühl, dass
etwas schwer nicht in Ordnung war. Ich wurde nervös, aber nicht wegen
der Prüfung. Ich schwitzte. Ich nahm die Professoren kaum noch wahr, als
sie mir meine 1,7 gaben. Ich rannte aus der Uni, schaltete mein Handy
wieder ein - das war eine sehr persönliche SMS. Und ich habe sie
ausversehen jemandem geschickt, der... Ich meine, ausgerechnet ihr habe
ich sie geschickt! Ich sah den Boden an, bat ihn, mich zu verschlucken".
"Wir sind wieder beim Kiosk" erinnerte ich Kuzma. "Geh du kaufen. Dein
Gesicht hat sie nicht gesehen".
Ich und Michelle, da war ich gespannt. Ich sagte höflich wenn nicht
sogar zärtlich, ich wollte eine Packung Marlboro. Sie sah mich an und
fragte: "Stotterst du?" Aus dem Aussprechen meines Satzes kam das
keineswegs hervor, also fragte ich nach. Michelle meinte, mein Satz sei
so glattpoliert, und die Augen verrieten es, auch wenn das Mundwerk wie
eine Schweizer Uhr funktionierte. "Nicht mehr so wie früher" sagte ich.
"Ich war früher schön" sagte sie. Sie sah immer noch gut aus, aber ich
verstand, was sie sagen wollte: früher sah sie nicht gut aus, sondern
war schön.
Michelle ging mit uns zum zugefrorenen Fluss, flirtete mit Erwin, und er
mit ihr. Sie bestand darauf, uns in Sachen Trunkenheit einholen zu
wollen, wir gewährleisteten dies. Auf dem Eis sitzend, erzählte sie von
der peinlichen Szene mit Sebastian, merkte aber, dass diese uns allen
bekannt war. "Das war gar nichts" sagte Michelle. "Dennis, mein erster
Freund, wollte, dass ich für ihn strippte. Was ich nicht wusste war,
dass überall hinter Sofas und Schränken seine mit Gucklöchern
bewaffneten Freunde warteten. Ich tat mein Bestes, strippte, stöhnte,
und auf einmal kamen alle aus ihren Verstecken und applaudierten".
"Peinlich", bemerkte Kuzma trocken. Erwin hustete. Wir erinnerten uns,
dass er kürzlich eine Lungenentzündung hatte. Kuzma rief ein Taxi und
fuhr Erwin heim; ich begleitete Michelle nach Hause.
Ich wurde nervöser, als wir gingen, denn ich wurde nüchterner. Ein
Fahrrad hatte ich nicht dabei, nur meine Hausschlüssel, die ich auf dem
Weg hochwarf und fing. Michelle lud mich zu einem Kaffee ein, ich nahm
die Einladung an. Als sie in der Küche verschwand, kniete ich im
Wohnzimmer und streckte die Hand, in der ich etwas Kleines hielt, nach
Vorn aus. Michelle tat so, als sähe sie mich nicht, stellte den Kaffee
auf den Tisch, ging dann aber rückwärts auf mich zu. Ich überreichte ihr
den USB-Stick mit Sebastians Texten. Diese Aktion wurde vor knapp einer
Stunde mittels kuzmasebastianischen Telefongesprächs autorisiert; Kuzma
gab mir den Stick, als er mit Edwin in ein Taxi stieg. Wir tranken
Kaffee, unterhielten uns, ich sah ihre Fixervenen. Ich sah Michelle
nicht wieder, aber Kuzma erzählte mir am nächsten Freitag, dass sie und
Sebastian nun zusammen seien; er dachte über eine Therapie in einem
logopädischen Zentrum nach und sie habe sich in einer Entzugsklinik
angemeldet.
2010
1. Julius (28)
Es war Klassenfahrt, und am Lagerfeuer saßen sie alle, und da kam das
schönste Mädchen vorbei. Das reiche Söhnchen prahlte mit teurem
Spielzeug, der Leichtathlet mit dem Oberkörper, der Dealer mit
Lockerheit und etwas Gras. Julius guckte nach Unten und war sehr nervös.
Das schönste Mädchen konnte sich aussuchen, also dachte es: wer ist
denn hier der Schüchternste, Sensibelste und so weiter, und setzte sich
zu Julius und sie wurden ein Paar. Nein, natürlich nicht. Sie hat das
reiche Söhnchen mit dem genetischen Defekt geheiratet, hat nun zwei
Bälger: eins mit Mukoviszidose und eins ohne Großhirn geboren. Was kann
Julius dafür?
2. Weiße Maus
Schon in der Grundschule wollten die Mädchen neben Julius sitzen, denn
sie dachten sich: wer ist denn der Schönste hier - und das war natürlich
Julius. Julius benahm sich ja wie ein gut erzogenes Mädchen - hatte
Angst, ekelte sich, passte gut auf sein Körperchen auf, ebenso auf sein
Seelchen. Er wollte des schönen Mädchens würdig sein, das ihm irgendwann
über den Weg laufen sollte und wie die anderen Mädchen dachte: welcher
Junge ist denn der Romantischste, Zärtlichste und Geistreichste, ach,
natürlich Julius, und schon damals wurde der Kleine schnell rot und lief
weg. Keins der Mädchen hatte von ihren Jungs nur 5% von dem rausgeholt,
was die eigene Schönheit wert war, sprich, keine war die ihr geschenkte
Schönheit wert.
3. Schabenfutter
Kein Kind will, dass die Tante es küsst, auch der Onkel nicht. Der Opa
ist lieb, aber seine Haut... warum wird das Kind nicht stattdessen von
dieser jungen frischen älteren Cousine am Arm und an der Wang berührt?
Die Oma ist nett aber so fett... Die Türklinken fasste Julius nie mit
der Hand an, er wollte schließlich mit einem Mädchen händchenhalten,
wobei er nur Pfötchen sah und nie Händchen. Das neue langhaarige
feingliedrige Mädchen mit schimmernd weißer Haut kam in den Klassenraum
und dachte natürlich: so, welcher von den Jungs fühlt sich am
Angenehmsten an, wenn er mich fängt und kitzelt? Dachte Julius. Das
Mädchen ließ sich vom Dicken dort begrabschen, der sich nach dem
Pausenbrot nie die Hände wusch. Das Mädchen ist Hure geworden, steht
jeden Abend am Hackeschen Markt, und der Dicke - hat abgenommen - ist
Bankkaufmann und ihr Stammkunde.
4. Julius und Innere Werte
Du fragst, warum sich Julius immer in die schönsten Mädchen verknallte?
Moment, war Schönheit bei dir nicht relativ, war sie nicht
Geschmackssache, lag sie nicht im Auge des Betrachters? Wenn es so ist -
welchen Sinn hat also deine Frage? Julius verknallte sich in die
Mädchen, in die er sich eben verknallte. Seltsamerweise verknallten sich
alle Jungs in dieselben Mädchen, in die sich Julius verknallte. Und
diese Mädchen dachten immer: so, wer von den Jungs hat die geilsten
inneren Werte? Wenn es so war, dann hängt der Wert der inneren Werte
davon ab, wessen Sohn man ist. Nicht wie versaut oder wie blöd oder
gewaltbereit, denn Julius ging ja aufs Gymnasium, wo die guten Mädchen
waren. Sagte ich Waren? Nein, waren sagte ich.
5. Grausamkeitskitzeln
In der Grundschule da war ein Mädchen verrückt nach der jungen hübschen
Lehrerin, welche eines Tages einen rohen garstigen Mann verführte. Das
Mädchen bekam es mit und weinte selbstverständlich und sprach was hast
du getan und ging nie wieder zu der Lehrerin nach Hause zum Spielen wie
früher. Wirklich? Nein, das Mädchen hatte nur ein komisches Kitzeln im
Bauch und spielte weiter mit der Lehrerin. Julius ging zum Schuldirektor
und erzählte ihm, dass die junge Lehrerin kleine Mädchen verführte, und
die Lehrerin flog von der Schule. Dieses sonderbare Gefühl, das du
hattest, was war das, fragte Julius das Mädchen zehn Jahre später. Es
kam davon, dass ich wusste, dass du mich magst, und leiden würdest, wenn
ich weiter mit ihr spiele, sagte das Mädchen.
6. Selbstmordvermeidungsherzkühlung
Julius war in der zehnten Klasse, als eine große Party war, und er
wieder mal in der Ecke stand. Da kam ein Mädchen herein, so niedlich und
süß wie zehn Kätzchen, und fragte sich: so, welcher von den Jungs ist
noch Jungfrau und hat den größten Respekt und die tiefste Ehrfurcht vor
einem Mädchen? Nein, das konnte es nicht sein, denn um danach zu
urteilen, welchen Jungen das Mädchen auswählte, konnte es nur gedacht
haben: so, wer ist hier der frauenverachtendste respektloseste und
widerlichste Eber, dem muss ich unbedingt einen blasen! Julius wurde
später oft Kaltherzigkeit vorgeworfen, worauf er erwiderte: hätte ich
mein Herz nur ein wenig wärmer gehalten, wäre ich längst von einer
Brücke gesprungen.
7. Das egoistische Gähnen
Die Evolution meinte es eigentlich gut mit Julius, und so malte er die
schönen Mädchen im Kopf noch schöner und beachtete die anderen nicht.
Diese aber dachten: so, welcher von den Jungs ist denn an inneren Werten
interessiert... Tatsächlich? Immer, wenn es einem nicht so schönen
Mädchen gelang, so ein richtiges Arschloch noch mit Scheißklümpchen auf
den Arschhaaren ans Land zu ziehen, kündigte es die Beziehung zu seinem
Frauenversteherchen (per SMS oder ähnlich) und freute sich die Titten
aus der Brust. Nächstes Versuch. Die nicht so schönen Mädchen dachten:
wer ist denn den inneren Werten nach der Allerbestensbesteste Junge, am
Wenigsten an Äußerlichkeiten interessiert? Und sie dachten sich ein Loch
- nein nicht in Julius - in den leeren Stuhl, auf dem dieser Niemand
saß, der überhaupt nicht an Äußerlichkeiten interessiert war.
8. Erich (30)
Erich liegt auf dem Sofa und träumt vor sich her, während die Sonne zu
einem für andere romantischen Sonnenuntergang langsam dahinsinkt. Seine
Gedanken sind schwer: nie, nicht nur ein einziges Mal. Dann springt er
auf: aber Erich, wie viele Männer, ja wie viele Menschen denn überhaupt
waren in ihrem ganzen Leben mal mit einer schönen Frau zusammen? Für die
Frauen ist es sicherlich leichter: die Mädchen halten miteinander in
der Schule Händchen, ohne sich für die Jungs damit unattraktiv zu machen
(umgekehrt scheint es verdammt unattraktiv zu sein, dem Erich übrigens
genauso wie den Mädchen), - und nach der Schule wer weiß? Aber komm
schon, Erich, wie viele Männer? 3%? Zu hoch geschätzt? Aber nur ein
einziger Kuss! Hm, dann wohl noch weniger. Es gibt mehr Ungeküsste als
Ungeleckte. Fürs Lecken kann man eine bezahlen, aber wo kann man Küsse
kaufen? Bei denen, die Sex verkaufen, will man ja nicht: die halten
einen solchen Wunsch - einfach schön zärtlich küssen, alles bleibt an -
für genauso pervers wie Anpissen oder was weiß Erich. Er zieht sich eine
warme Jacke an und geht hinaus. Bald 30, denkt Erich leise vor sich
hin. Bald 30, und immer noch nichts, kein einziges Mal.
9. Gute Idee
Erich steht ja auf schöne Frauen. Sei doch nicht so engstirnig, sagt
Jürgen. Erich lässt sich überreden, geht mal wieder aus. Guck doch, sagt
Jürgen. Warum lächelt er, denkt Erich, und wo soll ich hingucken? Erich
langweilt sich. Willst du wieder gehen, fragt Jürgen, und fügt
vorwurfsvoll hinzu: du machst dir alles selbst kaputt! Erich geht ein
Licht auf: du hast Recht, Jürgen. Jürgen lächelt und guckt zu den
mäßigen Damen hinüber. Erich folgt aber überhaupt nicht seinem Blick,
weshalb Jürgen ihn irritiert anstarrt. Es muss doch nicht gleich Sex
sein, feiert Erich seine Horizonterweiterung, und es muss auch nicht
Liebe sein, - es wäre zum Beispiel schön, mit einer schönen Frau
befreundet zu sein, am Besten mit einer Lesbe, da muss man sich den
Brechreiz nicht verkneifen, wenn man ihr auf die Lippen guckt. Jürgen
schüttelt mit dem Kopf: Erich, ist es denn dein Ernst? Erich weiß, wie
Jürgen es meinte, schweigt ein Bisschen, guckt dann zu den Damen rüber,
seufzt und sagt: gut, vielleicht nicht befreundet sein, aber eine zu
kennen, so als lockere Bekanntschaft, das wäre auch schön.
10. Erich muss etwas beichten
Jürgen erzählt von einem knackigen Po. Ärsche, das mag Jürgen. Und
Bernd, der mag Brüste. Je voller umso besser. Genüßlich erzählt er von
den Brüsten seiner Neuen. Erich will auch etwas sagen, weiß aber nicht,
wie er anfangen soll. Vielleicht: Ein Freund von mir... Aber wer? Wen
soll ich auf Nachfrage nennen? Vielleicht: Ich kenne jemanden... Ja,
und? Warum muss ich ausgerechnet von ihm erzählen? Oder: Neulich war ich
amüsiert, als ich gelesen habe, dass es einen sehr interessanten
Fetisch gibt... Hört sich komisch an. Warum nicht: Im Bus hörte ich
gestern Abend, wie jemand sagte, er sei ganz verrückt nach... Warum bist
du so rot geworden, fragt Jürgen. Stimmt etwas nicht, fragt Bernd. Es
gibt Fetische, die sind so richtig durchgeknallt, aber komischerweise
nicht peinlich. Erich hat es andersrum erwischt. Alles muss stimmen,
sagt Erich, alles bis ins kleinste aber auch klitzekleinste Detail.
11. XS
Erich mag kleine, zierliche Frauen. So dünn wie möglich, aber nicht
magersüchtig. Keira Knightley findet er hässlich - sie hat, sagt er, zu
breite Knochen. Erich, sagt Bernd immer, so eine kannst du doch gar
nicht... Ich will sie auch gar nicht ..., sagt Erich immer, ich will sie
verwöhnen, auf Händen tragen, auch wörtlich. Ich kann mit keiner Frau
was anfangen, die nicht kochen und putzen kann, lacht Bernd. Erich
findet sowas frauenfeindlich. Letzte Nacht hatte Erich einen Traum: er
sah im Vorhof zu seiner Studierhölle eine zierliche süße Frau, sprach
sie an, nahm sie mit nach Hause. Dann wusste er aber nicht mehr, was er
tun oder sagen sollte, bedrohte sie subtil, ja fast schon zärtlich,
fesselte ihre Hände und Füße, trug sie auf sein großes weiches Bett. Er
setzte sein diabolisches Grinsen auf, machte Andeutungen, dass er sie
gleich küssen würde, dann ihren BH ausziehen und ihre hübschen kleinen
Brüste berühren, hatte für alle Fälle noch ein S/M-Peitschchen dabei.
Zärtlich, fast schon liebend, flüsterte er ihr zu, er könnte ihr
vielleicht weh tun, aber sie guckte ihn nur an wie eine Kuh auf der
Wiese und donnerte ihm schließlich ins Gesicht: "Fick mich endlich und
lass mich gehen, ich muss heute Abend noch die Küche sauber machen!" Da
wachte er auf und hatte so ein Gefühl, das er immer hatte, wenn ihn im
Traum diese schrecklichen großen haarigen (oder auch nackten schwarz
glänzenden) Monster verfolgten.
12. Deckel drauf
Der Spruch, dass jeder Topf seinen Deckel finde, passt rein
physiologisch eher zu Frauen, meint Jürgen. Es ist Hohn, weiß Erich. So
ist es, Leute, kommt Bernd mit dem Bier an den Tisch, wer in der Schule
keine gekriegt hat, bekommt nie wieder eine Chance. So schlimm ist es
doch nicht, wiegelt Jürgen ab. Erich nickt und schüttelt mit dem Kopf.
Wen kennst du denn, der in der Schule keine hatte und später eine
gekriegt hat? Jürgen denkt nach, er hat viele Freunde: der hat eine
Flüchtlingsbraut gekauft, der da geht regelmäßig ins Bordell, der
bekommt reihenweise Körbe in der Disco, dieser hat es mit
alleinerziehenden Müttern versucht, was immer am Ex gescheitert ist.
Siehst du, freut sich Bernd. Was soll ich jetzt machen, verzweifelt
Erich nach dem vierten Weizen. Trink ein fünftes und bagger die da an,
lacht Bernd. Erich zieht die Augenbrauen hoch, behält sie drei Sekunden
in der Luft und sagt dann nichts. Warum kann ich mir die Frauen nicht
schöntrinken, denkt Erich und bestellt sich das fünfte Weizen.
13. Jürgen auf der Couch
Sex, sagt Erich, beziehe seinen eigentlichen Reiz aus der Entjungferung.
Quatsch, lacht Jürgen. Du guckst doch Pornos, so Erich. Ja, ich bin
doch nicht krank, so Jürgen. Dann sag mir, warum die Typen am Ende den
Frauen ins Gesicht spritzen. Jürgen weiß keine Antwort. Erich weiß: bei
diesen Stuten setzt keiner mehr voraus, dass sie jungfräulich sind.
Logisch, meint Jürgen, wenn sie in einem Porno mitspielen. Aber ihr
Gesicht, meint Erich, dieses geschminkte geputzte Gesicht vermittelt
immer eine Illusion der Unschuld, - und du, mit dem Willi in der einen
und mit dem Taschentuch in der anderen Hand, identifizierst dich mit dem
Typen. Ja, sicher, sonst würde ich nicht gucken, versichert Jürgen. Und
als er ihn am Ende rauszieht und ihr ins Gesicht spritzt, rufst du da
nicht innerlich: Erster! Jürgen findet es erstmal plausibel, sagt aber:
am Anfang kommt immer der BJ - nix Gesicht. Gut, sagt Erich, was denkst
du dir denn am Schluss? Na ja, gut, also, - gibt Jürgen zu - ich denke
da immer, dass die andere, größere Frau ihr die Augen aufhält und
lüstern flüstert: ja, komm, spritz in ihre süßen lieblichen Augen! Auch
wenn keine zweite Frau im Film dabei ist, fragt Erich nach. Dann denke
ich mir eine dazu, sagt Jürgen.
14. Orgien statt Sorgen
Mit nicht so schönen Frauen hat Erich nie Probleme gehabt, wenn es darum
ging, sie anzusprechen, oder sich mit ihnen ganz normal über etwas
Bestimmtes zu unterhalten. Smalltalk kann Erich recht gut, besonders
nach zwei Bier (der mit dem Asperger-Syndrom, das war der
elitär-arrogante Julius; Erich ist bloß ein Wenig schüchtern). Nun
spricht er mit einer Studierkollegin (er kann, wie der Autor, das
schwül-inzestuöse Wort Kommilitone nicht ausstehen) in der S-Bahn auf
dem Weg zur Uni: ich schaffe es einfach nicht, sie anzusprechen, denke
immer zu viel darüber nach, trau mich am Ende nicht, und wenn doch,
kommt kein Wort aus mir raus. Deine Sorgen möcht ich haben, erwidert sie
höhnisch. Sie lebt mit einem Doktoranden zusammen, hat einen
zweijährigen Sohn. Das war ironisch gemeint, sagt Erich. Klar, sagt sie,
oder bist du doof? Und wenn ich dir sage, dass ich deine Sorgen haben
möchte, dann meine ich es nicht ironisch - verstehst du jetzt? Sie
schweigt, dann sagt sie: naja, so ironisch wie es in deinen Ohren
klingt, meinte ich es auch nicht: du kommst um vier Uhr morgens nach
Hause, musst keine Windeln wechseln, dich um das Chaos nicht kümmern,
nicht an die Einkäufe denken, die Krippe, der Kinderarzt, meine Eltern,
seine Eltern, die Geburtstage nicht vergessen, sonst weiß du nicht wohin
mit dem Balg falls du zwei Tage für dich allein sein willst, - Single
sein ist doch schön; man lernt es erst zu schätzen, wenn man keiner mehr
ist. Erich freut sich den Arsch ab, den ganzen Tag lang: Single sein
ist also doch besser - und das hat nicht ein Mann wie er gesagt, der
sich etwas schönreden wollte, das er nicht ändern konnte, nein, eine
Frau hat das zu ihm gesagt. Geil, denkt Erich, und weiter: welche
Verpflichtungen habe ich heute eigentlich? Oops, gar keine. Schön, ich
fahr mal ans Meer, will zwei Tage für mich allein sein.
15. Wegen dem Neger
Voll in der Kneipe, aber Bernd hat vor Stunden das alte niedrige Sofa in
der hellgrünen Ecke reserviert. Jürgen freut sich und sagt: Erich, komm
schon, freu dich, wir haben einen saugeilen Platz erwischt! Als sie
sich setzen und drei Jim Beam mit Cola bestellen, setzt sich ein
langhaariger zotteliger Typ im selbstgestrickten grünen Pulli dazu: Oh,
ist das die grüne Ecke? Habt ihr gelesen, 28%! Jim Beam mit Cola ist was
für Schwuchtel, lacht der Kellner, ein Türke. Wer eine Schwuchtel
bedient, fängt Bernd an, aber der ungebetene grüne Gast unterbricht ihn
und bestellt eine Bionade.
Als Nächstes bestellen die Drei Jim Beam ohne Cola - da weiß der
Kellner, was die erste Bestellung sollte: eine Limo, ein Durstlöscher.
Guck, der Neger da trinkt diesen französischen Apfelwein, wie heißt
er... Cidre, sagt der Kellner, wollt ihr auch? Der ungebetene grüne
Gast unterbricht ihn: was fällt euch frauenfeindlichen Rassisten ein?
Geht sofort zu ihm und entschudigt euch! Der Türke darauf in
Türkdeutsch: Hast du ein Problem, du Schwuchtel? Der eben noch Empörte
entschuldigt sich höflich, - er hält den Türken offenbar für einen
Japaner, macht diese alberne Verneigung.
Guck, sagt Jürgen, der Neger bestellt sich jetzt einen Negerkuss - den
kann er doch auch zu Hause haben. Es ist ein Eis, weiß Erich. Der grüne
Freund, verzweifelt (und nun auch jimstens gebeamt): Was seid ihr für
Menschen? Eine Dicke kommt vorbei, gibt ihm einen Kuss auf die Stirn.
Deine Frau, fragt Bernd. Er nickt, Bernd lacht, steckt auch Jürgen an.
Erich - noch nicht betrunken genug - ist geistig abwesend. Ihr sitzt
jeden Abend irgendwo rum, ihr Säufer, fängt der Beleidigte an. Hast du
ein Problem mit den Jungs, kommt der Kellner zurück und bringt nun vier
Weizen. Ich betreue ehrenamtlich Flüchtlinge, gehe jeden Sonntag gegen
Atomkraft demonstrieren, setze mich für den Bau einer Moschee ein,
engagiere mich für eine Quote von horinzontal gechallengten Frauen in
Film und Werbung, - und ihr!? Und wir sitzen hier und saufen, sagt
Bernd, absichtlich mit türkischer Aussprache - schallendes Gelächter.
Als der grüne Freund fast schon heult, fragt ihn Jürgen: man gönnt sich
ja sonst nichts, was gönnst du dir denn, wenn du dir mal was gönnst?
Völlig betrunken erzählt der ungebetene grüne Gast, wie er vor drei
Monaten nach Bangkok reiste und für EUR 23000 ein vierzehnjähriges
Mädchen zu Tode folterte: kennt ihr diesen Film, Hotel oder so, und
diese Thai-Mädchen sehen ja viel jünger aus als sie sind, - ich hab mir
so vorgestellt, es wäre die Leonie aus der 4. Klasse, die mich damals
hänselte... hey, wo geht ihr denn alle hin, bleibt hier, hey...!
16. Die Begegnung
Erich schlich oft durch Passagen, Arkaden, stellte sich in die offenen
Zeitschriftenläden gleich neben den Kosmetikstudios, um Blicke auf weiß
nur Erich was zu erhaschen. Er wurde schnell rot dabei, weshalb er immer
Pausen einlegte, in denen er sich den Zeitschriften widmete. Nun aber
sah er einen Mann in seinem Alter in eine schicke Boutique hineingehen,
ein kleiner Schlanker mit vollem schwarzen Haar, der sich von einer
hübschen Frau über ein Kosmetikprodukt ausführlich beraten ließ.
Schamrot schlich Erich hinzu - da war dieser Blick der Frau, als er
wusste nur er wo hinguckte, und Erich wollte am Liebsten im Erdboden
versinken, - der androgyne Teufel grinste breit und ließ sich das teuer
Eingekaufte einpacken.
Komm, Sebastian, rief er Erich zu sich, wandte sich dann zu der
Verkäuferin: diesen Kretins macht man einen großen Gefallen, wenn man
sie abtreibt, aber seine arme Mutter hatte wohl zu viele Schnulzen
geguckt. Komm, du Hund! Erich folgte Julius mit gesenktem Kopf in eine
gehobene Bar. Auch dort behielt Julius seine eleganten schwarzen
Handschuhe an, die wunderbar zu seinen Schuhen und zu seiner Haarfarbe
passten. Was ist dein Problem, fragte er Erich, warum treibst du dich
rundherum rum und gehst nicht rein? Draußen wunderten sich Bernd und
Jürgen - was machte Erich in dieser Schickimickibar? Wer sind die
Deppen, fragte Julius.
Erich hat nun seine Nummer. Soll er ihn anrufen, diesen
Zwangsneurotiker, der sich offenbar vor Türklinken ekelt? Erich fühlt
sich von Julius ertappt, vielleicht hat er denselben Fetisch. Er greift
zum Hörer und seine Hände zittern, so als ob er eine hübsche Frau
anrufen würde. Macht er´s? Macht er´s nicht? Bernd schmeißt heute Nacht
eine Party - soll Erich hingehen? Warum, denkt er, gebe ich mich seit
Jahren mit Leuten ab, die so viel dümmer und plumper sind als ich?
Dieser schwarze Schwan ist verlockend. Durch das Androgyne wirkt dieser
Bastard nur noch düsterer, gefährlicher, - es ist eine elegante
Männlichkeit, die Erich als Kind gern zum Vorbild gehabt hätte. Leider
wuchs er unter Leuten wie Bernd und Jürgen auf, - wird der Sog der Gosse
obsiegen?
2011
Victor hatte in jedem Fach eine Eins, außer in
Musik, da hatte er eine Eins Plus. Mit diesem Abitur konnte er sich an
jeder Uni bewerben. Ein stiller Mittag, der letzte Schultag ging gerade
zu Ende. Victor hatte bereits eine Zivildienststelle bei einem
Naturschutzverein auf einer Insel gefunden, ein interessanter und
durchaus romantischer Ort. Im Sommer aber wollte er endlich nach
Australien fliegen, das wünschte er sich, seit er fünf war. Victor trank
auf dem Heimweg noch einen Pfefferminztee in einer Imbissbude am Ende
der Straße. Dann bog er ab, aber in die andere Richtung, anstatt nach
Hause, wo seine Eltern bereits ein Festmahl vorbereitet hatten. Die
ganze Verwandtschaft war eingeladen, und alle so stolz auf Victor.
Nach einer Viertelstunde war Victor am Fluss, er wollte ein Wenig allein
sein, mit sich selbst und seinen Gedanken, vielleicht etwas
hinauszögern, vielleicht nur selbst seinen Erfolg genießen, bevor er ihn
mit so vielen Leuten teilen musste. Erster in der Schulmeisterschaft in
Leichtathletik, großer Soloauftritt mit der Geige im Stadttheater zwei
Wochen zuvor. Ja, Victor hatte in der Tat etwas zu feiern. Darüber
hinaus war er seit einem Jahr Mitglied in einem Schützenverein, wo er im
Frühling einen Wettbewerb gewann, und das Preisgeld der lokalen
Krebshilfe spendete. Victor schaute sich lächelnd die Zeugnisse an, die
Fotos vom Abschlussball, auf den er gestern mit dem schönsten Mädchen
des Jahrgangs gegangen war. Victor seufzte und machte sich endlich auf
den Weg.
Er fuhr langsam, doch nach einer halben Stunde war er da. Kurz vor dem
Haus seiner Eltern beschleunigte er, warf nur die Schultasche in den
Hof, und fuhr auf einen bewaldeten Hügel. Dort griff er in seine
Hosentasche nach einer Kleinpistole, die mit nur einer Kugel geladen
war. Er schaute die Wolkenfiguren am Himmel an, blickte auf seine
Schulzeit zurück, lächelte, sagte ohne jeden sarkastischen Unterton:
"Danke für alles!" und schoss sich in den Kopf.
2012
Flüchtlingslager.
- Name?
- Michail.
- Nachname?
- Nach Name Sie schon gefragt.
- Michail und weiter...?
- Weiter? Kann ich weiter?
- Nein. Wie heißen Sie?
- Michail.
- Und wie heißen Sie weiter?
- Ah, Sie wollen meine Familie?
- Niemand will Ihre Familie, keine Sorge. Wo ist Ihre Familie?
- In Passport.
- Wo ist das? In Russland?
- Hier in Passport meine Familie, Sie lesen: Karmanov.
- Sie heißen also Michail Karmanov? Und was sind Sie von Beruf?
- A wie heißt das... Wor, wor, wor, wie ist wor auf Deutsch...
- Beschreiben Sie es.
- A wie kann man... Steht Gitler. Hat in Hand Mein Kampf. Ich komme, Mein Kampf weg.
- "Mein Kampf" ist in Deutschland verboten.
- Ah, Sie verstehen? Das ist verboten, was ich von Beruf bin.
- Nein, das Buch "Mein Kampf" ist verboten. Wenn Sie eins dabei haben, muss ich es Ihnen entziehen.
- Sie nicht müssen ziehen, ziehen ich mache, was verboten ist. Steht
Gitler, hat Mein Kampf, ich ziehen aus Hand, wenn hat in Tasche, ich
ziehen aus Tasche.
- Aus der Tasche ziehen... Sind sie ein Dieb?
- Dip, was ist Dip? Ich weiß nicht, ich kann aus Tasche ziehen, ich kann aus Tresor ziehen...
- Sie stehlen also? Dann sind Sie ein Dieb.
- Nicht ich stelle. Steht Gitler, stellt Mein Kampf auf Tisch. Ich komme, Mein Kampf weg.
- Ja, das ist Diebstahl, kommen Sie, Sie sind also ein Dieb?
- Ah, Dieb ist Wor! Ja, ich bin Dieb. Wohin komme ich? In Diebstall? Ich will nicht in Diebstall, darum ich hier.
- Sie wollen nicht mehr Dieb sein, und sind deshalb nach Deutschland gekommen?
- Nein, ich will nicht in Diebstall. Polizei kommt und bringt mich in
Diebstall, aber ich nach Deutschland, Polizei findet nicht.
- Sie sind vor der Polizei geflohen? Dann sind Sie kein Flüchtling, sondern ein Krimineller.
- A warum gleich wie Gitler? Kriminäääler, Kriminäääler, das ist wie Änpädä: "Kriminelle Ausländer raus!" Sie Änpädä?
- Nein, ich bin nicht in der NPD.
- A dann wo Probläm? Ich komme, ich krimineller Ausländer. Sie müssen rein lassen.
- Nein, ich muss Sie nicht reinlassen!
- A dann Änpädä, Faschisten. Ich denken, Deutschland gut, mein Kusän mir
schreiben, Gitler kaputt, Deutschland schön, alles bezahlt Sozial.
- Ihr Cousin lebt in Deutschland? Ist er auch ein Dieb?
- Naaaaain. Wozu Dieb? Alles bezahlt Sozial.
- Was? Denken Sie, dass alle in Deutschland von der Sozialhilfe leben? Und wo soll das Geld dann herkommen?
- Deutschland erste kultiviert, Deutschland zweite zvilisiert, Deutschland dritte reich.
- Hören Sie auf mit Ihrem Dritten Reich! Sie waren also Dieb, und kommen
nach Deutschland, um von der Sozialhilfe zu leben? Ihnen hilft jetzt
nur ein Wunder, wenn Sie rein wollen.
- Wunder? Bitte. So, kann ich Gamburg? Dort lebt Kusän.
- Nein, Sie dürfen nirgendwohin.
- Warum? Ich Wunder-Wort gesagt: Bitte.
- Das ist mir egal.
- Geht auch Mirigal, wenn ist in Deutschland. A weit von Gamburg Mirigal?
- Herr Karmanov, wir müssen Ihren Antrag auf Asyl leider ablehnen.
- A wollen Sie ich wieder Dieb? Das Anstiftung ist zu Verbrechen!
- Na gut. Fahren Sie nach Hamburg zu Ihrem Cousin.
- Danke. Weil Sie so nett, ich ehrlich zu Sie: ich 100 Mark aus Tasche ziehen.
- Was?? Sie haben mir 100 Mark aus der Tasche gezogen? Geben Sie sie sofort zurück!
- Warum? Ich doch ehrlich gesagt, dass ich ziehen... A das war Spaaaaß, hier 100 Mark. Alfiedersähn.
- Auf Wiedersehen.
2011
Evilius Bösmann hatte eine furchtbare Tat
begangen, doch vor Gericht konnte er nur gewinnen: er wollte die
Todesstrafe, um sich nicht selbst umbringen zu müssen. Evilius war seit
er denken konnte depressiv und lebensmüde. Solange ihn seine
Kinderängste am Freitod hinderten, musste er weiter leben, durfte nicht
selbstbestimmt sterben. Am ersten Verhandlungstag war Evilius Bösmann
froh gestimmt, er sang auf dem Weg zum Gericht, präsentierte sich stolz
den Journalisten, beantwortete ihre Fragen geduldig und freundlich, auch
die als Fragen getarnten Beschimpfungen und Beleidigungen.
Die Richterin ließ den Staatsanwalt Evilius Bösmann anklagen, und seine
Anklage hörte nicht auf. Er warf dem Angeklagten zuerst dessen Tat vor,
dann aber sämtliche Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Evilius
Bösmann durfte nicht antworten, und sein Verteidiger saß nur
teilnahmslos da und spielte auf seinem Laptop rum. Dann ergriff die
Richterin das Wort. Sie wurde laut und warf Evilius Bösmann hohle
Phrasen an den Kopf, die stets Wörter wie "immer", "nie" und "jedesmal"
enthielten. Die Richterin sprach bis tief in die Nacht, ihre Tirade war
gänzlich ohne Struktur und ohne jeden Sinn, sie wiederholte ständig nur
das bereits Gesagte in anders formulierten Sätzen. Als sie zu reden
aufhörte, schickte sie alle Anwesenden zum Schlafen nach Hause.
Am nächsten Tag war Evilius Bösmann nicht mehr gesprächsfreudig, und
sagte den Journalisten nichts, - vielmehr ging er mit einem Tunnelblick
ins Gerichtsgebäude, um seine in der schlaflosen Nacht vorbereitete
Erwiderung endlich vorzutragen. Als die Richterin die Verhandlung
eröffnete, sprach sie von ihrem Hund und vom Wetter. Evilius Bösmann kam
nicht mehr zu Wort, aber es wurde auch mit keinem Wort an seine Tat und
an die gestrige Gerichtsverhandlung erinnert. Der Staatsanwalt
bemängelte die Verschleißerscheinungen an seinem Auto, und deutete in
einer halbstündigen monotonen Rede an, dass er eigentlich einen neuen
Wagen bräuchte. Es wurde im Gerichtssaal gegessen, dann gab es Kaffee
und Kuchen. Am Abend durfte Evilius Bösmann, müde vom Sitzen, nach Hause
gehen. Während er mit einem niederschmetternden Gefühl der
Hilflosigkeit und Ungewissheit durch die Straße schlich, zeigten Zeugen
der Verhandlung mit dem Finger auf ihn und kicherten.
2012
1. Icher als du
Der späte Sommerabend kühlte hormonell belastete Gemüter. Icher trank
die Luft, sah zu den Sternen. Museum: Treppe und Vorbau. Da hat er sie
sitzen sehen. Er ging zu ihr. Er konnte sie vom Weiten sehr schlecht
erkennen, und es wurde nicht besser. Ihre Stimme aber beruhigte ihn. Er
atmete erleichtert auf und setzte sich daneben. "Trügt die Stimme?"
fragte er. Sie negierte. "Dann bist du ungefähr 15, durch und durch und
durch und abermals durch schlank, hast wunderschönes langes Haar, nach
dem jeder Wind verrückt ist, wegen dem allein er schon zu wehen bereit
ist...". "Das ist wahr. Und ich bin bewaffnet". "Es war kein Kompliment,
also musst du es nicht als Drohung empfinden. Ich wollte mich nur
versichern, dass du kein Antidiskriminierungsfall bist", sagte Icher mit
sanfter Stimme. "Wie heißt du?" fragte sie. "Ich heiße Icher", sagte
Icher. "Und ich bin Cxiette". Icher dachte über ihren Namen nach. Noch
nie so einen Namen gehört. "Und was bedeutet dein Name?" fragte sie.
"Schwer zu erklären", murmelte Icher. "Mir leicht", lachte Cxiette.
"Also gut. Als ich klein war, da guckte ich mir jeden Abend eine Fliege
aus und dachte: Diese Fliege hält sich für ein Ich. Ich konnte mir nicht
vorstellen, wie etwas, das Ich zu sich sagt, tot sein kann. Jeden Abend
tötete ich eine Fliege". "Ohne Erkenntnisgewinn", konstatierte Cxiette.
"Genau. Dann begann ich damit, die Luft anzuhalten, um zu sterben. Und
zurückzukommen". "Und warst bestenfalls ohnmächtig, aber nie tot". Eine
nicht geringfügig menschenbestückte Gäng nahte. "Meine Waffe ist leider
nicht mehr geladen", flüsterte Cxiette, "aber erzähl weiter". Die Gäng
war laut, einige ihrer Glieder erreichten bereits die Treppe vor dem
Museum. "Nutte, komm fickööhn!" schrieen die Gängglieder das Mädchen an.
Icher nahm ein langes Messer und stach sie alle wie Schweine ab, und
das Messer glitt wie Butter durch die gräßlichen Leiber. Cxiette setzte
sich weiter oben hin, das Blut war eklig. "Dann sprang ich von einem
Hochhaus", sagte Icher. "Polizei!" rief er und schnitt seinen Kopf auf.
Cxiette machte einen Salto in der Luft, schrumpfte und sprang in sein
Hirn. Icher schloss seinen Kopf wieder. "Haben Sie diese... 79, 80,
diese 81 Menschen ermordet?" fragte der Kommissar. "Das trifft zu",
postulierte Icher. "Da haben Sie meinen Ausweis. Und hier meine
Todesurkunde". Der Kommissar leuchtete mit der Taschenlampe auf die
Papiere und überzeugte sich telefonisch von deren Richtigkeit. "Alles
klar, gehen wir!" rief er die Kollegen. "Gehen wir woanders hin, da
kommen schon die Aasfresser", sagte Icher zu dem Mädchen in seinem Kopf
und ging.
2. Am Ichsten
"Du, nicht du da, du dort, die du auch du bist, von mir aus gesehen!"
"Ich heiße Mi". Am Ichsten kam näher. Das Mädchen war gerade 14,
hellblond, auf natürliche Weise ultraschlank und sehr niedlich. "Bläst
du?" fragte ein grober Kerl im Vorbeigehen. "Nur Kohlendioxid in die
Luft", antwortete Mi. "Soll ich den Penner töten?" war Am Ichsten so
freundlich. Mi bejahte dies. Am Ichsten tötete den Penner, was mit einer
Schusswaffe geschah.
Mi und Am Ichsten fuhren mit der U-Bahn, beide autolos. Nicht der Armut
zuschulde, wegen dem schlechten ökologischen Gewissen. Da kamen drei
Werber für die Partei "Die Grünen" und gaben an: "Wir haben diesen Monat
durchschnittlich 15% CO2 gespart, und ihr?" Am Ichsten sah sie nicht
an, sondern wandte sich zuvorkommenderweise zu Mi: "Soll ich diese
Sozialschmarotzer töten?" Mi nickte und sie waren tot, was durch gekonnt
platzierte Kopftreffer geschah.
Am Ichsten lud Mi in ein schickes Eiscafé ein, Mi lehnte ab. Sie
rechnete etwas im Kopf aus und stimmte dann wiederum zu. Im Café musste
Am Ichsten pissen, er ging, poss kurz und konzentriert, machte seinem
Freund da unten Druck, wollte das zierliche Mädchen nicht länger als
eine Minute allein lassen, denn da waren überall Leute. Als er
zurückkam, fand er eine Vierjährige, wo Mi gesessen hatte. "Hast du das
Mädchen gesehen, das eben hier war?" fragte er das Kleinkind. Im Hirn
eines vierzigjährigen Politiklehrers am Gymnasium klingelte Folgendes:
"Den Mann beschuldigen, das Kind belästigt zu haben, dann gibt es unter
dem Schutzmantel des Schutzes bis zu drei Quadratmetersekunden
Hautkontakt mit diesem bildschönen Kind, bis es in symbolische
Sicherheit gebracht ist". Er schaltete schnell, tat, was er dachte,
bevor andere Hautkontaktgierige dachten, dasselbe zu tun. Das kleine
Mädchen schaute Am Ichsten mit großen Augen an und wunderte sich: "Warum
fragst du mich nicht?" Am Ichsten fragte, sie bejahte. Er tötete den
Gymnasiallehrer, was durch eine schnell wirkende Giftinjektion geschah.
"Ich habe mir schon gedacht, dass du deine Altersphasen wechselst",
kommentierte Am Ichsten die Beinaheverwechslung. "Eigentlich sogar
regelmäßig", sagte Mi, "aber bei Süßigkeiten und Eis manchmal spontan".
Mi und Am Ichsten verließen das Café. "Du bist immer noch klein". "Noch
elf Stunden", lachte Mi. "Was bist du am Ältesten?" "Das was du am
Ichsten". "Jetzt?" fragte Am Ichsten, und Mi bejahte zum ersten nein
zweiten Mal an diesem Tag etwas anderes als eine Tötung.
3. UnendlICH
Amallerichsten pfiff auf einer Parkbank auf das Verbot illegalen
Waffenbesitzes, als eine Gruppe Jugendlicher ein gleichaltriges Mädchen
einholte und rumzuschubsen begann. Die weiblichen Gruppenmitgleider
zeigten Titten und lachten mit den anderen - nein nicht über das eigene
affenhafte Betragen - über das Mädchen, dem sie sie zeigten.
Amallerichsten wunderte sich und hörte den Beschimpfungen nun zu:
"Lesbe". Er ging hin und fragte: "Und das berechtigt euch, ihre
Privatsphäre zu verletzen?" Er zählte der ausgestreckten Mittelfinger
ganze sieben und schoss sie alle mit seiner herrlichen langen Beretta
ab. Ein Jugendlicher starb, als er über den abgeschossenen Finger seiner
Freundin stolperte und mit dem Kopf gegen einen Stein knallte. Vierzig
Leute waren bei der Beerdigung, viele Tränen flossen. Krokodilsquote:
34%.
Amallerichsten ging eine Tiefkühlpizza kaufen, da sah er, wie an der
Nachbarkasse ein hilflos wirkender Junge als vermeintlicher Dieb
beschämt wurde. Er stotterte schon aufgrund seiner Schüchternheit, aber
er stotterte noch dazu mit extra eingebautem Sprachfehler.
Amallerichsten sah drei lachende junge Männer, und ihm war klar, dass
sie dem Jungen etwas in die Tasche gesteckt hatten. So forderte er die
Ordnungshüter auf, diese zu fassen, was jene verweigerten. Daraufhin
stieß er sie weg von dem Jungen, begleitete ihn aus dem Supermarkt und
schoss die hinterhältigen Verbrecher nieder. Achtundneunzig Leute waren
bei deren Beerdigungen, viele Tränen flossen. Krokodilsquote: 52%.
Amallerichsten war nach einem langen Fußmarsch müde und wollte mit der
U-Bahn heimfahren. Da kamen vier große Gestalten auf ihn zu und
forderten die Brieftasche, das Runterziehen der Hose und eine demütige
Geste. Amallerichsten nahm sein Menschenrecht nach Artikel 1 des
Grundgesetzes wahr und verweigerte ihnen dies. Da schlugen sie zu, er
fiel auf den Boden und erschoss sie im Liegen. Von den Kameras
überführt, saß er nun vor Gericht und konnte nicht beweisen, dass er
angegriffen wurde. "Hätten sie die Pistole nicht dabei gehabt, hätten
Sie denen gehorcht, hätten Sie sich totprügeln lassen, dann hätte ich
Ihnen geglaubt, dass es Notwehr war", urteilte der Richter. Während auf
den Beerdigungen der vier Erschossenen hunderteinundneunzig Leute zu 38%
Krokodilstränen vergossen, bedankte sich Amallerichsten höflich für das
Urteil, hob ein Maschinengewehr unter dem Tisch hervor und erschoss
alle im Gerichtssaal Anwesenden.
Und so ging die Geschichte von Amallerichsten weiter: er pflanzte Bäume,
arbeitete ehrenamtlich in sozialen Einrichtungen, engagierte sich
politisch für Rechte der Minderheiten, war nett und hilfsbereit, lieh
Nachbarn Geld - auch denen, von denen er wusste, dass sie es nie
zurückzahlen würden - , setzte sich geduldig für den Tierschutz ein -
ohne provokante Gleichsetzungen von Massentierhaltungen mit
Konzentrationslagern - , vertrat seine politischen und weltanschaulichen
Ansichten in toleranter und unaufdringlicher Weise und nahm seine
verfassungsgemäß verbrieften Rechte wahr. Als er starb, waren exakt neun
Leute auf seiner Beerdigung anwesend, und die Krokodilsquote ihrer
Tränen betrug lächerliche 11%.
2010-2011
Ich hörte, als ich noch zur Schule ging, eine
Geschichte, die während meiner Schulzeit an meiner Schule stattgefunden
hatte, und von der ich, während sie sich ereignete, nichts mitbekam, und
die ich, nachdem sie sich ereignete, nicht glauben konnte. Solche
menschlich-unmenschlichen Abgünde gibt es, dachte ich, höchstens in
skandinavischen Kinofilmen, und der tiefste Abgrund, in den ich zu jener
Zeit geschaut hatte, war, dass eine Mitschülerin öffentlich
herumposaunte, dass ich noch nie mit einer Frau geschlafen habe, und ich
war immerhin 18, das war also eine große Schande, - doch anstatt im
Boden zu versinken, fragte ich sie, was das sollte, und sie gab zu, es
von jemandem erfahren zu haben, der eigentlich darüber nicht hätte reden
dürfen, und es rumerzählt zu haben, um meinen Ruf zu schädigen, weil
ich ihr unnahbar und unangreifbar erschien. Sie meinte es gar nicht böse
mit mir, sie wollte einfach nicht länger ertragen, dass sie Luft für
mich war, und ich war nunmal seit langer Zeit in ein anderes Mädchen
heimlich und unerschütterlich verknallt. Sie wollte auch nichts von mir,
aber sie wollte, dass ich etwas von ihr wollte, oder mich jedenfalls
bedürftiger, abhängiger, manipulierbarer machen, denn diese Leute, denen
alles am Arsch vorbei geht, diese Leute mit sozialem Tunnelblick und
einem festen oder aber gar nicht vorhandenen Ziel, gehen in diesem Alter
nunmal so gut wie allen auf den Sack, denn man ist in diesem Alter
gewöhnlicherweise extrem unsicher.
Der freundliche und beneidenswert witzige Leon, der in einer
Parallelklasse war, hatte dasselbe nennen wir es ruhig Problem wie ich,
und dazu noch eine Behinderung, die nicht offenschtlich war, aber sie
war bekannt. Ich sah ihn oft mit dieser Hanna, eine Klasse unter mir,
ein wenig hübsch, ziemlich eingebildet, und mit Leon befreundet. Leon
hatte großes Mitgefühl mit allen und immer ein offenes Ohr. Hanna sagte
ihm, er würde sie als einziger Mensch auf der Welt verstehen, und er
fühlte sich ein großes Stück für sie verantwortlich. Er, die 18-jährige
Jungfrau, mochte wohl ihre kindliche und unvoreingenommene Art, sonst
mied er eher die Mädchen. Eines Tages bekam Hanna einen anonymen
Liebesbrief, und jemand flüsterte ihr zu, der Brief wäre von Leon. Man
sagte mir, dass Leon, als man ihn darauf ansprach, nur lachte, und
sofort Hanna aufsuchte, aber sie hatte plötzlich keine Zeit für ihn.
Leon ging davon aus, dass er Hanna nur die Wahrheit sagten musste,
nämlich dass er diesen Brief nicht geschrieben hatte, aber dazu bot sich
ihm in den folgenden Tagen keine Gegelenheit mehr. Schließlich ging er
auf Distanz zu Hanna, weil es auf einmal aussah, als würde er ihr
nachstellen; unverschuldet befand er sich nun in einer sehr
erniedrigenden Situation, aus der er keinen Ausweg wusste. Er schrieb
Hanna einen Brief, in dem stand, dass er den Liebesbrief nicht
geschrieben habe, aber von da an würdigte ihn Hanna keines Blickes mehr.
Und so waren sie nicht mehr Freunde, nein, das war jetzt undenkbar.
Schließlich fand Hanna, obwohl sie unbegreiflicherweise niemals wirklich
an der Wahrheit interessiert war, durch einen Zufall heraus, dass der
Brief ein dummer Streich eines Jungen aus ihrer Klasse war, - der Junge
hatte sich überhaupt nichts dabei gedacht, es war seinerseits nur ein
Scherz. Ein ziemlich harmloser Scherz, der sich gleich am ersten Tag in
einer heiteren Runde gemeinsamen Lachens hätte auflösen können, ja
eigentlich müssen.
Als ich von der Geschichte erfuhr, dachte ich wieder an diese
Mitschülerin, die mich nicht leiden konnte, und aus Frust etwas über
mich rumerzählt hatte, was sie gar nicht so meinte. Ich fand es trotzdem
hinterfotzig von ihr, bis ich eben Leons Geschichte hörte. Hanna hätte
nie etwas Gemeines zu Leon gesagt oder über Leon erzählt, sie war stets
nett, höflich, ein durchaus liebenswerter Mensch. Nein, sie hätte
niemals gesagt, dass sie Leon für minderwertig hielt, und Leon hätte es
auch niemals erfahren, hätte es diesen Streich mit dem Brief nicht
gegeben. Es gab da diesen einen Kerl aus dem Abschlussjahrgang, der auf
einer Party jemandem Drogen ins Bier getan hat, und sie anschließend
vergewaltigt, - ihm konnte nichts nachgewiesen werden, aber er wurde bis
zum Schulabschluss wie ein Aussätziger gemieden. Er hat jemanden
vergewaltigt. Und Leon hat diesen Brief nicht geschrieben. Neulich sah
ich Hanna weinen, sie saß allein da, und warf mit hilflosen Blicken um
sich. Auch Leon kam nie wieder gut gelaunt zur Schule.
3.2013
"Fuck!"
dachte Bob, der sich gerade noch vor dem Sergeant gebrüstet hatte, wie
ihm die neue Blondine vom Stützpunkt doch noch einen blies. Nun lag Bob
immer noch in diesem an einen Kabelsalat angeschlossenen Sarg, aber
niemand war mehr da, auch nicht der kleine dürre Arzt, den Bob einen
Loser nannte, weil dieser noch nie mit einer Frau geschlafen hatte.
"Hallo!?" rief Bob, doch niemand antwortete. Er kroch aus dem Sarg und
ging aus dem Versuchslabor hinaus, den Stützpunkt erkannte er nicht
wieder - hier war nun eine Stadt. Bob musste mal, wurde aber von einem
Wächter vor einer blitzblanken öffentlichen Toilette aufgehalten:
"Hierhin nicht!" "Wieso?" wunderte sich Bob, "das ist doch eine
Männertoilette, und ich bin ein richtiger Mann, wie du siehst, du
uniformiertes Schwein! Wie viele Weiber hast du denn schon flachgelegt?
Ich vermute mal, gar keins". "Richtig geraten", sagte der Wächter
emotionslos, und zeigte Bob die andere Tür, die zu einer
heruntergekommenen Toilette führte. "Was ist los, Mann?" wunderte sich
Bob. "Sie sind unkeusch, Sie dürfen keine saubere Toilette benutzen".
Bob ging durch die Stadt und dachte darüber nach, wie viele Jahre er
wohl in diesem Gefriersarg gelegen hatte. Passanten wechselten die
Straßenseite, in den Kantinen wurde er nicht bedient, in Restaurants und
Gaststätten nicht hereingelassen. Aus Geschäften und öffentlichen
Einrichtungen wurde Bob verwiesen. Er verschaffte sich per Fausthieb den
Zugang zu einer Bank, um Geld abzuheben, und während ein Polizist den
Niedergeschlagenen nach dem Flüchtigen befragte, konnte Bob das ganze
Geld von seinem Konto abheben und aus dem Gebäude flüchten. Nun wurde es
aber bitter für Bob: er bot dem Taxifahrer eine große Summe an, doch
dieser lachte nur, und nahm das Geld nicht. "Das ist Spielgeld",
erklärte er. "Was laberst du da, du Schwuchtel?" wunderte sich Bob. "Mit
diesem Geld bezahlen nur die Ficker", erklärte der Taxifahrer höflich
und öffnete dem Bob verfolgenden Polizisten die Tür.
Der Cop schmiss Bob auf den Rücksitz mit den Worten: "Unfassbar, dass es
euch Abschaum noch gibt! Mein ganzes Leben muss ich mich mit euch
Ungeziefer rumschalgen! Man sollte eine hohe Mauer um euch rum machen!"
Bob verstand die Welt nicht mehr - ein gepflegter 35-jähriger Offizier
wurde wie Dreck behandelt. Er fragte zur Sicherheit nach: "Träume ich
vielleicht? Oder bin ich tot?" "Wie gern würde ich euch Hurensöhne alle
tot sehen!" seufzte der Polizist. Er stoppte den Wagen außerhalb der
Stadt und zeigte Bob eine Mauer, die sich bis zum Horizont erstreckte:
"Nach dem nächsten Referendum werdet ihr alle hinter dieser Mauer leben.
Diesmal werden zwei Drittel für eine totale Segregation stimmen, da bin
ich mir so was von sicher". "Warum hassen Sie uns so?" senkte Bob seine
Birne. "Euch Ficker?" "Ja... wieso Ficker? Haben Sie denn keinen Sex?"
"Niemand hat Sex, wir sind doch keine Tiere! Und einer wie du hat meine
Schwester vergewaltigt, darum hasse ich euch alle, ihr seid doch alle
gleich!"
Im Gefängnis verirrte sich Bob zunächst, als er zu einem Waschbecken mit
der Aufschrift "keusch" wanderte, wofür er von einem Schließer eine
Kopfnuss bekam. Bob ging zum dreckigen Waschbecken mit dem kaum lesbaren
Schild "unkeusch" und wusch sich mit Abwasser das Gesicht. Als
Handtücher benutzten die unkeuschen Insassen die fünf Tage getragenen
Unterhosen der keuschen Gefangenen. "Na, war es nicht mal andersrum?"
fragte ein stämmiger Bursche Bob nach vergangenen Zeiten. "Du weißt,
dass ich..." "Dass du einer der aufgetauten Hurensöhne bist? Ja, und du
bist nicht der Einzige". "Warum werden wir nicht gleich getötet?"
schluchzte Bob, worauf ein freundlicher Schließer erwiderte: "Leute wie
du werden im Zoo gehalten. Scheiß Dekadenz, sage ich dir, aber die
Kunden zahlen viel Kohle dafür, um zu sehen, wie ihr Drecksschweine
fickt, so wie die Hunde oder Karnickel". "Gibt es auch aufgetaute
Frauen?" "Die dienen anderen Zwecken. Aber ihr Schweinlein werdet doch
nach zwei Wochen ohne Fick so geil, dass ihr auch Kerle vögelt! Wenn
deine Strafe vorbei ist, wer würdest du gerne sein, der Schwanz oder der
Arsch?" Alle lachten, Bob weinte. Er legte sich auf die Bodenmatratze
in seiner Zelle und schlief ein in der Hoffnung, es sei alles nur ein
böser Traum, aber ein heftiger Fusstritt in den Bauch weckte ihn um fünf
Uhr morgens auf: "Amnestie, Hurensohn! Glückwunsch zum Abendarsch im
Hauptstadtzoo, dein Hintern ist ja richtig knackig!"
2.2012
Montag, 3.8.2009. Heute werde ich die Welt verändern!
Donnerstag, 6.8.2009. Gerade an diesem Tag sage ich und wiederhole:
diese Welt ist eine gute Welt! Ja, es gab Hiroshima, aber es gab auch
Anne Frank, und ich bin stolz, in die 11. Klasse einer Anne-Frank-Schule
zu gehen!
Freitag, 7.8.2009. Hihi.
Montag, 10.8.2009. Es ist weiß Gott nicht mein Niveau, aber nochmals HIHI!
Dienstag, 11.8.2009. Mag sein, dass ich gestern zu euphorisch war.
Mittwoch, 12.8.2009. Liebe! Hoffnung! Ich bin dennoch zuversichtlich.
Jeder mensch ist fünf Mal am Tag ein peinlicher Idiot, - diese Grenze
nicht zu überschreiten, ist Coolness.
Freitag, 14.8.2009. Natürlich hoff ich!
Freitag, 21.8.2009. Hoffentlich hat sie nicht die Schule gewechselt.
Montag, 24.8.2009. Es ist kindisch, pessimistisch zu sein. Diese Welt
ist die beste aller Möglichen, sonst gäbe es sie doch gar nicht. Diese
Eins in Religion, ach, das ist eine Kleinigkeit des Lebens. Ich bin
froh, auf der Welt zu leben! Diese eins, ich widme sie ihr, ohne sie
hätte gar nicht den Mund aufgemacht. Das war ihre Inspiration. Nur weil
sie so geguckt hat, habe ich das Richtige gesagt.
Sonntag, 30.8.2009. Es müsste langsam. Nicht, dass ich ungeduldig wäre.
Montag, 31.8.2009. Es ist exakt 24 Tage her. Nun erwarte ich den nächsten Level.
Dienstag, 1.9.2009. Leibniz ist brilliant!
Donnerstag, 3.9.2009. Ich weiß, dass alle in meinem Alter Sex wollen,
und das sofort, aber mit IHR- nicht! Ich will mit IHR bis Weihnachnten
nur unschuldig kuscheln. Könnte Anne Frank uns bloß sehen!
Freitag, 4.9.2009. Jedes gesagte Wort verändert die Welt. Und IHRE Worte
klingen so rein, wie mein Herz sie liebt. Ich werde bis Montag nicht
mehr schlafen, ich will nicht, dass der Klang ihrer Worte in mir
vergessen wird.
Montag, 7.9.2009. Wahrscheinlich wird das eine Fünf. Aber die Welt ist
nicht Mathematik! Und ich war gehandicapt. Was für eine widerliche
insektliche Kleinigkeit, diese Fünf! SIE war heute nicht da, das ist
wirklich katastrophal!
Freitag, 11.9.2009. Was für respektlose Schweine! Behaupten allen
Ernstes, die Amis hätten es selbst getan! Haben die keinen Respekt vor
den Opfern und deren Angehörigen? Und sowas nennt sich Referat! Und was
ist das für ein Lehrer, der "zumindest eine logische Stringenz" darin
erkennt? Verschwörungstheorie, nur dumme, dämliche Verschwörungstheorie!
Sonntag, 13.9.2009. Hm, das war wahrscheinlich Einbildung. Der Kuss an
der Ampel ist aber auch ein bekannter Archetyp. Das war doch nicht SIE!
wie lächerlich, dies überhaupt anzunehmen!
Dienstag, 15.9.2009. Gier ist die Ursache der Finanzkrise! Alles sofort!
Schnelle Rendite! Keine Geduld! Ich warte gern, denn meine Gefühle sind
echt. Ich will nicht bloß Spaß, ich liebe unendlich sehr, und
spätestens Ende Oktober werden wir Hand in Hand durch den Park
spazieren.
Freitag, 18.9.2009. Streit. Wer ist schuld? Natürlich Jan. Immer Jan.
Samstag, 19.9.2009. Das ist aber schon komisch, das zuerst ich
bezichtigt werde, und erst dann objektiv geguckt wird, wer angefangen
hat.
Sonntag, 20.9.2009. Streit gehört zum Leben wie Warten zum Lieben.
Montag, 21.9.2009. Ich brauche etwas Zeit für mich.
Freitag, 16.10.2009. Las Schopenhauer. Wie konnte ich so naiv sein, und
diesem dämlichen Leibniz zustimmen? Natürlich ist diese Welt die
SCHLECHTESTE aller Möglichen, denn wäre sie noch schlechter, wäre sie
nicht mehr da. DAS ist Logik! Und Leibniz - das ist Philosophie!
Demagogie!
Montag, 19.10.2009. Auf dieser Welt kann uns nur noch die Liebe retten.
Und wer aus so reinem Herzen so ehrlich liebt wie ich, üssiert in jeder
Welt re!
Dienstag, 20.10.2009. Ich kann - was soll ich sagen - nur noch stolz auf mich sein.
Mittwoch, 21.10.2009. Wahrscheinlich Burnout, sonst hätte ich heute an der Ampel nicht halluziniert.
Donnerstag, 22.10.2009. Ihr heult! Ich dagegen weine! Man kann nur stolz
sein auf Tränen, die unschuldige Wangen entlang kullern. Liebe ist
heilig! Ich bin heilig!
Sonntag, 25.10.2009. Wenn es Gott gibt, wird sie mich morgen ansprechen.
Montag, 26.10.2009. Was für ein Idiot bin ich doch! Gott eine Pistole
vor die Brust setzen! Ich darf doch Gott keine Fristen vorschreiben.
Aber das wäre schon ein Gottesbeweis, wenn...
Mittwoch, 28.10.2009. Gott weiß, was er tut. Etwas zu einem bestimmten
Termin von Gott zu erwarten, ist lächerlich, aber NICHTS wäre doch ein
Beweis seiner Nichtexistenz!
Samstag, 31.10.2009. Nicht umsonst hat Luther reformiert. Vielleicht hat
er aber nicht weit genug gedacht. Eine interessante Doku gesehen, die
auch mal die andere Seite beleuchtet! Wie war denn Hitlers Kindheit so?
Das steht komischerweise in keinem Geschichtsbuch. Man leugnet die
Wahrheit, tut so, als sei nichts gewesen, und gibt ihm für alles die
Schuld!
Montag, 2.11.2009. Warum verdrängt sie so, dass sie mich liebt? Wird sie
von ihrem Vater sexuell missbraucht? Ist das der Grund? Ich warte noch
eine Woche, vielleicht zwei, dann schicke ich ihrer Mutter einen Brief!
Dienstag, 3.11.2009. Jaja, der böse Jan. Was hab ich denn gesagt? Dass
Anne Frank nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war - ist das etwa nicht
wahr? Ich habe sie sehr bewundert, aber es gibt Grenzen.
Mittwoch, 4.11.2009. Wie kann man überhaupt nach einem KIND, das gar nichts geleistet hat, eine Schule benennen!!?
Freitag, 6.11.2009. Nicht, dass ich glauben würde, die Mondlandung sei
gefälscht, aber das hat was. Wenn man tiefer nachdenkt, und nicht nur
oberflächlich bleibt, wie alle Menschen und gewisse Mädchen, kann man
sogar deutlich sehen, dass eine Fälschung wahrscheinlicher ist - zum
Beispiel SIE, sie verhält sich mir gegenüber IMMER falsch.
Verallgemeinern wir das: sollte die Mondlandung echt gewesen sein, dann
wäre es eine AUSNAHME! Und ausgerechnet in diesem heiklen Fall soll eine
Ausnahme die Wahrheit sein? Tut mir leid, Freunde, aber die Welt ist
Mathematik! Solange es keine Beweise gibt, halte ich mich an das
Wahrscheinlichere.
Montag, 9.11.2009. Ein Schicksalstag, auch für mich. Wird das meine persönliche Pogromnacht?
Dienstag, 10.11.2009. Was kommt als Nächstes? Elterngespräch: die
Parallelen sind erstaunlich! Als wäre das so eine Art Wannseekonferenz.
Jan ist böse! Jan ist der Quell allen Übels in der Schule, in der
Familie, warum nicht gleich auf der ganzen Welt!? Jan muss vernichtet
werden!
Mittwoch, 11.11.2009. Zum Kotzen!
Donnerstag, 12.11.2009. Es gibt einen Schwanz, der sehr bald sehr tief gelutscht wird, das verspreche ich euch!
Sonntag, 15.11.2009. Habe meine Tränen Gott anvertraut. Es war wirklich
meine Schuld, ich war Egoist. Ich habe meine Fehler eingesehen und
bereut. Ich danke Gott, dass er mir vergibt und mich nicht im Stich
lässt!
Mittwoch, 18.11.2009. Ich dachte, Gott würde mich nicht im Stich lassen. Als hätte ich am Sonntag zu der Wand gesprochen!
Freitag, 20.11.2009. Klappt die Tafel auf, kritisiert mein Gedicht. Es
war an SIE, du Depp! Steck dir deine Literaturkritik in deinen faulen
Lehrerarsch! Die ganze Romantik versaut! Eichmann!
Samstag, 21.11.2009. Ich werde der Linken auf ewig meine Stimme geben.
Das ist keine Politik mehr, das ist WAHRHEIT. Lafontaine ist ein
Heiliger. MIT SEKUNDÄRTUGENDEN KANN MAN AUCH EIN KONZENTRATIONSLAGER
LEITEN!!! Ich glaube, ich bin in einem.
Montag, 23.11.2009. Die freuen sich schon auf Weihnachten. Ich hoffe, es gibt bis dahin noch einen Atomkrieg.
Donnerstag, 26.11.2009. Hoffentlich greifen die bald den Iran an. Hoffentlich fliegt gleich hier alles bald um die Ohren!
Freitag, 27.11.2009. Objektiv Einsplus. Subjektiv Vierminus. Hure! Nicht
mal das arithmetische Mittel zwischen der objektiven Wertung meiner
Arbeit und ihrer subjektiven nuttigen Meinung! Nein, das
Allerschlechtestmöglichste! Jan muss ja bestraft werden!
Samstag, 28.11.2009. Celan ist ein Hochstapler. ICH bin der
UNGLÜCKLICHSTE Mensch der
Welt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Montag, 30.11.2009. Ich bringe mich um, wenn Weihnachten NICHTS passiert!
Mittwoch, 2.12.2009. Gott und die Welt haben noch Zeit bis Heiligabend. Dann kann ich nichts mehr versprechen.
Donnerstag, 3.12.2009. Anne Frank ist eine Phantasiefigur so wie Shakespeare oder Gott.
Montag, 7.12.2009. Die Welt ist einfach nur eine Wüste, nein, eine Wüste
stinkt ja nicht, die Welt ist einfach nur eine Kugel SCHEIßE!
Dienstag, 8.12.2009. Ich verachte alle Menschen gleich tief. Wie konnte
dieser Hurensohn meinen, ich würde die RAF verteidigen? Genauso
Schwanzlutscher, wie alle.
Mittwoch, 9.12.2009. Ich würde das nicht Schwänzen nennen. Jeder hat das angeborene Recht, Übel von sich fernzuhalten.
Donnerstag, 10.12.2009. Eine Entschuldigung soll ich schreiben? Und wer
entschuldigt sich bei mir? Ihm ist egal, dass auf dieser schönen Welt
Kinder gefickt werden, aber dass der böse Jan gestern die Schule
geschwänzt hat, ist schlimmer als der Holocaust! Ich wundere mich nur
noch, warum mich Gott nicht gleich in der Hölle "erschaffen" hat.
Sonntag, 13.12.2009. Morgen die letzte Chance!
Montag, 14.12.2009. Morgen die LETZTE Chance!
Dienstag, 15.12.2009. Von den Menschen erwarte ich nichts mehr. Aber ich
FREUE mich auf Weihnachten! Gott ist HEILIG und nicht korrupt und
verlogen!
Mittwoch, 16.12.2009. Ich weiß nicht, was ich von dieser Eins halten
soll. Zynismus pur. So, als hätte ein Aufseher im KZ einen
ausgehungerten Schriftsteller in seinem Drecksloch aufgesucht und
gesagt, ihm hätte sein (längst verbranntes) Buch gefallen!
Donnerstag, 17.12.2009. Ich werde keine Biographie schreiben. Mein Leben ist in menschlier Sprache nicht zu erfassen.
Dienstag, 22.12.2009. Das an der Ampel - das war sie, jedesmal. Mein
Herz ist mehr als nur gebrochen. Wer leugnet, was ich gerade erleide,
sollte mit dem Tode bestraft werden.
Donnerstag, 24.12.2009. 21:53. Noch zwei Stunden. 22:58: Nur noch eine.
23:50. Zehn Minuten. 23:51. Neun. 23:52. Acht. 23:59: eine Minute noch.
Bin gespannt, was jetzt passiert. 0:01. Vielleicht geht meine Uhr vor.
0:10. NICHTS!!!??? Vielen Dank auch. Um Zwei springe ich vom Balkon.
2:10. Ich wusste ja, dass ich euch allen egal bin, aber dass ich euch SO
egal bin, selbst dem ach so lieben Gott!!! 2:30. Ich danke meinen
Eltern für alles und gehe erhobenen Hauptes in den Tod.
2011
1
Man kann es monologisch nicht äussern.
- Hallo?
- Hallo. Kommst ungelegen. Löcher.
- Du weisst, das das verboten ist.
- Darum solltest du es nicht sehen.
- Mach es wieder weg.
- Nein. Ich mache die Restlichen zu.
- Du weisst, dass das verboten ist.
Wir fuhren nach Irgendwasfelde, eine Kleinstadt, im Rathaus feierlich ein Terrarium, herum gut gekleidete Leute.
- Einen Scotch?
- Gern.
- Coldman? Junge, lange nicht gesehen, komm in die Hall, da sind...
- Wenn du wüsstest wie weg ich muss.
- Was starrst du die Wände an?
- Du weisst, dass das keine Wände sind.
- Wenn schon. Komm.
Möge mein Name mein Schicksal werden. Ich stand neben mir, wie immer,
grüsste die wichtigen Leute nicht, die an mir vorbei. Mein Reisepartner,
Steinman, war nervös, er sah es auf uns zu kriechen, es war
chitingepanzert und hatte einen Rüssel. Ich liess es an uns
vorbeikriechen, er verpasste dem Ding unbeholfene Schläge, bis es stehen
blieb und seinen Rüssel einzog. Ruhig, sagte ich, es genügt nur einer,
es kommt darauf an, wohin. Es war hellbraun, zwei Meter in der Länge,
einen Kopf breit, eine Art Hundertfüssler. Ich machte es kaputt. Der
Vorhang hebte sich, ein Ganzwandterrarium, dort verästelte Kunstbäume,
auf denen sein Nachwuchs, weiss, seidig, acht bis zehn Zentimeter lang,
in tausendfacher Ausführung, als ob das Trennglas gar nicht da wäre. Ich
warnte Steinman, so dass er sein Gesicht abwenden konnte, ich sah halb
hin, mir war halb schlecht, aber ich war noch bei mir, und in meiner
Wohnung, dieser gebigbrotherten Zelle, waren, soweit ich mich erinnern
konnte, alle Tuben - so hiessen hunderte Löcher in der Wand, durch die
Wand, ins Nirgendwo, ins Irgendwo, wo ich nicht sein wollte - waren
vorschriftsungemäss verstopft.
- Steinman, musst du brechen?
- Es geht.
- Wir müssen bei Lichte bleiben.
- Es gibt nicht viele Plätze an diesem Ort, wo Licht.
- Werbung, guck.
Ich sah sie alle so freundlich, überall Gesichter, solch herzliches,
gewinnendes Lächeln, man konnte sich dem nicht entziehen, es gab keine
schlecht gelaunten Menschen, es gab gar nichts, was diese
Kirmesatmosphäre trüben konnte, vielleicht nur mich und Steinman. Den
Leuten versuchten wir, soweit es bei Lichte ging, aus dem Weg zu gehen,
ihre Freundlichkeit war so ansteckend, ihre Augen so verschlingend,
kommt, seid unsere Freunde. Steinman fand eine Absteige am Rande der
Stadt, da war niemand, ausser Pennern vielleicht, Penner, Alkoholiker,
extreme Alkoholiker, wenn nicht, dann mussten wir sofort wieder weg.
Aber unser Glück: regelrechte Alkoholjunkies. Wir setzten uns in ihre
Mitte, gaben ihnen Geld, so dass sie um uns blieben, und schliefen gute
fünf Stunden.
2
Der Traum war warm wie die Luft, der Wärme konnte man nicht entkommen,
sie war in allen Löchern, in allen Gliedern, in Gesichtern und in der
Luft.
- Fertig?
- Fahren wir.
- Wer ist unser Freund?
- Xilincia.
- Ihr Vorname?
- Ja.
- Ich will keine Vornamen wissen. Sind ihre Hände kalt?
- Weiss nicht.
Sie neigte sich zu mir, von Hinten auf den Beifahrersitz. Nein, nicht
die Handschuhe ausziehen, einfach sagen, ob ihre Hände den Umständen
entsprechen kalt sind. Sie bejahte dies. Gut. Wann mich zum letzten Mal
eine Wurst von Mitmensch anfasste, wann war das, das war lange her, das
war als damals dieses Mädchen am Strand, vielleicht Ende 15, sich zu mir
setzte, und ich mich wunderte, warum sie mich so freundlich angrinste,
da gab ich ihr die Hand, und es war wie fester Brei, nicht fest, nicht
flüssig, sah dabei normal aus, keine anatomischen Auffälligkeiten, beim
Allsehenden war das Mädchen schön, beim Allahnenden musste ich die ganze
Nacht brechen. Genug davon, das war nun Vergangenheit.
Wir fuhren - eigentlich, soweit uns die verbotenen Götter beistehen
konnten, die kalten, die unfreundlichen, Götter eben - nach Inii,
nördlicher war nur der Pol. Der Morgen war staubtrocken, das gefiel mir
gut, aber die Hitze, schon um acht Uhr morgens war die Luft heisser als
die Leber, gut das wir Klimaanlage hatten, gut, dass Xilincia nie
Schockbäder nahm, und es wert war, mit uns zu reisen. Sie war ganz
verhüllt, ein beiges Kopftuch, eine Taucherbrille. Handschuhe, - so
erkannten wir uns. So lernte ich Steinman kennen. Wir waren die
einzigen, die auf der Party in Hann- oder Gameover, oder wo das war,
nicht einmal die Handschuhe auszogen. Steinman entrann dem Tode nur
knapp, als ich ihn in der Badewanne unterkühlt fand, im Eisbad, in der
Szene Schockbad genannt - eine Firewall für Körper und Geist, so
sprachen die Iceball-Earth-Jünger, die uns die Vorsichtsmassnahmen
lehrten. Die verstopften Tuben, und die Luft muss zirkulieren, wird der
Automat an der Wand spätestens in 16 Stunden melden, wie weit sind wir
schon weg, wo werden sie uns suchen? Achtung, Smile Police, direkt auf
uns zu, konnte ich noch, bevor.
Nein, verliere niemals das Bewusstsein. Wir wachten nicht irgendwo im
Nirgendwo auf, wir fuhren weiter. Steinman, der beste Autofahrer meines
Wissens überhaupt, nahm eine Abkürzung. Er wechselte die Spur so
schnell, und dabei so elegant, dass unser Wagen sie glauben liess, dass
wir ebendiese Ausfahrt nehmen wollten. Weiter, weiter nach Osten.
- Steinman, kannst du noch fahren?
- Fahr du.
3
Bald sind wir in Djed. Wie ein Mantra. Bald, bald sind wir in Djed.
- Das war Perm!
- Was?
- Das war Perm... das war mal Perm.
- Wo sind die Flüchtlingslager?
- Hundert Kilometer nördlich, aber da ist alles verstopft.
- Weiter nach Osten?
- Ja.
- Schläft Xilincia?
- Ja.
Perm, Permafrost, dieser Dung war nur die Kornkammer der Welt. Irgendwo
nördlich davon, wo eine halbwegs gemässigte Klimazone begann, warteten -
ich lüge nicht - vier bis acht Milliarden Flüchtlinge auf die Einreise
in das einzige Land, in dem es noch Schnee gab. Im Winter. Kraftlos,
hungernd schliefen wir ein. Es war an einer rund um die Uhr beleuchteten
Landebahn für Hubschrauber, wir wussten nicht, wie hoch frequentiert.
Der Punkt war erreicht, an dem alles, auch der Tod, endlich egal war,
weil der Körper nur noch schlafen wollte; auch der Hunger bliebt nur
abstrakter Gedanke, der Magen spürte nichts.
- Wach?
- Ja, Steinman. Ich bin wach.
- Noch vier Tausend.
- Das ist gut.
- Das sind fünfzig Stunden, wenns gut geht.
- Xilincia schläft.
- Ja.
- Bis du sicher...
- Nein, sie ist nicht tot.
Ich setzte mich zu ihr, als sie aufwachte. Unsere Jacken berührten
einander, ich legte meinen Regenmantel um sie. Falls wir Djed nicht
erreichen, und ich weiss dass du und Steinman sauber seid, gehe ich los
und hole irgendeine Maschine, ein Flugzeug, ein Hubschrauber, irgendwas,
und ihr müsst euch mit dem Tod abfinden, es ist gar nicht so schwer,
aber falls ihr überlebt - dazu besteht immerhin eine dreiprozentige
Chance, bleibt nicht dort, ihr müsst sofort nach Inii. Keinen Tag
verlieren. Ich werde verseucht sein, das steht fest. Schüttelfrost, bis
ich den vierzigsten Breitengrad erreiche. Muskelkrämpfe, permanente
Übelkeit, Hautausschlag, Blut aus allen Löchern - vielleicht ist es gar
nicht so schlecht, ich gehe einfach zu Fuss nach Norden, bis ich vor
Schmerzen zusammensinke und quallvoll sterbe.
4
- Du hustest Blut? Seit wann?
- Seit zwei Stunden. Aber ich habe noch Alkohol.
- Gut. Aber du musst in den Kofferraum.
- Vielleicht ist es was Anderes.
- Was denn!?
- Sieh mich nicht so an, Steinman. Es kann doch was Anderes sein, oder?
- Coldman, entweder steig aus oder geh in den Kofferraum.
Der Kofferraum, ein Uterus. Ich fühlte mich wie seit vor der Geburt
nicht. Vielleicht lag es nicht an der gemütlichen Enge des Raums,
sondern an der enormen Menge Alkohol, die ich durch den Strohhalm in
meinen Körper beförderte. Die Strasse war immer noch eben, also trennten
uns noch Stunden von Djed. Wie wir da rein gelangen wollten, frag mich
was Leichteres. Vier bis acht Milliarden Flüchtlinge. Die Grenzübergänge
werden so vollgestopft sein wie meine Tuben. Ich fürchte, wir schaffen
es nicht, dachte ich, aber fühlte nicht, durch den Alkohol war es mir
angenehm egal.
- Steig aus.
- Warum? Wo sind wir?
- Steig aus. Smile Police.
- Versteck Xilincia. Ich töte sie und hole Benzin. Ihr wendet bei New
Awdaghost, da ist ein Flughafen. Der Mann, von dem ich dir erzählte,
sein Name ist Bernstein. Er will seine Tochter sehen. Lebend. Und zwar
so lebend, wie wir beide es meinen, wenn wir von lebend sprechen.
- Wird er uns glauben, dass Coldman uns geschickt hat?
- In seiner Verzweiflung ja. Aber bleibt nicht in Djed. Fahrt weiter nach Norden.
Ich ging auf die Buddies zu, sie lächelten mich an, so gewinnend, so
entwaffnend, doch ich zog eine Waffe und leerte das Magazin. Ich liess
Steinman den Wagen herfahren, er tankte das restliche Benzin aus dem
Fahrzeug der Smile Police und fuhr mit Xilincia weg. Ich ging in die
Überwachungskabine, konnte das Gleichgewicht kaum halten, fiel
schliesslich hin. Eine Ratte lief auf mich zu, und ich empfand ein
Wohlwollen, eine Zärtlichkeit, welche ich seit Langem für ein Wesen
nicht mehr empfand. Bloss kein Hautkontakt, sonst ist die Ratte hin.
Aber wenn sie hier bleibt, lebt sie auch nicht mehr lang. Nicht so, wie
Steinman und ich leben verstehen.
Ein Strand. Ich lief hin, mein Alkoholbehälter war leer. Jetzt helfen
nur Erinnerungen. Ich dachte an das Mädchen. Die Hülle, perfekt fürs
Auge, versteckte einen widerlichen Kern, mehr noch eine
Entkernungsvorrichtung, in wenigen Monaten wird der Infizierte ohne
Wirbelsäule sein, so jedenfalls Professor Doktor Bernstein.
5
Jetzt beginnen die Schmerzen. Gott schütze dich, Steinman. Und Gott
schütze Xilincia. Ich bin zwar verrückt, wenn ich daran denke, aber ich
denke tatsächlich daran, irgendwann vielleicht ihr Gesicht zu sehen. Das
Mädchen mit dem Minirock, mit dem sie dann auch direkt ins Wasser ging.
Es war ein Strand wie dieser. Werde ich mich auch so anfühlen wie sie?
Werde ich bald auch nur noch lächeln. Hilf mir, Alkohol, aber du bist
nicht da, ich habe dich getrunken.
"Sascha, hast du den Regenwurm? Wird ihn jetzt ins Glas. Was passiert,
Kinder? Richtig, im Alkohol stirbt er. Alkohol ist ein tödliches Gift,
für alle Lebewesen". Als ich noch zur Schule ging, repräsentierte der
Regenwurm unsere menschliche Existenz, wir alle Lebewesen waren in
unserer Biosphäre vereint. Und Sascha lebte in Perm. Er starb später an
einer Alkoholvergiftung.
Ein Meer war hier früher nicht, hier war Tundra, hier war Permafrost.
Ihr kalten Götter, ich verende hier, dabei hatte ich noch so viel
Nördliches vor. Ich werde den Schnee von der Strasse lecken, falls ich
in Inii ankomme. Ein Bus. Aber ich kann nicht aufstehen. Und da, im
Wasser, es schwimmt auf den Strand, direkt auf mich zu - ein Trilobit.
Aus dem Bus steigen Terroristen, Touristen aus, ich rufe ihnen etwas zu,
sie hören mich nicht, der Strand ist schier endlos, sie gehen ins
Wasser. Die Erstgenannten nicht, sie eröffnen einfach das Feuer. Der
Trilobit kehrt um, schwimmt auf die blutigen Gliedmassen zu, bald sind
viele da. Zehn Tausend, eine vorsichtige Schätzung. Ich kann immer noch
nicht aufstehen. Es ist etwas mit meinem Körper los, und die
Alkoholvergiftung ist tertiär, wenn nicht quartär. Sekundär ist der
Hunger. Ich verhungere...
Gierig bissen meine Zähne ins rohe Fleisch der Zerfetzten, Erschossenen,
die Trilobiten um mich herum, zwanzig Zentimeter bis so gross wie ein
Wagen der A-Klasse, liessen mich in Ruhe. Ich war kein Fremdkörper für
sie. Diese Trilobiten, wie aus dem Lehrbuch, genau so, exact so sahen
sie aus. Ich hatte vorher nie rohes Fleisch gegessen. Aber nun, nun
werden andere Zeiten kommen. Ich werde Schlimmeres tun. Das ist mir
bewusst.
6
Von hier bis zur früheren Mongolei, das ist die Thedée. Ein Bundesstaat
mit nur elf Milliarden Einwohnern, der flächengrösste Bundesstaat der
Globalen Föderation. Noch ein Bus. Ich steige ein, man stellt mir keine
Fragen. Es sind die Jünger des Tempels des Ewigen Winters, eine grausame
Sekte. Es waren ihre Freunde, die den ersten Bus entführt und die
Touristen erschossen haben. Warum tun sie mir nichts? Warum fragen sie
mich nichts? Ich lehne mich zurück, bald schlafe ich ein. Die wichtigste
Regel gebrochen - in der Gegenwart von Mitmenschen das Bewusstsein
verloren.
Ich fragte mich, warum es so dunkel war, und warum ich nicht angekettet
war, bis ich verstand, dass dieser Raum hermetisch abgeriegelt. Ein
nachter Mann brachte mir Essen. Ein grosser Teller unter einer
Keramikkuppel. Was werde ich dort vorfinden? Das, worauf ich Heisshunger
habe? Werde ich das Gegessene sofort wieder auskotzen oder Augen
schliessen und schmecken? Du bist so elitär, sagte mir Damman vor zwei
Wochen, so elitär. Du willst nur aus dem Grund nicht, dass eine Trillion
Menschen auf der Erde leben, weil du dich vor dem Essen ekelst. Vor dem
einzig möglichen, einzig vernünftigen Essen, das auf einem kleinen
Planeten für eine grosse Anzahl von Menschen in kurzer Zeit produzierbar
ist. Ich hob die Keramikkuppel. Nein, da waren bloss Kekse. Sie
schmeckten mir nun wie Holz, ich musste sie runterwürden. Dann kam ein
bekleideter Mann zu mir. Er führte mich in einen anderen Raum und setzte
mich auf einen Stuhl. Ein Team fesselte mich und brachte mir Elektroden
an.
- Wo sind sie?
- Wer?
Elektroschock. Füsse. Schmerz.
- Wo ist Steinman? Wo ist Bing?
- Ich weiss es nicht.
Elektroschock. Bauch. Nochmal Schmerz.
- Ich schneide dir die Arme ab. Willst du ein Fisch sein, hähä!
- Vall, ich will kein Blut sehen.
Elektroschock. Hoden. Hoden. Hoden.
- Erschiessen wir ihn, er wird uns nichts sagen.
- Wirf ihn auf die Strasse, aber zuerst Hirnmassage.
- Wartet. Sie sind in Inii.
- Inii? Du lügst. Niemand schafft es bis nach Inii.
Elektroschock. Hirnmassage.
7
Die Gxorée, in deren Hauptstadt Ghittox 2,5 Milliarden Menschen leben,
eine mittlere Grosstadt, dort wurde ich hingebracht. Die Kleinstadt, ich
weiss nicht wie sie hiess, zehn Kilometer von Ghittox entfernt, dort
bekam ich eine verriegelte Zelle, vier Quadratmeter, zwei Meter hoch.
Dort sollte ich bis zu meinem Lebensende bleiben. Doch die nordischen
Götter erhörten meine sterbenden Hoffungen, und am siebten Tag befreiten
mich die Jünger des Tempels des Ewigen Winters, die mich zuvor gegen
einen Terroristen ausgetauscht hatten. Sie flogen mich nach Xhigget, die
grösste Stadt der Welt mit 600 Milliarden Einwohnern. Früher war dort
so etwas wie Tibet.
- Ich bin Bing. Du hast mich vor exakt vier Monaten nicht verraten. Deine Freiheit ist mein Dank.
- Warum bist du nicht in Djed?
- Ich bin Bing. Vielleicht darum. Und du, kalter Mann, hast du nicht dein Leben für zwei andere Menschen geopfert?
- Freunde.
- Steinman war dein Freund. Du hattest ausser ihm keine Freunde.
- Weisst du wo sie sind?
- Genausowenig wie du, und das ist verdammt gut für uns wie für sie.
- Wo gehen wir hin?
- 760-ster Stock, der Dritte Kambrische Turm. Dort ist ein Café, in dem
es Essen gibt für Parasiten wie dich. Corn flakes, all das
Kaninchenfutter, das du so gern frisst... Wir sind da.
- Bing, hast du ein Implantat?
- Ich habe neun Implantate, eine Titanlegierung. Ich habe keine
natürlichen Knochen mehr. Leg deine Hand auf den Tisch. Hat es Weh
getan?
- Ja.
- Du bist gesund. In den ersten Wochen müsstest du gar nichts spüren.
- So wie die Zombies?
- Genau.
Ich rätselte lange, was es mit diesen Sonderlingen auf sich hatte, die
scheinbar keinen Schmerz spürten und die verrücktesten Sachen
anstellten; sie brachen sich Arme und Beine, lagen auf dem Beton und
lachten herzlich. Sie waren in der Transformationsphase. Nach fünf bis
acht Wochen spürten sie wieder Schmerz. Und lächelten gewinnend.
8
Das Kaninchenfutter hatte mir durchaus geschmeckt. Die Folter hat mir
wohl gut getan. Die Elektronenschwärme, die durch mein Nervensystem
gepeitscht wurden, sie haben eine Hirndrüse kaputt gemacht. Besser gehts
nicht. Ich bin ein Mensch, - ich bin das, was Steinman und ich meinen,
wenn wir Mensch sagen.
- Taxi!
- Steig ein, Bruder.
- Bruder?
- Bist du kein Kreuzritter des Nordpols?
- Tut mir leid..?
- Schon gut. Du bist grimmig, darum dachte ich, du wärst einer von uns.
- Fahr mich aus dieser Hölle, egal wohin.
Er fuhr mich nach Xhursin, mit etwas weinger denn 10 Milliarden eine
angenehm kleine Stadt. Er hatte ein Steinhaus am Meer. In einem weit
verzweigten Bunkersystem pflanzte er Kartoffeln an; er hielt sich
Hühner, Enten, Gänse. Alles geheim, alles unter dem Schutz der Sekte. Im
Haus begrüssten uns nur zweihundert Leute, vielleicht sogar weniger.
Ein langhaariger natürlich lächelnder Mann meines Alters, also knapp
unter dem Alter des Gekreuzigten, geisselte den Hausbesitzer. "Fleisch,
fleisch, willst du Menschen.. würdest.. würdest du Menschenfleisch
essen?" erging er sich in seiner Wut. "Das einzig effektive
Nahrungsmittel, du musst es doch einsehen. Pflanzen sind nicht effektiv.
Algen sind nicht effektiv. Aber diese Dinger fressen unsere Leichen,
entwickeln sich innerhalb von zehn Stunden von einem mikroskopischen Ei
zu einer vollen Mittagsportion, und du willst Kannibale werden, nur weil
du dich ekelst!?" "Ich ekele mich nicht" sprach der Taxifahrer ruhig.
"Ich will bloss ein Mensch bleiben". "Mein Gott! Iss sie gebraten, du
musst sie nicht roh essen wie die Anderen!" - Ich ging in den Keller,
dort war es angenehm kühl. So gut wie niemand hatte, und niemand
brauchte eine Klimaanlage. Sie waren an die Hitze angepasst. Nur die
Terroristen, die sich in gewalttätigen Sekten zusammenfanden, pflegten
Extrawürste zu braten. "Auf der Erde sollten maximal 200 Millionen
Menschen leben. Das ist meine Meinung" flüsterte der Taxifahrer mir zu
und gab mir eine rohe Kartoffel, die ich geniessenden Mundes ass, bevor
wir in den kühlen frischen Kellerpool sprangen.
- Du weisst, dass wir dich hier behalten werden?
- Ich nehme es an.
- Du weisst, wieso?
- Weil ich immun bin?
- Wir wissen nicht, ob du immun bist. Wir wissen so gut wie gar nichts
über all die Dinge, wie sie wirken, wie sie die menschlichen Gene
verändern, was für Drüsen sie im Hirn wachsen lassen. Wir wissen es
nicht. Aber du bist infiziert und veränderst dich nicht. Du könnstest
uns nützlich sein.
- Ich will nach Inii. Ich werde alles tun, um dorthin zu gelangen.
- Wer war der schlimmste Mörder der Geschichte?
- Der.. der den Fusionsreaktor in der Nigxorée gesprengt hat. Er tötete 75 Milliarden Menschen.
- Du, Coldman. Du wirst es sein. Und du wirst ihn bei Weitem übertreffen.
- Was habt ihr vor?
- Ein Bisschen Platz schaffen. Wir und die Winterkavaliere haben uns auf
30 Milliarden geeinigt. Immer noch zu viel, wie ich finde. Aber jemand
muss arbeiten, jemand muss die Trümmer wieder zusammensetzen. Unsere
Obergrenze lag bei zehn Milliarden, deren Untergrenze bei 50.
- Ich habe gesehen, wie sie Menschen erschossen haben. Wie Tiere abgeschlachtet.
- Ich nehme an, das werden sie mit den Überschüssigen tun, sobald der Wiederaufbau vollendet ist.
Wann hat sich die Welt so verändert? 2290, da war sie noch in Ordnung.
Mein Urgrossvater hatte eine Villa, eine Yacht, zehn Hektar Land,die
Umwelt war weitgehend entgiftet. Und jetzt, 400 Jahre später ist unsere
Welt eine Kloake, und die Menschheit degeneriert je mehr die
Wissenschaft fortschreitet. Ich will kein Mörder sein. Ich will nach
Inii.
9
"Die Langlebigkeit war unser grösstes Problem. Im Vier- und
Fünfundzwazigsten Jahrundert betrug die durchschnittliche
Lebenserwartung 210 Jahre, aber wir hatten noch keine
Bevölkerungsexplosion" - der Taxifahrer hielt einen Vortrag vor der
Sekte. Er war die Nummer drei in deren Rangordnung, der Ranghöchste in
Xhursin. In der tiefen Nacht gingen wir an den künstlichen Strand in
seinem Kellerlabyrinth, sogar der künstliche Vollmond sah echt aus. "Es
möcht kein Hund so länger leben" zitierte er Goethe.
- Es ist mir rätselhaft, warum die plötzliche Bevölkerungsexplosion in der Mitte des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts stattfand.
- Genfood.
- Nein, so einfach ist das nicht.
- Alles wurde vertuscht, aber die Getreidearten, die damals entwickelt
wurden, führten zu Veränderungen im menschlichen Erbgut, so dass die
schlimmste Mordwaffe aller Zeiten ihr Werk unlimitiert verrichten
konnte. Frauen konnten bis zum zweihundertsten Lebensjahr schwanger
werden und setzten unzählige Kinder in die Welt. Ganze Völker verloren
die Kindheit, das Leben fing gleich mit der Pubertät an. Als meine
Mutter mit mir schwanger wurde, war sie drei.
- Es fällt schwer, das alles zu glauben.
- Das glaube ich dir. Du bist behütet und isoliert in der Thedée
aufgewachsen, du grösster Mörder aller Zeiten hähä, in spe hähä.
Bernstein empfing Steinman kühl, aber Xilincia erinnerte ihn an seine
verschollene Tochter. So half er ihnen, über die Grenze zu kommen, und
in das Land des Winters zu gelangen. Sie hielten sich in Djed nicht
lange auf, sie fuhren sogleich nach Norden, nach Djedendjed, erst dort
blieben sie für mehrere Tage.
Dort, wo es dunkel war, konnte man jederzeit auf Arthropoden treffen.
Sie waren - für Tiere - beängstigend intelligent. Sie waren von der
Weltregierung geduldet. Sie frassen Leichen und fütterten die Menschen
mit ihrem Nachwuchs. Einige von ihnen waren so gross wie nie zuvor in
der Erdgeschichte, doch die grossen waren harmlos. Die von der Grösse
eines mittleren Hundes die am meisten Verbreiteten, die von der Grösse
einer Ratte - in unseren Zeiten wahrhaft ein edles Tier - die
gemeingefährlichsten, denn sie passten durch die offen zu haltenden
Tuben hindurch, krochen in die Wohnungen und legten in schlafenden
menschlichen Organismen ihre Eier ab. Die Wissenschaftsreligion dieser
Zeit besagte, dass sie sich nur die Todgeweihten als Madenkrippen
aussuchen würden, doch das war beim Pol nicht der Fall. Sie spritzten
wahllos ihre Eier unter die Haut, mit ihnen gleichsam natürliche
Analgetika, und die Menschen wurden im Schlaf von Maden zerfressen.
Dieselbigen wurden von den Ernteteams abgeholt und später von anderen
Menschen verspeist. Das war grausam, aber wann war die Menschheit schon
nicht grausam, nein, das für mich Grausame war, wie sehr den Menschen
ihr neues essen schmeckte, und so gut wie alle verspeisten sie lebend.
- Steak. Vom Kalb. Das esse ich als Erstes, wenn alles vorbei ist. Hörst du, Coldman?
- Wie kannst du ans Essen denken?
- Meine beiden anderen Grundbedürfnisse sind zufriedenstellend
befriedigt. Essen, Coldman. Ein glücklicher Mensch denkt ans Essen. Wer
an Sex und ans Überleben denkt, ist ein leidendes Wesen.
10
Ein letztes Mal noch an die schwüle Luft, bat ich meinen Gastgeber. Er
gewährte mir eine Stunde, um mich auf meinen Mordanschlag vorzubereiten.
Ich ging den - diesmal natürlichen - Strand auf und ab, wagte mich
schliesslich in die Dunkelheit und liess mich von einem Trilobiten ins
offene Meere tragen. Sein Rückenpanzer war von beachtlicher Grösse, doch
das nutzte mir wenig, als er sich entschied, in die Tiefe zu tauchen.
Weit ins offene Meer getragen, konnte ich nur noch ertrinken.
Es waren keine Fischer, die mir halfen. Es war ein Trilobit. Er
schleppte mich auf eine überschaubare Insel, von der aus die Stadt gut
zu sehen war - Gebäude bis zum Horizont, soweit das Auge reicht. Auf der
anderen Seite der Indische Ozean. Das Schicksal meinte es gut mit mir.
Vielleicht aber nur die Trilobiten. Ich fand Kokospalmen, brach Nüsse,
pisste in den Dschungel und dacht nach. Ich bin hier, im Süden. Inii ist
auf demselben Längengrad, aber im Norden. Der Breitengrad von Inii ist
89. Dort gibt es im Winter Schnee. Auf mich krochen Arthropoden zu:
gigantische Tausendfüssler, alle in ihren prächtigen Chitinpanzern, so
gefielen sie mir. Ich sah, dass sie hungrig waren, aber sie krochen an
mir vorbei. Ein Tausendfüssler, hellbraun, fünf Meter lang, das
Kopfglied wie ein Gymnastikball, nach Hinten die Breite etwas
bescheidener, stolperte unbeholfen über meine Füsse. Ich klopfte ihm auf
den Panzer, er sammelte sich und fand den ursprünglich genommenen Weg
sogleich wieder. Ich sah wie am Strande der Stadt eine Schiesserei mit
Hunderten von Toten stattfand; Boote steuerten auf mich zu, und ich
liess mich festnehmen. Die Terrorzelle von Xhursin wurde an diesem
Morgen neutralisiert.
- Wasser?
- Ja, gern.
- Oder Substanzsaft?
- Nein, Wasser.
- Aber Sie sind hungrig.
- Dann bringen Sie mir doch was zu essen.
- Wir haben ausser... nur Menschenfleisch.
- Frisch?
- Ja. Gerade geschlachtet.
- Wenn er schon tot ist, was solls, bringen Sie´s mir.
- Es.
- Was!?
- Es. Ein Kind. Ein Kleinkind.
- Warum sehen Sie mich so an? Wer hat es getötet, ich oder Sie?
- Hier, guten Appetit.
- Und da sind wirklich...
- Nein, keine Maden drin.
11
Die Laugh Police, der globale Geheimdienst, verhörte mich.
- Hat ihnen der Junge geschmeckt?
- Vortrefflich.
- Wissen Sie etwas, was wir auch wissen sollten?
- Die Sekten arbeiten zusammen.
- Das hilft uns nicht weiter.
- Über mehr Informationen verfüge ich nicht.
- Nein? Sehen Sie ins Terrarium dort drüben!
- Warten Sie... Lassen Sie mich überlegen... Es ist ein Anschlag geplant, in Xhigget.
- Wann? Und wo in Xhigget?
- Dort wo die... Kraftwerke sind.
- Sie lügen. Sehen sie nochmal ins Terrarium. Sind die nicht hellgrün? Ich wette die sind länger als Ihr Schwanz.
- Ich weiss nicht mehr, als ich Ihnen bereits gesagt habe, aber warten Sie, finden Sie das nicht komisch, die Trilobiten...
- Macht ihn los, gleich wird gefressen.
- Die Arthropoden, sie haben mich nicht angerührt! Hören Sie mir zu? Sie
haben aufeinander Jagd gemacht, mich aber nicht angerührt!
- Das... Das glaube ich jetzt nicht. Verbrennt die Raupen und bringt den
Mann ins Hauptquartier. Ja, nach Chichya, ihr habt richtig gehört.
Chichya, vormals nördliches Kanada, am Nordkap der Baffin-Insel. Eine
mit vier Millionen Einwohnern sehr menschenleere Stadt. Und dort
herrschen Temperaturen unter 30 Grad vor. Und ich bin wichtig, ich kann
denen Bedingungen stellen. Ich will ein ungetubtes Zimmer mit einem
frischen Bett, ich will bei der Postproduktion des Bettes, der Laken,
der Decken, der Kissen dabei sein. Dass alles steril ist. "Die Maden
sind steril, und das müssen sie sein, sonst würden sie im Kadaver von
Bakterien zerfressen werden" sprach einst mein Lehrer.
- Wir sind da.
- Wo bringen Sie mich hin?
- Zu Doktor Bernstein.
- Überrascht?
- Allerdings. Sie Arbeiten für die Laugh Police? Wieso?
- Meine Tochter. Sie lebt. Und zwar in einer Unterwasserstadt in der
Antarktis. Gehen Sie, ruhen Sie sich aus. Ich werde Sie morgen
untersuchen.
- Wo ist mein Zimmer?
- Antarktis, mein Freund.
Antarktis. Wann ist die Antarktis geschmolzen... 2496. Mein Zimmer ist
auf der anderen Seite des Korridors, neunzehn Stockwerke tiefer. Ich
gehe jetzt schlafen.
12
Mich weckte ein Zischen, ein Arthropode war in meinem Zimmer. So gross
wie ich, vielleicht noch grösser. Wie gelangte er rein? Was tat er da?
Er hatte gerade Eier abgelegt, wohl in mir drin. Ich setzte mich vor dem
Käfer hin und starrte ihn an. Dann riss ich ihm alle abreissbaren Teile
aus dem Kopf, griff durch die Löcher tief in die Innereien hinein und
machte ihn tot. Ein Ärzteteam begleitete mich in die Duschkabine - eine
Dusche so gross wie eine Sporthalle, doch mir war nicht danach zu
fragen. Ich stand nackt da und liess das warme Wasser über meinen Körper
fliessen, während die Maden, dadurch wohl angeregt, unter meiner Haut
schlüpften. Sie zerfrrassen mich nicht, mein Körper schied sie durch die
Haut aus.
- Ein Experiment. Tut mir Leid, wenn es unangenehm für Sie war.
- Ich werde Sie töten, Bernstein.
- Ich habe gelogen. Ich bin nicht Bernstein. Ich bin sein Klon. Mein Name ist Kinner.
- Ich werde Sie töten, Kinner.
- Wollen Sie denn nicht wissen, was mit ihrem Körper passiert ist? Der
Arthropode hat unter Ihrer Haut Eier abgelegt, aber Sie wurden nicht
gefressen. Warum?
- Was weiss ich, ich bin jedenfalls infiziert.
- Das sind Sie. Aber Ihre Knochen lösen sich nicht auf. Ihr Körper ist menschlich geblieben.
- Wäre mein Körper menschlich, wäre ich nicht mehr am Leben. Wissen Sie denn etwas?
- Nein, aber ich schlage vor, wir führen weitere Experimente durch.
- Warum sind die Duschkabinen so gross?
- Das sind keine Duschkabinen.
Kinner begleitete mich auf ein anderes Zimmer. Ich bekam Protein- und
Glukoseriegel und eine Kiste Mineralwasser. Unterhaltungselektronik war
nicht im Zimmer, nur ein altes Buch. Ich vertiefte mich in die
Geschichte so sehr, dass ich nicht merkte, wie aus den Lichtlöchern in
der Decke faustgrosse Käfer auf den Boden sprangen. Erst ein Biss in den
Arm schreckte mich auf.
- Sie sind hochgiftig. Aber Ihnen ist nicht passiert.
- Die Trilobiten sind vor 250 Millionen Jahren ausgestorben. Wo kommen sie auf einmal wieder her?
- Aus Laboratorien. Was für ein Buch haben Sie da?
- Erdgeschichte.
- Das Werk ist von 2240, es ist überholt.
- Also nicht aus Laboratorien?
- Nein, sie haben sich immer weiter entwickelt.
- Zu was?
- Zu den Trilobiten, die heute in den Meeren schwimmen. Noch ein Experiment?
- Injizieren Sie mir das was Sie mir injizieren wollen, aber hier und mit einer Spritze.
- Gern. Hormone von Neumenschen. Aber ich ahne bereits, dass Ihr Körper
sie wie Alkohol ausscheidet. Ihr Immunsystem ist nicht menschlich...
Resultat
Für einen Moment zweifelte ich, ob es Inii überhaupt gab, aber es gab
Inii. Steinman wartete dort auf mich. Mein Rücken war auf einmal so
steif, die Rippen schienen dicker geworden zu sein. Ich konnte noch
nicht ahnen, was mit meiner Haut passieren wird. Kinner setzte mich in
ein Flugzeug nach Djed, gegen die Vorschriften, aber mit Überzeugung,
oder, besser beobachtet, wie ein Automat, wie ein Roboter, denn ich
durfte unter keinen Umständen entkommen, schon gar nicht in das einzige
freie Land der Welt. Kinner wurde zu Tode gefoltert; er wunderte sich
selbst, wie er tat, er konnte es schon nach zwanzig Minuten nicht mehr
nachvollziehen. Im Flugzeug neben mir sass ein Mann, der mich genau
beobachtete, bis er das Wort ergriff.
- Sie sind nicht einzigartig, mein Freund.
- Nicht? Wie viele gibt es von mir?
- Milliarden. Billionen. Schwer zu sagen.
- Wo werden Menschen zu sowas wie ich umgewandelt? Wozu? Was soll aus mir werden?
- Sie wissen es, bleiben Sie ruhig. Die Maschine wird übrigens abstürzen. Sie werden den Fall ins offene Meer überleben.
Und so geschah es. Ich schwamm an einen Strand, legte mich in eine
Höhle, überall Stein und Fels. Und die, die wie ich waren. Sie lagen
dort und warteten auf ihre Umwandlung. Ich war hingegen infiziert, darum
konnte ich wohl die ganze Zeit laufen. Jetzt nicht mehr. Wird mich
Steinman erkennen? Werde ich Xilincias Gesicht sehen? In meinem schweren
Chitinpanzer schwamm ich wieder ins Meer. Ich kann nicht sagen, wie ich
aussah. Aber Steinman erkannte mich, als ich vier Jahre später an den
Strand von Inii angeschwemmt wurde. Er setzte sich auf mein Rückenpanzer
und sprach: "Das Land der Freiheit, dachtest du. Ich dachte es auch. Es
ist euer Bauernhof, mein Freund. Ihr haltet hier Menschen, um sie zu
essen. Und ihr seid weiter entwickelt als wir. Ihr könnt Gedanken
manipulieren. Und willst du wissen, der du einmal Coldman warst, mein
einziger Freund, warum es diese Bevölkerungsexplosion in der Mitte des
fünfundzwanzigsten Jahrhunderts wirklich gab? Ihr habt uns genetisch
verändert. Frag nicht wie, wir Menschen haben keine Ahnung von eurer
Technologie. Aber ich weiss, wieso. Weil wir so gut schmecken. Weil wir
so schreien, wenn wir lebend verspeist werden. Arthropoden schreien
nicht... Weisst du, ich dachte, die Menschheit würde aus dem Weltraum
erobert werden. Aber ihr wart die ganze Zeit da, habt nur gewartet. Und
nun haltet ihr uns wie Vieh, und wir denken, all die Entbehrungen, die
Enge, die Hitze, der Ekel wären Folgen unseres menschlichen Handelns.
Die Überbevölkerung. Es hätte nie auf natürliche Art mehr als 25
Milliarden Menschen auf der Welt geben können. Es hätte Kriege gegeben.
Wir hätten aufgehört, Kinder zu kriegen...". Ich schwamm davon, wollte
ihm nicht mehr zuhören. Aus der Ferne sah ich Xilincia, sie war schön.
Sie zog sich bis auf Minirock und Bikini aus und schwamm ins Meer. Ich
schwamm zurück und holte sie mir, bevor andere Trilobiten mir
zuvorkommen konnten. Sie litt sehr lange und schmeckte sehr gut,
vielleicht deshalb.
12.2009