Jesper eilte. Es war sein 30. Geburtstag, und er wollte die Gäste nicht warten lassen. Jesper kehrte von einer mündlichen Prüfung im Zweitfach Philosophie heim, es war früh im März und wurde langsam dunkel. Eine junge Frau im Miniaturformat saß fröhlich auf seiner linken, dem Herzen näheren Schulter, ganz in Weiß, und auf seiner rechten Schulter starrte ein kleiner Mann in Schwarz desinteressiert in die Ferne. Menschen, Feier, Freundlichkeit den ganzen Abend lang auszuhalten - das Teufelchen sah einen wahren Alptraum auf sich zurasen, als Jesper plötzlich vor einem Kinderspielplatz stehen blieb. Ein Somalier Mitte 30, der Jesper schon früher aufgefallen war, lauerte. Die Sache war endeutig. Da ergriff der kleine Mann das Wort, um Jesper von der Stelle zu bewegen - offenbar war ihm jetzt selbst eine Geburtstagsparty lieber als das, was Jesper vor hatte.
Teufelchen: Nicht alle Somalier sind so. Engel denken immer sofort das Schlimmste.
Engelchen: Du weißt genau, was dieser eine - nicht alle Somalier, sondern genau dieser eine - vor hat.
Teufelchen: Selbst wenn er ein kleines Mädchen vergewaltigt - was geht das unseren Jesper an?
Jesper musste schmunzeln, er schaute dennoch zum Spielplatz: ein neunjähriges Mädchen kam dem Busch, in dem der Mann lauerte, bedrohlich nahe.
Engelchen: Du scheinst von Menschen nicht viel zu verstehen. Natürlich geht das ihn was an. Geh, Jesper, tu, was du tun musst!
Teufelchen: Hör nicht auf sie, Jesper! Engel sind nur zum Singen und Tanzen gut. Was versteht dieses weiße Wesen schon von der Realität? Wenn der schwarze Mann das Kind heute nicht vergewaltigt, vergewaltigt es ein weißer Mann morgen, und es wird der Vater, der Onkel oder der Sportlehrer sein. Oder ein Priester.
Jesper nickte und setzte seinen Heimweg fort.
Engelchen: Ist ein Tag mehr zu leben nicht Grund genug, eine kleine Seele zu retten?
Teufelchen: Was für ein naives Huhn! Sieht das Mädchen einigermaßen gut aus, wird es doch seit Jahren in der Familie missbraucht, und du, Jesper, kannst bei all deinem Mitgefühl nichts dagegen tun.
Engelchen: Aber er kann jetzt etwas tun!
Teufelchen: Überleg doch mal, mein Ziervögelchen, was für ein Kind schlimmer ist, von einem älteren Familienmitglied oder von einem Fremden vergewaltigt zu werden? Bei einem Fremden weiß das Kind, dass er der Böse ist, und das Kind sieht, wie er für seine Tat bestraft wird. Wird es in der Familie missbraucht, fühlt es sich selbst schuldig, beginnt, sich zu hassen, und wird sich nie im Leben davon erholen. Das Kind wird verrückt.
Engelchen: Das ist Sophisterei, mein großes herzloses Embolotherium!
Teufelchen: Nie und nimmer und nochmal niemals! Jesper, geh feiern, lass dich von den Problemen anderer Leute nicht belästigen. Du weißt, woran dein liebes kleines weißes Zwergkaninchen appelliert: stell dir doch vor, wie ein böser schwarzer Mann ein süßes weißes Mädchen vergewaltigt - wie widerlich, wie populistisch! Du kannst am Lauf der Dinge nichts ändern, Jesper, das weißt du ganz genau. Jeder ist für seine Taten selbst verantwortlich, du kannst nicht losgehen und jede falsche Entscheidung verhindern.
Engelchen: Jesper kann doch egal sein, was jeder, was alle mit ihrem Leben und ihrer Willensfreiheit anstellen, - würde das als ein allgemeines Gesetz durchgehen, dass jeder schaut, was alle so tun, bevor er sich entscheidet, was er tut?
Teufelchen: Das ist doch das allgemeine Gesetz, du Schneewittchen!
Die letzte Replik des Teufelchens vernahm Jesper nicht mehr, als er sich an die Prüfung vor gerade mal 15 Minuten erinnert fühlte, die die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zum Gegenstand hatte. Jesper drehte sich um, ging zum Spielplatz zurück, und tat, was er tun musste.
2011