"Blowjob, Handjob... und wie soll man es nennen, wenn jemand portionsweise Liebe vorspielt? Vielleicht Souljob?" räsonnierte Pavel und alle lachten. Nur die beiden Blondinen auf der roten Couch in der verdunkelten Ecke des Raums zogen ernste Minen, vielleicht heckten sie etwas aus.
"Es war Vergewaltigung" sagte Scarlett auf dem Balkon. Charlotte schwieg. "Und er läuft noch frei rum" schluchzte Scarlett. "Ist er nicht vorbestraft?" wunderte sich Charlotte. "Es heiß, es sei einvernehmlicher Sex gewesen. Ich hatte ja auch am Anfang Spaß, aber dann hat er nicht aufgehört". "Mein Freund würde den Mistkerl umbringen" sagte Charlotte und ihr ging ein Licht auf. "Komm, wir gehen in die Bar" sagte sie. "Was hast du vor?" wunderte sich Scarlett.
"Wo geht ihr hin?" fragte Ruud, Charlottes Freund. "An die frische Luft" murmelte Charlotte geistesabwesend.
Ruud wusste, dass er ihr vertrauen konnte. Seit der elften Klasse waren sie ein Paar, nun beide im achten Semester Jura. Pavel misstraute den Beiden: "Ruud, lass uns mal nachsehen". "Du Scheißmisanthrop hast selber keine Freundin, darum misstraust du allen Frauen" nuschelte der besoffene Dennis. "Das Arschloch in der Bar von Vorhin, wie heißt die Sau?" sprach Ruud abfällig, wie er sonst nie sprach. "Pierre oder Jean-Pierre, was weiß ich, wieso?" "Vielleicht hast du Recht, Pavel, und wir sollten mal nachsehen, ob er noch in der Bar ist. Sollte er Charlotte belästigen, ist er so gut wie tot". "Meinst du, sie sind in die Bar gegangen!?" rief Dennis verwundert. "Stimmt wohl. Wozu in die Bar? Hier gibts genug zum Trinken" sprach Ruud und warf sich auf die rote Couch. "Herrlich, wie sie riecht" lobte er Charlotte. "Und wie sie die Hausarbeiten für dich schreibt" scherzte Pavel. "Eine. Eine Hausarbeit, nicht die Hausarbeiten" berichtigte ihn Ruud. Musik wurde laut, Pavel drehte einen Joint und ging mit Dennis auf den Balkon. Ruud blieb auf der roten Couch liegen, stand aber nach fünfzhen Minuten auf und ging aus dem Haus. Etwas nagte an ihm, ein ungutes Gefühl.
Schon hörte er die Sirenen, ein Krankenwagen und ein Polizeiwagen. Sie holten Charlotte, sie hatte eine gebrochene Nase und aufgeplatzte Lippen. Ruud stürmte in die Bar, doch der Vergewaltiger wurde bereits abgeführt.
"Was wolltet ihr dort?" fragte Ruud Scarlett auf dem Polizeirevier. Scarlett schwieg. "Du warst doch dabei! Warum hast du mich nicht angerufen? Was hattet ihr dort überhaupt zu suchen!?" Scarlett weinte nun. "Sie hat es für mich getan" sagte sie. "Was!? Was hat sie für dich getan?" "Sie hat ihn verführt, bis er über sie hergefallen ist. Ich habe dann die Polizei gerufen" weinte Scarlett. "Wieso!!?" "Sie wollte mir doch helfen... Als er mich... Da wurde er freigesprochen. Es hieß, einvernehmlicher Sex. Und ich konnte nichts tun, ich hatte ihn ja den ganzen Abend angemacht und dann ins Bett gezehrt". "Aber du wusstest damals nicht, dass er ein Gewalttäter ist!!" wütete Ruud. "Und sie!!? Sie wusste ganz genau, worauf sie sich einlässt!!" "Aber das ist es ja" schluchzte Scarlett, "sie wollte ihn für mich hinter Gitter bringen".
Ruud dachte nach. Er wusste genau, wie er Pierre oder Jean-Pierre sterben lassen könnte. Er hatte ein zweijähriges Praktikum im Knast absolviert und hatte dort so etwas wie Freunde, jedenfalls hätten sie den Killjob gern für ihn erledigt. Wäre die Polizei nicht sofort zur Stelle, hätte er den Mistkerl selber getötet. Ein Polizeibeamter riss Ruud aus seinen Gedanken: "Was wissen Sie?" "Ich war zu Hause, habe Bier getrunken" sprach Ruud und gähnte. "Was ist los mit Ihnen? " wunderte sich der Cop. "Lässt es Sie kalt, was mit Ihrer Freundin passiert ist?" "Sie ist nicht meine Freundin" log Ruud, "sie hat heute Abend mit mir Schluss gemacht". "Heute Abend auf ihrer Geburtstagsparty?" "Ja. Das war mutig und ehrlich von ihr" nickte Ruud und vervollständigte: "Wir hatten seit einem Jahr Probleme". "Inwiefern?" "Sie wollte dass ich immer härtere Sachen mit ihr mache, aber brutalen Sex finde ich einfach nur abstoßend. Ich habe sie also nicht mehr befriedigen können". Der Polizeibeamte legte eine kurze Denkpause ein, wonach er sagte: "Die Zeugenaussagen stimmen darüber überein, dass Ihre Freu.. Ihre Exfreundin diesen jungen Mann sehr eindeutig ansprach, um nicht zu sagen sexuell belästigte. Er wiegelte zunächst ab, dann gab er nach und ging mit ihr in den Lagerraum. Würden Sie zustimmen, wenn ich sage, dass das aller Wahrscheinlichkeit nach einvernehmlicher Sex war?" Ruud schwieg, der Cop starrte ihn an. Ruud nickte.
"Wie war die Nacht?" fragte Pavel. Ruud stolperte über eine leere Bierdose auf die rote Couch. "Ich hab die ganze Nacht gesoffen" murmelte Ruud und kotzte auf die Couch. Pavel machte sich auf in die Küche, Ruud hielt ihn unbeholfen am Ärmel fest: "Ihr Misanthropen seid verfluchte Optimisten, weißt du das?" "Warum?" "Ihr glaubt dass alle Menschen schlecht sind. Wären sie schlecht, könnte man sie verstehen und ihnen vergeben", fiel Ruud von der Couch auf den nach der Party verdreckten Boden. "Aber das Gute, hörst du, das Gute ist das Teuflische im Menschen. Sie wollte ihrer besten Freundin doch nur helfen..." Ruud kotzte auf den Wohnzimmertisch. Pavel schleppte ihn am Kragen auf eine Matratze und ließ ihn dort liegen. Scarlett lief ins Haus um ihre Handtasche zu holen, sah Ruud dort liegen und empfand neben dem Mitleid auch eine gewisse Genugtuung, waren Ruud und Charlotte doch immer das perfekte Paar gewesen, Ruud immer ganz der Gentleman, und nun ein vollgesabertes Schwein.
Scarlett kümmerte sich rührend um Charlotte, tröstete sie über den Verlust des Freundes hinweg, doch eine lesbische Beziehung lehnte Scarlett ab. Als Ruud davon hörte, dass Charlotte und Pierre oder Jean-Pierre ein Paar wurden, da wunderte er sich nicht, sondern fühlte sich in seinem Gedanken bestätigt, dass eine Selbstaufopferung ohne Rücksicht auf jene die einen lieben derlei sadistisch sei, dass der nächste logische Schritt nur die Sympathie für den abscheulichsten bekannten Schurken sein konnte.
1.2010