Dienstag, 9. Mai 2017

Kürzstgeschichtchen 3





Linke Medien und ein möglicher Tippfehler

Ein Kolumnist einer großen linken Zeitung kommt von einer Anti-Islamophobie-Demo spät und müde nach Hause, schreibt noch schnell seine Kolumne, in der er unter anderem den Ausdruck "islamistischer Terrorismus" mit "islamist. Terror" abkürzt; am nächsen Tag wird die betreffende Stelle fehlerhaft als "Islam ist Terror" abgetippt. Bevor aufmerksame Leser auf diese Peinlichkeit (die der eigentlichen Aussage der Kolumne diametral entgegengesetzt ist) hinweisen können, greift ein bekanntes linkes Morgenblatt die Passage auf und tönt auf der Titelseite: "Linke Zeitung sagt: Islam ist Terror!" - ein Skandälchen aus kommerziellen Gründen, aus dem am nächsten Morgen eine Bekehrungsorgie wird: während konservative Medien verschämt schweigen, überbieten sich linke Zeitungen, Zeitschriften und Internetportale mit Schlagzeilen wie: "Endlich sagt es jemand!", "Paradigmenwechsel!", "Alice Schwarzer wusste es schon immer!", "Der neue Hitler ist schwarzhaarig und dunkelhäutig - die perfide Tarnung des Faschismus!" Gegen Mittag aber klärt der nun ausgeschlafene und über das Angerichtete schockierte Kolumnist den Vorfall auf, und schon meldet das erste linke Abendblatt: "Rechte Verschwörer manipulieren Zeitungskolumne!" 



Die Bleiche

Als die um eine halbe Stunde überzogene Vorlesung in seinem Hauptfach Gender Studies endlich zu Ende war, lief er noch in die Mensa im 20. Stock, um sich einen Kaffee für 40 ct. zu holen, aber die Kaffeemaschine war bereits aus und außer einer dürren bleichen Gestalt am Fenster befand sich keiner mehr im Raum. Er sah sich um und entschloss sich nach langem Zögern, sie zu fragen, ob sie ihm für zehn Euro einen blasen würde. Das Mädchen - das war beileibe keine junge Frau, 21, zu zart für ihr Alter - offenbarte ihm ganz direkt, dass es erhebliche Geldnot litt. Sie sagte: "In einer WG kann ich nicht wohnen, werde immer spätestens in der zweiten Nacht belästigt". Ihre Eltern habe sie vor langer Zeit wegen eines gemeinsamen Versuchs, sie zu missbrauchen, getötet, und es wie einen Doppelselbstmord aussehen lasen. Sie habe gar versucht, sich zu prostituieren, doch musste stets beim ersten Hautkontakt brechen und kollabierte. Er bemerkte, dass die Haut an ihren Unterarmen nur noch aus Narben bestand. "Da ist kein Platz mehr", seufzte sie, "ich habe fünf Riesen mit den beiden Armen verdient". Sie ritze sich nicht selbst - sie ließ sich für Geld schneiden. Er hörte ihr zu, und sie erleichterte sich ihrer Kleidung und zeigte ihm ihren volltätowierten Körper. "Nur noch Gesicht und Hände. Das ist mein ganzes Kapital. Die Handinnenflächen sind der empfindlichste Teil des Körpers, ich lüge nicht. Für zehn Euro darfst du mir in die Hand schneiden, aber nicht tief". Sie hatte schöne Hände und ein kindliches Gesicht. "Ich nehme das Gesamtpaket für zwei Riesen". Sie bedankte sich leise für seine Großzügigkeit und ging mit ihm in seine Wohnung. "Keine bleibenden Narben am Gesicht", erinnerte sie ihn an die Abmachung. Er bereitete alles vor - Kerzen, Nadeln, Messer und Stichwerkzeuge. Als er begann, vor der Prozedur ihre dürren bleichen Hände zu küssen, kotzte sie ihn voll. "Ich hatte dich gewarnt", sagte sie. "Du Freak!" schrie er und warf sie hinaus. Er öffnete nach einer Minute wieder die Tür und warf ihr ein paar zerknitterte Scheine ins Gesicht: "Für die Berührung!"




Der Habicht

Rolf war ein Habicht, ein Mann, der alles hatte: Koks, schöne Frauen, schnelle Autos. Leider überfuhr er eines Tages nach drei Linien Koks mit seinem schönsten Auto zwei Frauen, was Schaulustige auf Handys aufnahmen und ins Internet stellten, weshalb es auch nicht mehr zu leugnen war, bei aller Bestechlichkeit der Staatsanwälte und Richter. Der Wagen und der Rolf waren zu deutlich auf dem Video zu sehen, das im Flash-Format in solider Auflösung ins Netz gestellt wurde, und wo es bald eine Million Leute sahen.

Rolf kam in eine Zelle mit einem Drogendealer, einem Brotflüchtling aus Mauretanien. Rolfs Video erlangte eine immer weniger traurig zu werden drohende Berühmtheit, wurde bald Kult, und Rolf entsprechend zum Popstar. Vom Gefängnis aus ließ man Rolf einen Song zum Video aufnehmen, es wurde ein Hit. Die Schließer standen Schlange vor Rolf im Speisesaal, um an die begehrten Autogramme zu kommen, und bald hatte Rolf Koks und Frauen in den Knast geliefert bekommen.

Rolf schlief, als der Brotflüchtling aus Mauretanien seinen Laptop anmachte, und das Video ansah. Der nicht geduldete afrikanische Mitbürger war fassungslos: zwei schöne junge Frauen mir nichts dir nichts überfahren, getötet, man hätte damit doch so vieles anstellen können! Er versuchte, Rolf zu erwürgen, doch ein Schließer kam vorbei und schlug ihn brutal zusammen: Rolf hatte wieder Glück. Da konnte er sein Glück noch fassen, aber zwei Wochen später nicht mehr, als vor Gericht sein Doppelgänger erschien und die Schuld glaubwürdig auf sich nahm. Als Rolf das Gefängnis nach 111 Tagen verließ, hatte er ein Alibi, eine Libido, Koks für zwei Linien, und eine junge Frau, die auf ihn vor den Mauern wartete: ein Groupie. Und das ist schon die ganze Moral.



Klasse Treffen

Es barte. Hochbetrieb. Mittendrin ein Klassentreffen, und es war Lukas so peinlich. Er sagte: "Bei der Abiturprüfung habe ich übrigens geschummelt", und fühlte sich sofort besser. Er saß allein in einem großen niedrigen Sessel, während seine Klassenkameraden um ihn herum pärchenweise vorkamen. Alex küsste eine Vietnamesin, die kein Wort von dem verstand, was geredet wurde, und deutete auf einen BJ hin, wonach er den Daumen hochhielt. Lukas sagte nichts, drehte sich zu Erik um, der eine hübsche Barbraut auf dem Schoß hatte. "Seit zwei Wochen zusammen", sagte Erik, "und schon 30 mal gemacht, ich habe genau nachgezählt". "War es denn so gut, dass du dich an jedes Mal erinnern kannst?" versuchte Lukas die Rhetorkutsche. Erik nickte nur, während Sandra von ihren drei misslungenen Ehen erzählte - drei Fehler, die vier Bälger zur Folge hatten. "Du hast aber deine Fehler eingesehen, und verdienst nun einen guten Kerl", war Lara mitfühlend. Sie war immer mitfühlend, denn besonders schön war sie nie. Doch selbst diese emanzengesichtige Fleisch gewordene Verhütungsmethode war mit ihrem Freund auf dem Klassentreffen, Lukas aber ganz allein an diesem Abend. So wurde er natürlich danach gefragt, und versicherte, in den letzten zehn Jahren unzählige Bettgefährtinnen gehabt zu haben: "Gleich nach dem Abi - ich erinnere mich nur noch dunkel daran - war ich mit dieser Bailey zusammen, sie war Tschechin oder Russin, sehr devot und laut im Bett, danach hatte ich was mit Alexa, einer lokalen Schönheit aus dem Vorort, in dem ich wohnte, als ich den Bachelor studierte". "Soso", sprach Alex misstrauisch, und veranlasste Lukas, seinen Monolog fortzusetzen: "Dann zog ich nach Berlin und war zwei Jahre mit Alissa zusammen, eine sehr hübsche Blondine, die aber nach ihrem Studium nach Kiew zurückkehrte. Die Fernbeziehung hat nicht funktioniert, und man will ja figge, ihr wisst ja, wie dat is. Zurück in Hamburg, habe ich Veronika kennengelernt, lange Beine, wasserstoffblond, aber dann doch etwas zu langweilig für meine Ansprüche..." "Und jetzt?" wollte Erik auf den Punkt kommen. Lukas schoss wie aus der Pistole: "Eve!" "Eve?" "Ja... Eve Angel". "Ach was? So heißt sie?" Lukas lachte gekünstelt: "Ja, die heißt so, Komischer Name, was?" "Und, seid ihr...?" "Ja, wir sind sogar verlobt", nickte Lukas, und bekam auf einmal furchtbares Kopfweh, als Erik auf sein Flachofon schaute, und schmunzelte, eine Internetseite runterscrollend.



Tapferkeit

Es war im Frühjahr 1945. Um Punkt 5:00 erschien Andriy in der Baracke, und bekam den Befehl, die Zellen der Erschossenen aufzuräumen. Seine Arbeit erledigte er schnell und ordentlich, nahm sich vor dem Mittagessen etwas Zeit für Hygiene, und gab nur einen Drittel seines Tageslohns für Brot und Suppe aus, obwohl er noch mehr Hunger hatte. Andriy wollte immer etwas Geld auf der hohen Kante haben, doch flog hochkant aus seinem 1942 erworbenen Haus, als die Russen sein Dorf nach Kollaborateuren absuchten. Obwohl sie sein Haus niederbrannten, schäumte er nicht vor Wut, sondern mäßigte sich, und wartete auf den richtigen Augenblick. Als es so weit war, stürmte er allein auf die zu Abend speisenden Soldaten mit einem Maschinengewehr, und traf die meisten von ihnen tödlich. Es erschien ihm gerecht, jedem noch einen Gnadenschuss zu verpassen, bevor er, ohne den Toten etwas zu stehlen, ihre Leichen in einen Graben schleppte und dort zuschüttete. In einem Geheimbunker versteckte Andriy seit Wochen den verwundeten SS-Mann Heinrich. Auch an diesem Abend kam er mit Medikamenten und Mahlzeit zurück. "Du bist ein guter Mensch, ja die Tugend schlechthin: klug, gerecht, besonnen, tapfer", lobte ihn Heinrich, "und dazu noch so fleißig, ordentlich und pünktlich", war der Nazi entzückt. Andriy lächelte nicht einmal, sondern sprach mit Entschlossenheit und Akzent: "Auf uns wartet Arbeit. Wir haben noch nicht alle umgebracht. Werde schnell gesund, solange die hier im Dorf noch festsitzen".



Der Alkoholiker

Er sitzt jeden Freitagabend in dieser Bar, am Fenster, trinkt. Niemand kennt ihn, obwohl er seit Jahren dort trinkt. Er gibt immer zu viel Trinkgeld und bedankt sich besonders höflich, er kommt mit hängendem Kopf in die Bar und geht genauso nach Hause. Eines Tages stellte der Barkeeper bei näherem Hinsehen fest, dass er eigentlich gar nicht trinkt, er tut nur so, aber kippt seinen Alkohol immer weg. Dieser Alkoholiker, meinten die Kellner, trinke nicht - das soll doch ein Scherz sein - , aber der Barkeeper zeigte ihnen bei Gelegenheit, dass er den Alkohol, den er bestellt, wirklich wegkippt. Er tut zwar besoffen, redet wie ein Alkoholiker, trinkt aber nicht. Wenn er - und die Leute sollen denken, er sei betrunken - nach Hause geht, dann nicht zu Frau und Kindern, er lebt allein. Wenn er zurückkehrt, wird kein Kind weinen, sich fürchten oder schämen, sollen die Leute denken, - aber er trinkt nicht. Er gibt sein ganzes Geld für Alkohol aus, in jedem Alkoholfachgeschäft ist er Stammkunde, redet lange mit den Verkäufern über die Schnäpse und reißt oft selbstironische Alkoholikerwitze. Er ist ein fünfzigjähriger Mann, allein, wie er als Kind so sehr sein wollte, aber nie gelassen wurde. Er hätte von dem weggeworfenen Geld längst ein Haus abbezahlen können. Eines Tages schrie der Barkeeper ihn an, er solle sich schämen, dass er sich ständig betrinkt, anstatt seinen Kinder etwas zu kaufen, oder mit seiner Frau auszugehen, da hatte der Mann auf einmal - nur für dieses Gespräch - eine Frau, zwei Kinder, und ließ sich vom Barkeeper zur Sau machen. Als er an jenem Abend aus der Bar ging, sah man ihn lächeln.