Freitag, 12. April 2013
Der Einsiedler und das Ehepaar
Der alte Einsiedler hob für das Ehepaar eine ganz besondere Flasche auf - einen 58-jährigen Single-Malt-Whisky aus den Highlands, älter als beide seiner Gäste. Die zwei Frauen verspäteten sich etwas - die Ärztin hatte einen Notfall. Der Alte war nicht im Geringsten verstimmt, denn sie hatten seine gesamte Whiskysammlung ersteigert und fuhren mit einem Minibus vor, um sie abzuholen. Die Lehrerin, 51, und damit ein Jahr jünger als ihre Frau, bemerkte die vielen Bilder an der Wand im Wohnzimmer des Einsiedlers - er sah als junger, und dann als nicht mehr so junger Mann stets fabelhaft aus, war erfolgreicher Kleinunternehmer mit überdurchschnittlicher Bildung und sehr charmant. Wäre nicht auf jedem Bild eine Frau im Arm des damals zwanzig-, dreißig-, vierzig-, fünfzigjährigen Greises, hätte sie ihn nicht gefragt, weshalb er nie geheiratet hatte. Der Alte seufzte: "Es war so schön. Ich bereue keine Einzige dieser Liebschaften. Ginge es aber nach mir, hätte ich sie" - zeigte er auf das älteste Bild, auf dem er und seine damalige Geliebte Anfang 20 waren, "geheiratet". "Und woran scheiterte es?" fragte die neugierige Ärztin. Der Alte erzählte dem Ehepaar daraufhin eine Geschichte: "Es war eine schöne Frau aus gutem Hause, und sie lebte in einer Stadt, in der es so viele hübsche, wohlhabende und charmante Kerle gab, und sie waren alle so romantisch. Immer wieder ließ sie sich mit einem der Männer ein, aber nie dauerte eine Liebschaft lange. Am Ende zog sie sich auf das Land zurück und hatte nie mehr mit Männern zu tun. Unfassbarerweise gingen all diese Männer einem seltsamen Vergnügen nach - sie töteten Menschen zum Zweck ihrer eigenen Unterhaltung. Es gab viele bevorzugte Tötungsarten und vielerlei Gründe, weshalb das Töten den Männern so gefiel, aber sie traf nie einen Mann, der sie nicht irgendwann dazu einlud, mit ihm gemeinsam einen Menschen zu töten". Die kluge Ärztin schwieg, die etwas naive Lehrerin verstand den alten Mann noch nicht. Daraufhin schaute er auf die Bilder all seiner Verflossenen und sprach: "Irgendwann wollte jede von ihnen Kinder haben".