Samstag, 9. Dezember 2017
Kürzstgeschichtchen 6
Der Lichtengel
Der höchste Engel, der um seiner Selbst willen bei Gott bliebe, anstatt um Gottes willen hinauszugehen und der Welt Licht zu bringen, wäre sogleich der Teufel geworden, da er seinen Willen über den Willen Gottes und hiermit einen endlichen Willen über einen unendlichen Willen gesetzt hätte, - bliebe der höchste der Engel bei Gott um Gottes willen, anstatt, wie die göttliche Prüfung verlangte, hinauszugehen, so liebte er Gott mit derselben Liebe, mit welcher Gott ihn liebte, und wäre Gott lieber, als der höchste Engel, der um seiner Selbst willen den manifesten Willen Gottes erfüllte und den reinen Willen Gottes verschmähte.
Rolf und der Pfarrer
"Männer sollten weniger lieben", sagte der alte Pfarrer und kam dort hinten raus. "Ich weiß, wer du bist, beichte mir ruhig ins Gesicht". Rolf senkte den Kopf: "Ich habe noch nichts getan". Der Pfarrer lächelte: "Erzähl dann, vielleicht bringe ich dich davon ab". Rolf sprang auf und schmiss einen Revolver auf den Altar: "Niemand wird mich davon abbringen! Niemand!!" Der Pfarrer ging zum Altar und brachte Rolf seine Waffe zurück. "Bevor du hingehst, solltest du wissen, was da wirklich vorgefallen ist. Nicht dass es Fehlrache wird". Rolf setzte sich auf den Boden vor dem Altar und nahm einen der Kelche. Der Pfarrer ging in die Sakristei, brachte einen Whisky mit, so alt wie Rolf, schenkte aus der Flasche in beide Kelche ein. "Dietrich wusste, was sie dir bedeutet", begann der Pfarrer von Nicole. "Er fühlte sich schuldig, weil du damals seine..." "Egal, er hat sie getötet!" "Ja, schon, das hat er gewiss, aber..." "Es gibt kein aber!" "Oh doch, Rolf, leider gibt es das", schaute der Pfarrer tief in den Kelch. Rolf lud seinen Revolver. "Er nahm sie in sein Penthaus, damit sie diesen Hahn von der Börse nicht verführen konnte. Du warst ja auf Dienstreise. Nun, er nahm sie mit..."
"Die leichtsinnige Nicole", lachte Rolf bitter. "Nun, so ganz ist das nicht wahr, ich habe nie an Leichtsinn geglaubt. Gott ist nicht leichtsinnig, also kann sich der Teufel auch nicht leisten, leichtsinnig zu sein". "Hören Sie mit dem Teufel auf!" rief Rolf. "Dietrich klärte sie auf, er sagte ihr, warum er sie mitnahm. Das kann ich Rolf nicht antun, auch wenn ich ihn hassen müsste, hat er ihr gesagt und sie mitgenommen. Als sie in seinem Penthaus waren, merkte er, dass sie gar nicht so betrunken war, sondern nur so getan hat, als wäre sie betrunken. Dietrich war sehr verwirrt..." "Erzählen Sie weiter! Muss ich ihn töten? Muss ich nicht? Sagen Sie, was Sie wissen!" "Dietrich spielte kurz mit dem Gedanken, dich zu vernichten, dann aber entschied er sich, sich in seinem Schlafzimmer bis zum Morgen einzuschließen. Nicole spielte krank. Ehe er sich versah, verführte sie ihn, die schöne Nicole. Sie leckte ihn vom Hals bis zu den Zehen, und nachdem das Bonbon gelutscht war, leckte sie ihn sprichwörtlich. Sie ließ eine Kamera laufen, du solltest die Aufnahme morgen anonym zugeschickt bekommen". "Ja, wir hätten morgen geheiratet", erinnerte sich Rolf. "Dietrich war außer sich, schrie hysterisch rum - weißt du, was wir eben getan haben!!? - und all das Entsetzen, dass ein nicht ganz abgestumpfter Schwerverbrecher nach einer grausamen Tat von sich stößt. Sie blieb ruhig, war sogar zynisch. Er schmiss sie aus dem Fenster, 45 Stockwerke tief. Das wars dann für Nicole". Rolf hustete. "Wo ist er?" fragte er den Pfarrer. "In einer offenen Psychiatrie, nehme ich an. Die Polizei glaubt an ein Unfall. Ich habe denen nichts gesagt". "Geben Sie mir die Aufzeichnung!" rief Rolf. "Nur wer nicht liebt, ist gegen das Böse immun, mein Junge. Ihr Kerle lasst euch diese grausamen Dinge antun, und dann rächt ihr euch mit weiteren Grausamkeiten, ein ewiger Kreislauf. Seid realistisch, seid erwachsen, wie auch immer es in eurem modernen Sprachgebrauch heißt. Wer liebt, hat verloren. Da ist nichts wiederzugewinnen, auch nicht durch Rache. Das weißt du doch". Rolf nickte. "Geben Sie mir das verdammte Video", sagte er, nahm es und ging.
Rolf behielt das Video für sich. Schon bald war es ein Porno für ihn. Es reizte ihn auch, dass er den Mörder kannte, aber die Macht hatte, ihn nicht der ausgleichensollenden Gerechtigkeit auszuliefern. Am Grab von Nicole traf er eine alte Freundin von ihr. Ihre Trostworte klangen triumphal, nun lag die Freundin besiegt da und verweste, und Rolf war Single. "Wie wäre es, wenn wir bis zum Jahresende zusammenziehen, dreimal die Woche ficken, ein Bisschen von meinem Geld verprassen und dann Schluss machen?" fragte er. "Du... du sollst das eigentlich umschreiben, nicht so direkt ins Gesicht sagen", murmelte sie verwirrt. "Ja oder nein?" fragte Rolf. "Ja", sagte sie, und sie taten es am Grab von Nicole.
"Am vierten Januar kommt Katrin aus Kanada zurück. Sie macht dort Praktikum", so Rolf zu seiner Neuen in einem Luxushotel in Übersee. "Eine Studentin?" "Ja, und sehr jung. Anfang 20. Ich rechne mir Chancen bei ihr aus". "Gut. Neujahr ficken wir noch, dann mache ich mich aus dem Staub... Du, ich hätte heute Lust auf ein Porno vor dem Fick". "Da habe ich etwas ganz Besonderes für dich", lächelte Rolf.
Das Fenster
Es könnten die letzten Minuten sein. Das Zimmer in dem du sitzt ist 3 Quadratmeter groß, die ganze Außenwand ist ein schwarzes Fenster. Eine Tür gibt es nicht. Wie du hineingekommen bist, weißt du nicht. Du kannst aufstehen, dich hinsetzen, essen, trinken, aufs Klo gehen, spülen, Klobürste nehmen, damit spielen - es gibt im Zimmer nichts, was dich wirklich interessieren könnte. Du zählst die Haare der Bürste, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, legst dich hin, stehst auf, und fragst dich, was hinter dem Fenster wohl sein mag. Du kannst es nicht öffnen, nur zerbrechen. Vielleicht kommt ein eisiger Wind und du erfrierst, oder du kletterst durch das zerbrochene Fenster in einen schönen Garten. Einmal zerbrochen, ist das Fenster kaputt. Wenn du dich im 211. Stock eines Hochhauses befindest, dein Problem. Niemand versprach dir irgendwas, niemand hinterließ dir eine Botschaft, eine Nachricht, einen Hinweis. Langweilst du dich zu Tode, springst du in den Tod, - oder ins wahre Leben, das hinter dem schwarzen Fenster auf dich wartet. Ob es dich ermutigt oder demoralisiert, hier eine Statistik für dich: 98,22% aller Menschen, die sich in derselben Lage befanden, steckten ihren Kopf ins Klo und verharrten so bis sie des Todes starben. Mitgezählt sind die, die es vorzogen, sich im Klo zu ertränken, anstatt das schwarze Fenster zu zerbrechen und in die Freiheit zu springen. Der sichere Tod war für sie weniger furchterregend als das Risiko, das auch eine Wahrscheinlichkeit für das Leben übrig ließ. Und für dich?
Metoo
Was sexülle Belästigung ist, ist klar: eino Kollega (wird im Folgenden für beide Geschlechter als Neutralform verwendet) als sexülles Wesen behandeln, und zwar als bestimmtes, einem bestimmten Geschlecht zugeordnetes. Unklar ist, wo sexülle Belästigung endet und sexülle Belastung anfängt. Wenn eino Kollega im sexüll relevanten Sinne deutlich besser aussieht als der Rest der Neutronenschaft, werden die anderen Kollega dadurch schon sexüll belästigt oder noch sexüll belastet? Eine sexülle Belastung ist zumutbar, eine Belästigung strafbar. Darum wichtige Frage. Wenn andersrum eino Kollega deutlich schlechter aussieht als andere, und dadurch sexüll neutraler behandelt wird, lastet oder lästigt es es im juristischen Sinne be?
Wenn eino Kollega mit andero Kollega flirtet, ohne dieses sexüll zu belästigen, werden die anderen dadurch sexüll belastet oder belästigt? Beim Flirt wird eino Kollega, wie bei sexüller Belästigung, als bestimmtes, einem bestimmten Geschlecht zugeordnetes sexülles Wesen behandelt. Also werden die anderen durch flirtende Kollega belästigt. Wenn keino Kollega am Arbeitsplatz flirtet, ist es für die anderen Kollega eine sexülle Belastung, da sie, obwohl nicht wie sexülle Wesen behandelt, es immer noch sind. Auf der Arbeit scheint sexülle Belastung dann aufzutreten, wenn Belästigung nicht auftritt, also ist das beste Mittel gegen sexülle Belästigung sexülle Belastung. Was macht mano mit eino Kollega, das sich selbst sexüll belästigt, indem es auf der Arbeit Pornos guckt oder an Sex denkt, und sich zugleich sexüll belastet, indem es Pornos nur heimlich guckt und an Sex nur denkt?
Nihiladen
Ist, war alles umsonst? Nein, im Nihiladen kostet so ein Nihileben 60000 Nihi, mindestens. Bin ich also noch was schuldig geblieben? Der Tod ist wie ein Universitätsabschluss: beides möglichst schuldenfrei erreichen, sonst droht Stress. Ich hätte es getan, nicht aus Verzweiflung, aus Bequemlichkeit. Das Leben ist nicht bitter oder sauer, es ist nur anstrengend, insbesondere wenn man ohne Arbeit nicht leben kann und sich in dieser hohe Ziele setzt. Warum eigentlich? Um nicht zu fragen, was sonst. Ich bin sehr müde heute Abend, ich sollte mich ins Bett legen und umbringen. Aber werden mir die 60000 Nihi erlassen? Oder bin ich sie gar nicht schuldig, sondern sie sind sich mir schuldig? Und wenn ich sterbe - wer wird Nihiversum weiterschreiben? An wen wird Natalie Portman in ihren schärfsten Stunden denken? Wer wird aus meinem Fenster gucken können, ohne nicht ich sein zu müssen? Es macht Spaß, das alte Geile. Tot würde es mir fehlen. Der da mit dem Doktortitel winkt, guck: Hurer, die, die Friedrichsfelde Ost ein- und Friedrichstraße aussteigt: Hure, und es, das Leben? Ein Hurum ist es, macht sein Fürsichsein ansicher als Sartre es je besch: reiben, ämen, eißen könnte. Es kann sich zum Molekül machen, zum reinen Soistes, zu keinem Sowillich. Es lässt dich allein in der düsteren Stunde sinnloser Erektion, und du gehst hinaus und siehst Preisschilder an Worten, Taten und Gefühlen kleben. Ein geiler Nihiladen, dennoch, aber: zweite Kasse bitte besetzen! Die Schlange reicht bis ins Zutritt für Unbefugte verboten hinein.