"Psychiel?" "So heißt er, ja. Wahrscheinlich auch so ein biblischer Name. Rein mit dir". Aad schmiss sich aufs Bett. "Sind Sie der glücklichste Mensch der Welt?" Aad lächelte zynisch: "Ja". ...
"Was ist los?" kam Aad zu sich. "Er hat Sie bewusstlos geschlagen, fast getötet. Sie bekommen vorerst ein Einzelzimmer". Tolle Klapse, dachte Aad. Um keinen Selbstmord zu begehen, freiwillig hierhier gefunden, und gleich am ersten Tag fast getötet.
"Wo ist mein Kind?" schrie jemand die halbe Nacht. Wahrscheinlich eine Frau, nur es gab keine Frauen auf dieser Station. Ein Mann Ende 30, der normalerweise mit einer sehr tiefen Stimme sprach, der war das. Aad lernte auf der Toilette einen kennen, der sich beim Ablecken der Kloschüssel einen runterholte. Interessanter Mann, dachte Aad. "Warum bist du hier?" fragte ihn ein alter Penner. "Ficken, schätze ich", sagte Aad.
Am zweiten Tag Gruppensitzung, da versuchte der Arzt dem Mann mit dem verlorenen Kind schonend beizubringen, dass dieser keine Frau war - vergebens. Welches Kind, wusste auch keiner so Recht, der Mann hatte gar kein Kind. Aad versuchte in der zweiten Nacht, sich umzubringen.
"Wo bin ich?" schrie er, als er merkte, dass er nicht in der Klinik war. "Ruhig", flüsterte Psychiel, "ich habe dich eine Woche lang versucht zum Singen zu bewegen, du hast mir nichts gesagt". Aad erinnerte sich nicht. Psychiel - wer war das? Jurastudent, vorbildlicher Sohn seiner in Frieden ruhenden Eltern, hilfsbereit, zuvorkommend, alleinstehend. Er war normal, als er das erste Mal in einen Laden einbrach, um erwischt zu werden. Er war noch normal, als er sein ganzes Geld für teuren Cognac ausgab, den er dann in die Kloschüssel hinausgoss, um sich mit billigsten Branntweinen zu besaufen. War er noch normal, als er als Tagelöhner zehn Stunden am Tag schuftete, seinen Lohn verbrannte und um Kleingeld bettelte? War er normal, als er sich in den Bars völlig nüchtern vor allen Leuten auszog, sich einen Hurensohn nannte, und jede erdenkliche Erniedrigung über sich ergehen ließ? Er bekam sogar Honorar fürs Stiefellecken, nur verbrannte er diesen sofort, er verbrannte immer sein Geld, um anschließend um Kleingeld zu betteln. Ein Penner wollte in eine Weinhandlung einbrechen, und Psychiel erwies sich wieder einmal als hilfsbereit und zuvorkommend. Er brach für den Penner ein, nahm den teuersten Wein mit, ergoss alles auf den Boden und gab dem Penner die zweitbeste Weinflasche - der Penner trank den Wein genüsslich aus, wonach Psychiel ihn zusammenschlug und sonach in die Klapse kam.
"Ich bin der glücklichste Mensch der Welt!" hörte sich Aad aus einer alten Videoaufzeichnung sagen. Aad war Feuerwehrmann, er rettete an dem Tag ein Kind, riskierte dabei sein Leben, und gewann das des Kindes. Psychiel fasste es an dem Abend anders auf - er merkte nicht, wie er den Sender umschaltete, als eine Sendung über einen gefassten Kinderschänder lief, der ein bildschönes elfjähiges Mädchen wochenlang gequält hatte; auf einmal stand Aad da und sprach stolz davon, wie glücklich er wegen des Kindes war. Psychiel hatte danach noch ein ganzes Jahr funktioniert. Irreversibel, drehte sich in seinem Kopf herum, verurteilt aber glücklich, da ihm seinen Genuss keiner mehr nehmen kann. Ein Buch wird er darüber schreiben, wird vor Gericht monatelang lang und breit erzählen, wie er das Kind quälte. Selbsttherapie, Therapie auf Staatskosten, irgendwann ein neues Leben. Psychiel kannte das System gut. Er versuchte es mit Theologie, aber eine Garantie dafür, dass es eine Hölle gab, fand er auch dort nicht. Friedlich wird er einschlafen, dachte Psychiel. Er rannte nächtelang umher und schrie, er sei ein Kinderschänder. Er begann, sich selbst zu bestrafen, doch er sah den Unsinn seiner Handlungen ein. Sinn war es, wovor er nicht fliehen konnte. Er wollte keinen Sinn mehr. Er schiss auf die Tische in den Seminarräumen und summte umher, als wäre er eine Fliege, aber auch das war ihm viel zu sinnvoll. Er bewarb sich für die dreckigsten Jobs, und bestand darauf, einen halben Cent als Lohn zu bekommen, wobei er Hammer und Meißel zum Zerteilen der Münze mitbrachte. Es war zu sinnvoll. Aus A folgte B. Es war unerträglich.
"Es war ein Irrtum", sagte er sich nun. Aad versuchte, sich zu bewegen. Er konnte nicht. Er war fast tot. "Ein Irrtum!" lachte Psychiel und rannte fröhlich auf die Straße. "Ein Irrtum!" schrie er, nahm irgendwo ein Brecheisen her, brach in einen Spirituosenladen ein, schnappte sich die teuerste Flasche und trank aus ihr, tanzend. Aad, zum Fenster gekrochen, beobachtete dies. Er kroch nun weiter, so dass er aus dem Fenster hinaus kroch, aus dem fünften Stock auf den Bürgersteig fiel und von seinen milden Qualen erlöst wurde.
2010