Mittwoch, 23. September 2020

Miezen III

 

 

9. Intschviethel

Der, der die beschützte, die Ariadne so süß fand, mietete an jenem Samstag einen Maur und fuhr erstmal drei Stunden richtung Osten. Kurz vor Reburt fuhr er von der Autobahn ab und fuhr durchs Land: Alling, Himghosting. In Reburt-Feiglingszarten ist er als Kind zur Schule gegangen. Und dort wollte er hin, aber machte noch eine Runde durch das verschlafene alte Himghosting, wo ein alter Tempel stand, den er als Kind bei einem Klassenausflug fotografiert hatte. Daneben war ein zugewachsenes Gelände mit einer alten Hütte. In dieser Hütte hatte jemand Altpapier gebunkert, und daher kam auch dieses Buch, eine wissenschaftliche Abhandlung mit vielen Bildern, in welcher über Monster, die Kinder in ihren Alpträumen sehen, in einer Art geschrieben wurde, wie man über ausgestorbene oder rezente Tierarten schreibt. Und es war ihm mit 8 Jahren so, als hätte er eines dieser Monster gleich auf dem Gelände gesehen, eine Chichinicha. Und nicht nur die. Es ging, wie immer, wenn es um etwas wichtiges geht, um ein Mädchen.

Irgendwo musste eine schmale Dorfstraße sein, fast zugewachsen. Nur Radfahrer und Fußgänger konnten sich hier bewegen. Er ließ den anthrazitfarbenen Zweisitzer-Maur stehen und suchte den Weg. Im Gebüsch verbarg sich schüchterscheu ein Schild: Intschviethel 1km. Er ging den Weg zu Fuß. Auf dem Fahrrad hat dieses Mädchen gesessen. Diese Richtung nahm damals die Maus. Sie war in seinem Alter, fast gleich ähnlich ungefähr genau. Und o, dieses Haar! Ja, Kinder speichern wichtige Eindrücke für das ganze Leben. Nun wollte er die alte Zeit spüren, den Duft, es war September, und der Sonnenstand war beim Vorbeigehen mit der Klasse an dem Ort hier wie jetzt ebengerade an diesem Februartag. Das stolze Schild begrüßte den Besucher im verschlafenen Intschviethel. Vom Edelier Dhae Diedendied Ende des 13. Jahrhunderts als Festung gebaut, wurde es später zum Bauerndorf in der Grafschaft Himghosting. Die Ghoster, Nomaden aus der fernen Steppe im Osten, gründeten diese im kalten 12. Jahrhundert. Kein einziger der 282 Bäume, die damals im heutigen Stadtpark standen, wurde seither gefällt. Intschviethel nun, ein 40-Seelen-Dorf südwestlich von Himghosting, lockte mit noch unberührterer Natur mitten im Ort. Jahrhundertelang wurde beim Leben und Lebenlassen vor allem auf Ästhetik geachtet. Kinder wuchsen in derselben natürlichen Umgebung auf wie ihre Urururgroßeltern und noch weiter ur-.

Da war es, das Fahrrad! Er sah in den weiträumigen Hof und klingelte. Ein Mann Ende 20 kam auf ihn zu und machte die Gartentür auf. „Wem gehört dieses Fahrrad?“ „Meiner Frau“, war das Gespräch kurz. Und als sie aus dem Haus kam, sah er dieses glücklich gealterte Mädchen. Sie zeigte ihm gern die Fotos von damals und er fragte, wem jetzt dieser verlassene Hof mit der Altpapierhütte gehörte. Es war in deren Familienbesitz. Der Besucher kaufte den Inhalt der Hütte ab, ließ zwei Tonnen nach Hause abtransportieren und bedankte sich. Keiner hatte in den letzten 13 Jahren auch nur reingeschaut. Süße, liebliche Nostalgie, ohne Wehmut, ohne Verlustschmerz, vielmehr mit Gewinnlust und Kindheitsrückkehrgefühl. Die zarten Hände des Mädchens damals auf dem Lenkrad, der Miniatur-Schulranzen, das niedliche Nummernschild des Fahrrads. Und jetzt erwartete sie selbst ein Kind, vielleicht ein Mädchen, das in acht Jahren auf demselben Fahrrad vorbeifahrend sich für einen anderen Jungen unvergesslich machen wird.


10. Henthien

Die Frühlingsferien fingen an zu beginnen, und als Julia Juliette wieder traf, beschwerte sie sich umgehend: „Jetzt meidet er mich“. „Hat er sich in ein anderes Mädchen verknallt?“ „Nein, er ist immer allein, aber zurieden jetzt. Als würde er einen Suizid oder Amoklauf planen“. „Du hast zu viele Filme gesehen“. Juliette ging zum Fenster, es regnete. „Miezen“, fing sie an, und Julia hörte mit sprichwörtlich aber nicht wörtlich offenem Mund zu, „sind gar nicht so wichtig wie man immer denkt. Wir alle profitieren von einer Kultur der Miezenverherrlichung, Miezen werden aufs Podest gestellt, als ginge es Leben nur um uns. Der Teil, der daran wahr ist, ist, dass es den meisten von uns eben um uns selbst geht“. Tränen zierten Julias verständnisloses Gesicht. Juliette nahm sie in den Arm und flüsterte: „Oder du bist selbst in eine Mieze verknallt. Dann kannst du immer noch glauben, dass Miezen das Wichtigste sind“.

Er lebte moralisch, ein Leben der psychischen Selbstgeißelung und Askese. Und er beging mit 22 Suizid. „Und jetzt bist du 22“, lachte Anique. Der Beschützer von Aris Schützlingsmaus erzählte weiter: und er kam in die Hölle. Ein düsterer unterirdischer Ort voller Hässlichkeit und Leiden, aber vor allem depressivistisch und leblos. Doch das automatische Weltgesetz hatte ihn nicht nur bestraft: für seinen tadellosen Lebenswandel erhielt er Fähigkeiten. Also kam ein Zenobit, eine Art Bürokrat der Hölle auf ihn zu, und fragte ihn, ob er entflohene Höllenbewohner in der Welt der Lebenden wieder jagen wolle. Er fragte gar nicht nach der Belohnung, sondern willigte ein, seine Pflicht zu tun. Also jagte er sie, das ist der Hauptteil des Films. Und seine Fähigkeiten entwickelten sich weiter, er wurde am Ende selbst so mächtig, dass keiner ihn hätte in die Hölle zurück zwingen können. Soll ich spoliern? Anique nickte. Er kam freiwillig zurück. Damit endet der erste Film.

Wer alles von Shaye Crayden gesehen hat, ist selber schuld. Man muss es sich aufteilen. Es ist deprimierend, wenn man die besten Filme alle schon kennt. Und wenn dann die postapokalyptische Serie, mit der man aufgewachsen ist, zu Ende geht, gibt es einstweilen nur noch Bücher. Oder man mietet einen gemütlichen Arenkord und fährt Lieth nach Henthien. Vor 1000 Jahren war überall hier nichts als dichter Wald. Und es ist heute fast immer noch so. Es gibt im Grunde nur ein paar Schneisen, ein paar Lichtungen, auf denen Gras wächst, Getreide wird eh aus Vengria importiert. Zwischen Reburt und Arenkord noch Heideflächen, aber richtung Südosten, da ist nichts als Wald. Der Wald als Quelle der Furcht in „Frightnight in Streedenborough“. Auf der Insel gibt es halt nicht viel Wald. Eine verlassene Fläche vor dem Zaun, kaum drei Fussballfelder groß. Dann fängt wieer der Wald an. Leben dort schwarze Landkraken auf Bäumen, die mit ihren Tentakeln? Lieths große Schwester zeichnete sie, um die Kleine zu ängstigen, um sie zu beschützen. Jetzt, in Winterstarre, ist es nicht so beeindruckend, wie Lieth erzählte. Aber man kann sich denken, wie es hier im August aussieht. Das letzte Haus vor dem Wald, keine Straße mehr, nichts, gar nichts, alte Schienen, alte Betonklötze, Spuren der Luftabwehr. Füchse kommen immer wieder vorbei. Lieth stieg aus, ihre große Schwester begrüßte sie, winkte dem Fahrer, und der Fahrer fuhr weiter nach Aniaine.

Woher weiß man, wie alt man ist, wie kann man sein geistiges Alter schätzen? Manchmal ist es, als hätte man viele Leben gelebt, und dann fühlt man sich doch auf das eine reduziert und beginnt zu rechnen: wieviel Lust, wieviel Leid? Lohnte es sich? „Und wer ist dein Lieblingsregisseur?“ kam die Fragerunde bei Kithie an. Kithie wusste wahrscheinlich nicht, was ein Regisseur war. Es gab auch Länder, in denen das Hauptaugenmerk auf den Schauspielern lag und der Regisseur nicht immer bekannt war. Andere Länder, andere Sitten, aber Kithie wollte schon Cliff Jules oder Ian Tuhuteru sagen, doch bevor sie sich mit einem Fussballernamen blamierte, fragte sie der kecke Jacques: „Nique Alice Toxvaerd?“ Kithie wurde knallrot. Die lesbischen Hochglanz-BDSM-Filme hatte sie erst diesen Winter entdeckt, aber jeden schon mehrmals gesehen. Heimlich. Allein. Die Peinlichkeitspause zog sich genüsslich in die Länge. „Ich habe ihr davon erzählt“, rettete Julia Kithie.

Julia?“ rief der kecke Jacques mit charmantem Akzent. Er holte sie ein. „Julia, du musst nicht immer alle retten“. Julia blieb fragend stehen. „Lass den Leuten ihre unangenehmen Erfahrungen, sie haben ein Recht darauf“. Am Ende des Julianachhausebringens waren die beiden ein Paar. Kithie hockte nervös in ihrem Kinderzimmer, sie wollte ja nicht mitfahren, und ihre Eltern waren seit wenigen Minuten weg, und die Babysitterin war noch nicht da, und Kithie hoffte einerseits, sie würde nicht mehr kommen, doch hatte andererseits Angst nachts allein. Eine drahtige Mieze Mitte 20 klingelte schließlich an der Tür. „Du sagtest am Telefon, ich sollte Filme mitbringen“, zeigte sie, was sie dabei hatte. Kithie wurde knallrot. Erst um 8 Uhr morgens gingen die Miezen schlafen, während am anderen Ende der Stadt Sophie Fotos von Ariadne betrachtete. Sie konnte nichts in Worte fassen, nur Ein-Wort-Gefülle stallisierten sich kri: Kindheit, Freiheit, Glück, Liebe, Zartheit, Vergänglichkeit.


11. Incel

Die Frühlingsferien vorbei, Abiturprüfungen für Anique und Juliette. In wenigen Wochen großer Identitätsverlust: Schule vorbei. Im Frühjahr Schulmieze, im Herbst Unimaus. Vom Senior unter der Kleinen zum Junior unter den Großen. Und doch ist Schule Schule, als eine Art kindheitschützende Institution war sie kein Ort des Erduldens und Absitzens, sondern ein Ort, an dem das Leben in seiner zartesten und beschütztesten Form stattfand. Zwischen der 10. und der 11. Klasse nahmen die meisten ein Freijahr, um diese schöne Zeit zu dehnen, manche auch zwischen der 11. und 12. Und nach der Prüfungsphase Ende März war die einen Monat längelnde Kältewelle vorbei. Im Ästhetikunterricht der 12. hielt jemand ein Referat über Spezifische Schwäche, es ging um eine wundervolle Eigenschaft des mädchlich-miezlicher Körpers, darum nämlich, dass die Arme zur Schulter hin nicht dicker werden, aber auch nicht ausgehungert dürr aussehen, sondern, man sieht es halt insbesondere bei Anique. Doch manchmal sind nicht die Zartesten die Schwächsten.

Es geschah in diesem großen und frechen Land des siegreichen Liberalismus, in dem das anthropologische Niveau wohl auf die primitivste Formel Essen-Fortpflanzung-Dominanz zurückgekehrt war. Im oberen Café des Eliteinternats unterhielten sich Anique, Ariadne und ihre Maus, als die verängstigte Sophie, reflexartig-beschützerisch nach der Maus greifend, fragte: „Habt ihr die Nachrichten gesehen?“ Eli setzte sich dazu und schüttelte facepalmend mit dem Kopf. Er hatte Verwandte in diesem bescheuerten Land. Fernsehfliegen und Radiogeschmeiß aus jener Richtung griff noch letzte Woche den Gesestzesentwurf diesseits des Ozeans an, nachdem nicht nur in Elite-, sondern in allen Schulen sofortiger Schulverweis bei Verlust der Unschuld drohte. Drüben sah man die Sache anders: Jeder hat das Recht auf Sex, und das so früh wie möglich. Und wer in der 12. Klasse immer noch keinen hatte, ist ein Incel.

Der Junge hatte seine Tat in der Silversternacht geplant: das war die letzte Frist. Wenn dann immer noch nichts mit Miezen gelaufen ist, ist es endlich Zeit, sich zu rächen. Die unerträgliche Ungerechtigkeit der Einsamkeit. Die unhinterfragte Anspruchshaltung. Und so kam er, wie immer unscheinbar, eines Märzmorgens in die Schule, und stellte vor der großen Pause seine Kanone im Schulhofgebüsch auf, ein gewaltiges Maschinengewehr mit so viel Munition wie in seine alte Karre passte. Immerhin noch Führerschein gemacht. Es klingelte, die Schüler kamen in den Hof, an diesem Ende der Welt war es ein warmer Tag. Die Sonne schien und er eröffnete das Feuer. Er schoss und schoss und schoss und schoss und schoss, und der Rest sind Zahlen. „187 Tote“, setzte sich Elis bester Freund kurz an den Tisch, um seine Unlust kundzutun, die Sache morgen im Unterricht besprechen zu müssen. „Wir gehen ins Waffenmuseum“, entschied Eli.

Die unvermeidliche Aufarbeitung der Nachrichten des Abends verdüsterte einen schönen Morgen, der mit Tauwetter lockte. Anique schaute noch bei dem Beschützerfreund von Aris Maus vorbei, er war hat der Teemeister. „Keine Nachricht wert“, kommentierte er das Grauen, „es war ja vorauszusehen. Schaut euch einfach die Serie Endangered Species an, da wird das alles vorweggenommen. Die Nachricht des Tages für mich ist, dass dieser März mit durchschnittlich -2,4° der kälteste der dokumentierten Klimageschichte ist“. Die 12-ten Klassen verschwendeten nicht viel Zeit mit der Besprechung des Unaussprechlichen. Es wurde über das Jahrbuch und den Abschlussball gesprochen. Bei Jüngeren ging die Post ab. „Incel“, nannte er sich im Abschiedsbrief, begann es mit einem Stichwort in Lieths 11-ter Klasse. Es wurde immer heiterer, kam zu politischen Lösungsvorschlägen: „Jeder hat das Recht auf Miezen“. „Und konkret?“ „Wer vor dem Schulabschluss nicht mindestens eine 8 entjungfert hat, der bekommt einen Entjungferungsgutschein vom Staat“. „Reicht mathematisch nicht“. „Das Leben ist keine Mathematik, im Leben geht es um das Streben nach Glück!“ „Haha, um das rücksichstlose, selbstzerstörerische mörderische Streben nach Glück!“ „Und was ist Glück?“ Der junge Aphoristiker und Liedermacher, der neben Lieth saß, bat sie nonverbal, in andächtigem Ernst mit ihrer unschuldigst zarten Stimme seine eben verfasste Antwort vorzulesen. Gespannt auf die Wortmeldung des ultraschüchternen Mädchens, hörte die Klasse in ehrfürchtiger Stille zu. „Glück ist Zeit mal Zärtlichkeit“, versetzte die Maus ihre Klasse in eine Orgie des Kicherns.

Montag, 21. September 2020

Miezen II

 

 

5. Sophie


Ein Dienstag, wie er hätte gewöhnlicher nicht sein können, dazu Anfang Februar. Nicht dass Sophie in Primitivsprache gesprochen keine 10 wäre, aber sie wollte halt optimal aussehen, und verbrachte eine ganze Stunde im Bad. Meistens zahlte sich so eine Investition aufmerksamkeitstechnisch bis zur fünften Stunde aus. Schon vor dem ersten Klingeln kam ein verschüchterter Blick von einem ihren Weg kreuzenden Zwölftklässler, dann ein weiterer respektvoll ihre Schönheit anerkennender Guck von einem jungen Lehrer, und noch ein Guck von der Chemielehrerin, und ein Kuckuckguck vom sich neben Sophie setzen wollenden Jungen, der sich dann doch nicht getraut hatte.

Es gab eine viral gegangene Befürchtung, Sophie würde zur ersten Stunde nicht erscheinen, sondern bequemgemütlich verschlafen. Nun aber stimmte die Chemie. Fast alle bis alle betrachteten nicht die Tafel, sondern halt eben Sophie. Sie saß aber gar nicht mal so weit vorn, sodass zumindest die Hälfte der Klasse niht mitbekam, wie die drahtige Chemielehrerin Mitte 30 ebenfalls die junge Mieze anschmachtete. Es wurde geflüstert und gekichert, ein bisschen auch unterrichtet, doch Sophie verfing sich in einer Unterhaltung mit zwei hübschen aber nicht so hübschen Mädchen wie sie selbst, immerhin jünger und schöner als die Lehrerin, welche frug: „So, und wo kommt das Eisen her? Sophie?“ Sophie drehte sich um und schoss: „Aus sehr schweren Sternen. Und für seine Entstehung braucht es nicht so lange wie ich im Bad“.

In der ersten großen Pause betrachtete Sophie sich bauchfrei im Spiegel und wunderte sich, wie manche Leute breit werden konnten. Sie haben wohl breitere Knochen, räsonnierte Julia, „und bei dir ist alles so dünn. Wäre Ari nicht, würde ich dich zerbrechlich nennen“. „Du findest mich nicht zerbrechlich!?“ Julia wollte sehr schnell was Nettes sagen und sagte: „Du bist extremistischstens zerbrechlich, ein Denkmal für Zartheit und Schwäche“. Sophie lächelte, während die zierliche Zwölftklässlerin, in die Juliette verknallt war, vorbeischneite. „Sie ist schonmal drei Zentimeter kleiner“, kritisierte Sophie sich selbst, „und ist bestimmt auch leichter und schwächer als ich“. Ja, und im April wird sie 19, Anique heißt sie übrigens. Langhaariger als Sophie und noch heller blond.

Sophie dachte über die Vergänglichkeit nach. „Immerhin habe ich noch zweeinhalb Jahre, bis ich 18 bin“, sagte sie zu Julia. „Und du wirst bestimmt unter 1,60 bleiben“. „Danke“, begrüßte Sophie die Ermutigung, weiterzuleben. Sie war auch gar nicht neidisch auf Anique, aber diese Maus von einer Supermieze zeigte ihr halt, dass es immer noch ein Zartchen schöner geht. Endlich traf sie Ariadne, mit der sie Biologieunterricht hatte. „Ich frage mich, ob die Jungen auf ihre Intelligenz oder ihre Begabungen oder was auch immer genau so stolz sind wie wir auf unsere Schönheit. Ob sie sich auch so selbst genießen?“ fragte sie nicht sich, sondern Ariadne. „Bestimmt“, kicherte diese. „Und was macht man, wenn man so viel intelligenter als andere ist wie ich schöner als die meisten anderen?“ Jetzt gab es von Sophie einen anerkennenden Guck: sie sah direkt in die Augen der zierlichen Mieze, wie ein Kind, das einen Erwachsenen mit großem Ernst nach etwas fragt. Ariadne dachte laut nach: „Ich nutze meine Intelligenz, um mich in die, die ich mag, einzufühlen; ich finde, körperlich zu kuscheln, reicht nicht. Ich will Seelen verzärteln... die zärtlichkeitswürdigen natürlich“.

Sophie nahm die begierigen, anerkennenden und neidischen Anguckungsblicke schon nicht mehr wahr. Es war die sechste und letzte Stunde, Physik. Während Ariadne vor der Tafel stand und erklärte, wann die letzten Schwarzen Löcher zerstrahlen werden, wurde Sophie andächtig still. Diese beerige, zart elektrisierende Stimme mit soviel Geist war bezaubernd. Bevor der Tag zu Ende ging, spürte Sophie im Bauch ein immer kitzelnderes Kätzchenkrätzeln. „Ari“, flüsterte sie sinnlich, ließ sich ins weiche Bett fallen und umarmte innig das Kissen.
   

6. Schneeregen


Das Draußen dräußerte derart dräußernd, dass es selbst im bequemgemütlichen Klassenzimmer ungemütlich war. Ein creepies Wetter. Juliette versuchte, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch die Wetter gewordene Ungemütlichkeit klatschte gegen die Fensterscheiben. Anique war vor Schwäche gleich im Bett geblieben. Juliette überlegte sich, in ihr Luxusapartment zurückzukehren, denn die Facharbeit, in der sie die soziale Ungleichheit verteidigt hatte, war schon abgegeben. Bald 19-ter Geburtstag. In Anwesenheit zweier Mitmiezen der 12 rief ihr Vater an, und erkundigte sich, ob Juliette lieber einen Geländewagen oder einen Sportwagen wollte, einen luxuriösen Arenkord oder einen neiderregenden Higerado. „Hattest du schon Fahrstunden?“ fragte einer der Miezen. „Der Wagen ist nicht für mich und nicht zum Geburtstag“. „Sondern?“ „Für meinen Mann zum Hochzeitstag“. „Und bis es soweit ist, soll das Auto in der Garage verrotten?“ „Hältst du mich für so degeneriert, dass ich erst mit 25 heirate?“ Neid, purer Neid sprach aus der Zicke, und Ungemütlichkeitssensibilität aus der vewöhnten Juliette. Außerdem war die Erkältung noch nicht ganz ausgestanden.

„Das ist also das moralische Dilemma“, beendete die Referendarin den Satz. „So, wen würdet ihr in den Atombunker lassen, und wen würdet ihr opfern?“ „Rein demographisch betrachtet, zählen die Verdienste der Menschen gar nichts“, gähnte Eli, „es geht ja um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit. Ich würde auch gar nicht selbst entscheiden, sondern die KI entscheiden lassen. Die objektiv beste Lösung wird gefunden. Wer nicht zu den von der KI auserwählten 100 gehört, muss sterben“. „Und wenn einer deiner Freunde unter den Pechvögeln wäre?“ fragte die Nochnichtlehrerin. „Einer meiner Freunde? Ach, entscheiden wir jetzt auf einmal nach Zufallsprinzip?“ Alle lachten, Eli setzte nach: „Welcher meiner Freunde würde den nicht zu der Top-Elite der Patrizier-Optimaten gehören?“ Die Arroganz des blonden Engels brchte einen Bengel auf: „Jemand, der unfruchtbar ist!“ schoss auf ihm heraus.

Nach einer Peinlichkeitspause sagte Eli: „Jetzt wird es persönlich. Wenn es sich um jemanden handelt, den ich liebe, und beziehungweise oder den meine Geliebte liebt, hat das Überleben dieser Person höchste Priorität“. „Unerhört!“ schallte es. „Nepotismus!“ „Ich würde ohne eine gewisse Person nicht mehr leben wollen“, senkte Eli die Stimme. „Dann sind schon zwei Plätze für andere frei!“ polterte ein amerikanischer Austauschschüler. „Aber warum sollten die überhaupt überleben?“ philosophierte Eli, „welchen Sinn hätte das? Nein, ich würde meinen Platz nicht einem anderen überlassen, ich würde meine Gruppe von 10, vielleicht 20 Leuten in den Bunker bringen und dem Rest viel Spaß wünschen“. Es rumorte, die Arroganz der Ehrlichkeit war für manche unerträglich. „Es ist nicht einfach ein Gedankenexperiment“, vermittelte Sophie, „stellt euch vor, ihr wärt wirklich in der Situation“. „Klarer Fall“, scherzte einer ihrer Verehrer nicht ganz ohne Ernst, „dich retten, den Rest töten. Du sollst ja nicht nur überleben, du sollst es richtig gut haben“. „Und das Überleben der Menschheit?“ war die Referendarin den Tränen nicht fern. „Wir zeugen zehn Kinder, wir sorgen schon dafür, dass sich der Bunker füllt...“ Die Jungen lachten, die Mädchen kicherten, Sophie guckte verlegen und spielte mit ihrem Haar.

„Arenkord“, sagte Juliette. Am anderen Ende der Leitung lachte ihr Vater. „Und deine zwei Tanten stritten sich neulich, ob du ein Geldmensch bist oder ein Familienmensch“. „Nur weil ich verwöhnt bin, soll ich auf nutzlose Luxusobjekte aus sein? Haben die zu lange in Amerika gelebt?“ „Übrigens wirst du das Haus in Reburt neben dem Schloss erben“. „Aber ich lebe dort auf keinen Fall!“, ängstigte sich die Maus vor dem Geisterschloss. Kaum legte Juliette auf, klingelte das Telefon again. Es war ein schwedisches Model, ein kühles 19-jähriges Miezchen, das für ihre Fotoshootings immer von einer gewissen 16-jährigen Julia gestylt wurde. „Kannst du Julia einen Gefallen tun?“ „Gern“.


7. Ressentiment


Der Weg ins Luxusinternat nach der Schule fiel Julia nicht schwer. Sie dachte nicht einmal daran, warum die Natur so ungerecht war, sie nicht mit gleicher Schönheit wie Juliette oder Sophie auszustatten. Sie genoss den Umgang mit schöneren Miezen, die Gespräche, die Hautkontakte. Sie konnte den Neid nicht wirklich verstehen. Phantasien, wie etwa den Freund der Schönsten zu verführen, entsprangen allein ihrer Weiblichkeit, nicht dem Neid. Und nun war Juliette da und hörte zu: „Er ist seit Wochen verknallt in mich, aber anscheinend paranoid. Er hat wohl sehr schlechte Erfahrungen mit Mädchen gemacht. Er reagiert auf meine Signale mit Verdacht, zieht sich sofort zurück. Ignoriere ich ihn für ein paar Tage, fängt er wieder an, schüchtern aus der Ferne zu flirten. Ich mag ihn schon von der Erscheinung und habe mich ein wenig über ihn erkundigt. Er ist wirklich cool, aber...“ „Nicht schlechte, gar keine Erfahrungen mit Mädchen“, verstand Juliette. „Magst du ihn immer noch?“ „Ja, warum denn nicht!?“ „Ruf ihn einfach spontan an, brich das Eis“. Julia schwieg verlegen, sie hatte tatsächlich seine Nummer ausspioniert.

In einem nach Schweiß stinkenden Raum klingelte ein Telefon. Keiner ging ran. Der Orator fuhr fort: „Du bist den Weibern scheißegal! Weißt du, was du für sie bist? Ein Geldautomat, nichts weiter! Als mein Vater starb, was meint ihr, wie lange meine Mutter gebraucht hat, um über seinen Tod hinwegzukommen? Einen Monat? Wer sagt eine Woche? Wer sagt einen Tag? Ja, die Mehrheit, das freut mich, aber wartet, es kommt noch dicker. Als er nämlich noch im Sterben lag, schon da hatte sie einen anderen gefunden. Sie fickte mit ihm, während er noch arbeiten ging, während er noch den Nachlass regelte, damit ihr bloß nicht irgendeine seiner Ressourcen entging. Nur Ressourcen, mehr wollen die Weiber nicht von uns. Sie wollen uns nur verarschen, nichts weiter! Darum sage ich euch: ab heute existieren für mich keine Frauen mehr. Sie sind für mich Luft“. Das Telefon klingelte wieder. Diesmal ging der Angerufene ran und verließ den Raum.

In einem Billardcafé kam Julia exakt zur vereinbarten Zeit zum Date. Der Elftklässler zitterte innerlich, doch ließ sich nichts anmerken. Weiter hinten überstrahlte Juliette alles, was im Café sonst noch schön war. Das Date währte eine zweistellige Sekundenzahl und endete mit der Verabredung am Montag in der Schulbibliothek. Nun war aber Freitagabend. Etwas enttäuscht ging Julia nach Hause, während der Junge sein erstes Bier bestellte. „Noch nie Alkhohol getrunken?“ setzte sich Juliette zu ihm. Er erstarrte vor Schönsheitsehrfurcht. „Lass es lieber und komm mit“. Sie nahm seine Hand und führte ihn in einen musikstillen Raum. Sie ließ ihm Zeit, sich vom Schock zu erholen und stellte ihm dann Fragen in der Art wie sie in ihrer Facharbeit vorkamen. „Ich habe kein Problem mit Ungleichheit“, stellt er fest, „ich will nicht das Gleiche haben wie jemand, der mehr hat, ich will nur respektiert werden. Ich will eine Chance, mehr nicht. Dass ein Mädchen wie du für mich unerreichbar ist, ist in Ordnung, solange du in mir einen Menschen siehst. Erst wenn abscheulicher Dreck mir vorgezogen wird, sehe ich rot, und das ist weder bei dir noch bei Julia der Fall. Nein, ignoriert mich sogar, aber bleibt rein, zerstört euch nicht. Deine Verteidigung der Ungleichheit finde ich noch zu mild, die Gesellschaft soll brutal hierarchisch sein. Solange Gold oben und Dreck unten ist, bin ich mit dem dritten Stockwerk zufrieden und habe nicht vor, den 100-sten zu stürmen. Für eine solche Gesellschaft würde ich als Fußsoldat sterben, ohne eine Minute nachzudenken“. Juliette verstand, aus was für einer Gesellschaft dieser Immigrant gekommen war, und sie verstand nicht, wie diese Gesellschaften sich einen Planeten teilen konnten. 


8. MGTOW


Das Immigrantentreffen fand auch am Samstag statt, zwanzig junge Männer redeten schlecht über Frauen und tranken Bier. „Frauen wollen Arschlöcher“ lehrte der Guru, „weil Arschlöcher skrupellos sind. Frauen haben kein Gewissen. Wenn du ein guter Mensch bist, fühlen sich Frauen negativ gespiegelt“. Ein 17-jähriger Junge unterbrach ihn: „Nicht alle sind so“. „NAWALT!“ rief der Guru und alle lachten. „Hör, Junge, alle, und ich meine alle, alle Frauen wollen nur dein Geld und sonst nichts. Du bist kein Mensch für sie, du bist nicht einmal eine Sache. Eine Sache ist immerhin etwas wert. Women are human beings, men are human doings! Men are disposable utilities!“ „Es sind nicht die Frauen, es ist unser Land“, widersprach ihm der Elftklässler. Der Guru zog ihn aufs Podium. „Sprich weiter“, blickte er den Jungen erwartungsvoll an. „Unser Land hat die Frauen verdorben. Wir haben eine abscheuliche Kultur. Wie lange seid ihr denn schon hier? Keiner länger als ein Jahr, oder? Und wenn doch, dann schottet ihr euch ab. Die Menschen hier sind anders“. „Faschisten!“ erklang eine Stimme. „Kann man so sehen. Aber ist es nicht das, was wir sehen wollen, weil wir aus einem minderwertigen Land kommen?“ „Hör auf, wir sind bei allem auf Augenhöhe mit denen“, beschwichtigte ihn der Guru, „sie sind halt eben konservativ und wir liberal“. „Ja, hier schmeißt man eben die Bitch von der Schule, wenn sie ihre Unschuld verliert. Hier heiraten die Weiber früher. Hier rauchen und saufen die Frauen nicht, aber sonst...“ räsonnierte ein älterer Mann. Nach einer Pattpause übernahm der gewohnte Orator das Wort, der dreißigjährige Frauenhass-Guru. Und es ging wieder los.

Mit Hingabe und Zärtlichkeit stylte Julia Juliette. Dann shooteten Unimiezen sie photo, schließlich war Schluss. Julia und Juliette kuschelten in einer Kuschelecke über dem Schulpool. „Ich habe nie geahnt, wie sehr sich ihre Kultur von unserer unterscheidet“, gruselte sich das Model, „der Junge ist schwer traumatisiert schon durch seine Herkunft“. Julia weinte fast. Sie mochte ihn wirklich. „Warum nuken wir sie nicht einfach?“ brach aus ihr heraus. Sie schwiegen, dann dachte Juliette laut nach: „Wie wären wir geworden in einer Gesellschaft entfesselten Abschaums?“ Ihr größter Verehrer nahm nach nonverbaler Erlaubnisanfrage Platz: „Du hast Abschaum gesagt?“ „Hast du eine Ahnung, was auf der anderen Seite des Ozeans los ist?“ „Leider ja“, sagte der Hochspringer, Bildhauer und Photograph.

„MGTOW...was ist MGTOW?“ fragte Julia. „Schau dir dieses Video an“, empfahl der edle junge Mann aus Reburt. Zwanzig Minuten später kommentierte Julia mit einem entsetzten Kopfschütteln. „Das Traurige ist, dass dieser scheinbar misogyne Bastrad recht hat: dort drüben sind die Frauen so“. „Aber... wir sind doch eine Menschheit. Wie kann das sein?“ „Eine anthropologisch interessante Frage. Kiite Aurele, kennst du wahrscheinlich nicht, schrieb noch im letzten Jahrhundert, dass die Frauen dort drüben keine Seelen haben. Die Iciisten neigen dazu, den Grund für alles gleich im Transzendenten zu verorten“. „Und was denkst du?“ „Nicht so einfach. Unsere Vorfahren sind vor Jahrhunderten dorthin emigiert. Natürlich, die meisten Verbrecher, Räuber, Mörder, Piraten. Aber eine andere Menschenart, nein, das ist, wissenschaftlich gesehen...“ Julia erinnerte sich an ein Buch, das ihr Großvater auf dem Tisch liegen hatte. Dort war von 16 sogenannten Piedestallen die Rede. „Wir sind 5-ter Piedestall wie die Kerier und Venger“, entsann sich Julia, „4 Menschenarten stehen über uns, aber irgendwo weiter unten ist eine Grenze...“ „Beseelungsgrenze“, wusste der Künstler, „und die ab dem 10-ten sind NPCs“. „NPCs?“ „Non-player characters. Seelenlose halt“. Julias Seele fror. Sie ging mit dem jungen Mann ins Atelier und trank einen Tee. Auf einmal lachte er los und konnte nicht mehr aufhören. Als er sich schließlich dazu durchrang, sagte er: „Weißt du, wie der Autor die Ränge über dem 5-ten nannte? Elfen, Feen...“ und diesmal lachte er weiter, ohne den Satz beenden zu können, denn Julia musste gehen.

 

Sonntag, 20. September 2020

Miezen

 

 

1. Neid


Eine blonde langhaarige Achtjährige, so zierlich wie eine Maus in diesem Alter überhaupt sein kann, blickte auf die herrschaftlichen Fische mit großen Augen. Sie warf Ariadne einen Blick zu und lächelte. „Warum ist sie glücklich?“ fragte bohrend die blonde, schlanke aber schon vollentwickelte 15-jährige Kithie ihre gleichaltrige Freundin. „Was meinst du?“ schmunzelte Ariadne doppeldeutig. „Wie ich die Frage meine, oder was ich selber denke?“ flüsterte eine blonde unsichere Stimme. Die jungen Miezen setzten sich auf hohe Stühle vor dem Rochenarium. Die sehr zierliche brünette Ari bestellte einen Kaffee schwarz wie die Nacht, Kithie einen Milchshake. „Ich war auch glücklich, als ich so alt war wie sie“, fing Kithie wieder an. „Worin besteht denn das Glück?“ „Ari, als ob das nicht klar wäre!“ war die Blondine der Verzweiflung am nächsten.

Das kleine Mädchen ging Hand in Hand mit einem ungefähr gleichaltrigen Jungen zu den kleinen Aquarien, dann verschwanden Kindin und Kind aus dem Blickfeld der Miezen. „Warum mag ich keinen, der nett ist?“ stellte Kithie ihre blonde Frage keineswegs rhetorisch. „War es früher noch anders?“ lächelte Ariadne wohlwollend. „Als ich 9 war, hat sich ein Junge in mich verknallt, er war so süß zu mir, und das machte mich glücklich. Jetzt habe ich das Gefühl, keiner ist mehr in mich so verknallt wie früher“. „Oder du fühlst dich davon abgeschreckt, wenn jemand rein und ehrlich für dich etwas empfindet“. „Ja... aber warum ist das so? Warum kann ich diese Liebe nicht mehr fühlen?“ Ariadne schwieg. Sie sah sich um, da waren irgendwo drei lachende Miezen, wahrscheinlich aus dekadenterem Ausland. „Warum sind die glücklich!?“ Jetzt musste Ariadne lachen.

Die Mädchen saßen nun auf dem Sofa in der großen Stadtbibliothek und blickten auf die belebte Einkaufsstraße. Es war Ende Januar und sehr kalt, draußen fror man, drinnen war gemütlich. „Ari, der ist doch zu jung für dich und viel zu nett!“ beschrieb Kithie den Freund ihrer Freundin. „Und wo ist er jetzt überhaupt?“ „Er lernt“, schmunzelte Ariadne, aber nicht darüber. „Warum mag ich keinen, der nett ist!?“ „Weil du dabei nichts fühlst. Beziehungsweise nicht das fühlst, was du fühlen möchtest“. Kithie schwieg, weil sie nichts verstand. Doch sie verstand etwas. Also schwieg sie noch angestrengter. „Deine beste Freundin, oder wie auch immer du sie nennst, diese... dieses Kind, das 15 ist wie wir aber wie 11 aussieht. Ihr Freund ist doch viel älter“. „Ja, 21“. „Und er ist so... beschützerisch. Was hat sie davon? Er beschützt sie NUR, weißt du was ich meine? Aber vor wem denn?“ Ariadne kicherte. „Ich meine, wir sind doch alle wohlbehütet, verwöhnt, wir brauchen doch keinen Beschützer?“ „Liebt man denn, was man braucht?“ tötete Ariadne mit einem philosophischen Satz das Mädchengespräch.

Auf dem Heimweg dachte Kithie ausnahmsweise mal nach. Ein Beschützer kann einer Maus nur das geben, was sie schon hat, und einer Maus reicht es, sie ist schwach, zart, hilflos und ängstlich. Aber eine Mieze braucht was anderes, dachte sie. Kithie kam darauf, dass sie sich selbst spüren wollte: ihre Selbstwirksamkeit durch das Begehrtwerden. Liebliche Blicke sagten ihr nichts. Aber sobald jemand was von ihr wollte, war sie erschrocken und ging auf Distanz. Am schlechtesten traf es die, die nett zu ihr waren, WEIL sie was von ihr wollten. Doch da war dieser arrogante Typ, der wollte gar nichts, der war viel älter, wahrscheinlich schon auf der Uni, und dem sie mit Julia und Sophie auf dem Schulhof von Aris Eliteschule begegnet war. Der hatte sich ungeniert über ihre Naivität lustig gemacht, machte keinen Hehl daraus, dass er sie für dumm und einfältig hielt, und sie damit an. So jemanden wollte sie als Freund, das kitzelte. Doch die Kälte des späten Januars sollte Kithies Gehirn aus dem Schädel blasen.

„Was??? Das ist der Beschützerfreund deiner besten Freundin!?“ war Kithie erstaunt, als Sophie und Julia sie über die Identität des arroganten Traumschurken aufklärten. Ariadne nickte. „Den hatte ich mir anders vorgestellt“, murmelte Kithie. Sie blickte neidisch zu Sophie, die den Typen anscheinend besser kannte. „Wie ist er denn zu dir so?“ „Normal“ schulterzuckte Sophie schulterzuckend. Julia musste lachen. „Gar nicht mal scharf auf dich?“ starrte Kithie neidisch auf die topmodelhafte Sophie. „Er ist auf gar keine Mieze scharf. Er ist halt ein Beschützertyp, er verknallt sich ausschließlich über den Beschützerinstinkt“. „“, pflichtete Ariadne bei. „Aber seine Freundin ist 15... und wohlverwöhnt und hochbehütet ehh andersrum... ihr wisst schon...“ „Jedem das Seine, wird wohl die Lösung sein“, philosophierte Julia. „Du bist 16 und weise, aber ich noch 15. Erklär es mir wie einem Kind, was ich eigentlich will!“ zickte die Blondine. „Aufmerksamkeit vielleicht“ lächelte Sophie zärtlich. Aufmerksamkeit hatte sie ja genug, von beiden Geschlechtern. Da kam der Freund von Ariadne: ein Bild von einem 15-jährigen Jungen, dazu noch schulterlanges blondes Haar und ein souverän verknallter Blick. „Ihr seid noch Kinder“ flüsterte Kithie dem sich entfernenden Paar hinterher. „Und du?“ fragte Julia so fragend, dass es nicht mehr Frage war, sondern Fragestellung. Sophie gähnte und drehte sich halb um, als Kithie sich nach dem Wohin erkundigte. „Die beste Freundin von Ari beschützen“, lächelte Sophie. „Aber warum? Sie ist doch die beschützteste und...“ Julia verabschiedete sich mit einem Satz, in dem die Wendung „...falls du etwas brauchst“ vorkam. Aber Kithie wollte nicht mehr brauchen. Sie wollte wollen.       


2. Eli


Ein abgekürzter hochnordischer Name zierte den hundertmäusigen Kugelschreiber in Goldschrift. Die Mädchen guckten auf sein schulterlanges Haar, als er seinen Aktenkoffer auspackte, und konnten nicht genug von ihm sehen. „Sophie, die Begehrtesten sitzen hier“, ließ er die supermodelartige Klassenkameradin neben sich sitzen. Ein herrlich arroganter Jüngling, dieser miezenherzenhochschlagenlassende Eli. Es entbrannte eine geschlechterübergreifende Diskussion darüber, wer der Coolman Champ sei. „Das ist der Typ, der immer den Kopf hinhält und sich am Ende opfert, ohne jede Emotion“, meinte einer. „Nein, das ist der, der alle killt, die ihn gewrongt haben“, meinte ein anderer. Sophie fragte in den Raum, was wohl Ari darüber sagen würde, dass einer sein Leben lang emotionslos seine Pflicht tut, nie lächelt, nie zürnt, nur für seinen Job als Cop lebt. „Sie kennt bestimmt den philosphischen Begriff dafür“ zickte eine Mieze und die Stunde begann.

Sophie und Eli wirkten, wenn sie nebeneinander saßen, wie zwei alte Freunde, wie zwei Jungen, die seit dem Kindergarten zusammen Fussball spielten. Und kein Mädchen war so elegant weiblich-miezenhaft wie die etwas dunkler blonde Sophie. Aber sonst müsste ja Eli wie ein Mädchen wirkten, da sie sich in ihrem Verhalten automatisch einander anglichen; nun war es eben Sophie, die Eli vollkommen spiegelte. Sie war stolz, intelligent genug zu sein, um seinen Wortmeldungen zu folgen, und vervollständigte sie immer wieder so, dass Eli sich zurücklehnte und zufrieden lächtelte. Besonders Gesellschaftskunde machte beiden Spaß, wo sie sich gegenseitig große konservative Bälle zuwarfen. Und da ging auch die Zeit schnell rum. „Weltkulturerbe?“ fragte Eli. Sophie nickte und ging zum täglichen fünfzehnminütigen Photoshooting. Es gab seit einiger Zeit diese Abschlussklassenmiezen, die dafür sorgen, dass mädchenische Schönheit für die Nachfolgegenerationen nicht verlorenging. Es könnte ja ein Atomkrieg ausbrechen.

Der Abend war dem Ende nah, Eli erledigte seine Lern- und Sportroutine und erwartete mit großer Ungeduld den einzigen Menschen, in dessen Gegenwart er sich unsicher fühlte. Und da kam schon sie, diese Eine, die; sie legte ihre zarten Mädchenhändchen in seine edlen Hände und blickte ihm tief in die Augen: „Miaust du etwa in Gedanken? Vergiss nicht, ich kann deine Gedanken lesen“. Sein Herz schlug schnell, er sagte nichts, und ging erstmal in die Designerküche, um etwas zu trinken. Ariadne packte ihre Schulsachen aus, und beim Besprechen des Unterrichtsstoffs war Eli wieder der arrogant Entspannte. Dann aber klopfte das Herz wieder. „Was ist denn, ich bin doch hier?“ „Warum habe ich so eine Angst, dich zu verlieren? Warum bin ich so eifersüchtig, ohne zu wissen, auf wen?“ Ariadne sah ihn verlegen an und er fragte: „Warum bist du so unerreichbar?“ Sie nahm seine Hand und stellte mit großer Zärtlichkeit fest, dass sie doch seine Freundin war. Doch sie verstand, was er meinte.

Kuschelnd saßen sie auf der Couch und hörten sphärische Musik. „Ich will mich nicht so unsicher fühlen, aber es ist das beste Gefühl, was es gibt“, sagte Eli. „Doch es macht mich auch paranoid. Als ob da noch jemand wäre“. „Es gibt keinen“, zärtelte Ariadne in sein Herz. Dieses atmete auf, doch schlug nach kurzer Zeit wieder schneller. „Wie kann jemand so perfekt sein?“ Ariadne kicherte. Eli erstarrte in glücklicher Verzweiflung: „Genau so wie du bist, ich mag dich so sehr, wie kannst du so genau so sein, wie in meinen schönsten Träumen von einem Mädchen...“ Ariadne fing an, ihn zu kitzeln, Eli wurde immer verlegener und verbarrikadierte sein Gesicht mit einem Kissen. Ariadne nahm ihm das Kissen ab und beugte sich über ihm, seine Augenlider anpustend. Er ließ ihre engelhaft-unschuldigen Zärtlichkeiten zu und versuchte nur, die Zeit anzuhalten, welche jedoch verging. Nicht nebeneinander, doch nicht weit voneinander in händchenhaltifiziell optimaler Entfernung schliefen sie ein. „Keine Angst, mir sind Jungen gar nicht so wichtig“, wollte Ariadne seine Eifersucht vertreiben. „Aber ich dann auch nicht“, stellte Eli trocken fest, „...aber ich weiß, was du meinst. Genau so wie du bist, idealer hättest du nicht sein können. Genau so habe ich mir die Liebe meines Lebens vorgestellt“.    


3. Fliegende Kühe


Heiße Sommernacht, auf dem Boden der Veranda schläft eine Dorffamilie. Die Nacht ist hell, obwohl es schon spät ist. Und da kommen sie, fliegen über die Heizzentrale hinweg, da sind sie über der Kreuzung, und die schnell zugemachte Tür soll sie vom Eintritt ins Haus fernhalten. Die Tür bleibt halbgeöffnet, denn da drängt sich schon der Kopf einer gelandeten fliegenden Kuh. Die andere Kuh steckt ihre neugierige Visage ins kleine Fenster. Der Cast wird genannt, und noch bevor ihre Maus von einer besten Freundin zusammenzuckt, nimmt Ariadne sie fest in den Arm. Die dreiköpfige Fraktion der Miezen aus der 10 sitzt auf dem grandiosen Cineastensofa umschlossen von zwei Abschlussklassenmiezen und der aus dem Alter herausgefallenen 17-jährigen Lieth. „Ich habe ständig solche Träume“ flirtet sie mit den Beschützerinstinken von Juliette, der extrovertierten Hellblonden aus der 12. Die Mädchen kuscheln sich in die Nacht und erzählen ihre Alpträume. Mal hört der Beschützer von Ariadnes Schützlingsmaus zu, mal geht er in sein Büro und handelt online ein paar Aktien.

Von jugendlicher Rivalität giftgeschwängerte Atmosphäre. In einem mentalen Schutzanzug sitzt Ariadne neben Sophie, die sich etwas unwohl fühlt, weil überstrahlt. Dabei ist Ariadne so unscheinbar introvertiert. Und doch fühlt sich Sophie überstrahlt. Ariadne setzt sich zu zwei Jungen aus der Abschlussklasse, die sie über laufendes Geflüster aufklären. „Wo seid ihr denn immer?“ „Wer? Achso, die Schönsten“, versteht Ariadne. „Warum geht ihr nicht auf Geburtstage?“ „Die gehen ja schón auf Geburtstage. Nur halt nicht so oft. Und nicht zu jeder Party“. „Läuft heimlich da insgeheim was Geheimes?“ Ariadne kichert. „Was erzählt man denn?“ fragt sie nach einer Peinlichkeitspause. Die Stadtlegende von einer Sexlehrerin wird erzählt: eine scharfe Mieze Ende 20, die aus Lust an jungen Miezen als Lehrerin arbeitet, um die dann nach der Schule bei sich zu Hause, man weiß schon. Die Leute haben eine große aber keine reiche Phantasie, stellt Ariadne fest.

Lieth ist so schüchtern. Wo ist sie? Ariadne findet sie in einem Ausstellungsraum wieder, wo ein Künstler aus der 11 seine Bilder ausgestellt hat. Ein bildhübsches Bild von Sophie ist zu sehen, süß. Stilleben mit Früchten, die nicht existieren, kreativ. Und das hier, sollen das Körbe sein? Tatsächlich, Körbe. Viele Körbe verschiedener Machart und Größe. Und auf jedem die Unterschift von Sophie. „Wo ist deiner?“ fragt ein Elftklässler einen anderen, der verstummt und geht. Ariadne und Lieth gehen, Sophie bleibt noch und verteilt weitere Körbe. Sie wollte sich noch mit Julia unterhalten. Wenn es ein klassisches Nice Girl gibt, dann ist es Julia; wohlbehütet, aber nicht verwöhnt, 16. Ein krasser Außenseiter in ihrer Schule ist in sie verknallt, und sie mag ihn. Aber sie weiß nicht, wie sie ihm klarmachen soll, dass er keine Lächerlichmachung zu fürchten hat „Mäuschen“, flüstert sich ins Ohr der 17-jährigen Lieth. Ariadne bringt sie zu den zwei Miezen aus der 12 und geht in der dunklen Januarnacht aufs Dach ihrer Eliteschule. Es ist unbescheiden kalt.  


4. Unruhige Nacht


Wieder schlief Ariadne bei Eli, wieder trug der herzenszarte Jüngling schwer am Vergehen der Zeit, und abermals flirtete er mit ihr, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt, obwohl sie so fest zusammen waren wie der Punisher und sein Hass auf das Verbrechen. Kithie schlief bei Julia, sie unterhielten sich über Jungs, schliefen dann ein, bis ein Geräusch die scheinbar prüde Julia weckte. „Berührst du dich?“ fragte sie empört. Kithe verneinte, aber ihr Atem war immer noch flach, und noch einmal stöhnte sie. „Doch, du berührst dich, Kithie“, rügte Julia mit süßer Stimme. „Ich will Sex“, gab Kithie zu. „Mit wem denn?“ „Ach, ist kompliziert“.

Die 18-jährigen Abschlussklassenmiezen waren auch zusammen und küssten sich. Lieth las bis 3 Uhr nachts ein Buch, neben ihr schlief mit mit astronomischen Motiven bebilderter Schlafmaske Ariadnes beste Freundin. Eli träumte von einer hohen Treppe, die er schnell hinaufging, oben sah er einen Grundschüler-Schulranzen, der Ari gehörte. Er suchte auf einem geräumigen Dachgelände nach ihr, das Gelände verwandelte sich in einen Basar, teilweise war es auch ein Zoo, eine Eisdiele und eine Universitätsbibliothek. „Was suchst du hier, kleiner Junge?“ fragte freundlich eine elegante dürre Gestalt, etwa Zweimeterzwanzig hoch. Eli wachte nunmehr in einem futuristischen Raum auf und blickte aus dem Fenster: ein Stadtpanorama wie schönste Zukunftsmusik, der Downtownboden war vom Skyscraperfenster gar nicht zu sehen. Nur Wolken schauten kurz vorbei. Elegante dürre Gestalten unterhielten sich. Ihre Stimmen beschämten ihn. Eine männliche Stimme sagte: „Klein, breit, schwer, IQ nur 143“. Ohne dass ihm dies auf irgendeine Weise vermittelt wurde, wusste Ari, dass der Durchschnitts-IQ auf diesem Planeten bei 180 lag. Alle waren extrem schlank und hoch, feingliedrig, kindergesichtig, unsagbar schöner als er, der Schönling. Er wachte auf und Aris Hand lag nicht mehr in seiner.

„Kithie, du berührst dich wieder“, bemängelte Julia, doch diesmal kokett. Der Gedanke, dass Kithie, die neben ihr lag, sich berührte, erregte sie. „Woran denkst du denn?“ fragte Julia nach einer Peinlichkeitspause. „Ähhh... hmmm... hihi... hmmm... ich wäre gern eine erwachsene Frau und würde Sophie vernaschen“. „Wie vernaschen?“ „Vernaschen... lange naschen...“ „Wie vergewaltigen?“ „Ja, schón, aber nicht mit Gewalt. Sie festhalten und ihre Zartheit fühlen. Und du? Hast du auch Phantasien?“ „Eli verführen“. „Was? Den Freund von Ari?“ „Ja“. „Und wie verführen?“ „Einfach verführen“. „Einfach Sex mit ihm haben?“ „Ja“. „Und was ist daran Phantasie?“ „Na das ist meine Phantasie“. „Ist irgendwie... nicht pervers“. Julia schwieg, dann sagte sie entschieden: „Doch. Dass der Freund von Ari, der begehrteste Junge, sie mit mir betrügt“.

Ariadne wachte auf und sah zu Eli. Er hatte sich nach einem Glas Wasser wieder hingelegt und zitterte. Ariadne kuschelte sich an ihn und er fragte nach der Zeit. „Ach, schon halb Sieben“, seufzte Ariadne. Sie kuschelten, still, lange, kindlich; sie kuschelten und kuschelten. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein, der Wecker beeilte sich jedenfalls nicht besonders. Und die Zeit verging nicht. Eli griff nach seiner Armbanduhr und es war 10 vor 5. „Ari, es ist noch nichtmal 5! Vor ein paar Stunden sagtest du, es sei halb Sieben!“ „Ich wollte die Zeit für dich anhalten“, flüsterte Ariadne.

Samstag, 12. September 2020

Antibechdel

 

 

"Du!" herrschte der maskulin-dominant aussehende Greg den etwas schwuchteligen Ignacio an, "Pass auf, dass sich nie zugleich zwei Frauen in diesem Raum befinden!" Ignacio nickte unterwürfig und verwehrte der dicken Drei Mitte 30 den Zutritt. "So, was haben wir da?" "Ich heiße..." begann die kleine zierliche Zehn, doch wurde von Greg sofort unterbrochen. "Nicht tätowiert, gepierct, entjungfert?" Sie wollte etwas sagen, doch Greg stellte klar: "Ich rede nicht mit dir". Er sah den Doktor an, und dieser nickte väterlich. Ein leidenschaftlicher Fischer, dieser Allgemeinmediziner in seinen goldenen Siebzigern. Mild vom Charakter, doch in den Details sehr genau. "Perfekte kleine Brüste, makellose helle Haut, und Genitalien, vor denen man sich nicht ekeln muss". Greg zündete eine Zigarre an und schaute in den großen Glaskasten mit den vielen Kuschelkissen und anderem Frauenzeug. "Was sagst du?" fragte er seinen Türsteher. "Sie passt gut zu den anderen", beantwortete der muskulöse etwas mafiös aussehende langhaarige Mann die Frage, ein korrekter, herzlicher Mann. 

"So", befahl Greg, "schmeißt die Dicke raus!" Alle im Raum versammelten Männer lachten, während der Doktor vervollständigte: "Auch für niedere Frauenarbeiten wollen wir mindestens eine Fünf haben. Und keine Frau über 30 darf jemals diesen Raum betreten". Greg setzte sich in seinen hohen Chefsessel und machte eine Flasche Single Malt auf. Natürlich war es der 25-jährige Lagavulin. Als alle anderen Männer gingen, setzte sich der Doktor Greg gegenüber an den Tisch, nahm ein Whiskyglas und sagte: "Sie passt nicht nur gut zu den anderen, sie ist sogar viel besser als sie alle. Ihre Nase ist einfach perfekt, so eine perfekte Nase habe ich noch nie gesehen. Jeder Attraktivitätsforscher wird angesichts ihrer Gesichtsproportionen jubeln". Greg gähnte: "Kann sie Whisky eingießen?" "Durchaus", lachte der Doktor lebhaft, und ging ins Detail: "...perfektes Handmodel, kleine Hände, lange, sehr schlanke Finger, lange Nagelbetten im perfekten Verhältnis von 1,6 zu 1, wohlgewölbte Krällchen". "Das hört sich luxuriös an. Wenn es was zu präsentieren gibt, sollen die Leute ihre Hände sehen". Der Doktor trank seinen Whisky und schaute sich die wunderschöne junge Frau genüsslich an. Auch Greg penetrierte sie mit eindeutigen Blicken. "Die Schüchterhneit in ihren Augen finde ich süß", wurde er weich, wobei dem Doktor beim ins Lachen übergehenden Lächeln das Zynische an diesem Satz nicht entging.

Als Greg mit ihr allein war, schloss er den großen Glaskasten auf: "Das ist ab jetzt deine Arbeit. Wenn du Kätzchen magst, lasse ich dir Kätzchen bringen. Mach einfach hier drin, wozu du Lust hast. Du bist die Schönste, sozusagen, die Prinzessin. Die anderen Mädchen sind für dich da. Wenn du Wünsche hast, sag es mir, ich bin der Mann, für den nichts unmöglich ist". Sie bedankte sich mit ihrer leisen und zarten Stimme und bereitete sich auf ihren ersten Arbeitsabend vor. Drei Stunden später saß sie mit drei Neunen und einer weiteren Zehn im großen Glaskasten auf den vielen Kuschelkissen, die Miezen spielten mit Schmuck und Kuscheltieren, lachten, kitzelten einander und sahen einfach umwerfend aus. Auf der anderen Seite des Glaskastens begann Greg eine Aktionärsversammlung. "Meine Herren, jeder weiß, was ein Aquarium ist. Tony hat ein großartiges Aquarium, da sind sogar Haie drin. Luke hat ein noch größeres Terrarium mit Anacondas. Meine Freunde, das was diesen Raum von drei Seiten umgibt, ist ein Miezenarium". Es wurde nun über Wichtiges geredet, während die Miezen hinterm Glas beim Händchenhalten & Kuscheln mit großem Interesse und voller Bewunderung über die anwesenden Herren sprachen.

Bechdel, Superbechdel, Beyond Bechdel

Bechdel

Zwei Frauen tranken Kaffee und sprachen miteinander. Und sie hatten Namen. Und sie sprachen nicht über einen Mann.

 

 

Superbechdel

Liliane und Jessica betrachteten einander kampfbereit, beide aus einer Position der Stärke. Frauenfeind, wer glaubt, das wäre ein dummer Zickenkrieg. Liliane war 17 und Jessica erst 14, und doch waren beide sehr reflektiert und wussten über sich selbst mehr als der Leser jemals erfahren wird. Sie wussten auch, dass sie sich in einer Geschichte befanden. "Und doch ist die Welt keine Simulation, denn wir haben eine Identität", stellte Liliane fest. "Das macht unseren Kampf umso bedeutungsvoller", schwängerte Jessica die dicke Luft mit Bedeutung. "Ich wurde am 11.2.2001 erfunden, ich bin deutlich älter als du", belächelte Liliane ihre jüngere Rivalin. "Ich aber dominiere die Narrative von 2007 und 2008 und bewohne mehr Mädchiversen als du dir vorstellen kannst!" "Doch kein einziges Lesbiversum führst du als Hauptperson an. Außerdem ist Lea schöner als du und meine Maus". "Doch die schönste der vielen Leen, die Icy-15, gehört nicht in dein Narrativ". Und so stritten sie ernsthaft und entschlossen mit logischen Argumenten, ohne emotional oder hysterisch zu werden. Charakterlich starke Frauen kennt die Welt der Erzählungen durchaus, doch hier waren zwei charakterlich starke Mädchen ernsthaft miteinander am Kämpfen, die nicht in das diskriminierende Klischee von weiblichen Teenagern passten.

 

 

Beyond Bechdel 

Nach der Verteidigung ihrer Masterarbeit, in der die 16-jährige Anika den Satz des zu vermeidenden Widerspruchs widerlegt hatte, wartete sie bis zur Freitagnacht ab und ging erst in der Dunkelheit aus, und zwar allein. Sie dachte über die falsche Absolutheitstheorie von Alberta Zweistein nach, nach der der Wert der Lichtgeschwindigkeit eine absolute Größe war. Dabei wusste Anika schon als Kindin, wie relativ alles ist. Ihre Professorinnen hatten ihr schon mehrmals indirekt angedeutet, dass es vielleicht vorstellbar wäre, dass Anika ihre Doktorarbeit in Astrophysik schreiben könnte, vielleicht aber auch nicht. Die weiß-silbern glänzenden Schuhe mit 7 Periode 3 Zentimeter hohen Absätzen drückten etwas, vielleicht war es aber auch nicht so, nicht im Sinne von eingebildet, sondern in dem Sinne, dass Anika vor dem Date nervös war.

Anika Sophie Elle spielte mit ihrem langen blonden Haar und den Armbändern, während die starke, selbstbewusste und unabhängige Clarice Ellis Lieth sie vom gegenüberliegenden Sitz buchlesend beobachtete, was mitnichten heißt, dass die kluge und sehr gut aussehende Frau Ende 20 das Buch von Rogeria Penrose nicht auch las. Sie hatte ein Dominanz ausstrahlendes Kleid an und ließ mit sich flirten. Anika flirtete zwar nicht, und nun auf einmal doch, sodass das Date, zu dem sie aufgebrochen war, ebennun ein Date mit Clarice war. Und schon gingen sie Händchen in Hand durch das nächliche Berwien, was nicht heißt, dass Clarice nicht auch schlanke und schöne Hände hatte, nur waren sie halt miezenhaft und nicht mädchenhaft schön, wobei Anikas Hände einerseits dezent miezenhafte Mädchenität und andererseits kindliche Miezifizienz ausstrahlten. "Du wärest das Paradebeispiel für ein sogenanntes Weißhändchen", übersetzte Clarice ein Wort aus einer der neun Sprachen, die sie fließend sprach.

Zwanglos und nicht an maschinenhafte Frage-Antwort-Logik gebunden, kam das Gespräch nach eineinhalb Stunden auf das Thema Weißhändchen zurück, als Anika nebenbei bemerkte, dass ihre wunderschönen Krällchen noch nie im verführerischen Rot erstrahlt hatten. "Dann ist heute der Tag", lächelte Clarice, es sagend, und brach mit einem eleganten Trick in ein luxuriöses Nagelstudio ein, das zur Mitternacht geschlossen hatte. "Dunkles Kirschrot würde super passen", wählte Clarice einen Nagellack aus. "Helles Kirschrot", lächelte Anika verspielt. "Mitteldunkles", wies Clarice nonverbal auf die zur Länge der Krällchen passende Farbe hin. "Oder willst du wie 12 aussehen?" versicherte Clarice sich rück. Als der Nagellack aufgetragen war, flüsterte Clarice bedrohlich: "So zarte Hände, so dünne und lange Fingerchen", vielleicht aus Eifersucht oder Nied, vielleicht weil sich darin der Umstand spiegelte, dass man das Alter an den Händen ablesen kann, während manch eine hübsche und schlanke 29-Jährige, gelingend geschminkt, in einer frühseptemberlichen Freitagnacht für eine 19-Jährige durchgehen könnte.

Donnerstag, 10. September 2020

Female Nature

 

 

Ein anständiger Mann ging seinen eigenen Weg und lernte eine Frau kennen. Sie hatten beruflich miteinander zu tun und wurden gute Bekannte. Als die Frau begriff, dass er trotz großer Sympathie keine Anstalten machte, ihr den Hof zu machen, begann sie, ihm wie ein Hündchen nachzulaufen und fragte nach mehreren ignorierten Flirtversuchen, warum er keine Beziehung mit ihr wollte. Er sagte: "Weil du eine Frau bist. Jetzt, wo du mir egal bist, findest du mich interessant, aber sobald ich Gefühle in dich investiere, findest du mich langweilig. Warum sollte ich mich auf jemanden einlassen, der mich mit Sicherheit verletzen wird? Und das, worauf es meistens hinausläuft, Ehe und Kinder, kann ich moralisch nicht verantworten". Doch sie war sehr attraktiv und überzeugte ihn auf emotionaler Ebene, dass eine glückliche Beziehung möglich war. Und sie heirateten tatsächlich. Sie hatten eine Tochter und einen Sohn, und solange die Kinder klein waren, waren sie eine glückliche Familie. Doch sechs Jahre nach der Hochzeit ließ sich die Frau aus einer Laune heraus scheiden und nahm dem Mann die Kinder weg. Obwohl sie die Kinder vernachlässigte, entschieden die Gerichte immer wieder zu Gunsten der Mutter, deren wechselnde Lebenspartner das Mädchen sexuell missbrauchten und den Jungen misshandelten. Jahre später trafen sich Vater und Mutter auf der Beerdigung ihres Sohnes wieder, der sich eine tödliche Dosis Heroin gespritzt hatte. "Warum hast du uns das angetan?" fragte der Mann. Durch Trauer zur Ehrlichkeit bewegt, sagte die Frau: "Ich konnte nicht anders. Ich bin eine Frau".