Montag, 15. April 2013

Sieger




Victor hatte in jedem Fach eine Eins, außer in Musik, da hatte er eine Eins Plus. Mit diesem Abitur konnte er sich an jeder Uni bewerben. Ein stiller Mittag, der letzte Schultag ging gerade zu Ende. Victor hatte bereits eine Zivildienststelle bei einem Naturschutzverein auf einer Insel gefunden, ein interessanter und durchaus romantischer Ort. Im Sommer aber wollte er endlich nach Australien fliegen, das wünschte er sich, seit er fünf war. Victor trank auf dem Heimweg noch einen Pfefferminztee in einer Imbissbude am Ende der Straße. Dann bog er ab, aber in die andere Richtung, anstatt nach Hause, wo seine Eltern bereits ein Festmahl vorbereitet hatten. Die ganze Verwandtschaft war eingeladen, und alle so stolz auf Victor.

Nach einer Viertelstunde war Victor am Fluss, er wollte ein Wenig allein sein, mit sich selbst und seinen Gedanken, vielleicht etwas hinauszögern, vielleicht nur selbst seinen Erfolg genießen, bevor er ihn mit so vielen Leuten teilen musste. Erster in der Schulmeisterschaft in Leichtathletik, großer Soloauftritt mit der Geige im Stadttheater zwei Wochen zuvor. Ja, Victor hatte in der Tat etwas zu feiern. Darüber hinaus war er seit einem Jahr Mitglied in einem Schützenverein, wo er im Frühling einen Wettbewerb gewann, und das Preisgeld der lokalen Krebshilfe spendete. Victor schaute sich lächelnd die Zeugnisse an, die Fotos vom Abschlussball, auf den er gestern mit dem schönsten Mädchen des Jahrgangs gegangen war. Victor seufzte und machte sich endlich auf den Weg.

Er fuhr langsam, doch nach einer halben Stunde war er da. Kurz vor dem Haus seiner Eltern beschleunigte er, warf nur die Schultasche in den Hof, und fuhr auf einen bewaldeten Hügel. Dort griff er in seine Hosentasche nach einer Kleinpistole, die mit nur einer Kugel geladen war. Er schaute die Wolkenfiguren am Himmel an, blickte auf seine Schulzeit zurück, lächelte, sagte ohne jeden sarkastischen Unterton: "Danke für alles!" und schoss sich in den Kopf.


2012

Dienstag, 9. April 2013

Michail Karmanov




Flüchtlingslager.



- Name?

- Michail.

- Nachname?

- Nach Name Sie schon gefragt.

- Michail und weiter...?

- Weiter? Kann ich weiter?

- Nein. Wie heißen Sie?

- Michail.

- Und wie heißen Sie weiter?

- Ah, Sie wollen meine Familie?

- Niemand will Ihre Familie, keine Sorge. Wo ist Ihre Familie?

- In Passport.

- Wo ist das? In Russland?

- Hier in Passport meine Familie, Sie lesen: Karmanov.

- Sie heißen also Michail Karmanov? Und was sind Sie von Beruf?

- A wie heißt das... Wor, wor, wor, wie ist wor auf Deutsch...

- Beschreiben Sie es.

- A wie kann man... Steht Gitler. Hat in Hand Mein Kampf. Ich komme, Mein Kampf weg.

- "Mein Kampf" ist in Deutschland verboten.

- Ah, Sie verstehen? Das ist verboten, was ich von Beruf bin.

- Nein, das Buch "Mein Kampf" ist verboten. Wenn Sie eins dabei haben, muss ich es Ihnen entziehen.

- Sie nicht müssen ziehen, ziehen ich mache, was verboten ist. Steht Gitler, hat Mein Kampf, ich ziehen aus Hand, wenn hat in Tasche, ich ziehen aus Tasche.

- Aus der Tasche ziehen... Sind sie ein Dieb?

- Dip, was ist Dip? Ich weiß nicht, ich kann aus Tasche ziehen, ich kann aus Tresor ziehen...

- Sie stehlen also? Dann sind Sie ein Dieb.

- Nicht ich stelle. Steht Gitler, stellt Mein Kampf auf Tisch. Ich komme, Mein Kampf weg.

- Ja, das ist Diebstahl, kommen Sie, Sie sind also ein Dieb?

- Ah, Dieb ist Wor! Ja, ich bin Dieb. Wohin komme ich? In Diebstall? Ich will nicht in Diebstall, darum ich hier.

- Sie wollen nicht mehr Dieb sein, und sind deshalb nach Deutschland gekommen?

- Nein, ich will nicht in Diebstall. Polizei kommt und bringt mich in Diebstall, aber ich nach Deutschland, Polizei findet nicht.

- Sie sind vor der Polizei geflohen? Dann sind Sie kein Flüchtling, sondern ein Krimineller.

- A warum gleich wie Gitler? Kriminäääler, Kriminäääler, das ist wie Änpädä: "Kriminelle Ausländer raus!" Sie Änpädä?

- Nein, ich bin nicht in der NPD.

- A dann wo Probläm? Ich komme, ich krimineller Ausländer. Sie müssen rein lassen.

- Nein, ich muss Sie nicht reinlassen!

- A dann Änpädä, Faschisten. Ich denken, Deutschland gut, mein Kusän mir schreiben, Gitler kaputt, Deutschland schön, alles bezahlt Sozial.

- Ihr Cousin lebt in Deutschland? Ist er auch ein Dieb?

- Naaaaain. Wozu Dieb? Alles bezahlt Sozial.

- Was? Denken Sie, dass alle in Deutschland von der Sozialhilfe leben? Und wo soll das Geld dann herkommen?

- Deutschland erste kultiviert, Deutschland zweite zvilisiert, Deutschland dritte reich.

- Hören Sie auf mit Ihrem Dritten Reich! Sie waren also Dieb, und kommen nach Deutschland, um von der Sozialhilfe zu leben? Ihnen hilft jetzt nur ein Wunder, wenn Sie rein wollen.

- Wunder? Bitte. So, kann ich Gamburg? Dort lebt Kusän.

- Nein, Sie dürfen nirgendwohin.

- Warum? Ich Wunder-Wort gesagt: Bitte.

- Das ist mir egal.

- Geht auch Mirigal, wenn ist in Deutschland. A weit von Gamburg Mirigal?

- Herr Karmanov, wir müssen Ihren Antrag auf Asyl leider ablehnen.

- A wollen Sie ich wieder Dieb? Das Anstiftung ist zu Verbrechen!

- Na gut. Fahren Sie nach Hamburg zu Ihrem Cousin.

- Danke. Weil Sie so nett, ich ehrlich zu Sie: ich 100 Mark aus Tasche ziehen.

- Was?? Sie haben mir 100 Mark aus der Tasche gezogen? Geben Sie sie sofort zurück!

- Warum? Ich doch ehrlich gesagt, dass ich ziehen... A das war Spaaaaß, hier 100 Mark. Alfiedersähn.

- Auf Wiedersehen.



2011