Rost
und Scheiße auf der Mistschaufel, eine Vorfreude in den Augen. Morgen
Zahltag, dann hat Ellie die 1000 Euro und kann dem Club beitreten.
Grünlich-bräunlich glänzt und stinkt halbflüssiger Mist, die Kühe liegen
entspannt nebenan und kauen wieder. Bald Abend, entspannt. Doch eine
Kuh steht auf und kackt, während die kleine Frau beziehungsweise das
große Mädchen eine SMS schreibt. Frischer, warmer Kuhmist fällt auf die
Schuhe, sickert durch die Socken. Der Bauer kommt vorbei und gibt ihr
seine alten Schuhe, Ellie duscht ihre Füße ab und zieht sie an.
„Entspannt“, bedankt sie sich und raucht einen mit dem Bauer. Der letzte
Bus aus Zitzwitz fährt schon um 18:44, Beeilung. Die Schuhe sind drei
Nummern zu groß, Ellie verliert sie immer wieder, während sie läuft, und
der Bus fährt ohne sie ab.
Um 18:57 sitzt sie bereits in einem kackgrünen VW Passat, der sie nicht
direkt nach Hause bringt, aber zumindest in die Richtung. „Darf ich
rauchen?“ Der Fahrer nickt. „Entspannt“, bedankt sich Ellie und zündet
eine Selbstgedrehte an. Minuten vergehen wortlos, dann meldet sich die
Nase des Fahrers. „Hast du Durchfall oder sowas?“ jucken seine
Nasenschleimhäute zur direkten Nachfrage. Ellie verneint und prüft ihre
Kleidung, wobei sie feststellt, dass Kuhmist auf der Rückseite ihres
T-Shirts ist, gemütlich und warm versteckt zwischen T-Shirt und Jacke,
etwa 150 Kilokalorien, wenn man ihn essen würde. „Scheiße“, sagt Ellie
und entschuldigt sich. Der Fahrer bringt sie noch zum Bahnhof Neumeuchel
und fährt weiter nach Aaschhausen zu Frau und Kindern.
So gegen 20 Uhr ist Ellie denn auch zu Hause, eine enge WG, es ist
verraucht und laut. Ellie verschwindet gleich in ihrem Messie-Zimmer,
macht eine Online-Überweisung und geht duschen. Sie sucht minutenlang
nach der Pille, nimmt sie schließlich. Es fängt an zu regnen,
Hundehaufen werden weicher, bis sie sich im Regenwasser auflösen. Ellie
schläft ein. Sie hat vergessen, dass sie heute zum Essen und Ficken
verabredet war, aber ihr Freund ist ein Loser und taugt eh nix. Und
trägt immer dieses alte kackbraune Sweatshirt, das viel zu groß und viel
zu dämlich aussieht. Und kifft zu viel. Könnte auch auf dem Bauernhof
arbeiten. Der nächste Morgen, schnell gefrühstückt, dann Stuhlgang.
Ellie schiss diesmal eine Art Vogel, so sieht der Haufen jedenfalls aus.
Eine Taube? Ja, eine Taube! Entspannt.
Noch nie hat Ellie für so teuer Kleidung eingekauft, aber sie will nicht
schon vor der Tür abgewiesen werden. Klein, fast zierlich, BMI 21,4.
Sie steigt ins Taxi, um mit dem Taxi am Zielort anzukommen. Das Taxi
fährt gleich an der nächsten Ecke über einen riesigen Kuhfladen, der
eine mit dem täglichen Spaziergang schon überforderte alte Frau
vollspritzt. Den Taxifahrer, einen freundlichen Kerl ozeanischer
Abstammung, fragt sie gleich nach seinem Namen. „Marama“. „Cooler Name,
entspannt“. Ellie schaut sich im Spiegel an und fragt, ob sie scheiße
aussieht. Marama sagt, dass sie durchaus gut aussieht, aber sie hört
nicht zu und antwortet selbst: „Wie ein Stück Scheiße“. Dann
monologisiert sie über sich als fette Sau und über ihr Idealgewicht.
Schließlich endet die Fahrt an einer noblen Villa in der verschlafenen
Vorstadt. Ellie lässt sich natürlich Zeit beim Aussteigen, sie muss als
aus einem Taxi Ausgestiegene von mindestens zwei Mädchen gesehen werden.
„Ihr seid alle Kacke!“ hört man bereits eine laute und motivierende
Frauenstimme aus dem Gruppenraum. Ellie zahlt bar und tritt der
Selbsthilfegruppe bei. Sie nimmt Platz und ist sehr nervös. Die 20 oder
30 Mädchen und junge Frauen im Raum kommen aus viel bürgerlichen
Elternhäusern. Sie fühlt sich minderwertig und scheiße. Aber da ist auch
kindliche Anspannung, Vorfreude, endlich geht es los. Eine magere
Gestalt fragt, ob sie sich auf den Nebenstuhl setzen darf. Ellie
verkneift sich ihr nerviges „Entspannt“ und bejaht mit einer
Höflichkeitsfloskel. Doch schließlich bricht es aus ihr heraus: „Boah,
ich muss wieder kacken“. Schmunzeln, überall Schmunzeln, doch dann
betritt eine dürre Frau Ende 20 das Podium, Beine wie Streichhölzer, und
stellt eine Countdown-Uhr auf den Tisch. „365 Tage. Jeder Tag bis dahin
ist ein scheußlicher Tag des Fettes. Doch auch ein Tag der
Verbesserung. Wer nach einem Jahr über 35 Kilo wiegt, kann zu den
Fettschweinen zurückgehen, so was Ekliges brauchen wir hier nicht“. Alle
klatschen.
Vor einem Großstadtspätkauf trifft sich Ellie mit ihren Freunden und ist
so glücklich wie lange nicht mehr. Der erste Tag ihres neuen Lebens!
Sie setzt sich ein neues Ziel: mit 21 33 Kilo wiegen! Bei 1,55. Naja,
eigentlich müsste auch 30 zu schaffen sein. „Durst?“ fragt Durs, ein
18-jähriger Bengel. Ellie betrinkt sich mit. Sie spielt Gitarre, singt
ausgelassen und freut sich die Scheiße aus dem Arsch. 20 Kilo runter in
364 Tagen, das müsste gehen. In einer Woche trifft sich die
Selbstzerstörungsgruppe wieder. „Warum macht ihr das, wollt ihr schön
sein?“ fragt ein alter Penner, der dem Angeben und den Angaben des alten
Mädchens beziehungsweise der jungen Frau zugehört hat. Sie blickt ihn
verachtungsvoll an und entfernt sich mehrere Schritte. „Den ganzen Tag
geheult“, erzählt sie Durs. „Aber egal... und bei dir, alles entspannt?“
12.2020